Diese Ziffer entbehrt vor allem der statistischen Zuverlässig- keit. Bei der Bestimmung der Höhe einzelner Posten des Volks- einkommens mußten wir, um zu einem annähernd richtigen Re- sultat zu kommen, öfters mit verschiedenen mutmaßlichen Daten operieren. Der Mangel an exakten statistischen Daten machte die Verwendung dieser mutmaßlichen Zahlen unumgänglich. Das von uns erzielte Ergebnis ist zweitens zweifellos übertrieben. Bei einigen Posten muß.ten wir unbedingt größere Zahlen verwenden oder bei den Gesamteinnahmen bleiben. Die weitere Entwicklung der Wirtschaftsstatistik wird zeigen, daß das erzielte Ergebnis die Wirklichkeit übertrifft. Und dennoch ist der von uns berechnete Betrag des Volks- einkommens sehr gering, sobald wir ihn pro Kopf der Bevölkerung verteilen. Nach der Volkszählung vom Jahre 1897 gab es in den 50 europäischen Gouvernements 93442864 Einwohner beiderlei Geschlechts. Im Jahre 1900 (wenn wir den Zuwachs mit 1,3 °/o an- setzen) erhöhte sich diese Zahl auf 97 134 792 Personen. Folglich gleicht das Jahreseinkommen pro Bevölkerungskopf 63 Rubel. Nach Mulhall betrug diese Summe indessen (im Jahre 1894) 74 Rubel. Nach Pokrowski im gleichen Jahre 73 Rubel1). Die unfreiwilligen Ab- weichungen der benannten Statistiken von den Tatsachen scheinen noch bedeutender zu sein, als es bei uns der Fall ist. der Industrieartikel im Jahre 1900 um 20 °o niedriger und diejenigen der Landwirtschaftsprodukte um gerade so viel höher gewesen, so hätte das Volks- einkommen des europäischen Rußlands 250 Millionen Rubel mehr betragen, als es nach unseren Berechnungen der Fall ist. Das Einkommen aus der In- dustrie hätte dann nicht mehr 54,6 °/o der landwirtschaftlichen Einnahme aus- gemacht, sondern, wie folgende Tabelle zeigt, nur 36,4 °/o. Landwirtsch. Industrie Milk Rubel Mill. Rubel Proz. Einnahme im Jahre 1900 . . . . ■ • • ■ 2738,3 1494,8 54,6 20 °/o dieser Einnahmen . . . . ■ • • • 547,7 299,0 — Der angenommene Umfang des Einkommens 3286,0 1195,8 36,4 Die Schutzzollpolitik schraubt somit die Bedeutung der protektionierten Produktionszweige künstlich auf. Dieses Resultat hat keineswegs nur eine rechnerische Bedeutung. Es beweist, wie hoch die Einnahmen der Industrie (besonders der Großfabrikanten) auf Kosten der Landwirte (hauptsächlich der Bauern) aufgeschraubt sind. ') Mulhall, Industries and Wealth of nations, 1896, S. 391. Pokrowski, »Zur Frage der Stabilität der Aktivenbilanz des russischen auswärtigen Han- dels,« S. 38. In beiden Fällen haben wir vom Nationaleinkommen das Ein- kommen der freien Berufe abgezogen (russisch). 59 liehe und Unmögliche versucht; keinem der Anhänger der Be- fruchtung Rußlands durch einen starken Zufluß auswärtigen Geldes gelang es, auf solche Maßnahmen hinzuweisen, die dieses vor- sichtige Benehmen der ausländischen Kapitalisten der russischen Industrie gegenüber zu überwinden vermöchten J). Unserer Ansicht in bezug auf die Rolle des ausländischen Kapitals in der russischen Industrie widerspricht scheinbar der Umstand, daß der Industrieaufschwung der zweiten Hälfte der neunziger Jahre durch den Zufluß des ausländischen Geldes geschaffen wurde. Gewiß, das ausländische Kapital spielte bei diesem Aufschwung eine entscheidende Rolle, aber keineswegs in jener Form, die ihre Apologeten im Auge haben. Verteilen wir das in den Jahren 1897—1900 für die Industrie verwendete Kapital entsprechend seiner Herkunft, so erhalten wir folgende Tabelle: Kapital russischen Ursprungs......... 447,2 Millionen Rubel oder 21,1 °/0 » ausländischen Ursprungs . . . 762,4 » » » 35,9 » Erlös aus dem Verkauf russischer Fonds nach dem Ausland.....................915,6 » « » 43,i » Die Hauptrolle bei diesem Aufschwünge spielten somit die im Lande selbst ersparten, jedenfalls erst durch den Verkauf der russischen Fonds nach Ausland frei gewordenen Kapitalien. Mit anderen Worten: Unser Industrieaufschwung der Jahre 1895 —1901 wurde durch die Konvertion der inneren Reichsanleihen und Herab- setzung der Prozente der Reichsschuld herbeigeführt. Diese Operation machte 1600 Millionen Rubel russischen Kapitals frei und belebte die Industrie. Das ausländische Kapital beteiligte sich dabei nur in einem Umfang von 3 5 °/o. Die entscheidende Bedeutung hatte also der Zufluß des auswärtigen Kapitals in den Reichsfonds, nicht aber in die Industrie. Die Anhäufung eines großen Quantums von Geldmitteln an den westeuropäischen Märkten wurde vom da- maligen Finanzminister, Grafen Witte, mit Erfolg zur Erreichung von drei Zielen ausgenutzt: 1. zur Herabsetzung des Zinses für die Staatsanleihen, 2. zur Ansammlung eines Goldvorrates im Lande und 3. zur Entwicklung der Industrie. Die Konvertion unserer inneren Anleihen führte dazu, daß ein großes Quantum ') Vgl. z. B. das in dieser Hinsicht charakteristische Buch vonW. P. Lit- winow-Falinskij, »Unsere ökonomische Lage und die Aufgaben der Zukunft«, 1908 (russisch). 75 der Rohstoffe und die Produktion der Halbfabrikate gefördert. Dies alles beweist, daß der Protektionismus eines der selbständigen Ziele der russischen Zollpolitik war. Die dominierende Bedeutung der fiskalischen Momente könnte den Charakter des Protektionismus beeinflussen, ihn aber gänzlich zu beseitigen waren sie nicht imstande. Die Schutzpolitik kann verschiedene Ziele verfolgen. Wird ein Zoll von einem Produkt erhoben, das im Lande nicht produziert wird, so bezahlt der Kon- sument den wirklichen Preis der Ware plus Zoll. Wird dagegen der Zoll von einem solchen Produkt erhoben, das im Lande produ- ziert wird, so bezahlt der Konsument außerdem eine entsprechende Summe auch den heimischen Produzenten dieses Produktes. Der Zoll belastet somit den Konsumenten zum Vorteil der Produzenten jener Produkte, deren Produktion die Regierung fördern will. Die Vergrößerung der Rentabilität der unter Schutz stehenden Unter- nehmen hat einen Zufluß sowohl von einheimischen als auch von ausländischen Kapitalien zur Folge. Die Schutzpolitik kann somit zwei Ziele verfolgen: i. die Neuverteilung des einheimischen Kapi- tals, seine Heranziehung an diejenigen Unternehmen, deren Ent- wicklung der Regierung aus dem einen oder anderen Grunde er- wünscht ist; 2. die Heranziehung auswärtiger Kapitalien ins Land. Unter dem direkten Einfluß der P'inanzpolitik der Regierung ver- folgte der russische Protektionismus hauptsächlich das zweite Ziel. Diese Aufgabe nahm die Aufmerksamkeit der offiziellen Leiter unserer Zollpolitik so in Anspruch, daß sie geneigt waren, diese Aufgabe als Hauptziel aller protektionistischen Politik zu betrachten. Sehr charakteristisch in dieser Hinsicht sind die Betrachtungen, die Graf Witte in seinem Kursus der Nationalökonomie und Finanz- politik zum besten gibt. Bei der Besprechung der Produktivkräfte Rußlands stellt er die Behauptung auf, wonach deren Wachstum wurde erreicht »nicht durch die schaffende Arbeit, ausschließlich unserer verhältnismäßig geringen Kapitalien (wozu Jahrhunderte notwendig gewesen wären), sondern auf dem Wege, den alle Völker gegangen und den zu beschreiten Rußland immer bestrebt gewesen war. Dieser Weg ist die Entwicklung einer eigenen bearbeitenden Industrie vermittels des Schutzzolls und die mögliche Beschleuni- gung dieses Prozesses mit Hilfe der Kapitalien der ökonomisch fortgeschrittenen Länder. Das Ziel der Schutzzollpolitik besteht darin, daß man den Zustrom der ausländischen Waren verhindert und die Kapitalien heranzieht, indem man ihnen besondere Vor- aus dem Auslande nach Rußland jährlich zufließenden Geldes den inländischen Kapitalzuvvachs bedeutend übersteigt. Die eigene Kapitalbildung kann nur 42 °/o des nationalen Bedarfes decken, während 58 °/o der notwendigen Kapitalien aus dem Auslande zu- bezogen werden müssen. Ferner die einheimischen Kapitalien werden hauptsächlich für Industriezwecke verwendet (97 °/o), wäh- rend die ausländischen meistens Staatsgarantien suchen und nur ein geringer Teil derselben (19 °/o) sich der Industrie zuwendet und auch dies nur in dem Falle, wenn die russischen Kapitalien den Weg angebahnt haben J). Schließlich kommt der Zufluß des auswärtigen Kapitals in die russische Industrie nicht gleich- mäßig, sondern sprungweise, unter der direkten Einwirkung der westeuropäischen Industriekrisen. Das russische Kapital dagegen bildet sich gleichmäßig, und ebenso gleichmäßig fließt es der In- dustrie zu. Die übermäßige Steuerlast hat somit die inneren Kräfte des ökonomischen Wachstums Rußlands und seine kapitalbildende Fähigkeit auf das äußerste geschwächt. Nach den maximalen, sicherlich übertriebenen Berechnungen spart Rußland jährlich etwa 200 Millionen Rubel. In England aber betragen die jährlichen Ersparnisse etwa 2 Milliarden Rubel, in Deutschland (in der Mitte der neunziger Jahre) 1400 Millionen Rubel (3000 Millionen Mark) und sogar in Italien (um das Jahr 1900) 300—400 Millionen Rubel (800—1000 Millionen Lire). Statistisch genau sind diese Ziffern gewiß nicht, sie sind aber zweifellos symptomatisch und drücken ziemlich genau die relative Kraft des ökonomischen Wachstums verschiedener Länder aus. Die Kapitalakkumulation in einem Lande hängt nicht nur von der Größe des Volkseinkommens, sondern auch von der Größe der Steuerbelastung ab. In bezug auf beides befindet sich Rußland, wie wir gesehen haben, in be- sonders ungünstigen Verhältnissen. Nehmen wir, nach der oben angeführten Berechnung* 2), an, daß auf die 50 Gouvernements des europäischen Rußlands etwa 80 °/o des akkumulierten Kapitals ent- ') Professor Soboleff sagt: »Die Ausländer stehen ihre Kapitalien für staatliche und kommunale Anleihen gern zur Verfügung, sind dagegen sehr zurückhaltend, sobald es sich um fremde Industrieunternehmen handelt. . , . Bis jetzt wurde nur sehr wenig ausländisches Kapital in die russische Industrie, mit Ausnahme der Bergwerke, placiert.« »Rußlands Zollpolitik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts«, 1911 (russisch), S. 825—826. 2) S. S. 32. 33 daß das Budget des europäischen Rußlands 8o°/o des Reichsbud- gets ausmacht, d. h. 980000000 Rubel. Außerdem kostet der Bevölkerung die Ortsverwaltung: Die städtische Selbstverwaltung.............................72102000 Semstwoselbstverwaltung..................................76 564 000 Semstwoabgaben in den Gouvernements, die keine Semstwos besitzen.................................................. 9446000 Dorfgemeindeverwaltung (1894).............................. 57618000 Bedürfnisse der kosakischen Siedlungen...................... 2583000 Zusammen 2183000001) Im ganzen kostet also der Bevölkerung die Staats- und Orts- verwaltung 1200 Millionen Rubel oder fast 20°/o des Volksein- kommens. Da, wie wir bereits hervorgehoben haben, die von uns berechnete Summe des Volkseinkommens (6,125 Millionen Rubel) höher ist, als die wirkliche, der Gesamtbetrag der Steuer- auflage dagegen (1200 Millionen Rubel) ziemlich genau die tat- sächlichen Verwendungen der Regierung für Staats- und Ortsver- waltung fixiert, so ist die von uns angenommene Norm der Be- steuerung des Volkseinkommens (19,6 °/o) eher zu niedrig als zu hoch angesetzt. Jeder Einwohner zahlt somit jährlich 12,35 Rubel Steuer. Um die Last einer solchen Besteuerung richtig beurteilen zu können, wollen wir diese Zahlen mit denjenigen der anderen Staaten vergleichen2): Einkommen pro Ein- Steuer Prozent Australien wohnerkopf • 374 23,6 6,3 Vereinigte Staaten . . , • 346 23,6 6,8 Kanada 15,1 5,2 England • 273 29,3 10,7 Frankreich • 233 3S.o 15,0 Belgien 19,8 8,8 Dänemark • 215 20,8 9,7 Holland 31,2 15,7 Deutschland . 184 23,6 12,8 Schweiz 17,0 9,3 Schweden und Norwegen . 163 14,2 8,7 Oesterreich 18,9 14,9 *) Annähernde Ziffern, berechnet nach der gleichen Methode, der wir uns bei der Bestimmung der Staatseinnahmen bedienten. 2) Nach Mulhall, Industries and Wealth of nations, 1896, S. 393. Arch. f. Sozialwissensch. u. Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch. 3 m 16 zusammen mit dem Gewinn aus den Erzen 153 509000 Rubel aus- macht. Im ganzen hat die Bergwerkindustrie im Jahre 1900 ab- geworfen: Zahl der Produktion in Pud Wert Gold . . . Arbeiter 45277 539 Pud 23 Pf. 6 Solot. 41 Dolja Rubel 9982 167 Platin . . . 1763 310 » 27 » 59 » 16 » 4159625 Kupfer . . . 6751 241148 » 3496646 Quecksilber . 918 18586 830000 Gußeisen1) .] Stahl u. Eisen J 313595 158614798 92326630 : ! 153509328 Manganerz . 2324 8 591993 » 343680 Chromeisen . 2052 1 H3I55 » III300 Schwefelkies . 237 1413 547 » 162400 Steinkohle 90332 712000580 » 59096000 Kochsalz . . 15 550 108524113 9 7054067 Asphaltmastik^ 467 1 508528 » 422388 Asphaltgudr. J 131 126 » 137682 Asbest . . . 1330 234756 » 347 500 Porzellanton . 191 2 003 727 374000 Phosphorit . 462 1 566704 257721 Steingruben . 32263 — » 4238975 Feuerfeste Materialien . 6324 » 2707937’) 519836 247 231OOO Die gewonnene Ziffer übersteigt die wirkliche, da die Aus- gaben für Reparaturen, Heizung und Beleuchtung vom Gesamt- ertrag nicht in Abzug gebracht worden sind. In der »Sammlung der statistischen Nachrichten bezüglich der Bergwerkindustrie« sind einige der nebensächlichen Zweige der extrahierenden Industrie nicht angeführt. Nach der Volkszählung von 1897 waren be- schäftigt bei der Gewinnung von Torf.......................1442 Personen Kalk und Alabaster . . . 1905 » Edelsteinen................. 888 » 4235 Personen ') Im Jahre 1903 sank der Preis des Gußeisens bis auf 47,8 Kopeken (von 70 Kopeken im Jahre 1900). Der Zoll erhöht überhaupt den Preis der Ware und vergrößert nominell die Produktivität der extrahierenden und be- arbeitenden Industrie. 2) Nach den Angaben von W. E. Warsar produziert ein Arbeiter der Ziegelfabriken einen Wert von 428,2 Rubel im Jahr; die gleiche Produktivität nehmen wir für die Fabriken von feuerfesten Materialien an. 34 Einkommen pro Ein- Steuer Prozent wohnerkopf Spanien........................ 120 16,1 13,4 Italien..........................104 25,5 24,5 Portugal....................... 101 17,0 16,8 Balkanstaaten.................. 101 12,3 12,2 Griechenland.................... 93 17,0 18,3 Rußland.......................... 