80 Bevölkerung und Unterhaltsmittel. Buch II. Die Erklärung dieser sonst unbegreiflichen Tatsache liegt in der allgemeinen Annahme der Malthusschen Theorie. Die herrschende Lohntheorie ist nie gründlich untersucht worden, weil sie, durch die Malthussche Theorie gedeckt, der Nationalökonomie eine selbstverständ liche Wahrheit zu sein schien. Diese beiden Theorien vermischen sich, stärken sich und verteidigen sich gegenseitig, während beide eine weitere Unterstützung durch einen in den Erörterungen ^der Rententheorie eine Rolle spielenden Grundsatz erfahren, den Grundsatz nämlich, daß über einen gewissen Punkt hinaus der Aufwand von Kapital und Arbeit in der Bodenkultur einen abnehmenden Ertrag ergebe. Sie geben ver eint eine Erklärung der in einer hoch organisierten und vorgeschrittenen Gesellschaft sich darbietenden Erscheinungen, wie sie auf alle Tatsachen zu passen scheint, und welche darum eine nähere Untersuchung ver hindert hat. Welche dieser beiden Theorien die Priorität für sich beanspruchen kann, ist schwer zu sagen. Die Bevölkerungstheorie wurde nicht in solcher Weise formuliert, daß sie zu einem wissenschaftlichen Glaubens artikel geworden wäre, wie dies für die Lohntheorie geschehen war. Aber sie entstehen und entwickeln sich ganz natürlich miteinander und wurden auch beide in mehr oder weniger roher Form anerkannt, lange bevor irgendein Versuch zur Errichtung eines nationalökonomischen Systems gemacht war. Aus einzelnen Sätzen ist ersichtlich, daß die Ulalthussche Theorie in ursprünglicher, unentwickelter Form auch Adam Smith vorschwebte, wenn er sie auch nie weiter verfolgte, und diesem Umstande scheint mir die falsche Richtung, welche seine Speku lationen über den Lohn einschlugen, hauptsächlich zugeschrieben werden zu müssen. Wie dem aber auch sei, die beiden Theorien sind so eng miteinander verbunden, sie ergänzen einander dermaßen, daß Buckle, der in seiner „Untersuchung der schottischen Philosophie während des achtzehnten Jahrhunderts" auch die Entwicklung der Nationalökonomie besprach, hauptsächlich Ulalthus die Ehre zuerkannte, die herrschende Lohntheorie dadurch „entscheidend bewiesen" zu haben, daß er die herrschende Theorie vom Drucke der Bevölkerung auf ihre Unterhalts mittel erfand. Er sagt in seiner Geschichte der Zivilisation in England, Band III, Kapitel 5: „Kaum war das achtzehnte Jahrhundert verflossen, als es entscheidend be wiesen wurde, daß der Lohn der Arbeit lediglich von zwei Dingen abhängt, nämlich von der Größe jenes nationalen Fonds, aus welchem alle Arbeit bezahlt wird, und der Zahl der Arbeiter, unter welche der Fonds verteilt werden soll. Dieser große Schritt in unserem wissen ist hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich Malthus zu verdanken, dessen werk über die Bevölkerung nicht bloß einen Abschnitt in der Geschichte des spekulativen Denkens bezeichnet, sondern bereits bedeutende praktische Resultate hervorgebracht hat und wahrscheinlich fernerhin zu anderen, noch be deutenderen führen wird. Es wurde im Jahre I7Z8 veröffentlicht, so daß Adam Smith, der \7yo starb, nicht mehr die außerordentliche Genugtuung haben konnte zu sehen', wie seine eigenen Ansichten darin nicht sowohl richtig gestellt, als vielmehr weiter entwickelt wurden. In der Tat ist es sicher, daß es ohne Smith keinen Malthus ge-