Moderne Wandlungen der Konsumtion. , bar, und V o i t J ) glaubte sogar berichten zu können, daß in Dänemark Verurteilung zu Wasser und Brot auf 4 Wochen der Todesstrafe gleichgesetzt war, „da es fast nie vorkam, daß der Verurteilte sie überlebte“ ‘. Andererseits ist für den Freiluftarbeiter die grobe Kost geradezu Bedürfnis. So soll die ausgezeichnete Leistungsfähigkeit irischer Landarbeiter beim Uebergang von der Kartoffel- und groben Getreidekost ; zur modischen Weißbrot- und Teenahrung schnell nachlassen * 2 ). 3. Die Physiologen haben zu dieser volkswirtschaftlich bedeutsamen, außerhalb des Laboratoriums geradezu aufdringlichen Beobachtung erst zögernd Stellung genommen. Vielmehr scheint die populäre Meinung über die Mindestmaße menschlicher Nahrung lange durch eine physiologische Theorie bestimmt worden zu sein, die einseitig von städtischen Verhältnissen entnommen und außerdem von der Ueberschätzung der Fleischnahrung durch Liebig und teilweise seine Schüler beein flußt war. Es ist ja allerdings für die Physiologen auch schwer, die Ernährung von ' Landleuten experimentell zu fixieren, weil sie diese Leute beim Experiment gern unter Bedingungen stellen, die von ihrer sonstigen Lebensweise stark abweichen. Natürlich war ihnen das Vorkommen einer stark vegetabilischen und speziell an Fleisch armen Kost, namentlich auf dem Lande, längst bekannt. Es ist nicht ohne Interesse, wie sie und ihre Schüler mit diesen harten Tatsachen sich abfanden, ehe sie den fundamentalen Unterschied ländlicher und städtischer Ernährungsbeding ungen erkannten 3 ). 4. Der enorme Vegetabilienkonsum schwer arbeitender Landleute, zum Teil fast ohne animalisches Eiweiß, zusammen mit der herkulischen Arbeitsfähigkeit dieser Konsumenten 4 ), wurde teils nur als auffällig registriert, teils trotz einwand freier Beglaubigung gelegentlich bezweifelt, teils endlich durch falsche Hypo thesen zu erklären versucht. Es steht wohl fest, daß der kurzdärmige Mensch die vegetabilische Nahrung weniger vollständig ausnutzt, als der langdärmige Pflanzenfresser 5 ). Ein „er fahrener Gerichtsarzt“ behauptet nun, daß die ostelbische Bevölkerung, der die Vegetabiliennahrung offenbar gut bekommt, sich eines um 0,5 m längeren Darms erfreue, als die Industriebevölkerung der Rheinprovinz, der er infolge mangeln der Uebung eingeschrumpft sei 6 ). Aber auch bei einem Gelehrten wie Hüppe 7 ) lesen wir, daß der vegetarisch lebende Japaner durch seinen um Vs längeren Darm in den Stand gesetzt sei, die Reisnahrung besser auszunutzen, als der Europäer; . für letzteren ein wenig tröstliches Zukunftsbild: der längere Darm als Konkurrenz- Kalziumkarbidfabriken sich gut ländlich von Polenta nährt, im Frühjahr die viel weniger einträgliche Erdarbeit vorzieht; vielleicht aus physiologischen Gründen. x ) Sitzungsberichte der Münchener Akademie, mathematisch-physikalische Klasse, 1869, S. 494. s ) Report of the Agricultural Committee, London 1906, § 786. 3 ) Vgl. jedoch Rubners Lehrbuch der Hygiene, 1. Aufl. 1890, S. 465: „Es scheint der Gedanke noch wenig erwogen zu sein, ob nicht das zunehmende Bestreben nach Vermeh rung des animalischen Teils der Kost etwas den Städten und unserer Entwicklung der indu striellen Arbeit Eigentümliches sei. Die animalische Kost bedeutet eine eiweißreichere Kost; nun scheint es — die Vermutung ist bereits von Fr. Hofmann ausgesprochen worden — nach Versuchen des Verf., wie nach anderweitigen Beobachtungen sichergestellt, daß die Eiweiß stoffe einen Einfluß auf die Anregung der Tätigkeit unserer Verdauungsdrüsen entfalten und dadurch die Resorptionszeit verkürzen.“ ln späteren Auflagen finde ich diesen Passus nicht. — Auch Munk vermutet 1896 (in Weyls Handbuch der Hygiene III, S. 63, 68, 96), Muskel tätigkeit erleichtere die Verwertung wasserreicher Speisen und verbessere die Resorption, ' besonders beim Aufenthalt in freier Luft. Er bemerkt auch, daß der Gefangene eine mehr animalische Kost brauche, weil der Mangel an freier Körperbewegung auf die Ausnützung pflanzlicher Kost nicht ohne Einfluß zu sein scheine (S. 116). 4 ) Verkannt z. B. von Hüppe, Handbuch der Hygiene, 1899, S. 373: „Bei seiner Kar toffelkost kann der Irländer und Oberschlesier noch arbeiten (1), aber der Handweber ist be reits nicht mehr zur Feldarbeit kräftig genug.“ , *) Munk in Weyls Handbuch der Hygiene III (1896), S. 67. *) Vgl. G r a ß 1, Blut und Brot, 1905, S. 23. ’) Der moderne Vegetarianismus, 1900, S. 8. Handbuch der Hygiene, 1899, S. 371. Sozialökonomik. II. 10