63 12,4 19,6 Aus dieser Tabelle ersehen wir, daß kein einziges Land ein so geringes Einkommen pro Kopf der Bevölkerung aufzuweisen vermag, wie Rußland; anderseits wird aber von keinem Staate (Italien ausgenommen) ein so beträchtlicher Teil des Einkommens für Verwaltungszwecke verwendet, wie dies in Rußland der Fall ist. Nur in Italien drückt also die Steuerlast stärker als bei uns. Es ist aber viel leichter, 25 °/o der Einnahme abzugeben, wenn diese 104 Rubel (Italien), als nur 20°/o, wenn sie bloß 63 Rubel (Rußland) ausmachen. Im ersten Falle bleiben für die übrigen Bedürfnisse jedes Einwohners noch ca. 80, bei uns aber nur ca. 50 Rubel übrig. Alle anderen Länder verbrauchen für Ver- waltungszwecke einen viel kleineren Teil ihrer Einnahmen. Be- sonders interessant ist der Vergleich zwischen Rußland und einigen anderen Staaten, vor allem mit denjenigen, die die ganze Last des bewaffneten Friedens tragen: Staat Einkommen Rubel Steuer Rubel Prozent England • • 273 29,3 10,7 Frankreich 35>° 15.0 Deutschland . . . . . . 184 23,6 12,8 Oesterreich . . . . . . 127 18,9 i4,9 Italien 25.5 24,5 Rußland . • 63 12,4 19,6 Aus diesen Zahlen folgt, daß die ersten vier Staaten verhält- nismäßig leicht die Last des bewaffneten Friedens tragen. Italien und Rußland dagegen (besonders das letztere) tragen im Vergleich zu ihren Kräften eine übermäßige Last. Sie ersticken unter der Schwere ihrer Rüstung. Im Kriegsfall stehen sie erschöpft und ermüdet von ihrem allzu schweren Rüstzeug da. Eine weitere Gruppe bilden diejenigen Kolonialstaaten, mit denen Rußland auf dem Weltmarkt konkurriert: mitgeteilten Angaben betreffend den Vorrat an Fourage benutzen. Verteilen wir die Pferde proportionell der den Militärkreisen zu- gewiesenen Fourage, so erhalten wir, daß in allen sechs Kreisen sich 84349 Pferde befinden, was zusammen mit den städtischen 625 598 ausmacht. Ein Pferd dient im Durchschnitt ca. 6 Jahre, folglich muß jährlich nur a/o derselben, also 104266 Pferde, er- setzt werden. Nach dem Auslande und in das Königreich Polen wurden im Jahre 1900 20600 Pferde (per Eisenbahn) transportiert; somit haben die Landwirte im allgemeinen ca. 125000 Pferde ver- kauft. Der Durchschnittspreis der nach dem Auslande exportierten Pferde betrug 89,6 Rubel und der von der Artillerieverwaltung im Jahre 1900 erworbenen 91,2 Rubel. Wenn wir den Durch- schnittspreis mit 90 Rubel ansetzen, gleichen die Einnahmen der Pferdezucht 11 250000 Rubel. Diese Zahl ist bedeutend niedriger, als diejenige, die Herr Pokrowsky x) angeführt hat, nämlich 647 Mil- lionen Rubel. Es ist deshalb anzunehmen, daß Pokrowsky die Arbeit der Pferde in der Landwirtschaft und diejenigen im Fuhr- mannsgewerbe mitgerechnet hat. Der Ertrag vom Rindvieh zerfällt in zwei Rubriken: Ein- kommen aus Milch und dasjenige aus Fleisch. Nach den Berech- nungen von A. A. Radtzig2) macht die Zahl der Kühe in den Gouvernements außerhalb der Humuszone 50°/o des sämtlichen Viehes aus; in den südwestlichen Gouvernements sowie in den Gouvernements Poltawa, Charkow, Woronesch und Saratow 3 3 °/o, in den übrigen humusbodenhaltigen Gouvernements 25 °/o, in Astrachan und Orenburg io°/o. Für das europäische Rußland macht es somit 36,7 °/o aus. Der Milchertrag im Gouvernement Archangelsk macht 150, in den 10 nördlichen Gouvernements und 3 Ostseeprovinzen 100 und in den übrigen Gouvernements 60 Eimer aus; somit im Durchschnitt 72 Eimer. Der Preis eines Eimers Milch ist in den Gouvernements Petersburg und Moskau sowie in den Ostseeprovinzen 50, in den übrigen Gouvernements 40 Ko- peken, im Durchschnitt 41 Kopeken. Diese Zahlen zugrunde gelegt, erhalten wir eine Bruttoeinnahme für Milch von 357 370000 Rubel. Den F'leischertrag (Hornvieh) können wir auf zwei Arten be- rechnen, entweder nach der Produktion desselben oder nach seiner Konsumtion. Nach den Budgetberechnungen von F. A. Schtjer- !) Zur Stabilitätsfrage der Aktivbilanz des russischen Auswärtshandels S. 36. 2) Viehzucht und Milchwirtschaft in verschiedenen Staaten, 1899. 69 male lassen den deutlich ausgeprägten fiskalischen Charakter unserer Zollpolitik erkennen. Die Regierung sieht vor allem in den Zöllen eine Einnahmequelle und hat daher, um ein Maximum der Einnahmen zu erzielen, die Zölle so hoch angesetzt, daß sie 36,5 °/o des Wertes der importierten Waren ausmachen, und der von den Zöllen resultierende Ertrag erreicht 16—17 °/o der gesamten Staatseinnahmen. Ein anderes Verfahren wäre für die russische Regierung auch undenkbar: sobald die Steuerbelastung 20 °/o des Volkseinkommens wegnimmt, mußten die Zölle ihr Maximum er- reichen. Die Zölle sind eine allzu bequeme Einnahmequelle und es ist daher nur begreiflich, wenn die russische Regierung, die die letzte Kopeke von den Steuerzahlern auspressen möchte, diese Quelle soweit als möglich ausnützt. Bis zur Mitte der siebziger Jahre führte das Bestreben nach möglichst großen Zolleinnahmen zu möglichst niedrigen Zollsätzen1), vom Jahre 1876 dagegen zu hohen Zollsätzen. Mit Recht folgert daher Prof. Soboleff, daß die russische Zollpolitik hauptsächlich fiskalische Interessen vep folgt2). Die Wendung zu hohen Zollsätzen (in der Mitte der siebziger Jahre) verfolgte nicht nur die Interessen des Fiskus; sie steht viel- mehr im Zusammenhänge mit dem Wunsch, eine günstige Handels- bilanz für Rußland zu schaffen und zwar auf einer möglichst breiteren Basis. Bis zur Mitte der siebziger Jahre deckte der Zufluß ausländischen Kapitals das Defizit der russischen Zahlungs- bilanz so gut wie vollständig. Unter dem Einfluß der Industrie- krise des Jahres 1873 sowie der politischen Komplikationen auf dem Balkan (seit 1876) hatte sich dieser Zufluß ziemlich ver- mindert. Die Regierung war gezwungen, der Handelsbilanz ihre ernsteste Aufmerksamkeit zu widmen. Die getroffenen Maßregeln wurden, wie die folgende Tabelle Prozent der zeigt, mit Erfolg gekrönt Wert des Handels- Jahre Zollabgaben Mill. Rubel Imports Mill. Rubel bilanz Mill. Rubel 1866—1870 14,93 317,8 - 0,4 00 T 00 c_n 13,05 565,8 -95,2 1876—1880 16,32 517,8 9,5 1881—1885 19,60 494,3 55,6 1886—1890 28,66 392,4 238,6 J) Cf. E. Soboleff, »Die Zollpolitik Rußlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts«, S. 78—79, 173—174, 220. 2) Ibid. Vorwort, S. VI. 43 Stammkapital Tatsächlicher Vom Staate zugelassene der A.-G. Zuwachs Vermehrung Mill. Rubel Mill. Rubel Mill. Rubel 1901 1891,1 1,0 168,9 1902 1892,1 27,3 82,9 1903 I9i9,4 90,4 86,2 1904 2009,8 ') 32,9 96,1 1905 2042,7 37,9 137,2 1906 2080,6 120,4 i3i,5 1907 2201,0 66,1 233,o 1908 2267,1 — 169,9 Innerhalb 15 Jahren wurde erlaubt, das Grundkapital Aktiengesellschaften um 2982,9 Millionen Rubel zu vergrößern; de facto aber gleicht der Zuwachs 1591,7 Millionen Rubel, d. h. er ist um 1391,2 weniger. Welcher Teil dieser Differenz auf die nichtrealisierten Konzessionen entfällt und welcher auf die dem Bankrott verfallenen Gesellschaften, das wissen wir nicht. Ein anderer Mangel dieser Bilanzen ist das, daß die Angaben, die die russischen Gesellschaften betreffen, von denjenigen, die sich auf die ausländischen beziehen, nicht getrennt sind. Unsere Berech- nung übersteigt somit den wirklichen Umfang des Kapitalzuwachses der russischen Industrie. Das rapide Zunehmen von Aktiengesellschaften während der Jahre 1895 —1901 steht gewiß im Zusammenhang mit der Einfüh- rung der 4 °/o Rente und dem Verkaufe der russischen Fonds nach dem Auslande; wie wir bereits bemerkt haben, machte diese Ope- ration 1600 Millionen Rubel russischen Kapitals frei. Im Laufe von 4 Jahren (1897—1900) überstieg die Summe des in der Indu- strie angelegten Kapitals die während dieser Zeit gemachten Er- sparnisse um 900 Millionen Rubel. Diese Summe von ca. 1 Milliarde Rubel konnte nur aus dem Erlös der ins Ausland verkauften russischen Staatspapiere gedeckt werden. Wenden wir uns nun der Statistik der freien Kapitalien zu, die sich in Form von Kontokorrenten in den Reichs- und Privat banken befinden (s. Tabelle S. 44 oben). Berücksichtigen wir alle angeführten Tabellen, so können wir sowohl den Kapitalzuwachs in Rußland selbst, als auch den Zufluß von ausländischen Kapitalien nach Rußland annähernd berechnen. ') Annähernde Ziffer. — 65 — Drittes Kapitel. Die Zollpolitik. Als eines der mächtigsten Mittel der Industrieentwicklung gilt •die Schutzpolitik. Die Belastung der importierten Waren mit solchen Abgaben, die dem ausländischen Produzenten die Konkur- renz mit dem einheimischen auf dem inländischen Markte er- schweren und dem letzteren einen guten Gewinn garantieren, wirkt fördernd auf die einheimische Industrie. Die russische Zollpolitik hat schon längst einen protektionistischen Charakter angenommen, aber, wie wir oben gesehen haben, bleibt Rußland ein überwiegend landwirtschaftlicher Staat. Im Jahre 1900 erreichte die extrahierende und bearbeitende Industrie einen Wert von 1495 Millionen Rubel, während die Landwirtschaft fast das Doppelte, nämlich 2738 Mil- lionen Rubel einbrachte. Die Schutzpolitik vermochte somit nicht Rußland in einen industriellen Staat zu verwandeln. Um die Ur- sachen dieses Mißlingens zu begreifen, müssen wir zuerst die Ziele kennen lernen, die unsere Zollpolitik verfolgt. Wie man aus den Motiven zur Einführung dieser oder jener Zölle ersehen kann, verfolgten die russischen Zollabgaben drei Ziele: 1. ein fiskalisches — die Zölle sind eine der Hauptquellen der Reichseinnahmen, 2. ein protektionistisches — durch die Preis- erhöhung der importierten Waren fördern die Zölle die Entwick- lung der russischen Industrie, 3. ein handelspolitisches — durch die Einschränkung des Imports wird für Rußland eine günstige Handelsbilanz erreicht. Diese Verschiedenheit der von der Zoll- politik verfolgten Ziele, die mitunter einander widersprechen, ver hindert ein konsequentes Streben zur Verwirklichung jedes der- selben. Die finanziellen Erwägungen erfordern einen Zoll, der ein Maximum von Einnahmen gewähren könnte. In den einen Fällen steigt die Einnahme bei der Erhöhung des Zolls, in anderen hingegen bei seiner Reduzierung. Nach der zollamtlichen Arith- Arch. f. Sozialwissensch. u. Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch. 5 26 Getreidebau.................................1458411000 Rubel Pflanzenbau................................. 384096000 » Viehzucht................................... 762400000 » Andere Zweige der Landwirtschaft . . . 133400000 a 2738300000 Rubel Versuchen wir nun den Anteil der Gutsbesitzer und den der Bauern festzustellen. Im Jahre 1900 betrug die Bodenfläche für die 16 wichtigsten Getreide- und Pflanzenarten 71 276871 Deßjätinen. Dabei entfiel auf Bäuerliches Anteil- (Nadjel-) Land . . . 49720641 Deßjätinen Privat- und Fiskusbesitz................21556230 » Ein Teil der privatbesitzlichen Ländereien ist von den Bauern gekauft, ein anderer gepachtet. Im Jahre 1900 pachteten die Bauern bei den Gutsbesitzern und beim Fiskus insgesamt 19507000 Deß- jätinen; nach den Angaben von 1881 wurden 52,2 °/o des gepach- teten Landes als Aussaatfläche benutzt. Nach den statistischen Daten von 1905 glich die Gesamtzahl des von den Kleinbauern gekauften Landes (bis 20 Deßjätinen pro Familie) 13714937 Deß- jätinen. Nehmen wir an, daß auf den gekauften Ländereien der Prozentsatz der Aussaat die Hälfte desjenigen auf dem »Nadjel- boden« ausmacht, so verteilt sich die Aussaatfläche folgendermaßen: Bäuerliche Wirtschaft..............49721000 Deßjätinen Aussaat Auf den gekauften Ländereien . . 2743000 » » » » gepachteten Ländereien . . 10183000 » » Zusammen 62647000 Deßjätinen Aussaat In den gutsbesitzlichen Wirtschaften . 8630000 » » Den privatbesitzlichen Wirtschaften gehört folglich nur 12,1 °/o der ganzen Aussaat. Da die Ernte bei den Gutsbesitzern um 20°/o reicher ist als diejenige der Bauern, so beträgt der Anteil der Gutsbesitzer 14,2 °/o des landwirtschaftlichen Ertrages. Berück- sichtigen wir aber noch dazu den höheren Marktpreis des guts- besitzlichen Getreides, so können wir den Anteil der Gutsbesitzer bis zu 15 °/o einschätzen. Die Tatsache, daß der Rübenbau fast ausschließlich von den Gutsbesitzern gepflegt wird, spielt dagegen keine Rolle in bezug auf den Prozentsatz der Gutsbesitzer, da andere Pflanzen, besonders Flachs und Planf, meistens in den bäuerlichen Betrieben gebaut werden. Der Ackerbau bringt somit den Gutsbesitzern eine Einnahme von 276 Millionen Rubel ein. Hierzu muß noch der Pachtzins zugerechnet werden (19507000 Deß- jätinen ä 5,1 Rubel — nach den Angaben der Kommission be- oder i2,3°/o im Verhältnis zum Umsatz. Wenn wir die Rentabilität aus diesen Betrieben mit 20 °/o ansetzen, erhalten wir eine Brutto- einnahme von 45548000 Rubel. Diese Ziffer ist ebenso größer als die wirkliche und zwar aus denselben Ursachen. Das Branntweinmonopol beschäftigte im Jahre 1900: Angestellte in den Akziseverwaltungen ... 328 Personen » » » Depots...................... 2646 » Verkäufer..................................15 711 » Arbeiter......................................16214 » Zusammen 34899 Personen Wenn wir die von jedem Angestellten erzielte Einnahme auf 402,3 Rubel ansetzen, erhalten wir ein Gesamteinkommen von 14040000 Rubel. Somit werfen ab: Warenhandel..............502298000 Rubel Wirts- und Gasthäuser. . . . 45548000 » Branntweinmonopol........ 14040000 » Zusammen 561900000 Rubel Das Volkseinkommen der 50 Gouvernements des europäischen Rußlands setzte sich somit im Jahre 1900 aus folgenden Bestand- teilen zusammen: Landwirtschaft................................2738300000 Rubel Forstwirtschaft und Fischerei................. 325800000 » Extrahierende und bearbeitende Industrie . . 1494800000 » Transportwesen................................ 531200000 » Bauwesen................................... 473100000 » Handel........................................ 561900000 » ____________ Zusammen 6125000000 Rubel1) ‘) In seinem »alleruntertänigsten Memorandum« über den Etat auf das Jahr 1897 schrieb S. Witte: »Die sämtlichen Einnahmen aus den landwirt- schaftlichen Produkten Rußlands übersteigen nicht den Wert von 1 */» Milliarden Rubel, während die jährlichen Einnahmen aus unserer Berg- und Fabrikindustrie 2 Milliarden Rubel übersteigen.« Unseren Berechnungen nach beträgt der Wert der Produktion in den 50 europäischen Gouvernements: der Landwirtschaft................2738300000 Rubel der Berg- und Fabrikindustrie . . . 953400000 » Wie kam also Witte zu den unrichtigen Zahlen ? Wahrscheinlich hat er das Land- wirtschaftseinkommen mit demjenigen aus dem Getreidebau (1458411 000 Rubel) identifiziert; als Ertrag der kapitalistischen extrahierenden und bearbeitenden Industrie nahm er den Gesamtertrag ohne vorher den Wert der Rohmaterialien, der Heizung usw. abzuziehen. Man darf auch nicht außer acht lassen, daß unsere Zollpolitik die Preise der industriellen Produkte künstlich erhöht und den Preis der landwirtschaftlichen Produkte herabdrückt. Wären die Preise 53 schon im Herbst des Jahres 1876 der Finanzminister M. Ch. Reitern, als er nach Livadia (kaiserliche Sommerresidenz) zu einer Be- sprechung über die finanziellen Mittel für den Krieg mit der Türkei zitiert wurde, erklärt, die Finanzlage Rußlands sei mehr als ernst und die Führung eines Krieges wegen Mangel an Mitteln unmög- lich. Als der Krieg doch beschlossen wurde, reichte Reitern seine Demission ein, und nur auf dringendes Bitten hin blieb er an der Spitze des Finanzministeriums bis Ende des Krieges. Sein Nach- folger, S. A. Greig, schrieb in seinem am Ende des Jahres 1878 eingereichten Memorandum wörtlich folgendes: »Man muß zugeben, daß unsere Staatsverwaltung und unsere Staatswirtschaft die teuer- sten der Welt sind.