Allgemeine Statistik der Konsumtion. 125 § 5 leiter des Alkoholkonsums darstellen, wenn nicht die natürlichen örtlichen Bedin gungen der Alkoholproduktion und -konsumtion diese Differenzierung aus nicht ethnischen Gründen erklärten, bzw. der natürlich bedingte hohe Alkoholkonsum der Weinländer vielleicht eine primäre Ursache der psychologischen Unterschiede zwischen Romanen als Weinkonsumenten, Germanen und Slaven als Bierkonsu menten und Branntweinkonsumenten sein könnte. Der niedere Alkoholkonsum Schwedens und Norwegens ist ein Erfolg der dortigen Alkoholgesetzgebung und des Gotenburger Systems. Zugleich scheint aber aus der obigen Tabelle hervorzugehen, daß der Alkohol konsum auch von der Höhe des Einkommens abhängt, so daß arme Länder wie Ruß land auf den billigen Branntwein angewiesen sind, um ihren Rauschbedarf auch nur notdürftig zu befriedigen. (Es könnte freilich auch im städtischen Leben die Ursache dieser Konsumsteigerung zu suchen sein.) Wir münden damit in die allgemeine Regel ein, daß die entbehrlichen Bedürfnisse erst auf höheren Einkommensstufen sich breit machen. Allerdings hat man zwischen Not- und Behäbigkeitsalkoholis mus *) unterscheiden wollen, in dem Sinne, daß nur der letztere eine Funktion reich lichen Einkommens sei, der erstere vielmehr ein Verzweiflungsprodukt wirtschaft lichen Elends * 2 ), zur Vortäuschung eines Kraftgefühls, das in weitesten Konsumen tenkreisen für echt gehalten wird, und zur Uebertäubung des Hungers und Lebens überdrusses. Allein im westlichen Europa und in Nordamerika scheint doch der Notalkoholismus wenigstens in den Bevölkerungsschichten, die einer Konsum statistik zugänglich sind, zurückzutreten 3 ). Haushaltsrechnungen, von denen der nächste Paragraph handeln wird, zeigen, daß nicht nur der Alkoholverbrauch mit dem Einkommen der Familie zunimmt, sondern daß er auch mit abnehmender Kinder zahl rapide zunimmt, sowohl bei Arbeiter- wie bei Beamtenfamilien; zweiköpfige Arbeiterfamilien geben im Durchschnitt nach der deutschen, allerdings nicht sehr ausgedehnten Erhebung von 1907 4 * ) jährlich 90 Mark, neunköpfige 53 Mark aus; zweiköpfige Beamtenfamilien 98 Mark, achtköpfige nur 38 Mark. Man darf aber nicht übersehen, daß die Angaben über den Alkoholkonsum nicht die zuverlässigsten sein dürften. Nimmt man für die letzten Jahrzehnte zunehmenden Wohlstand an, so scheint auch die Zunahme des Alkoholkonsums seinen Zusammenhang mit dem Wohlstand zu bestätigen; doch fragt sich auch hier, ob nicht der gleichzeitigen Urbanisierung der im Wohlstand fortschreitenden Länder mindestens eine mitwirkende Rolle zu kommt. Nach Struve war der jährliche Konsum, in Litern Alkohol pro Kopf ge messen, in Frank Bel Ita- Großbrit. Deutsch Oesterr.- Ver. Schwe Ruß Nor reich gien lien u. Irland land Ung. Staaten den land wegen 1885—89 15,73 11,56 12,32 9,86 8,54 8,36 4,92 4,51 3,36 2,15 1890—94 18,44 12,42 12,43 10,67 9,27 8,18 5,69 4,64 2,56 2,7 1895—99 18,64 13,02 10,86 11,11 9,74 8,72 5,26 5,67 2,59 2,13 1900—04/5 22,42 12,97 14,13 10,84 9,54 9,00 6,4 6,15 2,65 2,25 Im 20. Jahrhundert zeigen einige Länder einen merklichen Rückgang des Kon sums 6 ), und zwar mindestens Deutschland auch über das Jahr 1905 hinaus, zum Teil unter dem Einfluß erhöhter Besteuerung, auf den wir zurückkommen werden. J ) Es darf nicht übersehen werden, daß der Alkoholkonsum daneben drittens auch der sozialen Rivalität dient, sofern eine „soziale Prahlsucht“ (S t e h r, Alkoholgenuß und wirt schaftliche Arbeit, 1904) beim Arbeiter ihr Ziel in der Stärke des Alkoholkonsums sucht, wie bei der Arbeiterin im Putz. а ) Vgl. K u b a t z , Zur Frage einer Alkoholkonsumstatistik, Greifswalder Dissertation, München 1907, nach Wlassaks Terminologie. 3 ) Beispiele von Notalkoholismus: Herkner, Arbeiterfrage, 3. Aufl. S. 466. *) Bei dieser Erhebung ist übrigens der Parallelismus des Alkoholkonsums mit der Ein kommenshöhe zu vermissen. б ) Vgl. auch Reichsarbeitsblatt 1910, S. 189 f. (Ziffern teilweise bis 1909).