Einführung in die Kriegswirtschaftslehre. (2. Fortsetzung.) Von Otto Neurath, Wien. Wir sehen, wie wir bei derartigen Erwägun gen immer das Realeinkommen ins Auge fassen müssen. Wie ich schon flüchtig erwähnte, ist das in der Praxis sehr schwer zu bewerkstelligen, Weil die Kaufkraft des Geldes sich verschiedenen Waren gegenüber in verschiedener Weise ändert und man diese Veränderungen nicht ohneweiters addieren kann. Es ist eine viel diskutierte Frage, ob man überhaupt eine theoretisch völlig unzu lässige Methode angeben kann, welche es gestattet, die «Gesamtkaufkraft» verschiedener Zeitpunkte miteinander zu vergleichen. Auch die unmittelbare Vergleichung ver schiedener Realeinkommen macht erhebliche, prin zipielle Schwierigkeiten, wenn diese Realeinkom men aus verschiedenen Bestandteilen zusammen gesetzt sind. Es kann ja z. B. das Wohnen teurer, das Essen billiger geworden sein und daher kön nen sich z. B. die Wohnungsverhältnisse ver schlechtert, die Nahrungsverhältnisse verbessert haben. Wie man aber die Aenderung im ganzen 2 u bewerten hat, kann fraglich bleiben. Das sind aber Probleme, auf die ich nur hinweisen wollte, Um zur Vorsicht zu mahnen. Nach dem Gesagten ist es uns ganz klar geworden, daß im Falle einer Kaufkraftverän- derung des Geldes die Bevölkerung nicht als e inheitlicher Körper betrachtet werden darf. Wir sehen nun auch, wer aus dem «guten» Geld Gewinn zieht, wer in seinem Interesse dafür ern teten wird, daß die Kaufkraft des Geldes steigt; es sind dies vor allem die Geldverleiher, die Bankiers, daneben aber auch andere Bevölkerungs- Sruppen, deren Interessen mit denen der Bankiers sonst keineswegs zusammenfallen, nämlich die Beamten. Vor allem sind es jene Beamten schichten, die nicht verschuldet sind. Staats beamter und Offizier kann im allgemeinen nicht damit rechnen, daß sein Einkommen entsprechend d®r Kaufkraftveränderung geändert wird. Sinkt d'e Kaufkraft des Geldes, so findet meist nur nach vielen Verhandlungen und sehr langsam eine entsprechende Erhöhung der Gehälter statt. Der Staatsbeamte ist daher während längerer Zeiträume seinem Einkommen nach mit einem Rentner vergleichbar, der eine unveränderliche Geldsumme erhält, unabhängig von der Kaufkraft des Geldes. Der Beamte könnte unabhängig von der Kaufkraftveränderung weiterleben, wenn sich sein Einkommen wenigstens im großen und ganzen der Kaufkraft anpassen würde. Der Staatsbeamte kann nicht so leicht Aen- derungen der Verträge durchsetzen, wie etwa der Arbeiter. Wenn sich die Kaufkraft des Geldes er heblich ändert, so kann der Arbeiter durch Streiks seine Position verbessern. Streiks der Beamten schaft sind im großen und ganzen praktisch nicht in Rechnung zu ziehen, zum Teil sind sie sogar durch eigene Bestimmungen unmöglich gemacht oder sehr erschwert. Die Staatsbeamten und Offi ziere sind daher wesentlich auf die Parlamente angewiesen. Alle diese Momente sind für den Kriegsfall von größter Wichtigkeit. Wenn be stimmte Maßnahmen die Kaufkraft des Geldes verändern, kann man nie mit einer einheitlichen Wirkung auf die gesamte Bevölkerung rechnen. Kompliziert werden diese Veränderungen dadurch, daß manche Beamte und Offiziere verschuldet sind und insoferne an der sinkenden Kaufkraft des Geldes interessiert sein können-. Es ist nach dem Gesagten verständlich, daß es zuweilen agrarische Kreise sind, welche der steigenden Kaufkraft des Geldes wenig freundlich gegenüberstehen und daher Emissionen von Noten oder minderwertigem metallischem Zeichengeld vielfach begrüßen. Es hängt dies zum Teil damit zusammen, daß ein großer Teil der Landwirte hypothekarisch belastet ist und die sinkende Kaufkraft ihnen die Abzahlung der alten Schulden erleichtert. Wenn daher während eines Krieges durch Zeichengeldausgabe die Kaufkraft des Geldes sehr sinkt, kann dies die Entschuldung der Landwirte fördern.