« A. A. Abasa, der das Portefeuille von Greig übernahm, schrieb in seinem »alleruntertänigsten Rapport betreffend das Staatsbudget für das Jahr 1881« wie folgt: »Der natürliche Zu- wachs der Reichseinnahmen hat bestimmte Grenzen. Im Laufe der letzten 20 Jahre haben sich die Einnahmen der Reichskasse mehr als verdoppelt und dennoch werden sie bis auf die letzte Kopeke von den gewöhnlichen Reichsausgaben absorbiert. Obwohl die friedliche Richtung unserer auswärtigen Politik wiederhergestellt ist, so ist fast ein dritter Teil unseres Ausgabebudgets für Be- dürfnisse des Kriegsministeriums bestimmt. Bei solchem Sach- verhalt hält es der Finanzminister für seine Pflicht, seiner Meinung Ausdruck zu geben, daß es notwendig sei, auf Befehl Eurer Majestät solche Maßnahmen zu treffen, die geeignet wären, die gegenwärtigen Ausgaben des Reiches für Militärmittel einzuschrän- ken.« Im selben Jahre mußte Abasa seinen Posten verlassen. In der alleruntertänigsten Eingabe bezüglich des Budgets pro 1882 des folgenden Ministers, N. Ch. Bunge, wird von der »Her- stellung der zwar nicht erschöpften, wohl aber einstweilig ge- schwächten Finanzkräfte des Landes« gesprochen. Das Budget pro 1886 wies ein Defizit von 25 Millionen Rubel auf. Seinen Un- willen gegen die Steuererhöhung motivierte N. Ch. Bunge in seiner alleruntertänigsten Eingabe folgendermaßen: »Der Finanzminister hält es für unmöglich, im Jahre 1886 ein Gleichgewicht zwischen die ordentlichen Einnahmen und Ausgaben durch eine unverzüg- liche Erhöhung der früheren oder Einführung von neuen Steuer- abgaben zu schaffen. Obwohl die Finanzquellen Rußlands nicht erschöpft sind, so wird doch eine stärkere Besteuerung die Lage der auch ohnedies schlecht stehenden Steuerzahler verschlimmern.« Das Budget pro 1887 schloß mit einem Defizit von 36x/2 Millionen — IO — reien im ganzen für 45253458 Rubel Häute bearbeitet wurde. Hinzu kommt noch dasjenige Quantum der Häute, das von den Sattlermeistern bearbeitet worden ist. Nach den Warsarschen Angaben beträgt der Wert dieser Häute 389 100 Rubel. Im ganzen erhalten wir die Summe 45643000 Rubel. Nach der Transport- statistik der russischen Eisenbahnen und gemäß der »Uebersicht des auswärtigen Handels Rußlands im Jahre 1900« betrug der Im- und Export von Häuten in den 50 Gouvernements des europäischen Rußlands: Einfuhr Ausfuhr Pud Pud Kaukasus 168000 Sibirien und Steppengebiet . . 799000 184000 Königreich Polen 364000 629000 Westeuropa (per Eisenbahn) . 301000 IOI OOO 1 699000 1 082 000 Nach den Ausfuhrangaben kostet ein Pud Rohhäute 8,7 Rubel. Folglich wurden per Eisenbahn Häute für 5367900 Rubel impor- tiert. Die Seeausfuhr übersteigt die Einfuhr um 2767936 Rubel. Somit wurde importiert für 2 600000 Rubel. Der Wert der bear- beiteten einheimischen Produkten beträgt folglich 43 Millionen Rubel. Die Einnahmen aus der Schafzucht können wir nach den An- gaben von P. N. Kuleschow x) feststellen. Der Ertrag der Wolle bei der Schafzucht: 12500000 Merinoschafe (Vlies 8 Pfund) .... 2500000 Pud 37143000 einfache Schafe (Vlies 5 Pfund) . . . 4643000 » Wenn wir den Preis der Merinoschafswolle zu 8 und den der einfachen Schafe zu 5 Rubel pro Pud berechnen, so bekommen wir einen Gesamtwert von 43215000. Jährlich schlachtet man ein Viertel der Herde, also 12410850 Stück. Von jedem Schafe erhält man 1,3 Pud Schafsfleisch und 0,12 Pud Fett. 1 Pud Schafsfleisch kostete (in den Jahren 1891 —1900) 2,31 Rubel, 1 Pud Fett 4,16 Ru- bel und 1 Schaf- bzw. Lammfell (in den Jahren 1894—99) 1,83 Ru- bel. Der Ertrag gleicht daher: Vom Fleisch.....................37269783 Rubel » Fett..........................6195496 » » Lammfell resp. Schaf . . 22711764 » Zusammen 66177043 Rubel ') Der gegenwärtige Stand der Schafzucht in Rußland, 1896. Somit hat der Finanzminister den umlaufenden Charakter von \ A 800 Millionen Rubel anerkannt; er mußte daher neben demNG'fey samt- auch das Reinausgabebudget anführen. Dann ist es aMtk unbegreiflich, warum er uns auch nicht eine Berechnung des Netto- einnahmebudgets geben will. Nach unseren Berechnungen, deren Grundlage wir oben an- gegeben haben, haben 900 Millionen Rubel unseres Budgets einen umlaufenden Charakter. Abstrahieren wir dieselben, so nimmt das Ausgabebudget pro 1909 folgende Gestalt an: Das System des Reichskredits . . 395 Milk Rubel oder 25,7 °/o Armee und Flotte............... 534,7 » » » 34,7 * Zivilverwaltung................610 » » » 39,6 » Noch im Jahre 1881 sah der damalige Finanzminister A. A. Abasa die Hauptursache der Zerrüttung der russischen Finanzen in den übermäßigen Ausgaben für die Erhaltung und Entwicklung der Militärkräfte des Landes, die für sich fast einen dritten Teil des gesamten Ausgabebudgets in Anspruch nahmen. Während der verflossenen 30 Jahre hat sich diese Norm nicht vermindert. In Wirklichkeit wurde für die Bewaffnung des Reiches noch viel mehr ausgegeben. Ein beträchtlicher Teil unserer Reichsanleihen wurde zwecks Kriegsführung gemacht; die Mehrzahl der Eisen- bahnen, die mit einem Verlust arbeiten, wurde aus strategischen Gesichtspunkten gebaut, aut Grund der direkten Forderung des Kriegsministers. Diese imperialistische Richtung unserer auswär- tigen Politik ist die Ursache der gegenwärtigen russischen ökono- mischen und finanziellen Depression. Jahrzehnte hindurch hat die Regierung alle Mittel, die sie aus dem Volke auszupressen ver- mochte, für Krieg und Kriegsrüstungen ausgegeben. Diese Hyper- trophie der Offensions- und Defensionsorgane hatte eine vollstän- dige Schwächung unseres Volksorganismus zur Folge. Rußland erstickt unter der Last seiner Bewaffnung*). ') Das Wachstum der Produktivkräfte ist indessen auch vom rein mili- tärischen Standpunkt notwendig. Es ist vorauszusehen, daß in 2—3 Jahr- zehnten die Ausgaben der Großmächte für Kriegszwecke sich verdoppeln bzw. verdreifachen werden. Für die Länder, die ihre Produktivkräfte rasch ent- wickeln, wird ein solches Wachstum der Ausgaben für die Armee und Flotte sehr schwer sein, aber nichtsdestoweniger möglich. Für Rußland dagegen, das schon jetzt unter der Last seiner Rüstung seufzt, kann eine weitere Ver- mehrung der Militärausgaben gerade zur Katastrophe führen. Diese Seite des Problems wird von unseren kampfeslustigen Nationalisten vollkommen ignoriert, ihre Politik dient nur den Interessen des Augenblicks und ist jeder Einsicht bar. 17 gängig, Frankreich, Deutschland und Nordamerika als »junge« Länder zu betrachten, die ihr Protektionssystem zwecks Heran- ziehung ausländischer Kapitalien behalten. Die oben angeführten Betrachtungen der Herren Witte und Fedorow widersprechen so- wohl der Theorie wie der Geschichte der protektionistischen Politik. Sowohl die Aufgaben als auch die Resultate des Zollschutzes befinden sich in direktem Zusammenhänge mit dem Zustande der Volkswirtschaft des Landes *). Ist das Land reich an Kapital und ist der Protektionismus hauptsächlich bestrebt, das Verhältnis zwischen den heimischen Produktionszweigen zu ändern und den Abfluß des heimischen Kapitals nach dem Auslande zu verhindern, dann wird die Zollpolitik einen anderen Charakter haben, als wenn das Land kapitalarm ist und die Hauptaufgabe des Protektionismus in der Heranziehung ausländischer Kapitalien besteht. In reichen, sich rasch entwickelnden Ländern dehnt sich der Zollschutz, der eine Verschiebung im Verhältnis der Produktionszweige im Auge hat, nur auf einzelne Produktionszweige aus, für deren Entwick- lung die notwendigen natürlichen und wirtschaftlichen Bedingungen vorhanden sind. In den armen Ländern, die bestrebt sind, die notwendigen Kapitalien heranzuziehen, trägt der Schutz einen generellen Charakter. Bei der Ausarbeitung des Tarifentwurfs im Jahre 1891 ging unser Finanzministerium deshalb gewöhnlich von dem Gedanken aus, daß man jedem Produktionszweig einen Schutz im Umfange von 30—40 °/o des Preises ausländischer Waren ge- währen muß2). Je rascher der Kapitalzuwachs in einem Lande ist, das nur den einzelnen Industriezweigen den Schutz gewährt, desto intensiver ist der Kapitalzufluß in diese Zweige und desto rascher kommt der Zeitpunkt, wo man die hohen Zollsätze aufheben kann. Bei einem blühenden Zustand der Volkswirtschaft kann die Ein- führung eines partiellen Zollschutzes einen überraschenden Effekt herbeiführen. Diese Art Zollschutz trägt deshalb immer einen vorübergehenden Charakter. Die Jagd nach ausländischem Kapital hat dagegen seinem Wesen nach eine dauernde Bedeutung. Ein >) Professor Bastable behauptet, das Studium der Handelspolitik vom Standpunkt der geschichtlichen Entwicklung zeigt mit voller Evidenz, daß die Normen, die den Handel und die Industrie in den verschiedenen Staaten regulieren, eher von den sozialen Verhältnissen sowie von den Interessen der herrschenden Klassen, als von den bestimmten theoretischen Doktrinen ab- hängig sind. Vgl. C. F. Bastable, The Commerce of Nations, 5 th ed., 1911, S. 117, 119—120. 2) Soboleff, I. c. S. 825. 14 Heu und Stroh . . 27476000 Rubel Weinbau 11 481 000 » Gartenbau .... 742IOOOO » Gemüsebau .... 9315000 2> Bienenzucht .... I09I9000 » Zusammen 133400000 Rubel Der Ertrag der Landwirtschaft im ganzen ist somit folgender: Getreide..............................1458411000 Rubel Pflanzen.............................. 384096000 » Viehzucht............................. 762400000 » Andere Zweige der Landwirtschaft . . 133400000 » Zusammen 2738300000 Rubel Da wir weder die Ausgaben für Reparatur der landwirtschaft- lichen Maschinen und Geräte, noch die Kosten für den während der Frühlingsarbeiten zur Ernährung der Pferde verbrauchten Hafer, noch die Futterkosten für das Vieh in der Form von Wurzel- früchten und Mehl in Betracht zogen, sind die von uns erzielten Resultate höher als der tatsächliche Ertrag der Landwirtschaft. Diese Ausgabekosten sind wir nicht imstande auch nur annähernd anzugeben und müssen daher bei der von uns erhaltenen Ziffer bleiben. Einen weiteren Zweig der materiellen Produktion bilden der Waldbau und die F'ischerei. Die 50 europäischen Gouvernements Rußlands zählen an Wald: Staatsforsten .... 107256959 Deßjätinen Davon taugliche . . . 85882654 » Anderer Besitzer . . . 54971 582 » Die tauglichen Staatsforsten werfen 46x09107 Rubel ab. Es ist anzunehmen, daß alle privatbesitzlichen Forsten zu den taug- lichen, die einen Gewinn abwerfen, gehören. Setzen wir den Ertrag einer Deßjätine derselben demjenigen aus den im selben Gouverne- ment befindlichen Kronwäldern gleich, so erhalten wir eine Brutto- einnahme von 132105383 Rubel. Die größere Durchschnitts- rentabilität der Privatwälder erklärt sich dadurch, daß dieselben sich meistens in den Gouvernements befinden, wo die Forsten den größten Gewinn erzielen. Der Reinertrag der Forstwirtschaft gleicht somit 178214000 Rubel. Was die Fischerei anbelangt, so macht der Fischfang in den ARCHIV FÜR SOZIALWISSENSCHÄFT UND SOZIALPOLITIK IN VERBINDUNG MIT WERNER SOMBART UND MAX WEBER HERAUSGEGEBEN VON EDGAR JAFFE ERGÄNZUNGSHEFT X ÜBER DIE BEDINGUNGEN DER INDUSTRIELLEN ENTWICKLUNG RUSSLANDS Von SERGEJ PROKOPOWITSCH TÜBINGEN VERLAG VON J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK) 1913 71 Im Jahre 1895 143 Millionen Rubel1) » » 1910 300 » » 2) Die letzte Zahl können wir an der Hand der von uns an- geführten Angaben über den Zufluß des ausländischen Kapitals überprüfen. Diesen Angaben gemäß gleichen unsere auswärtigen Verpflichtungen im Jahre 1908: Reichsanleihen.............................4510,3 Millionen Rubel Realisierte Obligationen der Eisenbahnen .. 1251,9 » » Aktienkapital der Industrieunternehmungen3) . 972,1 » » Zusammen 6734,3 Millionen Rubel Im Jahre 1908 zahlten wir dem Auslande, wie es scheint, tatsächlich 300 Millionen Rubel. Im allgemeinen stimmen die oben angeführten Zahlen über die Steigerung unserer Zahlungen nach Ausland vollständig mit dem von uns ermittelten Umfange der Zunahme unserer auswärtigen Verschuldung überein. In den Jahren 1866—1875 wuchs diese Verschuldung ziemlich rapid; in den Jahren 1875—1890 meidete Rußland neue Verpflichtungen im Auslande einzugehen und begnügte sich mit dem Golde, das es durch den auswärtigen Handel in seine Hände bekam; in den Jahren 1890—1908 wächst unsere Verschuldung wiederum ziem- lich rasch. Ziehen wir noch in Betracht die Ausgaben der russi- schen Touristen im Auslande und die Gewinne der Ausländer in Rußland — am Anfänge der neunziger Jahre ca. 100 Millionen Rubel, am Anfänge des Jahres 1900 nicht weniger als 150 Mil- lionen Rubel —, dann begreifen wir, welche Bedeutung die Zah- lungsbilanz für unsere Volkswirtschaft besitzt. Um unseren aus- wärtigen Verpflichtungen nachkommen zu können, müssen wir unseren Export bis zum Aeußersten anspannen und überhaupt alles aufbieten, um das ausländische Kapital heranzuziehen. Der Charakter der Handelsbilanz und die Größe des Zuflusses des aus- ländischen Kapitals sind für das Reich keineswegs belanglose !) Ibid. S. 70, Note 3. 2) Nach den Angaben des Finanzministers Kokowzeff in der Sitzung der Budgetkommission der Reichsduma am 18. Januar 1910. 3) Nach den Angaben von Werstraat glich im Jahre 1900 die Gesamtzahl des in ausländischen und russischen Aktiengesellschaften angelegten aus- wärtigen Kapitals, einschließlich des diesen Gesellschaften im Auslande ein- geräumten Kredits 178,1 Millionen Rubel (2075 Millionen Franken). Das Grundkapital der ausländischen Aktiengesellschaften betrug in den Jahren 1900 bis 1908 194 Millionen Rubel, zusammen 972,1 Millionen Rubel. Die Werst- raatschen Angaben haben wir bei P. Schwanebach, I. c. S. 210, entnommen. 41 schöpfen. Ueber das Grundkapital von 45 (aus den während diesen zwölf Jahren insgesamt konzessionierten 263) Aktiengesell- schäften ist es uns nicht gelungen, entsprechende Angaben auf- zutreiben; wie es scheint, hat die Mehrzahl dieser ausländischen Gesellschaften ihre Tätigkeit in Rußland nie an gefangen und brachte auch keinen Rubel fremden Geldes nach Rußland mit. Folgende Tabelle soll den Zuwachs des Grundkapitals der Aktien- gesellschaften (mit Ausnahme der Eisenbahngesellschaften) illu- strieren: Stammkapital Ausländische A.