Full text: Zur Geschichte des Wucherstreites

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habe er das Geständniß entrissen, daß sie sein Buch nur vber- 
slächlich gelesen, und dies seien gerade diejenigen, die es am 
entschiedensten und schroffsten oerurtheilt haben. Von welcher 
Bedeutung ein solches Urtheil sei? Er wage zu hoffen, daß 
unter den durch die Macht der Erziehung am meisten vorein 
genommenen Geistern sich viele willig finden werden, feine Schrift 
mit Aufmerksamkeit zu lesen und das Für und Wider überall 
reiflich abzuwägen, und er sei bereit, diese als seine Richter an- 
znnehmen. 
Die Erklärung bringt uns nicht gerade etwas Neues. Der 
Zwiespalt der Geister, von dem Rossignol spricht, versteht sich bei 
dem Stand der Frage zu jener Zeit für den Kundigen von selbst. 
Dennoch ist sie nicht ohne Interesse, indem sie jenen Zwiespalt 
mit lebhaften Farben zeichnet und der practischen Bedeutung der 
Frage sowie der Hoffnung auf den Sieg eines vernünftigeren 
Urtheils einen energischen Ausdruck giebt. Der Sieg ist inzwischen 
thatsächlich erfolgt, weniger aber durch einen Fortschritt der Er 
kenntniß in der Schule, als durch Entgegenkommen der obersten 
Kirchenbehörde, indem diese im dritten Jahrzehnt des 19. Jahr 
hunderts anfing, den Nothschrei der bedrängten Gewissen zu er 
hören und den Beichtvätern zu verbieten, das Zinsnehmen als 
solches als sündhaft und restitutionspflichtig zu behandeln. Die 
theologischen Schulen mußten dieser Entscheidung naturgemäß 
Rechnung tragen. Principiell aber stehen sie noch heut zu Tage 
vielfach, wahrscheinlich in ihrem größeren Theil, auf dem Stand 
punkt einer Theorie, nach der Zins und Wucher identisch und 
das Zinsdarlehen an sich unerlaubt ist; und wenn Rossignol 
heute lebte, würde er sich zwar nicht mehr über Anfeindung 
seiner Auffassung zu beklagen haben; verwundern aber würde 
er sich, daß trotz der veränderten Praxis eine der Vernunft 
entsprechende wissenschaftliche Behandlung der Zinsfrage noch so 
selten ist. _ 
Druck von Hesse & Becker in Leipzig.
	        
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