I.
Veredelungsverkthr und Handelspolitik.
Juli 1875.
Ñas „Neue Wiener Tageblatt" brachte im verflossenen Juni einen
Artikel über das Apreturverfahren, welcher die Ansichten der Frei
handelsschule vertheidigt und der Berichtigung bedarf. Einer solchen
Kritik verschließen die großen freihändlerischen Zeitungen Deutschlands
mit seltener Einmüthigkeit ihre Spalten, so daß es den Anschein ge
winnt, als herrsche in Sachen der Volkswirthschaft mehr Fanatismus
und Intoleranz unter gebildeten Männern, als in Sachen des
Glaubens und der Religion unter gewöhnlichen Arbeitern. Dabei
tragen die Anhänger der Manchesterlehre eine Miene der Unfehlbar
keit zur Schau, gegen welche das Bild des großen Dogmatikers in
Rom nur ein Schatten ist. Mit souveräner Verachtung blicken sie,
wie aus olympischen Höhen auf die verblendeten Schutzzöllner herab,
welche sich mit Beweisen und Zahlen quälen, während ihnen das
helle Licht der Theorie und Wissenschaft leuchtet. Für den Manchester
mann bedarf es keiner Untersuchungen thatsächlicher Verhältnisse,
für ihn genügt das unfehlbare Princip der freien Entfesselung
des Egoismus, die Politik des »laisser aller«, zu deutsch, des
„Gehenlassens", des „Alleslaufenlassens." Nur sonderbar, daß diese
klugen Leute den Zusatz vergessen haben, welcher vom Volkesmund
seit alter Zeit beigegeben worden ist, und nach welchem es heißen
muß: „Laufen lassen, bis alles drunter und drüber geht."
Ob aber die Manchesterpartei diesen Zusatz macht oder nicht,
kann heute gleichgültig sein, nachdem die letzten Jahre dieses „Drunter
und Drüber unserer wirthschaftlichen Verhältnisse" mit so unauf
haltsamer Gewalt über uns gebracht und die Schluß-Katastrophe
Allen vor Augen geführt haben. In den Erscheinungen des Börsen
schwindels und Gründerthums hat die Lehre des »laisser faire«
ihre reinsten Blüthen getrieben, nur noch überstrahlt von der Sanc-
tionirung des Contractbruchs, dieses weltgeschichtlichen Schandflecks