-G. Jahre der russi- Kon- Fehlen sehen A.-G. zessioniert . , Angaben Mill. Rubel s Stammkapital Mill. Rubel 1893 61,1 11 3 >i,3 1894 59.5 3 1 1,0 1895 129.4 2 — 5,3 1896 232,6 25 — 40,0 1897 239.3 25 32,3 1898 256,2 26 2 69,8 1899 430,9 69 5 93,5 1900 336,8 40 7 48,1 1901 140,2 23 6 28,7 1902 69,1 13 4 13,8 1903 82,4 15 10 3,8 1904 94,o 11 7 2,1 gesellschaften und Handelshäuser, 1905; P. Witkowitsch, Aktien-, Anteil und andere Unternehmen am 1. Januar 1908. St. Petersburg 1910 (russisch). Nach den anderen Quellen ist das Grundkapital der ausländischen Aktien- gesellschaften etwas größer: Zahl der Stammkapital Unternehmen Mill. Rubel 1894 3 2,8 1895 7 11 >3 1896 25 35,9 1897 19 23,5 1S9S 36 82,2 1899 71 109,5 1900 30 46,4 1901 24 78,4 Zusammen 215 390,0 Vgl. «Historische Uebersicht der Tätigkeit des Komitees der Minister«, 1902 (russisch), S. 122. Nach den im Text angegebenen Berechnungen waren in diesen 8 Jahren 213 Unternehmungen mit einem Grundkapital von 318,7 Mil- lionen Rubel gegründet. 28 stehende Material bestätigt werden, aber immerhin auf Annahmen und nicht auf exakt statistischen Angaben. Uebrigens sind wir im- stande, die erzielten Resultate mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Wir haben dabei die Arbeit von F. A. Schtjerbina x) über Bauern- budgets im Gouvernement Woronesch im Auge. Da ein Bauern- hof im Durchschnitte 11,3 Deßjätinen Nadjelland hat, so halten wir uns bei den Angaben von Schtjerbina an, insofern sie Betriebe mit 5 —15 Deßjätinen Nadjelland pro Familie betreffen. Aus den Ein- nahmen ziehen wir diejenigen aus Heu-, Stroh- und Spreu verkauf ab, da diese Produkte meistens in der bäuerlichen Wirtschaft selbst verbraucht werden und nur als Betriebsmittel dienen. Ferner sind auszuschalten die Einnahmen aus Pachtzins für Nadjelland, da andere Bauernfamilien den gleichen Posten als Ausgabe buchen müssen; desgleichen die Einnahmen von Gewerbe und Handel. Aus den Einnahmen, die der Viehverkauf mit sich bringt, haben wir die Kaufkosten abgezogen; desgleichen aus den Einnahmen für Getreideverkauf den Kaufpreis vom Samen. Nach diesen unerläßlichen Korrekturen erhalten wir ein Ein- kommen pro Person beiderlei Geschlechts: Vom Ackerbau....................18,80 Rubel Von der Vieh- und Vogelzucht . . 10,75 » Vom Garten- und Gemüsebau . . . 1,18 » Zusammen 30,73 Rubel Diese Zahl ist kleiner als die von uns gewonnene. Man soll aber dabei nicht vergessen, daß in der oben angeführten Ein- kommentabelle des Woronescher Bauern der Lohn fehlt, den er für Dienstleistungen beim Gutsbesitzer erhält. Schtjerbina behandelt diese Einnahme in der gewerblichen Rubrik und betrachtet sie so- mit als eine nicht landwirtschaftliche Quelle. Der Gewerbebetrieb wirft nach den Angaben von Schtjerbina 6,73 Rubel pro Person beiderlei Geschlechts ab Nach unseren Berechnungen liefert die landwirtschaftliche Lohnarbeit 2,89 Rubel pro Kopf. Das Durch- schnittseinkommen eines Woronescher Bauern aus der Landwirt- schaft beträgt folglich 33,62 Rubel. Dies ist aber fast das gleiche Resultat, zu welchem auch wir gelangt sind. Diese Bestätigung unserer hypothetischen Berechnungen durch die Schtjerbinaschen Angaben verleiht ihnen einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Genügt dieses Einkommen für die bescheidene Lebensführung des russischen Bauern? ’) F. A. Schtjerbina, Bauernbudgets. Woronesch 1900 (russisch). 7 2 Dinge, sobald die Zahlungsbilanz jährlich ein Defizit1) von 125 Millionen Rubel ergibt und die Zahlungen nach Ausland 40°/o des Exportwerts ausmachen. In einer ausführlichen Arbeit, die sich mit der Geschichte der Zollpolitik Rußlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts befaßt, kommt Professor Soboleff zum Schluß, daß »im Mechanismus des internationalen Tausch- verkehrs Kräfte existieren, die die Fähigkeit besitzen, das gestörte Gleichgewicht des Im- und Exportes wieder herzustellen. Es ist nicht notwendig, um eine künstliche Verminderung des Importes durch Auferlegung eines Zolles zu sorgen, da der Staat immer einen solchen Import hat, der seiner Zahlungsfähigkeit entspricht. Die ganze Zollpolitik nach dieser Richtung hin ist nichts anderes als ein Mißverständnis«ä). Es unterliegt keinem Zweifel, daß in der modernen Organisation der Industrie und des Handels Kräfte vorhanden sind, die die Fähigkeit besitzen, automatisch das ein- mal verlorene Gleichgewicht zwischen dem Im- und Export her- zustellen. Jede Verbesserung der Handelsbilanz setzt eine Ver- größerung der Produktion oder eine Verminderung des Konsums im Lande voraus. In beiden Fällen bleibt bei der Bevölkerung ein gewisser Zuwachs der Kaufkraft, der sich in Form eines Ueberschusses des aus dem Auslande zugeflossenen Goldes mate- rialisiert. Eine Verschlimmerung der Handelsbilanz dagegen be- deutet eine Verminderung des freien Geldvorrates der Bevölkerung, das entweder durch eine Abnahme der Produktion oder durch eine Zunahme des Konsums hervorgerufen wurde. Das Erscheinen freier Geldvorräte steigert den Konsum, ihr Verschwinden da- gegen schränkt denselben ein; in beiden Fällen verändert sich die Handelsbilanz automatisch in entgegengesetzter Richtung. Solcher Art ist die Tendenz der Kräfte, die im modernen internationalen Verkehr wirken * 2 3). v) Nach den Wytschewskyschen Berechnungen beträgt dieses Defizit 200 Millionen Rubel pro Jahr. Ibid. S. 175. 2) Die Zollpolitik Rußlands, S. 849, 3) Bei dem Papiergeldverkehr übt der eine oder andere Charakter der Zahlungsbilanz auf das Quantum des im Lande zirkulierenden Geldes gar keine Wirkung aus und setzt folglich die erwähnten Kräfte, welche fähig wären, das gestörte Gleichgewicht zwischen dem Im- und Export wieder herzustellen, nicht in Bewegung. Der Kurs des Papiergeldes hängt ausschließlich von der Größe der Emission ab. Diese theoretische Behauptung findet in der Ge- schichte des Papiergeldes in Rußland ihre Bestätigung; die von Professor Soboleff angeführten Daten ergeben, daß in den Jahren 1870—1895 »zwischen 37 sich übrigens auch direkt feststellen, daß solche Ersparnisse ent- weder gar nicht vorhanden oder nur unbedeutend sind. Wir wissen, daß das Vieh den wertvollsten Teil einer bäuerlichen Wirt- schaft bildet. Die Zahl der Viehstücke im europäischen Rußland vergrößert sich indessen nicht, nimmt vielmehr beständig ab. Nach den Angaben der offiziellen Statistik betrug die Zahl des Rindviehs, der Schafe (inklusiv Ziege) und der Schweine: Rindvieh Schafe Schweine Stück Stück Stück 1900 32913228 43643410 11370511 1904 30858410 45497621 11 041819 1909 30734878 40149326 9743617 Ein Teil dieser Abnahme entfällt unzweifelhaft auf den Groß- grundbesitz. Da aber nach den Angaben für das Jahr 1900 den Bauern 82,9 °/o der Gesamtzahl des Rindviehs, 80,9 °/o der Schafe und 83,5 °/o der Schweine gehörten, so ist es klar, daß wir die Abnahme nicht ganz auf die Rechnung des Großgrundbesitzes setzen können. Auf jeden Fall kann von einem bedeutenden »Zuwachs« beim Bauer keine Rede sein. Auch im Handwerk und in der Hausindustrie läßt sich kein bedeutender Fortschritt wahr- nehmen. Die Entwicklung der Fabrikindustrie, die den kleinen Produzenten vom Markte verdrängt, verhindert das Aufblühen der Kleinindustrie und verursacht den Ruin einzelner Zweige der Haus- industrie. Der Mangel an Angaben über die Akkumulation pro- duktiver Fonds in der Kleinindüstrie hat somit für uns keine wesentliche Bedeutung. Anders verhält es sich mit dem Kapital- zuwachs in den privaten, nicht aktionären Betrieben. Hier ist ein Zuwachs sicherlich vorhanden. Ueber seinen Umfang aber haben wir absolut keine, nicht einmal annähernde Angaben. Dieser Um- stand ist als eine große Lücke in unserer Arbeit zu betrachten. Ein weiterer Mangel ist die Unmöglichkeit, eine scharfe Grenze zwischen dem in Rußland selbst akkumulierten Kapital und demjenigen aus dem Auslande zufließenden zu ziehen. Wir werden noch Gelegenheit haben, darüber ausführlicher zu sprechen. Der Mangel an genauen statistischen Angaben zwingt uns in einigen Fällen mehr oder weniger wahrscheinliche Daten anzu- wenden. Wir wollen nun unsere Berechnung mit den Reichsschulden anfangen. Rußland besitzt keine Obligationen der anderen Staaten, ein bedeutender Teil seiner Schulden ist dagegen im Auslande 12 Pferdezucht............11250000 Rubel Milch.....................357370000 » Rindfleisch...............130000000 » Häute......................43000000 » Schafzucht................109392000 « Schweinezucht .... in 391000 » 762 403 000 Rubel Die übrigen Zweige der Landwirtschaft haben eine ziemlich geringere volkswirtschaftliche Bedeutung. Hierzu gehören vor allem Heu und Stroh, das von den Pferden in der Armee und in den Städten verbraucht wird. Laut der Fouragetabelle für Pferde bekommt ein jedes (außer Hafer) täglich 10 Pfund Heu und 4 Pfund Stroh, was in einem Jahre 90 Pud Heu und 36 Pud Stroh aus- macht. Der Totalverbrauch von Heu und Stroh der arbeitenden Pferde außerhalb der Landwirtschaft beträgt somit: Heu................ 56304000 Pud Stroh.............22522000 » Bei den Vorratsanschaffungen (im Jahre 1900) der Fourage der Intendantenverwaltung im europäischen Rußland kam 1 Pud Heu auf 40 und 1 Pud Stroh auf 22 Kopeken zu stehen. Folg- lich gestaltet sich der Gesamtverbrauch wie folgt: Heu............22521600 Rubel Stroh..........4954840 » 27476440 Rubel Die Einnahmen aus dem Weinbau können wir nach den An- gaben von M. Ballaß x) berechnen. Danach betrug die Fläche der Weingärten und deren Einnahmen in den neunziger Jahren: Krym und Gouvernement Taurien Deßjätinen . 10120 Pud und Eimer 2000000 Wert Rubel 2 500000 Dongebiet . 3000 200000 160000 Gouvernement Astrachan . . . 416 166400 250000 » Bessarabien. . . ■ 67925 12 529OOO 7517000 » Cherson .... 7710 1528000 917000 » Podolien .... 941 130000 130000 Jekaterinoslaw . . 250 7000 7000 Zusammen 903622) 16 560400 11481000 Nach den Angaben der Schrift: »Die Lage des Gartenbau wesens in Rußland 1901«, umfassen die Gärten im europäischen ‘) Der Weinbau in Rußland, Teil I und V, 1895 und 1899. 2) Nach anderen Angaben soll die Fläche der Weinberge in den Jahren 1898—1900 93070 Deßjätinen ausgemacht haben. „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“. In Verbindung mit Werner Sombart und Max Weber herausgegeben von Edgar Jaffe. Redaktions-Sekretär : ’Emil Lederer, Heidelberg. Jährlich 2 Bände ä 3 Hefte. — Jedes Heft wird für sich berechnet. Aus dem Inhalt des 2. Heftes des sechsunddreißigsten Bandes. (März 1913.) , ABHANDLUNGEN. Die naturphilosophischen Grundlagen der Wirtschaftstheorie. Von Professor SERGEI BULGAKOFF, Moskau. Zur historischen Analyse des Patriotismus. Von Professor ROBERT MICHELS, Turin, II. (Schluß). Zur Systematik der Lohnmethoden. Von Dr. KARL KUMPMANN, Bonn. Petroleum-Monopol. Von ***. Ueber die Fortschritte der gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit in Frankreich. Von PAUL LOUIS, Paris. Die neue wohnungspolitische Gesetzgebung Oesterreichs. Von Dr. Karl Forchheimer, Wien. LITERATUR. Die Kaufkraft des Geldes. Von W. EGGENSCHWYLER, Turin, II. (Schluß). Literatur zum Petroleummonopol. Von Dr. Th. M. VOGELSTEIN, München. Zur Soziologie des Parteiwesens der modernen Demokratie. Von Professor HERMANN ONCKEN, Heidelberg. Der Geburtenrückgang. Von Dr. SIEGFRIED BUDGE, Frankfurt a. M. LITERATUR-ANZEIGER. SOZIALPOLITISCHE CHRONIK. —p Die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland und Oesterreich, die Arbeitersozialpolitik und die Kämpfe zwischen Unternehmern und Arbeitern im Jahre 1912. 46 Nehmen wir an, daß der Zuwachs der Arbeiter sich gleich- mäßig vollzogen hatte, so finden wir, daß im Jahre 1892 die Zahl der Arbeiter ungefähr 1080331 betrug. Für die Mitte des Jahres 1900 finden wir Angaben in der »Zusammenfassung der Berichte der Fabrikinspektoren für die zweite Hälfte des Jahres 1900« (Swod ottschotow fabritschnych inspektorow« etc.). Von den kaukasischen Gouvernements war in dieser Zeit die Fabrikinspek- tion nur im Gouvernement Baku eingeführt; in den sibirischen und mittelasiatischen Gouvernements gibt es auch heute noch keine Fabrikinspektion. In bezug auf die kaukasischen Gouvernements und Provinzen konnten wir die Angaben für das Jahr 1900 be- nutzen , die sich im »Fabrikregister des europäischen Rußlands« (»Spissok fabrik i sawodow« etc.) 1903 befinden. Für die sibirischen und mittelasiatischen Gouvernements müßten wir uns mit den Daten für das Jahr 1897 begnügen. Nach allen diesen Quellen war die Zahl der Fabrikarbeiter im Jahre 1900: In den 50 Gouvernements des europäischen Rußlands . 1 453 488 Arbeiter Im Königreich Polen........................................ 223047 » Kaukasus................................................. 26956 In Sibirien und Mittelasien................................. 23497 Zusammen 1726988 Arbeiter Ueber die Arbeiterzahl des Jahres 1908 haben wir Angaben in der »Zusammenfassung der Berichte der Fabrikinspektoren für das Jahr 1908« (»Swod« etc.). Zu dieser Zeit war die Fabrik- inspektion (im Jahre 1902) noch auf drei weitere kaukasische Gouver- nements ausgedehnt — Kutais, Tiflis und Tschernomorskaja. Außerdem wurden der Fabrikinspektion im Jahre 1907 auch die Naphtawerke des Gouvernements Baku mit 46531 Arbeiter unter- stellt; in den Jahren 1892 und 1900 standen diese Werke unter der Aufsicht der Berginspektion. Ziehen wir diese Zahl ab und vervollständigen wir die Angaben der »Zusammenfassung« mit den Angaben des »Fabrikregisters«, die sich auf das Jahr 1908 beziehen, so erhalten wir nachfolgende Zahlen: Europäisches Rußland.............1577699 Arbeiter Königreich Polen................. 245890 » Kaukasus.......................... 20184 » Sibirien und Mittelasien .... 17 451 » Zusammen 1861224 Arbeiter Diese Ziffern sind nicht ohne weiteres mit denjenigen für das Jahr 1900 vergleichbar. Seit 1899, nach der Einführung der neuen 20 an der Weichsel gelegenen und der Wladikaukasuseisenbahnen (560 Werst) gleich derjenigen der Perm-Samara-Slatoust-, St. Peters- burg-Warschauer und Süd-West-Eisenbahnen (588 Werst) angesetzt. Des weiteren ist zu bemerken, daß für die erwähnten Ausgaben der Lokalbahnen wir keine besondere Rubrik gebildet haben, und berechneten sie im Verhältnis der Ausgaben der Normalbahnen. Nach solcher Berechnung stellten sich die Ausgaben für Instand- haltung und Reparatur der Eisenbahnen auf 138688000 Rubel heraus. Der Reinertrag gleicht also 317055000 Rubel. Die Handelsschiffahrt zerfällt in Fluß- und Seeschiffahrt. Nach den Angaben des »Jahrbuches des Finanzministeriums für 1903« kursierten auf den Flüssen der 50 Gouvernements (mit Ausnahme der Weichsel- und einer Hälfte der Njemanschiffahrt): Schiffe......... 