[Moderne Wandlungen der Konsumtion.. 143 § 7 angerichtet haben 1 ). Eine umfassende Bearbeitung deutscher amtlicher Enqueten über diese Erscheinung ist unlängst von Dr. Kaup 2 ) veröffentlicht worden. Verschont bleiben auf diesem Raubzuge der Geldwirtschaft die voluminösesten Produkte wie Kartoffeln 3 ), die den Transport nicht lohnen; das Vordringen der Kartoffelnahrung bei geldgelohnten ländlichen Arbeitern hängt wohl damit zusammen. Das früher verbreitete ungünstige Urteil über die Kartoffelkost wird aber heute nicht mehr allgemein vertreten 4 ). II. Die zweite große Umwälzung in der Konsumtion begleitet den Uebergang vom Land- zum Stadtleben, und zwar im Zusammenhang mit einer Veränderung in den physiologischen Bedürfnissen. Wohl niemand würde daran zweifeln, daß die Wanderung eines Volks in ein Land mit kälterem Klima die Bedürf nisse an Kleidung, Wohnung und in gewissem Sinne auch Ernährung steigert. Dagegen wird der physiologische Einfluß der Wanderung vom Lande in die Stadt auf die Bedürfnisse des Konsumenten von nationalökonomischer Seite erst in jüngster Zeit beachtet 5 ). 1. Wir bemerkten schon (§ 5), daß der Fleischkonsum, weil er reichliche Boden fläche voraussetzt, bei zunehmender Volksdichte in Deutschland seit dem 16. Jahr hundert zurückging und zwischen Stadt und Land sich differenzierte zu ungunsten des Landmanns, obgleich dieser näher an der Quelle sitzt; daß er dagegen in den letzten Menschenaltern international wieder rapide stieg, und zwar wiederum beson- *) Ein von Kaup zitierter Spruch an einem hessischen Bauernhause verspottet diesen bäuerlichen Erwerbssinn: „Wer seine gute Milch verkauft, „Und mit den Kindern schlechte sauft, „Wer Butterlieferante ist „Und selber Margarine frißt, „Wer teures Auslandsfutter giebt „Und hinterher zu klagen liebt, „Daß er verschleudern muß die Körner, „Der ist ein Rindvieh ohne Hörner.“ s ) Ernährung und Lebenskraft der ländlichen Bevölkerung. Heft 6 der Schriften der Zentralstelle für Volkswohlfahrt, 1910. Zahlenmäßig ist ein Rückgang des ländlichen Milch konsums pro Kopf, teilweise sogar unter den städtischen Kopfbetrag herab trotz der auf dem Lande größeren Kinderzahl, nur unsicher zu berechnen; aber aus vielen Zeugnissen wird trotz mannigfacher, auch amtlicher Bestreitung ein ausgedehnter, hygienisch bedenklicher Rück gang der Ernährung doch sehr wahrscheinlich; namentlich scheint die Kinderernährung schwer zu leiden. Beim Milchverkauf soll mitsprechen, daß über die Einnahme der Bauer verfügt, während der Erlös aus selbst gemachter Butter in die Haushaltskasse der Bäuerin floß. Ge steigert wird die Versuchung zum Verkauf der besten Nahrungsmittel in Gegenden mit zah lungskräftigem Fremdenverkehr (v. Schullern, Jahrbücher für Nationalökonomie, Bd. 42, S. 468). 3 ) Max Weber in Schmollers Jahrbuch 1903, S. 731. 4 ) Schädlich ist Kartoffelkost, wie jede Kost aus eiweißarmen Nahrungsmitteln, bei man gelnder Muskelarbeit, aber nach neueren Untersuchungen für das sog. Stickstoffgleichgewicht des Körpers immer noch günstiger als Brotnahrung; „dies ist eine gerade für die Volkser nährung wichtige Tatsache“ (R u b n e r , Lehrbuch, S. 576). Die Kartoffel hat außerdem den Vorzug der warmen Kost. Der starke Wassergehalt der Kartoffel ist nach Bleibtreu kein Nachteil, weil soviel Wasser dem Körper ohnehin zugeführt werden müßte. Vgl. auch Kärger, Die Arbeiterpacht, 1893, S. 18 f„ und H i n d h e d e , Eine Reform unserer Ernährung, 1908, S. 118 f., besonders S. 127. G r o t j a h n , der sonst die Kartoffelnahrung nicht schätzt, gibt doch zu, daß auch wohlhabende Konsumenten Kartoffeln in beträchtlichen Mengen verzehren, obwohl sie es nicht nötig haben (S. 14). Vielleicht stammt die Theorie vom Kartoffelbauch vom Mißbrauch der Kartoffelkost durch eine ländliche Bevölkerung, die beim Uebergang zu hausindustrieller Arbeit die hergebrachte landwirtschaftliche Kost beibehielt. *) Vgl. eine in Friedrich Naumanns Wochenschrift „Die Zeit“ 1903 zwischen Brentano und mir geführte Polemik über die Lebenshaltung des englischen Arbeiters, und mein Re ferat über die volkswirtschaftliche Lage der deutschen Fleischversorgung, Archiv des Deut schen Landwirtschaftsrats 1907, S. 388 f.