I I I I Fünftes Kapitel. Karl Marx und der Marxismus. I. Der Lebenslauf von Karl Marx. Alle bisher von uns besprochenen sozialistischen Eedankentzänge uckd Systeme, die von Ferdinand Lassalle nicht ausgenommen, gehören ganz oder doch wenigstens vorwiegend der Geschichte an, sie sind von dem spä teren Gang der Ereignisse überholt. Unerhörte Sieghastigkeit dagegen ge wannen die fozialphilosophischen und sozialpolitischen Theoreme des Karl Marx, sie allein bedeuten heute in der sozialistischen Lehre und in der Praxis Leben und Wirklichkeit. Das heute noch maßgebende Erfurter so zialdemokratische Parteiprogramm des Jahres 1891 ist vollkommen und restlos aufgebaut auf den Theorien des großen Meisters, es bedeutet in seinem allgemeinen theoretischen Teile im Grunde weiter nichts als einen ganz kurzen katechismusartigxn Auszug aus dem kommunistischen Manifest des Jahres 1818 und dem drei Bände umfassenden „Kapital" (1867—1893). Wir sagen daher nicht zu viel, wenn wir behaupten: Sozialismus ist Marxismus, und Sozialdemokratie angewandter praktischer Marxismus. Wenn jemals in einer überragenden Persönlichkeit und in ihrem ganzen Lebenswerke sich die äußeren Le-bensUmstände, ihre Herkunft und ihre Ge schichte sich maßgebend ausprägen und sie bestimmen, so ist es bei Karl Marx der Fall. In der Tat, ohne eine gründliche Kenntnis seiner ganzen Umwelt, seines „Milieus" und seiner äußeren Lebensgeschicke läßt sich das große Werk des geistigen Haupts und wissenschaftlichen Vaters des heutigen Sozialismus und der heutigen deutschen Sozialdemokratie überhaupt gar nicht verstehen. Ein etwas ausführlicheres Eingehen auf Beides ist daher — in Erweiterung unseres sonstigen Rahmens — einfach unerläßlich. In dem damals einen starken internationalen Zug ausweisenden Trier wurde Marx am 5. Mai 1818 als Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts und preußischen Justizrats mit dem ursprünglichen Namen Mardechai geboren. Erst 1821 trat die Familie zum Protestantismus über. Wie Werner Som- bart (Sozialismus und soziale Bewegung, S. 58) hervorhebt, waren im Hause der Eltern Geist und weltmännische Bildung heimisch. Die Lieb- l-ingsschriftfteller der Familie waren Voltaire und Shakespeare, der auch im späteren Leben der ausgesprochene Lieblingsschriftsteller von Marx blieb. Ein durchaus kosmopolitischer Zug beherrschte das Leben der Marxischen Familie. Seine Mutter fühlte sich mehr als Holländerin denn als Deutsche. Im engsten Verkehr stand die Familie mit dem Ehepaare Baron v. West falen, der. Eltern des späteren hochreaktionären preußischen Ministers des Innern Baron Eduard v. Westfalen und Jenny, Marxens hochgebildeter.