25366 Tragfähigkeit .... 685034000 Pud Herstellungskosten . . 191285000 Rubel Besatzung....... 40280 Personen. Nach den »Berichten betreffend die inneren Wasser- und Chauseestraßen im Jahre 1900« wurden im letzten Jahre auf Schiffen 1206 133000 Pud transportiert, indem jedes Pud im Durch- schnitt eine Strecke von 844 Werst ablegte. Ueber den Personenverkehr fehlen jedwede Angaben. An- gesichts des Mangels an Daten, die die Bruttoeinnahmen und Aus- gaben der Flußschiffe betreffen, kann man den Reinertrag der Flußschiffahrt nur indirekt bestimmen. Nehmen wir den Durch- schnittsverdienst eines Reeders gleich 20°/o an, was eher mehr als weniger bedeuten würde, denjenigen eines Angestellten gleich dem- jenigen eines Fabrikarbeiters (entsprechend den Angaben von W. E. Warsar für das Jahr 1900 — 215,59 Rubel) und die Navi- gationsperiode im Durchschnitte etwa 8 Monate, so ist auch diese Ziffer als allzu groß anzusehen. Wir erhalten dann: Einnahme der Reeder .... 38257000 Rubel Arbeitslohn der Besatzung . . . 8684000 » Zusammen 46941000 Rubel Was die Seeschiffahrt anbelangt, so war laut Angaben des »Jahrbuches des Finanzministeriums für das Jahr 1903« die Zahl der Registertonnen der in die russischen Häfen (im Jahre 1900) eingelaufenen Schiffe: 3 * \ 'K Erstes Kapitel. Das Volkseinkommen. Eine exakte Berechnung des Volkseinkommens wäre nur dann möglich, wenn uns zweierlei statistische Zahlenreihen zur Verfügung ständen: i. über den Gesamtertrag aller Zweige der Güterproduk- tion (Handel und Transport mit eingeschlossen) und 2. ebensolche Daten über die während der Produktion verbrauchten materiellen Güter (Rohstoffe, Reparatur, Beleuchtung, Heizung sowie die Aus- gaben für Gebäude-, Maschinen- und Warenversicherung). Abstra- hieren wir aus dem Gesamtertrag eines bestimmten Produktions- zweiges den Preis all dieser in der Produktion verbrauchten mate- riellen Güter, so erhalten wir den Reinertrag, der sich in der Summe von neu produzierten Werten ausdrückt. Addieren wir den Reinertrag aller Produktionszweige, so erhalten wir das Jahresein- kommen eines Volkes. Das letztere umfaßt alle seine Bestandteile, die Einkommen aller Personen, die an der materiellen Produktion beteiligt sind (Arbeiter, Angestellte, Kapitalisten, Grundbesitzer) und die Einkommen aller derjenigen Personen, die an der mate- riellen Produktion nicht beteiligt sind (Geistliche, Aerzte, Dienst- boten usw.), sowie die kommunalen und staatlichen Einnahmen. Die Berechnung des Volkseinkommens ist somit eine einfache Aufgabe, sobald wir die nötigen statistischen Daten zur Verfügung haben. Aber bei dem gegenwärtigen Stand der Wirtschaftsstatistik fehlen diese Angaben nicht nurvin Rußland, sondern auch in den westeuropäischen Staaten. Eine statistische Berechnung des Ein- kommens des russischen Volkes ist zurzeit völlig unmöglich. Da uns genaue Ziffern fehlten, so mußten wir für eine Reihe von Pro- duktionszweigen uns mit mehr oder weniger annähernden Berech- nungen begnügen. Diese annähernde Berechnung gibt uns eine allgemeine Vorstellung von der ökonomischen Lage des Volkes. Um den Vorwürfen einer tendenziösen Färbung zu entgehen, waren wir überall geneigt, den Umfang des Reinertrages eher zu ver- größern als zu vermindern. I. 29 Die Schtjerbinasche Untersuchung gibt aut diese Frage eine negative Antwort. Nach seiner Berechnung übersteigen die Aus- gaben einer Bauernfamilie bedeutend ihre Einnahmen aus dem Landwirtschaftsbetrieb. Ziehen wir ab die Ausgaben für Samen, Heu, Stroh, Spreu, Viehanschafiung, Arbeitslohn, Pachtzins, Steuern und Kredit, so betragen die Ausgaben pro Kopf einer bäuerlichen Durchschnittsfamilie des Gouvernements Wpronesch: Für Nahrung....................................19,46 Rubel » Wohnung......................................3,83 » » Kleidung.....................................5,50 » » andere materielle Bedürfnisse............... 1,43 » » religiöse Bedürfnisse........................2,51 » » Vieh und Vögel..............................10,64 » » Geräte und Pferdegeschirr..................... 1,24 » Zusammen 44,61 Rubel Hierzu muß man noch folgende Ausgaben hinzufügen: Für Landpacht.................................. 1,47 Rubel » Fiskus-, Bezirks- und öffentliche Abgaben *) . 2,76 » Zusammen 48,84 Rubel Nach den Schtjerbinaschen Berechnungen muß der Bauer so- mit 14,39 Rubel oder 29,5 °/o seines Ausgabebudgets aus anderen Quellen (also nicht aus dem Ackerbau) herschaffen. Unsere bäuer- liche Bevölkerung hat nach den angeführten Berechnungen jährlich ein Defizit von mehr als einer Milliarde Rubel zu verzeichnen. Ein Teil dieses Defizits wird durch die Einnahmen aus der Hausindu- strie, die insgesamt 200 Millionen Rubel abwirft, gedeckt. Hierzu gehört noch der Verdienst der Bauern aus dem Fischfang (etwa mehr als 100 Millionen Rubel), sowie der Arbeitslohn für Fabrik- und andere Arbeiten. Aber alle diese industriellen Einnahmen decken nur einen Teil des Defizits. Um satt zu werden, fehlt dem Bauernstand eine halbe Milliarde Rubel im Jahr. Daher sind die ärmeren Schichten der Bevölkerung auf chronisches Hungern an- gewiesen. In den Jahren, in welchen die Ernte gut ausfällt, sind die Landeinwohner satt, in den schlechten Jahren dagegen ver- wandelt sich das chronische Unterernähren in eine akute Hungersnot. Dies ist, vorausgesetzt die bestehende Verteilung zwischen den sozialen Klassen, die konkrete Bedeutung, die für das Bauerntum ein Volkseinkommen im Werte von 63 Rubel pro Kopf haben muß. *) Nach dem »Versuch einer annähernden Berechnung des Umfanges verschiedener Quellen der Volkseinnahmen«, 1903. 22 Eisenbahnen 317055000 Rubel Handelsschiffahrt: Flüsse . . 46941000 » „ See . . . 40838000 „ Fuhrmannsgewerbe . . 98039000 » Post- und Telegraph . . . 28349000 » Zusammen 531200000 Rubel Das Baugewerbe zerfällt in zwei Zweige: Einnahmen von Wohn- häusern und Bauarbeiten. Nach dem »Versuch einer annähernden Berechnung des Umfanges der Volkseinkommen nach ihren ver- schiedenen Quellen« betrugen die Einnahmen von allen städtischen Vermögen im Jahre 1904 nach der Einschätzung des Finanzmini- steriums 253450000 Rubel. An Bauarbeiten beschäftigten sich (nach der Volkszählung von 1897) 545 977 Personen. Nehmen wir an, daß die Produktivität jedes Bauarbeiters einer solchen eines Fabrikarbeiters gleicht, so erhalten wir den Reinertrag dieses Gewerbes in der Summe von 219647000 Rubel. Somit: Ertrag der Wohnhäuser . . . 253450000 Rubel » » Bauarbeiten . . . 219647000 » Zusammen 473100000 Rubel Sehr ungenügend sind unsere Daten über den Handel. Nach den Angaben des Steuerdepartements*) betrug der Warenverkehr und der Gewinn: Warenverkehr Gewinn Prozent Rubel Rubel 1898 3701895300 224393000 6,06 1903 4669718820 277559234 5.94 Im Durchschnitt O vO O O 00 «-O 00 250976117 6,00 Den Gewinn aus dem Handelsverkehr können wir mit 12 °/o berechnen; dann erhalten wir einen Gesamtertrag im W'ert von 502298000 Rubel. Diese Ziffer ist größer als der Reinertrag, da in den 12 °/o auch Ausgaben für Miete der Geschäftsräume inbe- griffen sind, die wir in der Gesamteinnahme von den städtischen Häusern bereits berücksichsigt haben. Wirts- und Gasthäuser hatten im Jahre 1898: Umsatz .... 227738200 Rubel Gewinn .... 27955330 » ') Die statistischen Resultate der Prozent- und Umlageabgaben im Jahre 1898. St. Petersburg 1900. Materialien zur Revision des Reglementes be- treffend die Gewerbesteuer. Petersburg 1905 (russisch). 39 um 4 Milliarden Rubel erhöht haben. Besonders stark wird der Schuldenzuwachs in den Jahren 1895—1896, 1899—1902 und 1904—1907. Die innere Verschuldung blieb dagegen fast unver- ändert. Sie hob sich bis zum Jahre 1895, sank dann bis zum Jahre 1901 und blieb fast stabil bis zu den Jahren 1901 —1903. Vom Jahre 1904 an fängt die innere Verschuldung wieder an zu wachsen, aber nicht so rapid wie die auswärtige. Der Umstand, daß die innere Verschuldung während der Jahre 1895—1900 im allgemeinen sich um 1600 Millionen Rubel verminderte, beweist, daß ein Teil des russischen Staatsfonds, welcher früher in Ruß- land angelegt war, nach dem Ausland ausgewandert ist1). Diese Erscheinung befindet sich in engem Kausalzusammenhänge mit der Konvertion der inneren Anleihen, die den Zinsfuß von 5 auf 4°/o herabsetzte. Wie wir weiter sehen werden, haben sich diese, während der verstrichenen Jahrzehnte angesammelten Kapitalien zum Teil der Industrie zugewandt und verursachten den Industrie- aufschwung der zweiten Hälfte der neunziger Jahre. In gleicher Zeit (1895—1900) wuchs unsere auswärtige Verschuldung um ca. 2000 Millionen Rubel. Der größere Teil dieses Betrages wurde zur Tilgung der inneren Anleihen verwendet. Etwa 250 Millionen Rubel wurden vom Fiskus für die Verstaatlichung der Eisenbahnen ausgegeben. Die Anleihen der Jahre 1904—1907 sind als Folgen des Krieges mit Japan zu betrachten. Nach den Angaben der statistischen Sammelwerke des Ver- kehrsministeriums 2) betrug das Grundkapital der im Betrieb be- findlichen Eisenbahnen (in Millionen Rubel) (s. Tabelle S. 40): Das Grundkapital der Staatseisenbahnen ist in unseren Auf- stellungen betreffend die Prozente der inneren und äußeren Staats- anleihen bereits inbegriffen. Was die Privateisenbahnen betrifft, so werden ihre Aktien gewöhnlich auf dem inneren und die Obli- gationen auf dem auswärtigen Markte plaziert. Während bis zum Jahre 1893 das Verhältnis zwischen dem Aktien- und Obligations- kapital zirka drei ausmachte, gestaltete es sich seit diesem Jahre, ’) Die Auswanderung der russischen Fonds stellte schon P. Ch. Schwane- bach fest. Vgl. »Die Geldreform und die Volkswirtschaft«, 1901 (russisch), S. 92, 189—190, 198—199. a) Diese Sammelwerke enthalten Angaben über Eisenbahnen, die sich schon im Betriebe befinden, folglich wird das Grundkapital der Eisenbahnen nicht in dem Jahre registriert, in welchem sie ausgegeben werden, sondern ein, zwei und oft drei Jahre später. ARCHIV FÜR SOZIALWISSENSCHAFT UND SOZIALPOLITIK IN VERBINDUNG MIT WERNER SOMBART UND MAX WEBER HERAUSGEGEBEN VON EDGAR J A F F L JErf/ä 11 zuiu/shejf t X UEBER DIE BEDINGUNGEN DER INDUSTRIELLEN ENTWICKLUNG RUSSLANDS VON SERGEJ PROKOPO WITSCH / TÜBINGEN VERLAG VON J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK) 1913 Preis im Einzelverkauf M. 3.—. Preis für die Abonnenten des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ oder der „Ergänzungshefte“ M. 2.40. 56 äußert sich nicht nur in der Größe der Steuern, sondern auch im Charakter der Besteuerung in der Vorherrschaft der einen oder anderen Form der Steuererhebung. Im russischen Budget spielen die indirekten Steuern und Zölle eine dominierende Rolle. So betrugen im Jahre 1909: Direkte Steuern ....... 205,3 Milk Rubel 12,7 °/o Indirekte Steuern und Zölle . . 1205,9 » * 74,4 11 Domänen und Staatsbetriebe . . 208,8 » » 12,9 » Somit werden 3/4 des Budgets in Form von indirekten Steuern erhoben, die hauptsächlich die arbeitenden Klassen belasten *). In den Reichsetatentwürfen und in den Berichten bezüglich ihrer Durchführung wird diese Tatsache immer vertuscht, und zwar durch die Aufnahme in das Budget der Exploitationsausgaben sowie der umlaufenden Einnahmen, die im Jahre 1909 eine angesehene Summe von 900 Millionen Rubel erreicht haben. Da seit dem Jahre 1909 der Finanzminister bei der Berech- nung der indirekten Größe der einzelnen Posten des Ausgabe- budgets die Betriebsausgaben der Reichsbetriebe sowie einiger anderen umlaufenden Ausgaben nicht mehr berücksichtigt, so ist es jetzt um so weniger angebracht, die umlaufenden Eingänge im Einnahmebudget beizubehalten. Im Etatentwurf für das Jahr 1909 finden wir zwei Berechnungen des Ausgabebudgets: Schuldentilgung und Gesamtetat Der Reinetat Zinsen .... 396,7 Mill. Rub. odei -16 °|o 396 Mill. Rub. oder 23,7% Heer und Flotte 536,4 » 21,7 » 536 32,0 » Reichsbetriebe . . 784,1 » » » 31,7» » » » » Verwaltung und an- dere Ausgaben . 755,o » 30,6 » 742,2 » » » 44,3 » Zusammen 2472,2 Mill. Rub. i675, 3 Mill. Rub. ') Gerade dieses Vorherrschen der indirekten Steuern in unserem Budget ermöglichte die Tatsache, wonach die Reichssteuern nicht entsprechend der Entwicklung der Produktivkräfte des Reiches wuchsen, sondern entsprechend der Zunahme der Tauschwirtschaft, die sich auf Kosten der Naturalwirtschaft vollzog. Alle Produkte des Massenkonsums sind bei uns mit Steuern belegt. Wollte der Bauer Kaufprodukte konsumieren (statt Kienspan Petroleum, statt Leinwand Baumwolle gebrauchen), geriet er sofort in die Steuermaschine. Der Zuwachs von Staatssteuern kann daher auch bei einer Stagnation der Produktivkräfte stattfinden, und zwar infolge der ununterbrochenen Ver- drängung der Natural- durch die Tauschwirtschaft. 