12 Das Geburtenproblem ist heute überhaupt noch recht ungeklärt. Während man auf der einen Seite über Ueberbevölkerung klagt und Hundert- tausende in die Fremde ziehen läßt, jammert man gleichzeitig über Geburtenrückgang, der übrigens im allgemeinen durch einen erheblichen Sterblich keitsrückgang kompensiert wird. Letzterer geht auf verschiedene Momente zurück, unter anderem auch auf die Fortschritte der Hygiene und der Medizin. Die Ursachen des heute zu beobachtenden Geburtenrückgangs, der vor allem in den Städten auftritt, aber auch auf dem Lande anzutreffen ist, sind mannigfacher Art. Zum Teil dürfte auch eine Abnahme der Zeugungsfähigkeit in manchen Ge sellschaftsklassen eine gewisse Rolle spielen, vor allem aber die absichtliche Verhinderung der Be fruchtung durch bestimmte Methoden des Ge schlechtsverkehrs oder durch Präventivmittel. Auf dem Lande spielt besonders die Abtreibung eine erhebliche Rolle, die aber auch in den Städten etwas sehr Häufiges ist. Von großer Bedeutung sind auch die Geschlechtskrankheiten, welche die Fortpflanzungsfähigkeit sehr schädigen. Ein großer Teil der Ehen ist dadurch kinderlos, daß der Mann die Frau mit Tripper infizierte. Im allgemeinen sind die wohlhabenderen und rationeller lebenden Kreise am meisten geneigt, durch geeignete Maßnahmen die Kinderzahl ein zuschränken, um so den Lebensstandard der Kinder aufrechterhalten zu können. Die Ein kommen des Mittelstandes, insbesondere der Beamtenschaft, sind so niedrig, daß eine Familie schwer mehr als drei Kinder aufziehen kann, wenn die Ausbildung der Kinder nicht Zurückbleiben soll. Familien mit vier, fünf Kindern haben bereits mit Schwierigkeiten zu kämpfen, wenn die Väter nicht hohen Rangsklassen angehören. Die ärmeren Kreise leben vielfach dumpf dahin, bekommen Kinder und lassen sie massenhaft dahinsterben. Sie überlegen wenig, auch erfordern alle Prä ventivmaßregeln Aufmerksamkeit und Disziplin. Dafür kommen unter Arbeiterinnen Fruchtabtrei bungen recht oft vor. Aber auch bei Bauern spielt die absichtliche Geburtenverringerung keine ge ringe Rolle. Ich kenne ein niederösterreichisches Dorf, in dem die Bauern nur solange Kinder be kommen sollen, bis der Erbsohn geboren ist, uiu auf diese Weise das Vermögen immer in einer Hand zu belassen. Neben den bisher erwähnten Reserven gibt es auch Reserven an Erfindungen und Erfindungs kraft, die im Kriege Verwendung finden können. Es gibt eine Menge von Erfindungen, die im Frieden nicht verwendet werden, weil sie sich nicht rentieren. Wir sehen zum Beispiel die Hebe maschinen wenig in Benützung. Ein großer Teil der Transporte von Kisten, Möbeln, Steinen usw. wird mit Muskelkraft vorgenommen. Wenn man die Fülle von Erfindungen mit Technik, die Häufigkeit der Verwendung mit Technizität be zeichnet, so muß man sagen, daß in unserem Zeitalter die Technik zwar sehr weit fortgeschritten ist, nicht aber die Technizität. Die Alten hatten zwar weniger Erfindungen, sie nützten dieselben aber alle aus. Wenn im Kriegsfall die Zahl der Arbeitskräfte abnimmt und bestimmte Import artikel verschwinden, kann es leicht zur Ver wendung schon bekannter Erfindungen kommen, die bisher nicht in Gebrauch genommen wurden. Eine Gesellschaft für Apparatenbau in Mainz be richtet zum Beispiel, daß sie infolge des Ab ganges von Arbeitern genötigt war, neue vorher nicht gekannte Hilfsmaschinen anzuschaffen. Aber auch die Erfindungskraft selbst wird in Kriegszeiten durch die Not oft geschärft. So wurde zum Beispiel die Rübenzuckerfabrikation während der Kontinentalsperre eingeführt. Na poleon I. setzte eigens Preise für die Erfindung neuer-industrieller Maschinen aus. Und es wurden denn auch eine Reihe von Erfindungen gemacht und ausgenützt. Man kennt zwar die Größe dieser Reserve an Erfindungskraft nicht, aber man muß sie auch in Rechnung stellen. Die Erfindungs reserven kann man aus den Patentpublikationen zum Teil entnehmen, und es wäre im Interesse der Kriegsbereitschaft gelegen, im vorhinein fest zustellen, welche Erfindungen im Falle einer Ab sperrung des Landes vom Weltverkehr verwendet werden könnten. Es gibt viele Maschinen, die zwar teurer, aber dennoch in brauchbarer Qualität Surrogate für wichtige Importartikel zu erzeugen vermöchten. Sie dürften im Falle eines Weltkrieges vor allem wohl Verwendung finden. Zu den bisherigen Reserven kommen noch die Rohstoffreserven. Es gibt Bergwerke, die in Friedenszeiten auszunützen nicht rentabel ist. Es gibt, wie wir schon erwähnten, Land, das für Ackerbau und Viehzucht in Friedenszeiten nicht Verwendung findet. All diese Reserven kommen natürlich für den Kriegsfall in Betracht. Auf die Warenreserven, insbesondere auf die Lebensmittelreserven, werde ich noch zurück zukommen haben. Sie werden in Friedenszeiten im allgemeinen sukzessive aufgebraucht. Nur Waffenreserven und ein Teil der Sanitätsreserven gehen in Friedenszeiten langsam zugrunde und müssen erneuert werden. Von ganz anderer Bedeutung sind die Geld reserven. Soweit es sich um Inlandsgeldreserven handelt, sind sie von geringer Bedeutung, da es ein Verwaltungsproblem ist, ob man die Kriegs mittel im Inlande durch Kauf oder durch Requi sition beschafft. Es ist auch denkbar, daß die Geld- und Kreditordnung im Kriegsfälle über haupt suspendiert werden muß. Die Auslands geldreserven repräsentieren Forderungsrechte an das Ausland, ihre Verwertung hängt wesentlich von der politischen Situation ab. Auch diesen Reserventypus werden wir eingehend zu be sprechen haben. Die Ausführungen über die ungenügende Ausnützung der produktiven Kräfte könnte leicht