Wertmaßstäbe der Konsumtion. 123 § 4 Ruhe den süßen Empfindungen der Lust sich hingibt, wird die Seele abgestumpft durch das träge Gefühl, das sie berauscht. Darauf das Verlangen nach gesteigerten Reizmitteln. Allein auch wenn alle Mittel untätigen Ueberflusses erschöpft werden, es verbleibt dem satten Besitzer von Reichtum, der nur passivem Genießen dient, immer nur Unbefriedigtsein als schließliche Wirkung. Dieses Gefühl wächst in dem Maße, in dem infolge der täglichen Gewohnheit des Genusses die Empfindlichkeit sich abstumpft, und die Seele wird von Langweile verzehrt, der unerbittlichen Gei ßel solcher Reichen“ 1 ). Nur der Genuß (besser: die Befriedigung) jener andern, selbsttätigen Art ist von Dauer, zumal wenn das Streben, das die Befriedigung aus löst, nicht egoistischen Zwecken dient, sondern altruistischen. Völker wie Familien, die jenen passiven Genuß suchen, verfallen dem Niedergange; doppelt wenn der Reich tum nicht durch ihre eigne Willenskraft, sondern durch die der älteren Generation erworben ist. Nur in der Willensbetätigung liegt das Heil, diese aber ist nicht käuf lich, ja der Ueberfluß an Geld ihr vielleicht weniger dienlich als der Mangel. Reich tum ist nicht ein Segen, sondern eine Gefahr. Nur ihn zu gewinnen und ihn für andere zu verwenden, ist Glück, nicht ihn zu genießen. Die Flucht vor dem Ich, das Suchen der Mühe und des Opfers ist das Geheimnis des Lebensglücks; „wenn das Leben köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen“; so erscheint es dem rückblickenden Auge, und so wird das Spiel des Lebens am reizvollsten. Aber auf ihren Anspruch, Selbstzweck zu sein, muß die Konsumtion verzichten, und es ist Sache der Erziehung, ihren Zweck zu objektivieren. So ist es ein Fortschritt, wenn in weiten Kreisen Geld, das früher weichlichem Genüsse diente, zu Auf wendungen für tätigen Sport verwendet wird, oder wenn der Wohlhabende Geld und Kräfte in den Dienst des gemeinen Wohls stellt. Der Reichtum soll mit tätiger Willensanspannung nicht nur erworben, sondern auch verwendet werden; das ist das Geheimnis der Lebenskunst des Konsumenten. Bezeichnet doch der Multi millionär Carnegie in seinem Buche „Das Evangelium des Reichtums“ es als die höhere Aufgabe, eine gemeinnützige Stiftung verantwortlich zu verwalten, als nur das Geld zu geben; er bevorzugt darum auch die Stiftung bei Lebzeiten. Unsere Kon sumtion wäre in der Tat so unerträglich, wie sie es für viele Junggesellen ist, hätten wir nicht in der Familie mit ihren Ansprüchen an Entsagungskraft und Hingebung ein bewährtes Mittel, unser Streben von dem persönlichen Konsumtionszweck ab zulenken; durch Beschränkung der Kinderzahl wird dieses Mittel freilich entwertet. Diese Mischung des Egoismus mit Altruismus, diese Ablenkung des Konsumtions triebs auf noch breiterer Grundlage zu erzielen, ist das schwer erreichbare Ideal kommunistischer Idealisten aller Zeiten gewesen 2 ). ') Vgl. auch G o s s e n s, von Brentano zitierten Hinweis auf Ludwig XV. von Frank reich: „Seinen Höflingen und Maitressen gelang es durch Verschwendung der Kräfte eines ganzen Volks, seine Hofhaltung so einzurichten, daß ihm Jedes, was dem Menschen auf der Stufe der körperlichen und geistigen Ausbildung, auf welcher er sich befand, Genuß zu ge währen im Stande ist, fast ununterbrochen geboten wurde. Je mehr dieses Ziel erreicht wurde, desto mehr mußte die Summe des Lebensgenusses des beklagenswerten Ludwig sinken, denn der Punkt der größten Summe des Genusses war bei ihm bei allen Genüssen längst überschritten. Folge davon war, daß es zuletzt selbst einer Pompadour, die doch vor nichts noch so Unnatür lichem zurückschreckte, wenn es für Ludwig Genuß versprach, nicht mehr gelingen wollte, die tötlichste'^Langeweile zu verscheuchen. Und so ward lediglich das erreicht, ein ganzes Volk unglücklich zu machen, um Ludwig selbst unglücklicher werden zu lassen, als der ge drückteste aller Leibeigenen seines weiten Reichs.“ Vgl. auch die Schilderungen aus der rö mischen Kaiserzeit in Friedländers Sittengeschichte Roms. 2 ) Nach Brentano (S. 65) gibt es zwar für Pflanze und Tier ein Optimum der Bedürf nisbefriedigung, das bekanntlich in der Lehre vom Pflanzenwachstum eine Rolle spielt, aber für den Menschen nicht; denn die ihm eigentümlichen geistigen Bedürfnisse seien unbegrenzt steigerbar und darum niemals optimal zu befriedigen. Wir bezweifeln die Unbegrenztheit irgendeines konkreten menschlichen Bedürfnisses, und finden die Zweifelhaftigkeit einer opti malen Befriedigung vielmehr darin begründet, daß die Bedürfnisse des Menschen viel mehr als die von Tier und Pflanze geschichtlich wechseln, und zwar namentlich die nicht wirtschaft lichen Bedürfnisse, die mit den wirtschaftlichen in der menschlichen Seele in eine scharfe Konkurrenz treten. Der unmoderne Mensch mit seinen immateriellen Bedürfnissen mag einem