82 ihre Arbeiter erst zu erziehen, was sehr teuer zu stehen kommt. Zweitens, die Konzentration der Produktion an einem Orte gewährt die Möglichkeit, die Produktionskosten zu vermindern. Drittens verfügt die alte Industrie über eine große Anzahl unternehmungs- lustiger und erfahrener Administratoren, kennt genau den Markt und besitzt eine gut funktionierende Organisation des Absatzes. Einer jungen Industrie aber mangelt es an alledem im hohen Maße. Alle diese Vorzüge einer alten Industrie sind so groß, daß in mehreren Fällen dieser oder jener Produktionszweig ohne Zollschutz gar nicht entstehen könnte. Ein Zollschutz in gewissen Fällen könnte deshalb von großem Nutzen sein. Aber neben den Industriezweigen, die einen Schutz bedürfen, existieren andere Zweige, die sich auch ohne Schutz entwickeln können, und noch andere, die auch unter dem Schutz einer Zollmauer nur zu vegetieren vermögen. Die Einführung eines Zollschutzes erfordert deshalb eine besondere Vorsicht; das Eingreifen des Staates in das wirt- schaftliche Leben muß zweckmäßig und vernünftig sein. Jeder übermäßig große Zollschutz ist für die Volkswirtschaft von großem Schaden, da er direkter Verlust für die Konsumenten der verzollten Produkte ist; indirekt aber trifft er alle Produzenten der Exportartikel, da er einen entsprechenden Zoll der benachbarten Staaten provoziert. Die Zollschutzpolitik Rußlands wird hauptsächlich von dem Bauerntum bezahlt, da es der Hauptkonsument der verzollten In- dustrieartikel und der Produzent unseres wichtigsten Exportartikels, des Getreides, ist, der im Auslande einem Retortionszoll begegnet. Ist der Schutzzoll mit Geschick und Vernunft eingeführt, so kann der Schaden, den er der Landwirtschaft und seinem Hauptvertreter, dem Bauern, beibringt, durch die Erfolge der Fabrikindustrie kom- pensiert werden; andernfalls ist der Schaden ein direkter Verlust für die Volkswirtschaft. Anderseits muß man auch damit rechnen, daß jedes Uebermaß an Schutz für eine Industrie einen technischen Rückstand zur Folge hat. Ein vernünftiges Schutzsystem auszu- arbeiten ist sehr schwer. Nicht der Mangel an Wissen bei den maßgebenden administrativen und gesetzgeberischen Instituten ist hier ein Hindernis, sondern auch die Eigenschaften jener Persön- lichkeiten, die als Sachverständige hinzugezogen werden. Als solche erscheinen immer die Industriellen und Unternehmer, die die Privatinteressen der Produzenten bestimmter Industriezweige einseitig beleuchten, wobei hinzugefügt werden muß, daß eine 48 ganzen 902981 Arbeiter beschäftigt, d. h. 645 Arbeiter auf je 1000000 Grundkapital. Nehmen wir an, daß im Jahre 1892 das Verhältnis zwischen der Arbeiterzahl und dem Grundkapital das- selbe war, so erhalten wir, daß die Zahl der Arbeiter in den Aktien- und individuellen Betrieben sich folgendermaßen verteilte: Aktienbetriebe 1892 270900 Arbeiter 1908 902981 » Zuwachs 632081 » Individuelle Betriebe 809431 Arbeiter 1016014 » 206 583 » Diese Ziffern zeigen, daß in den letzten 16 Jahren in Rußland hauptsächlich die Aktienbetriebe sich entwickelt haben. Da im Jahre 1892 die organische Zusammensetzung des Kapitals zweifellos niedriger war, als im Jahre 1908, so muß die Arbeiterzahl in den Aktienbetrieben etwas größer und die Zahl in den individuellen Betrieben etwas geringer sein. Der Fehler beträgt aber kaum mehr als 100000 Arbeiter. In diesem Falle werden wir in den individuellen Betrieben einen allgemeinen Zuwachs von 300OOO Ar- beitern haben. Nehmen wir an, daß die organische Zusammen- setzung des Kapitals in den individuellen Betrieben um 2 mal niedriger ist, als in den Aktienbetrieben, dann erhalten wir, daß das Grundkapital, das für die Beschäftigung dieser 300000 Arbeiter notwendig ist, nur 230 Millionen Rubel ausmacht, oder etwa 15 Millionen Rubel im Jahre Zuwachs 1). Die Arbeiterzahl in der Bergindustrie2) hat sich folgender- maßen vermehrt (mit Ausnahme der Arbeiter, die sich unter Auf- sicht der Fabrikinspektion befinden und mit Einschluß der Arbeiter der Naphtawerke im Gouvernement Baku, die der Fabrikinspektion im Jahre 1907 unterstellt wurden): 50 Gouvernements des europäischen 1892 Rußland.............................349014 Arbeiter Königreich Polen.......................26879 » Kaukasus............................ 15 475 » Sibirien und Mittelasien...............48588 » Zusammen 439956 Arbeiter 1908 473446 Arbeiter 44356 » 65825 84 797 668424 Arbeiter Der Zuwachs für 16 Jahre beträgt 228468 Arbeiter oder 51,90/0 der Anfangszahl (im Jahre 1892). Angesichts der großen Entwick- ’) Die Geringfügigkeit dieser Ziffer erklärt sich dadurch, daß eine be- deutende Zahl großer Privatfirmen in Aktienbetriebe verwandelt wurde. s) »Sbornik statistitscheskich swedenij gornosawodskoj promyschlennosti Rossii« für die entsprechenden Jahre. s Reinernte Durchschnitts- preis in den Brutto- von 1 Deßjät. Total Jahren 1896 einnahmen Pud Pud bis 1900 Kopeken ■) Rubel') Winterkorn . . 37,8 912433746 53,8 490 900 I 15 Sommerkorn . 25,4 5366588 53,8 •) 2 887 224 Winterweizen . 39,7 113550694 75,i 85276571 Sommerweizen 30,5 364291726 74,8 272 49021 I Hafer .... 33,2 459923 484 49,6 228 122048 Gerste . . . 34,1 222 160 560 53,2 118189418 Spelz .... 27,3 10598324 53,2 2) 5638308 Buschweizen . 18,0 38194218 65,8 25131795 Hirse .... 40,8 97309387 49,9 48557384 Mais .... 5L2 51384525 44,9 23071652 Erbsen . . . 30,8 26780230 70,3 18826502 Linsen . . . 26,1 9423953 40,02) 3769581 Bohnen . . . 48,8 2967235 I00,02) 2967235 Total 34,7 2314404670 57,3 1325828044 Nach L. N. Mareß müssen die Angaben des statistischen Zentralkomitees erhöht werden, und zwar nach den Angaben der Semstwo-Statistik für die Bauernernten um io °/o und für diejenigen der Gutsbesitzer um 20 °/o 3). Die Differenz rührt wahrscheinlich daher, daß die Semstwo-Statistik unter »Privatbesitz« etwas anderes im Auge hat, als die Schriften des statistischen Zentralkomitees. Wir können daher annehmen, daß der Irrtum in bezug auf die Ernten der privatbesitzlichen Ländereien nicht höher als io°/o ist. In diesem Falle gleicht die Bruttoeinnahme vom Getreidebau 1 458411 000 Rubel. Nach den gleichen Angaben des statistischen Zentralkomitees war der Umfang der Aussaatfläche, der Ernte der handelsindu- striellen Pflanzen sowie die Bruttoeinnahme von denselben, wie folgt (Tabellen siehe S. 6): Wenn wir, dem Beispiele von L. N. Mareß folgend, die Ernte der handelsindustriellen Pflanzen um io°/o erhöhen, erhalten wir eine Bruttoeinnahme von 384096000 Rubel. Wie man aus den vielen Bemerkungen zu der soeben angeführten Tabelle ersehen kann, haben unsere Angaben betreffend Saat, Ernte und Preise der handelsindustriellen Pflanzen, durchaus nicht die erwünschte ’) 1 Rubel = 100 Kopeken = 2,65 Frank. 2) Annähernde Zahlen. 3) »Der Einfluß der Ernten und der Getreidepreise«, Bd. I, S. 7 (russisch). 78 Laad mit einer schwachen kapitalbildenden Fähigkeit braucht immer den Kapitalzufluß., Um dieses Ziel zu erreichen, muß die Rentabilität des Kapitals, das in der bearbeitenden und extrahie- renden Industrie investiert ist, ununterbrochen auf einem künstlich hohen Niveau erhalten bleiben. Daraus das ununterbrochene Wachs- tum der Schutzmauer für die heimische Industrie. Die Zollabgaben in kapitalarmen Ländern fördern die Entwicklung neuer und schützen die schon existierenden gutentwickelten Industrien, — häufig mit Hilfe höherer Zollsätze als diejenigen, die bei der Entstehung dieser Industriezweige bestanden haben. In den reichen Ländern hat der Kapitalzufluß in die protektionierten Industriezweige die Entwicklung der inneren Konkurrenz und die Herabsetzung der Preise zur Folge, was die hohen Zollsätze überflüssig macht. In den kapitalarmen Ländern dagegen entwickelt sich die innere Konkurrenz nur sehr langsam, die Preise bleiben gewöhnlich auf dem maximalen Niveau, das durch die Zollsätze bestimmt ist, und der rasche Fortschritt der ausländischen Industrie — bei dem schwachen Wachstum der vaterländischen — macht einen weiteren Schutzzoll notwendig. Vom Standpunkt der ausländischen Konkurrenz ist nicht nur der Fortschritt der Industrie, sondern auch sein Tempo von großer Wichtigkeit. Ein Land mit einer geringfügigen kapitalbildenden Fähigkeit und ungenügendem Zufluß ausländischen Kapitals kann seine Industrie, trotz des intensiven Zollschutzes, viel langsamer entwickeln, als es die reichen Nachbarn tun, und wird folglich immer mehr Zurückbleiben. Gerade diesen Charakter aber trägt die Entwicklung der Industrie in Rußland. Diese Erscheinung, die ganz natürlich ist für ein Land, das durch die Steuerschraube er- schöpft ist, erscheint für Professor Soboleff ganz unbegreiflich. Nachdem er das Wachstum der Zollsätze in Rußland gekennzeichnet hat, stellt Professor Soboleff die Frage auf: »Was aber ruft die Hebung der Zollsätze hervor. Es ist doch unmöglich anzunehmen, daß eine Industrie, geschützt durch hohe Tarife und allerlei Pri- vilegien, Subventionen, staatlichen Aufträgen usw., statt sich zu vervollkommnen immer mehr zurückgeht im Vergleich mit der westeuropäischen Konkurrenz. Wäre es denn so, so wäre der Protektionismus eine Ursache, die den Niedergang der Industrie herbeiführt1). Die Daten, die wir im zweiten Kapitel angeführt *) Ibid. S. 823. the scale towards document i o w O ~-i cn ~-i > O 00 03 00 > 00 O CD 03 CD Prozent der Steuer- belastung i86i—1S65 20,7 1866—1870 >4,9 t"» 00 T 00 >3,o 1876—1880 >6,3 00 00 7 CO 00 G/u >9,6 8 I Das Grundkapital der A.-G. (Jahres- durchschnitt) Millionen Rubel >9,9 >33,8 89.9 28.9 45,4 'abelle zeigt, daß der liberale Tarif des Jahres 1868 eueren Zufluß des ausländischen Kapitals nach Ruß- pf- Im Jahre 1867 betrug das Kapital der gegründeten chaften nur 70,5 Millionen Rubel. Im Jahre 1868 .on 184,2 Millionen Rubel, im Jahre 1869 154,9. Die ires 1873 hat diesen Zufluß eingeschränkt. Nachher rkische Krieg und der Uebergang zum Protektionismus, anomische Entfremdung Rußlands hervorgerufen hat. Wachstum der Kapitalien der gegründeten Aktiengesell- :n Jahren 1881 —1885 erklärt sich wahrscheinlich durch len heimischer Kapitalien. Diese Wirkung der hohen i durchaus nicht rätselhaft. Je größer der Handels- :hen Rußland und dem Ausland, je mehr Verbindungen en Fabrikanten und Händler in Rußland besitzen, je usländischen Kapitalisten und Unternehmer von den rhältnissen informiert sind, um desto leichter vollzieht uß des ausländischen Kapitals und der ausländischen gslust. Eine nationale Isolierung stoßt sie dagegen n den seltenen Momenten, wie z. B. in den Jahren gelingt es, diesen Widerstand zu überwinden, wobei und die speziellen Privilegien eine große Rolle spielen, itionalistische Tendenzen kommen der Volkswirtschaft .Euer zu stehen. krott, den die dreißigjährige Politik des generellen us in Rußland erfahren hat, spricht weder für noch vernünftigen Schutz einzelner Industriezweige. Die Er- :e, daß die Erziehungszölle zweifellos eine positive lben. Im Vergleich zu der entstehenden Industrie » hat die entwickelte Industrie der alten kapitalistischen e wichtige ökonomische Vorteile. Erstens verfügt itrie über einen genügenden Stamm erfahrener und Arbeiter; die junge Industrie ist dagegen genötigt, issensch. u Sozialpol. Ergänzuugsheft: Prokopowitsch. 6 i8 dieser Betriebe mit den von W. E. Warsar angegebenen Preisen, so erhalten wir folgende Tabelle: Zahl der Arbeiter Allgemeiner Wert Rubel Reinertrag Rubel Branntweinbrennerei .... 27231 43 214000 27I17000 Hefeindustrie ’) 53 6 599000 6573 000 Schnapserzeugung 3 110 3774000 3067000 Gewinnung von Fruchtschnaps . 130 245000 245 000 Bierbrauerei ) 11 536 39075000 34070000 Metbrauerei / 459000 224 000 Zuckerfabrikation 99 963 153 068000 113038000 Tabakindustrie 34112 35499000 9228000 Zündhölzerfabrikation .... 16792 4273 000 4086000 Naphtaindustrie 1696 I 780000 271OOO Zusammen 194623 287986000 I97 9I9°00 Vom allgemeinen Wert könnten wir nur den Wert der Roh- materialien abziehen, aber auch das nicht ganz (so z. B. nicht den Wert der Weintrauben oder den der Früchte für die Schnaps- produktion oder den Wert des Holzstrohs für Zündhölzer). Die Ausgaben für Heizung, Beleuchtung, Gebäude- und Maschinen- reparatur sind im Reinertrag mitgerechnet. Die erhaltene Ziffer ist daher weit größer als die wirkliche. Ueber das Handwerk besitzen wir überhaupt keine statistk sehen Angaben. Nach der Volkszählung von 1897 beschäftigt die bearbeitende Industrie in den Städten, mit Ausnahme der Betriebe, die mit Akzise belegt sind, 1501335 Arbeiter. Nach dem »Ver- zeichnis der Fabriken und Werke des europäischen Rußlands 1903« arbeiteten in den städtischen Betrieben von den in den Jahren 1900 und 1901 in das Verzeichnis aufgenommenen 1 144558 Arbeiter bloß 539901, also etwa 47°/o. Insgesamt arbeiteten in den Fa- briken 1258865 Personen, somit in den Städten 591667 Arbeiter. Hierzu gehören noch 44615 Arbeiter, die sich in den Städten der Eisengießerei und Eisenbearbeitung widmen, im ganzen also 636282 Arbeiter. Außerdem sind ca. 2 5 ooo Personen als Besitzer und Angestellte ‘ in den städtischen Betrieben beschäftigt. Folglich macht die Zahl der Handwerker ca. 840000 Personen aus. Wenn wir die Leistung eines jeden Handwerkers derjenigen eines Fabrik- arbeiters gleich ansetzen (402,30 Rubel pro Jahr), finden wir, daß !) Hefe wird auch als Nebenprodukt bei der Gewinnung des Brannt- weines in den Branntweinbrennereien erzeugt. 35 Staat Einkommen Rubel Steuer Rubel Prozent Australien .... ■ • 374 23,6 6,3 Vereinigte Staaten . . . 346 23,6 6,8 Kanada GA 5-2 Argentinien .... 22,5 12,4 Rußland ■ • 63 12,4 19,6 Es ist klar, daß unsere Konkurrenz mit diesen Ländern völlig aussichtslos ist. Ein bedeutendes Sinken der Getreidepreise auf dem Weltmärkte wird uns zum Bankrott treiben, während es für unsere Gegner nur eine kleine, kaum empfindliche Verminderung des Jahreseinkommens bedeuten würde. Die jungen Kolonialstaaten haben von der russischen Konkurrenz eben so viel Angst, wie der Millionär vor der Konkurrenz eines Bettlers. Die dritte Gruppe bilden die in den neunziger Jahren insol- vent gewordenen Staaten, welche ihre Zahlungen teilweise einstellten oder eine 20°/oige Couponsteuer einführten: Staat Einkommen Steuer Prozent Rubel Rubel Portugal (1892) . . . . IOI 17,0 16,8 Griechenland (1893) . ■ • 93 17,0 18,3 Italien (1894) . . . . . 104 25-5 24,5 Spanien (1898) . . . . 120 16,1 13,4 Rußland . . 63 12,4 19,6 Rußland hat seine Schulden immer richtig bezahlt. Aber das Schicksal von Portugal, Griechenland, Italien und Spanien, die viel reicher sind und weniger unter dem Drucke der Steuerlast zu leiden haben, hat auch in bezug auf Rußland Befürchtungen hervorgerufenx). Mag die Reichskasse sich in befriedigendem Zustande befinden, mögen die Staatseinnahmen die Ausgaben über- steigen, und dennoch kann ein Staat dem Bankrotte entgegen- gehen. Ein Staat ist kein Handelsunternehmen, und eine entschei- dende Bedeutung für ihn hat nicht die Einnahme- und Ausgabe- bilanz, sondern die Wirkung der Finanzpolitik auf das Wirtschafts- leben des Volkes. Gelingt es auch der Regierung vermittels un- unterbrochener Einführung von neuen Steuern und Erhöhung der alten knapp auszukommen, so besagt doch dieser Finanzwohlstand der Regierung nichts über den Stand der Volkswirtschaft. Für 6i In den Jahren Zusammen im Durchschnitt Stammkapital der A.-G. im Durchschnitt 1901 —1904 i,o Millionen Rubel 12,1 Millionen Rubel 1905 7,0 » » 37,5 » » 1906 52,5 4,2 » ». 1907 91,2 40,4 » » 1908 127,1 G,4 » 1909 ? » io,6 » » Was aber den Abfluß des russischen Kapitals ins Ausland anbetrifft, so war es, wie dies die Progression des Zuwachses des Industriekapitals im Reiche zeigt, nur vorübergehender Natur und unbedeutend. Der Kapitalzuwachs ging in folgendem Tempo vor sich: In den Jahren Zusammen im Durchschnitt Stammkapital der A.