40 2. Abschnitt. Grundlegung u. Ausbau der Sozial- u. Wirtschaftspolitik.
Aber auch abgeseherl davon ist heute die Volkswirtschaftslehre geradezu das
berufenste Mittel zur Erlangung einer Allgemeinbildung, namentlich für die schon
in die Praxis übergetretenen Kaufleute, Ingenieure, Lehrer, Aerzte u. a., wie es
Grammatik, Mathematik, Geographie und die Naturwissenschaften für die Jugend
sind. Wie früher die Philosophie, so ist heute die Volks- und Staatswirtschast
dazu berufen, die Vor- und Universalbildung für alle Berufsklassen abzugeben, die
überhaupt im öffentlichen Leben Berücksichtigung beanspruchen.
Damit verbindet sich folgende Erwägung: Die Höhe der Kultur eines Volkes
oder einer Großstadt beruht auf dem Kulturinhalt der einzelnen Familien und der
einzelnen Persönlichkeiten. Die neue Entwicklung des öffentlichen und wirtschaftlichen
Lebens erhebt an jeden Stand höhere Anforderungen, nicht nur innerhalb des ein
zelnen Geschäftsbereichs, sondern insbesondere auch in bezug auf seine gesellschaft
liche und politische Stellung.
Die allgemeine und internationale Bewegung findet ihren Ausdruck darin,
daß sich neuerdings jeder Stand, z. B. die Gruppe der Werkmeister, Schullehrer,
Tierärzte, Apotheker, subalternen Bureaubeamten u. a., die soziale Hebung des
Standesansehens durch Erhöhung der Anforderungen in Bezug auf die Allgemein
bildung zum Ziel setzt. Sollte sich dieser Bewegung, die einen internationalen
Zwangscharakter hat, der Kaufmannsstand nicht rechtzeitig anschließen, sollte er nicht
mit allem Eifer suchen, auch in politischer Bildung seinen Konkurrenten und Gegnern
ebenbürtig gegenüber zu stehen, so kann er auch — denn „Wissen ist Macht" —
feinen Anspruch, im öffentlichen Leben den ihm gebührenden Posten zu erlangen,
nicht durchsetzen.
Nach all dem liegt der maßgebende Gesichtspunkt für die Organisation
dieser kaufmännischen Hochschulkurse in der Tatsache, daß einen Hauptgrund für deren
Errichtung das allgemeine Interesse für die Volks- und Staatswirtschaft und das
soziale Leben abgibt. Demgemäß wird die Vermittlung dieser Kenntnisse mit an
erster Stelle zu stehen haben.
Auch der auf diesem Gebiete erfahrene Lexis stellt in seinen Abhandlungen über das
Handelswesen, 1906, Heft II S. 95, als leitenden Gesichtspunkt auf: „Der Schwerpunkt des
Unterrichts der Handelshochschulen liegt nicht in Fach- und Sprachkeuntuisseu, sondern in den
Wirtschafts- und Staatswissenschaften, die, über das privatwirtschaftliche Gebiet hinausgehend,
die inneren Zusammenhänge der Volks- und Weltwirtschaft erkennen lassen. Die Aufgabe^ der
Handelshochschulen kann nicht sein, jungen Kaufleuten die für ihren Beruf erforderlichen elemen
taren handelstechnischen Kenntnisse beizubringen. Die besten Erfolge wird die Handelshochschule
für jene haben, die nach genügender allgemeiner Vorbildung nicht nur ihre Lehrzeit durchgemacht
haben, sondern auch schon im größeren Geschäftsbetrieb tätig gewesen sind."
Nicht ausgeschlossen ist bei diesem Ausgangspunkt, daß die Hochschulkurse
neben der Vermittlung der universalen Bildung immerhin noch als Nebenzweck ver
folgen, auch die Fachbildung wissenschaftlich zu vertiefen und zu erweitern. Bei
spielsweise ist an der Kölner und der neuen Berliner Handelshochschule, sowie seit
1903 an dell beiden Züricher Hochschulen, die Organisation getroffen, daß etwa ein
Dutzend Vorlesungen auf so späte Abendstunden angesetzt sind, daß die kaufmännische
Jugend daran teilnehmen kann. — An manchen Plätzen lvird sich die Angliederung