12 Die Entstehung des wirtschaftlichen Imperialismus. Ursachen. Als erste Ursache wirkte die außerordentliche Zunahme der Bevölkerung, die von 41 Millionen Menschen des Jahres 1871 auf 64,9 Millionen Menschen des Jahres 1910 stieg. Deutschlands jährlicher durchschnittlicher Zuwachs wurde mit 1,36% der mittleren Bevölkerung nur durch den Rußlands (ohne Finnland) mit 1,37% und durch den der Vereinigten Staaten von Amerika mit 1,90% übertrolien; Österreich- Ungarn mit seinen 0,87 % hatte die gleiche Zunahme wie Großbritannien und Irland (Harms, Deutschlands Anteil 13). Mit dieser Zunahme um 58 % in einem Zeitraum von 40 Jahren war Deutschland in eine schwierige Lage geraten. Es konnte der so rasch steigenden Bevölkerung nur durch eine gleichmäßig zunehmende Industrie und ausreichende Löhne gerecht werden. Der Reichskanzler Caprivi machte mit dem Programme seiner Reichstagsrede vom 10. Dezember 1891, „Entweder wir exportieren Waren oder wir exportieren Menschen“, die staatliche Exportförderung zum Hauptziel der deutschen Auslandpolitik. Als zweite Ursache wirkte der Übergang von der handwerkmäßigen zur fabrikmäßigen Produktion und zum Massenabsatz; an die Stelle der Kundenproduktion trat die unbegrenzte Marktproduktion- Nach der Zählung von 1907 sind in der Land- und Forstwirtschaft 35,2 %, in der Industrie und im Bergbau 40 %, im Handel und Verkehr, in der Gast- und Schankwirtschaft 12,4 % der deutschen Bevölkerung beschäftigt (Harms, Anteil 34). Deutschland wurde damit zum über wiegenden Industriestaat. Die Massenproduktion aber setzte wieder einen derartigen Umfang der Produktion voraus, daß das Kapital, das neben der Unternehmertätigkeit zum vorherrschenden Pro duktion sfaktor geworden war, entsprechenden Nutzen abwarf. Die Herr schaft des Kapitalismus über den Produktionsprozeß führte weiterhin dazu, daß das in wenigen Händen und verhältnismäßig wenig Betrieben zusammengeballte Großkapital die Gütererzeugung und Güter verteilung nach seinen Bedürfnissen besorgte (S z a b o, Freihandel 12). Den Offensivgeist aber empfing der Großkapitalismus von der freiwilligen Beschränkung der individuellen Konkurrenz seiner Betriebe durch Kar telle, Trusts, Fusionen und Interessengemeinschaften. Die Kartellierung wurde schließlich zur treibenden Kraft der wirtschaftlichen und poli tischen Auslandspolitik. Der Auslandexport einzelner Kartelle bildete einen H aup11 ei 1 des Gesamt absatzes, so z.B.beim Deutschen Stahlwerkverband 25—46 % (Nachimson, Imperialismus 52). Den Gipfel der wirtschaftlichen Expansionspolitik erstürmten die Großbanken, denen nicht so sehr an der Ertragsfähigkeit des Kapitals selbst, als an dessen möglichst häufigem Umsatz gelegen war („Effektenkapitalis- mus“). Unter dem steten Geldüberfiuß und dem Streben nach Neu-