-G. im Durchschnitt 1901 —1904 167,8 Millionen Rubel 99,4 Millionen Rubel 1905 - 53,4 99,7 » » 1906 340,5 127,3 „ 1907 259,8 192,6 » » ' 1908 245,5 i54,i » 1909 } » » 99,5 » Ein Rückgang konnte nur im Jahre 1905 konstatiert werden. Er erklärt sich ausschließlich durch das Abnehmen der Konto- korrente um einen Betrag von 153,1 Millionen Rubel, davon 126,1 Million Rubel laufender Rechnungen der Sparkassen der Reichsbank. Der Rückgang erklärt sich somit hauptsächlich durch den Abfluß des Geldes ins Innere des Landes, da man schwerlich annehmen kann, daß die kleinen Sparer ihr Geld nach dem Aus- lande überwiesen haben. Was aber die Gründung von neuen Aktiengesellschaften und die Erweiterung der bereits vorhandenen anbetrifft, so kann man hier keine Stockung verzeichnen, sondern im Gegenteil, einen gewissen Aufschwung bis zum Jahre 1907 — wie immer nach einem Kriege *) —, worauf ein Niedergang folgte. Dagegen war der Zufluß des ausländischen Kapitals gerade in diesen Jahren sehr minimal. Somit erzielte die russische Industrie *) Einen ähnlichen Aufschwung erlebte die russische Industrie in den Jahren 1855—1856 nach dem Krimkrieg und im Jahre 1879 nach dem türki- schen Krieg. Vgl. W. Besobrasow, »Ueber einige Erscheinungen des Geld- verkehrs in Rußland«, 1864, S. 24; Derselbe: »Rußlands Volkswirtschaft«, 1882, Bd. I, S. 277 (russisch). 86 Danach kehrten aus dem Auslande während der letzten zwei Jahre etwa 850 Millionen Rubel russischer Reichsfonds zurück1). Die Regierung hat keine Mittel, um auf dieses Element der Zahlungsbilanz eine Wirkung auszuüben; es ist nutzlos, irgend- welche Opfer für eine positive Handelsbilanz zu bringen, sobald der Exportüberschuß (im Verhältnis zum Import) jeden Tag nach dem Auslande zum Einkauf russischer Wertpapiere abfließen kann. Bei der heutigen Sachlage besitzt die Regierung nur ein Mittel zur Regulierung einer ungünstigen Zahlungsbilanz. Und dieses Mittel ist die Abschließung neuer Anleihen. Wir sind deshalb der Meinung, daß die Sorge um eine günstige Zahlungsbilanz schon in der nächsten Zeit keinen Einfluß auf die Handelspolitik Rußlands ausüben wird. Ganz anders steht es mit dem dritten Motiv unserer Zoll- politik — mit dem fiskalischen. Solange die Besteuerung etwa 20° 0 des Volkseinkommens absorbiert, müssen die Zölle, als eine der bequemsten Besteuerungsformen, notwendigerweise ein Maximum der Einnahmen gewähren. Eine radikale Herabsetzung der fiska- lischen Zölle können wir deshalb nur in Verbindung mit einer Herabsetzung der Steuerbelastung erwarten, was aber nur dann möglich wäre, wenn der Charakter unserer auswärtigen Politik wesentlich geändert wird und wenn die Ausgaben für Heer und Marine eingeschränkt werden. Solche radikalen Reformen sind aber nur unter einem demokratischen Regime denkbar. Solange wir ein solches nicht besitzen, sind nur relativ unbedeutende Herabsetzungen der Zollsätze und zwar zwecks Vergrößerung der Zolleinnahme zu erwarten. Die Zollarithmetik ist bekanntlich ein sehr launiges Ding und größere Zolleinnahmen lassen sich manchmal durch geringere Zollsätze erzielen. Die Vergrößerung der Zolleinnahmen durch eine Herabsetzung der Zollsätze wurde bis zuletzt durch die Sorge um die Handelsbilanz und durch den generellen Protektionismus verhindert. Verschwinden diese Motive unserer Zollpolitik von der Oberfläche, so gelangen wir zu der Herabsetzung der Zollsätze, wie es in den Jahren 1852—1875 der ’) Diese Erscheinung steht zweifellos im Zusammenhang mit dem noch nie dagewesenen Wachstum des russischen Exports der letzten Jahre: Jahre Export Handelsbilanz 1909 1427,7 Mill. Rubel + 521,4 Mill. Rubel 1910 1449,1 » + 364,7 » 1911 1591,4 » + 429,7 » Unsere Staatsbudgets werden nach dem Muster der Kassen- bücher der kaufmännischen Betriebe aufgestellt. Sie bestehen aus allen Ein- und Ausgängen verschiedener Ressorts. In die Rubrik der Staatseinnahmen werden daher auch die Gesamteinnahmen der Staatseisenbahnen eingetragen, ohne Abzug der Betriebskosten, sowie verschiedene umlaufende Posten und Ersparnisse. Bei einem solchen Budgettypus ist es natürlich, daß die Summe der ange- gebenen ordentlichen Einnahmen dem tatsächlichen Quantum der von der Regierung aus dem Volkseinkommen für die Verwaltungs- zwecke erhaltenen Werte nicht entspricht. Die effektiven Ein- nahmen sind in der Wirklichkeit geringer als die im Budget an- gezeigten Kasseeinnahmen. Um den wichtigen Umfang der Steuerbelastung festzustellen, müssen wir aus der Gesamtzahl der im Budget angeführten Ein- nahmen zuerst alle umlaufenden Einnahmen abschreiben, — Ueber- weisungen aus den anderen Ressorts, Ersparnisse, Restbestände, Einnahmen aus dem Verkauf untauglicher Gegenstände, Rück- zahlungen usw. Verschiedene Betriebe, die zur Befriedigung der Staatsbedürf- nisse dienen, wie z. B. die Militärwaffenfabriken, figurieren im Staatsbudget nur in der Ausgabeabteilung. In der Einnahmerubrik werden nur solche Betriebe erwähnt, die ganz oder teilweise den Bedürfnissen von Privaten dienen, so z. B. die Eisenbahnen, Buch- druckereien usw. Sobald ein Betrieb ganz oder fast ausschließlich Privaten dient, kann er als eine Einnahmequelle des Staates an- gesehen werden. Der Fiskus eignet sich einen Teil des Volks- einkommens in der P'orm des Reinertrages dieser Betriebe an, wie es z. B. bei den Eisenbahnen oder beim Branntweinmonopol der Pall ist. Um diesen Reinertrag zu ermitteln, müssen wir von den Bruttoeinnahmen die Betriebskosten abziehen. Dient dagegen der Betrieb hauptsächlich den Zwecken der Verwaltung und ver- äußert nach außen nur einen geringen Teil seiner Erzeugnisse, so daß der Ertrag derselben die Betriebskosten kaum oder gar nicht zu decken vermag, so erhält der Staat davon keinen Reingewinn und eignet sich folglich dadurch nichts vom Volkseinkommen an. Die von solchen Betrieben gewonnenen Einnahmen verringern nur die Betriebskosten. bei solcher Erweiterung der Staatsfunktionen ist es geboten, um die Steuer- belastung richtig bestimmen zu können, die Verwaltungskosten von den Pro- duktionskosten getrennt zu behandeln. I Einleitung. Die russische nationalökonomische Literatur verfolgt zwar sehl- aufmerksam die industrielle Entwicklung Rußlands, doch meistens faßt sie das Problem sehr einseitig auf. Für die Entwicklung der Industrie braucht man nicht nur einen Schutz vor der ausländischen Konkurrenz oder irgendwelche andere Förderungsmittel, — man braucht vor allem die innere Kraft der ökonomischen Expansion, deren Maßstab man in der kapitalbildenden Fähigkeit der Nation erblicken kann. Die Größe der nationalen Ersparnisse aber, die man für die Entwicklung der Produktivkräfte verwendet, befindet sich im engsten Zusammenhang mit der Intensivität der Steuer- belastung. Für den ökonomischen Fortschritt eines Landes hat somit eine entscheidende Bedeutung nicht die Zoll-, sondern die Finanzpolitik der Regierung. Die Frage darüber, wie die Finanz- politik auf das Wachstum der Kapitalien und auf die Entwicklung der Produktivkräfte in Rußland gewirkt hat, blieb bis heute so gut wie unerörtert. Die vorliegende Arbeit möchte den Versuch machen, diese Lücke auszufüllen. Dank der außerordentlich hohen Norm der Steuerbelastung, die die wirtschaftlichen Kräfte des Landes im höchsten Maße schwächt, übt die russische Regierung einen unvergleichlich größeren Einfluß auf das wirtschaftliche Leben des russischen Volkes aus, als es die westeuropäischen Regierungen in ihren Ländern ver- mögen. Ein glänzendes Beispiel dieses Einflusses ist das Aufblühen der russischen Industrie in den Jahren 1895—1901, das durch die Maßnahmen des f'inanzministeriums geschaffen wurde. Bei dieser Sachlage finden wir es methodologisch unrichtig, wenn man irgend- eine Frage des ökonomischen Lebens Rußlands ohne Rücksicht auf die Finanzpolitik und ihre ökonomischen Folgen betrachtet. Die Finanzpolitik der Regierung wirkt aber anderseits sehr stark auf die Richtung ihrer Wirtschaftspolitik. Daher halten wir es für unrichtig, wenn man irgendeine P'rage der Wirtschaftspolitik, z. B. Arch. f. Sozialwissensch. u. Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch. I 63 erscheinen lassen. Wir haben die rasche lation des Kapitals im Auge1): Kapitalzuwachs Millionen Rubel einheimische Akkumu- Warenausfuhr nach dem Ausland Millionen Rubel 1893 — 1896 103,7 1897—1900 111,8 1901 —1904 209,4 1905—1908 339,i 661.4 700.5 907,4 1055,2 Diese Tabelle zeigt, daß mit der Entwicklung der Tausch- wirtschaft und der kapitalistischen Verhältnisse — darauf weist der Warenexport hin — ein ziemlich gleichmäßiges Wachstum der Kapitalakkumulation zu beobachten ist2). Trotz der depri- mierenden Wirkung, die die übermäßige Steuerbelastung ausübt, ist in den letzten acht Jahren eine bedeutende Verstärkung der kapital- bildenden Fähigkeit der russischen Volkswirtschaft zu verzeichnen. Der Kapitalzuwachs in den Jahren 1901 —1908 ist um 2^2 mal größer als die nationalen Ersparnisse in den Jahren 1893 — 1900. Diese Belebung der wirtschaftlichen Kräfte, die zwar unfähig ist, die internationale wirtschaftliche Lage Rußlands zu ändern — in diesen Jahren haben die anderen Länder, mit Deutschland an der Spitze, einen kolossalen Aufschwung erlebt —, muß einen sehr wesentlichen Einfluß auf die ökonomischen Verhältnisse innerhalb des Reiches ausüben. Die russische Industrie hatte bis jetzt, im Unterschied zu der Industrie anderer Länder, die in bezug auf den Kapitalismus voraus sind, einige spezifische Besonderheiten, die eine tiefe Wirkung auf den Entwicklungsgang ausgeübt haben. Die hohe Zollmauer, die sie von der westeuropäischen Industrie trennt, milderte die Wirkung der Krisen, die die westeuropäischen und amerikanischen Länder periodisch erschütterten; gleichzeitig übten auf sie eine große Wirkung auch die heimischen Verhält- nisse aus, hauptsächlich die Getreideernte. Die spezifische Be- sonderheit der russischen Industrie lag aber in der Rolle, die in ihrem Leben die russische Regierung spielte. Die großen Aus- gaben des Staates für Heer und Flotte, die kolossalen Unterneh- mungen der Krone — Eisenbahnen, Branntweinmonopol, F'abrik- ‘) Ohne diejenigen Kapitalien, die in den individuellen (also nicht auf Aktien gegründeten) Betrieben investiert sind. 2) Eine gewisse Bedeutung hat auch das Wachstum der Preise für russische Exportwaren auf dem Weltmärkte. 50 — Jahre Reichs- schuld 110,9 Eisenbahn- obli- Stamm- kapital Zusammen 1897 gationen 378,4 der A.-G. 32,3 521,6 1898 - 272,7 149,5 69,8 - 53,4 1899 CO <~n To 93,9 93,5 1038,6 1900 351.2 - 103,4 48,1 295,9 1901 94,5 99,5 28,7 222,7 1902 253.0 15,4 13,8 282,2 1903 72,7 — 168,7 3,8 - 92,2 1904 302,3 9,5 2,1 3i3,9 1905 - 454,2 - 30,5 37,5 461,2 1906 366,4 48,3 4,2 418,9 1907 316,8 50,8 40,4 408,0 1908 67,6 111,7 15,4 194,7 Wie bereits bemerkt wurde, gibt diese Tabelle keine genaue Aufklärung über den Zuwachs der ausländischen Kapitalien in Ruß- land. Ein Teil der Eisenbahnobligationen ist z. B. auf dem inneren Markte placiert; ein Teil der Eisenbahnaktien dagegen befindet sich im Auslande. Außer den Kapitalien, die bei den sogenannten ausländischen Aktiengesellschaften (deren Sitz sich im Auslande befindet) angelegt worden sind, placieren die Ausländer ihre Kapi- talien auch in den russischen Aktiengesellschaften (deren Sitz sich im Inneren des Landes befindet). Schließlich wird ein Teil des konzessionierten ausländischen Kapitals gar nicht realisiert oder er wird im Auslande verwendet. Trotz alledem schildert die von uns aufgestellte Tabelle den Zufluß des ausländischen Kapitals ziemlich richtig. Gruppieren wir die Zahlen für jede vier Jahre, so erhalten wir die nachfolgende Tabelle des Kapitalzuflusses pro Jahr (in Millionen Rubel): Zuwachs Kapital- Jahre der zuwachs Zu- In Reichs- in der sammen Prozent schuld Industrie 1893 — 1896 187,8 — 42,0 144,9 100 1897 — 1900 260,1 190,6 450,7 311 1900—1904 180,6 1,0 181,6 125 1905—1908 301,2 69,5 370,7 fi 287,0 256 Im Durchschnitt 232,4 54,6 — In Prozent 81,0 19,0 IOO — Der Vergleich dieser Tabelle mit der analogen, die den Ka- pitalzuwachs im Reiche behandelt, ergibt einige sehr interessante Folgerungen. Erstens ist festzustellen, daß der Gesamtbetrag des 8o unser Protektionismus sui generis, dessen Hauptaufgabe die Heran- ziehung ausländischen Kapitals ist, von einem vollen Erfolg ge- krönt ist. Bei näherem Zusehen aber stellt sich heraus, daß unsere Zollpolitik in dieser Hinsicht ein völliges Fiasko erlitten hat. Die ausländischen Kapitalisten haben wenig Vertrauen zu fremden Leuten, deren Gewissenhaftigkeit und Tüchtigkeit ihnen unbekannt sind. Die Uebersiedlung nach Rußland aber ist für sie wenig ver- lockend. Sie ziehen es deshalb vor, ihre Ersparnisse in jene kolonialen Länder zu schicken, wo sie die gewohnten, rechtlichen, politischen und kulturellen Bedingungen vorfinden; in Rußland aber fordern sie eine Garantie des Staates. Aus der Gesamtsumme der auswärtigen Kapitalien, die in den Jahren 1893—1908 nach Rußland hinübergesiedelt haben, sind es nur 20°/o, die in der Privatindustrie investiert worden; 8o°/o sind in die Reichsfonds eingelegt. Durchschnittlich betrug der Kapitalzufluß im Jahre Heimisches Ausländisches Kapital Kapital Mill. Rubel Mill. Rubel 1893—1896 34,8 — 42,9. 1897—1900 340,7 190,6 1901 — 1904 167,8 1,0 1905—1908 198,1 69,5 Durchschnittlich 185,3 54,6 Diese Tabelle zeigt, daß alle Anstrengungen, die das Land für die Heranziehung ausländischen Kapitals gemacht hat, ergeb- nislos blieben. Um jährlich 55 Millionen Rubel zu erhalten, brauchte man nicht die Zollsätze generell heraufzuschrauben und einen entsprechenden Zoll für unseren Export zu provozieren. Durch eine Anspannung des Reichskredits könnte man diese 55 Millionen Rubel billiger erhalten. Der Mißerfolg unserer Zoll- politik wird noch deutlicher, wenn man den Zufluß des ausländischen Kapitals nach Rußland in den Jahren 1893 —1908 (als zur Zeit •des höchsten Triumphes des Zollschutzes) mit dem Kapitalzufluß vergleicht, der in den Jahren 1860—1870 (während der frei- händlerischen Aera) zu verzeichnen war. Die heimische Kapital- akkumulation war damals ganz minimal und die Aktiengesell- schaften gründeten sich hauptsächlich vermittels des ausländischen Kapitals. Vergleichen wir die Größe des Grundkapitals der ge- gründeten Aktiengesellschaften mit der Höhe der Zollbelastung, so erhalten wir folgende Tabelle: 54 Rubel ab. »Der Finanzminister hält es für seine Pflicht, zu be- tonen,« — schrieb Bunge in seinem alleruntertänigsten Bericht —, »daß die Regulierung der Verhältnisse zwischen den Einnahmen und Ausgaben vermittels Erhöhung der früheren oder Einführung von neuen Steuern momentan nicht zeitgemäß wäre.