Full text: Die Zeit der preußischen Freihandelspolitik

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Staatshilfe, während die Industrie der eigenen Kraft vertraut, 
die ohne staatliche Förderung sich ungestört zu entfalten vermag. 
Der Agrarismus haßt die modernen Verkehrsmittel, welche die 
heiligen Schranken seiner Interessenpolitik mißachten, während 
die Industrie danach strebt, die Verkehrstechnik möglichst zu 
vervollkommnen und den Transport zu verbilligen. Der Agraris 
mus kämpft mit allen brauchbaren und unbrauchbaren Mitteln 
gegen die Ausdehnung der Weltwirtschaft, während die In 
dustrie ohne sie nicht leben kann. Unter diesem feindlichen 
Gegensatz der großen Produktionszweige hat die deutsche 
Volkswirtschaft schwer zu leiden gehabt. 
Aber auch auf politischem Gebiete hat die Schutzzoll 
politik des Deutschen Reiches eine verhängnisvolle Wirkung 
ausgeübt. Sie ist der Entwicklung zur inneren Konsolodierung 
und Vereinheitlichung hemmend entgegengetreten. Sie hat 
dazu beigetragen, daß der Reichsgedanke gegenüber den parti- 
kularistischen Bestrebungen an Macht und Größe Einbuße er 
litten hat. Der Bundesstaat sollte gewiß nicht das Endziel 
der politischen Entwicldung sein, er sollte nur einen Übergang 
zum Eihheitsstaate darstellen. Nach der Gründung des Reiches 
durfte man erwarten, daß der Einzelstaat allmählich im Na 
tionalstaat aufgehen würde. Auch Bismarck hat dieser An 
sicht in den 70er Jahren wiederholt Ausdruck gegeben. So 
sagte er am 4. Dezember 1875: „Preußen muß in Deutschland 
aufgehen“, und am 14. März 1877 bemerkte er, Preußen be 
dürfe mehr der Germanisierung, als Deutschland der Borussi- 
fizierung. Auch in seiner Rede vom 26. April 1876 hält er es 
für die Pflicht, die ihm als Reichskanzler obliege, die Ent 
wicklung eines Großpreußentums zum Nachteil der Reichs 
autorität zu bekämpfen, und ähnlich äußerte er sich am 18. Mai 
1876. Doch auf die Zeiten der Reichsflut folgte die Reichsebbe. 
Der Umschwung setzte im Jahre 1879 ein. 
Seit der Inauguration des Protektionismus hat unser 
politisches Leben eine ganz andere Richtung erfahren. Zur 
Herrschaft gelangte die konservative Partei, die im Reichstag 
den Ausschlag gab. Sie bestand fast ausschließlich aus preußi 
schen Junkern; die in erster Linie ihre eigenen materiellen und 
sozialen Interessen vertraten. Die großen nationalen Inter 
essen wurden dadurch in den Hintergrund gedrängt. Daraus
	        
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