« Am i. Januar 1887, sofort nach Veröffentlichung dieses Finanz- anschlages, wurde N. Ch. Bunge entlassen. An seine Stelle wurde I. A. Wyschnegradsky berufen, der eine unermüdliche Energie in bezug auf Einführung von neuen Steuern und Erhöhung der alten an den Tag legte. Die Hungersnot von 1891 machte aber auch ihn vernünftiger. Der Etatentwurf auf das Jahr 1892 schloß mit einem Defizit von 25 Millionen Rubel. In seinem alleruntertänig- sten Begleitschreiben erlaubte sich Wyschnegradsky folgendes zu be- merken: »Auf den ersten Blick könnte es als natürlich erscheinen, neue Einnahmequellen zur Deckung des sich ergebenden Defizits ausfindig zu machen; allein diese neuen Quellen, mögen sie nun in beliebiger Form erscheinen, führen eigentlich am Schlüsse nur zur Einführung von neuen und Erhöhung der alten Steuerabgaben. Da die Mißernte nicht nur die Getreideproduzenten ruiniert habe, sondern alle Seiten des ökonomischen Lebens arg ergriff, so wäre es momentan äußerst gefährlich, zu diesen Mitteln zu greifen.« Im gleichen Jahre wurde Wyschnegradsky entlassen und durch S. J. Witte ersetzt. Der neue Minister vergrößerte ohne Schwanken die Steuer- last. Aber am Ende hat auch Witte nicht ausgehalten. In der Sitzung der Generalversammlung des Reichsrates vom 30. De- zember 1902 erklärte er, daß die gegenwärtige direkte und in- direkte Besteuerung die Grenze ihrer Spannfähigkeit erreicht hat; eine weitere Politik in diesem Sinne wäre unproduktiv, ja beim gegebenen ökonomischen Zustand des Landes überhaupt unzulässig. Die Aufgabe einer vernünftigen Finanzpolitik wäre die Ausfindig- machung von Mitteln zur allmählichen Minderung der Steuerlast1). Der Reichsrat pflichtete dieser Meinung Wittes bei: »Die Zahlungs- fähigkeit der Bevölkerung hat,« meinte der Reichsrat, »auch seine Grenzen, die man nicht überschreiten darf, wenn man den ökono- mischen Wohlstand des Landes nicht gefährden will. Dieser Wohlstand ist die Grundlage des finanziellen Gleichgewichts des Staates, seiner inneren Kraft und internationalen politischen Macht. ’) Witte und der Reichsrat über Rußlands finanzielle Lage. Stuttgart 1903, S. 6 (russisch; es existiert auch eine deutsche Ausgabe). 67 Importstaate vereinbart wird. W. Witschewskyx) bezeichnet die Autonomie des Zolltarifs als ein »Lieblingsprinzip« der russischen Zollpolitik und erklärt diese Vorliebe durch folgende Erwägungen: »Die Neigung, speziell Rußlands, im Vergleich zu anderen Staaten, für die zollpolitische Ungebundenheit läßt sich durch mancherlei Erwägungen ergründen. Dem dortigen Fiskus ist der Einfuhr- handel von jeher ähnlich einem Fels erschienen, aus welchem der Stab Arons, Zolldepartement genannt, unschwer neue Goldquellen hervorzuzaubern vermag. Bei einem solchen Auffrischungsmittel läßt man nicht gern den Mitverschluß eines anderen Staates zu, und je näher die Möglichkeit liegt, daß der Fiskus gerade bei den Zöllen sich Erholung sucht, desto unlieber muß die Sperrung des Zuganges zu diesem Goldborn empfunden werden. Daher ist die durch keine internationalen Verpflichtungen eingeschränkte Tariffreiheit für Staaten mit vielen fiskalischen Zöllen wichtiger als für solche Staaten, die eine Steigerung der Zollsätze in der Regel nur auf Grund reiflich erwogener protektionistischer Inter- essen eintreten zu lassen pflegen.« Die Handelsverträge, beson- ders mit Deutschland in den Jahren 1894 und 1904 haben der Regierung die Hände gebunden und hemmten das Wachstum des Zolls. Dessenungeachtet erscheint Rußland zurzeit als ein Staat mit den höchsten Zollsätzen. Im Verhältnis zum Wert der im- portierten Waren beträgt der Zoll* 2): In Holland............................0,4 °/o j> Belgien............................1,0 » » der Schweiz........................4,4 » » England............................4,9 » » Frankreich ........................8,4 » » Italien...........................10,5 » * Deutschland.......................14,3 • » den Vereinigten Staaten N. A. . 25,2 » » Rußland.........................33,o » Die gegenwärtigen äußerst hohen Zollsätze in Rußland bilden das Resultat der Zollpolitik der letzten 25 Jahre. In den sieb- ziger und sogar in der ersten Hälfte der achtziger Jahre war die Norm der Zollbesteuerung doppelt, sogar dreimal niedriger als die gegenwärtige: ') W. Witschewsky, Rußlands Handels-, Zoll- und Industriepolitik von Peter dem Großen bis auf die Gegenwart, 1905, S. 368. 2) Nach J. Scott Keltie, The Statesman’s Year-book for 1910. ÜBER DIE BEDINGUNGEN DER INDUSTRIELLEN ENTWICKLUNG RUSSLANDS SERGEJ jPROKOPOWITSCH i TÜBINGEN VERLAG VON J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK) 1913 Bei Guts- besitzern Bei Bauern Zusammen 3009543 16672 226 19681 769 *) 6031 456 26881 772 32913 228 9473 184 40170226 49643410 1880848 9489663 ii37°5n 15 102553 102 568 21111 41316 62427 737 450 I 187 Genauigkeit. Noch unzuverlässiger sind unsere Angaben betreffend Rentabilität der Viehzucht. Gemäß den Angaben des statistischen Zentralkomitees zählte man im Jahre 1900 in den 50 Gouverne- ments des europäischen Rußlands: Pferde................. Rindvieh............... Schafe, Hammel, Ziegen Schweine............... Hirsche................ Kamele................. Andere................. Gewerbliche Bedeutung haben nur die ersten vier Vieharten. Am meisten bestritten ist die Frage betreffend die Rentabilität der Pferdezucht. Es liegt auf der Hand, daß die Arbeit der Pferde beim Ackerbau in diese Tabelle nicht aufgenommen werden darf, da wir sie bei der Berechnung des Getreidewertes sowie derjenigen der handelsindustriellen Pflanzen in Betracht gezogen haben. Und was die Arbeit der Pferde als Zug- und Lasttiere anbelangt, so gehört diese zu den Einnahmen aus dem I'uhr- mannsgewerbe. Zu den Einnahmen aus der Pferdezucht gehört ausschließlich der Verkauf von Pferden in die Städte, in die Armee, nach dem Ausland sowie der Verkauf von Häuten. Ver- suchen wir nun die Einnahmen der Landwirtschaft aus dem Ver- kaufe von Pferden festzustellen. Nach den Angaben der Militärpferdezählungen machen die städtischen Pferde 2,75 °/o der Gesamtzahl aller Pferde aus. Ihre Zahl gleicht folglich 541249. Wir können ruhig annehmen, daß die Stadtbewohner alle diese Pferde von den Landwirten be- ziehen. Es wird zwar ein Teil der Pferde in den Städten selbst gezüchtet; aber anderseits sind nicht alle Pferde auf dem Lande in der Landwirtschaft tätig. Nach den Angaben der Allerunter- tänigsten Aufstellung des Kriegsministeriums pro 1900 zählte die Armee in jenem Jahre 148988 Pferde. Um festzustellen, welche Zahl von Pferden sich in den sechs Militärkreisen des europäischen Rußlands befindet, wollen wir die in der erwähnten Aufstellung ‘) Nach den Militärpferdezählungen von 1896, 1899/1900, 1904 waren die Pferde um 9 °/o stärker vertreten als nach den Berichten des statistischen Zentralkomitees. 84 Aus dieser Gesamtzahl haben eine technische Bildung genossen in den Hochschulen, in den Mittel- und Elementarschulen: Ausländer Russische Staatsbürger Aus dieser Aus dieser Zahl im Auslande im ganzen 38,8»/« 26,9 >> 4,2 0/0 2,8 » 40,0 °/o 29,1 » Höhere Beamte . . 13,7 °/° Untere Beamte . . 13,7 * Aus der Gesamtzahl der russischen Staatsbürger sind somit 86,3 °/o sowohl der unteren wie der höheren Beamten ohne jegliche technische Bildung. Unter diesen gibt es sogar Analphabeten und zwar nicht vereinzelt, sondern hundertweise. Es wurden Anal- phabeten gezählt unter den Höheren Beamten .... 97 Personen Unteren Beamten .... 265 » Diese Ziffern sprechen Bände und enthüllen eine der Haupt- wunden der russischen Industrie. Sie erklären einerseits, warum die russischen Fabrikanten den Schutz des Staates von der aus- ländischen Konkurrenz begehren; anderseits aber zeigen sie uns, warum dieser Schutz, der die Konsumenten so schwer belastet, so wenig die Entwicklung der russischen Industrie fördert. Und zuletzt zeigen sie noch, daß die Einfuhr technischer Kenntnisse aus dem Auslande für die russische Industrie vielleicht eine größere Bedeutung hat als die Heranziehung ausländischer Kapitalien. Das System des generellen Schutzes, das in den letzten drei Dezennien geherrscht hat, hat somit ein volles Fiasko erlitten. Die Erfahrung hat gezeigt, daß trotz aller Verlockungen das aus- ländische Kapital uns nur in geringem Umfange (etwa 55 Mil- lionen Rubel im Jahr) zuströmt, der die schweren Opfer der Bevölkerung gar nicht kompensieren kann. Je größer das Wachs- tum der heimischen Kapitalien ist — in den Jahren 1901—1904 waren es 209 Millionen Rubel im Jahre, in den Jahren 1905—1908 waren es schon 339 Millionen Rubel im Jahre, in den letzten drei Jahren überstieg es 750 Millionen Rubel —, desto geringer wird die Bedeutung des ausländischen Kapitals für die russische Volkswirtschaft. Diese zwei Momente — das Herabsinken der relativen Bedeutung des ausländischen Kapitals und der Mißerfolg des generellen Protektionismus — lassen in der nächsten Zukunft eine wesentliche Aenderung in unserer Zollpolitik erwarten. 68 Wert des Im- Zoll- Prozent der Jahre portes Mill. Rubel einnahme Mill. Rubel Steuerung 1866— O I- CO 317.8 47,4 i4,93 1871 — •1875 565,8 73,8 13,05 1876 — 1880 517,8 84,5 16,32 1881 — ■1885 494,3 96,9 19,60 1886— 1890 392,4 112,4 28,66 1891 — 1895 463,5 150,0 32,37 1896— 1900 607,3 212,4 34,97 1901 — •1905 632,2 231,1 36,56 1906— •1908 853,6 269,6 *) 3i,58b Diese Zahlen zeigen, daß das fiskalische Ziel unserer Zoll- politik in vollem Maße erreicht wurde. Indem das Finanzministe- rium die Zollsätze bis zu einer in anderen Ländern unerhörten Höhe aufschraubte, hat es aus den Zöllen eine sehr wichtige Stütze unseres Reichsbudgets gemacht. Um nun den Charakter unserer Zollpolitik noch klarer zu zeigen, wollen wir sehen, wie sich die Besteuerung verschiedener Gruppen von Importwaren entwickelte * 2): Jahre Lebens- mittel Rohstoffe und Halbfabrikate Fabrikate Prozent Prozent Prozent 1870 31,8 7,7 11,8 1875 25,6 7,9 12,6 1880 33,i n,7 16,6 1885 4i,i 13,8 24,9 1890 59,6 18,3 26,0 1895 63,9 24,5 24,1 1900 7L7 23,7 24,6 1905 73,4 25,6 22,3 1908 50,9 25,2 24,8 Betrachten wir diese Tabelle, so merken wir zunächst die nicht in Rußland produzierten Lebensmittel mit einem Zoll belegt sind, der um zwei- oder dreimal größer ist, als die auch in Rußland teilweise produzierten Fabrikate. Eine weitere hervor- ragende Besonderheit unserer Zollpolitik ist die gleiche Belastung für Fabrikate, Halbfabrikate und Rohstoffe. Diese beiden Merk- b Vom Jahre 1906 treten wir augenscheinlich wieder in ein Stadium des Wachstums der Zolleinnahmen bei einer Verminderung der Zollsätze (ähnlich wie in den Jahren 1852 —1875) ein. 2) Für die Jahre 1870—1900 nach den Angaben von E. Soboleff: »Die russische Zollpolitik in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts«, 1911, S. 821 bis 822. 25 Um die volkswirtschaftliche Bedeutung eines solchen gering- fügigen Einkommens pro Kopf der Bevölkerung würdig schätzen zu können, wollen wir einen Vergleich zwischen dem Einkommen eines Russen und demjenigen eines Ausländers anstellen. Nach Mulhall gleicht das letztere *) In Australien...........................374 Rubel » den Vereinigten Staaten..............346 » » England2)............................273 » » Frankreich...........................233 » » Deutschland.................... . 184 » » Oesterreich..........................127 » » Italien..............................104 » » Balkanstaaten........................101 » » Rußland...............................63 >> Wir sind die Aermsten unter den Kulturvölkern. Der Bulgare bzw. der Serbe hat I ^2mal so viel Einkommen wie der Russe, der Deutsche fast 3mal so viel, der Engländer 41/ämal, der Au- stralier 6mal. Wenn schon die Berechnung des Volks einkommens des europäischen Rußlands kaum überwindbare Schwierigkeiten bietet, so ist es bei dem gegenwärtigen Stand der Wirtschaftsstatistik völlig unmöglich, festzustellen, wie dieses Einkommen sich unter den verschiedenen Klassen der Bevölkerung verteilt. Wir besitzen nicht einmal annähernde Angaben in bezug auf die Größe dieser Klassen und ihre Einnahmen. Eine Ausnahme bildet nur der Bauernstand. Nach der Volkszählung von 1897 widmeten sich der Landwirt- schaft auf dem Lande (abzüglich der Privatgutbesitzer) 32787000 Per- sonen männlichen Geschlechts. Da innerhalb der Landbevölkerung auf je 100 Personen männlichen Geschlechts 108 solcher des weib- lichen entfallen, so lebten von der Landwirtschaft insgesamt 68 196960 Personen. Hierzu gehören noch diejenigen 960665 Per- sonen beiderlei Geschlechts, die sich in den Städten dem Landbau widmen. Zusammen also 69 157625 Personen beiderlei Geschlechts. Wie hoch ist nun das Einkommen dieser landwirtschaftlichen Be- völkerung? Nach den oben angeführten Berechnungen beträgt das Ein- kommen der Landwirtschaft in den 50 europäischen Gouverne- ments: ’) Ibid. S. 393 (unter Abzug der Einkommen der freien Berufe). 2) Inklusive Schottland und Irland. 66 metik hat eine Verdoppelung der Zollsätze manchmal eine Ver- doppelung, manchmal aber eine absolute Verminderung der Zoll- einnahmen zur Folge. Der Schutz der einheimischen Industrie setzt eine freie Einfuhr aller Rohstoffe voraus und eine Einschrän- kung des Imports von Fabrikaten, die der Reichskasse nur eine unbedeutende Einnahme gewähren könnte. Für die eine Gruppe von Waren ist somit ein hoher Zoll notwendig, für die andere gar keiner. Schließlich führt der Wunsch, eine vorteilhafte Handels- bilanz zu erzielen, zu einem fast gänzlichen Verbot des Imports, nicht nur der Fabrikate, sondern auch der Rohstoffe. Unsere Zoll- politik stellt einen Kompromiß dieser drei Tendenzen dar, wobei die fiskalischen Aufgaben sichtlich vorherrschen. Als eine der bequemsten Arten der indirekten Besteuerung müssen die Zölle parallel mit dem Wachstum der Steuerbelastung wachsen. Je größer die Steuerlast in einem Lande ist, desto höher sind die Zölle. Die Regelmäßigkeit dieser Wechselbeziehung wird durch den Charakter der Handelspolitik verschiedener Staaten durchbrochen, indem die einen Länder im Interesse ihrer Industrie dem Protektionismus, die anderen der Handelsfreiheit huldigen. Während der letzten 40 Jahre hat sich in Rußland die Zollein- nahme zuerst schneller als die anderen Formen der Besteuerung entwickelt, später aber glich sich das Verhältnis aus: Reicheinnahmen Zoll- In Prozent Jahre insgesamt Mill. Rubel einnahmen Mill. Rubel 1870 461 40,6 8,8 1875 567 62,0 10,9 1880 625 94,7 D,2 LO 00 00 699 94,8 13,6 :89c) 838 141,2 16,8 189s 1038 178,6 17,2 1900 1225 204,0 16,7 1905 1307 212,8 16,3 1909 1620 274,3 16,9 Man sieht: bis zum Jahre 1895 wuchsen die Zolleinnahmen rascher als die anderen Reichseinnahmen; von diesem Jahre an nimmt ihr Steigen allmählich ab und geht parallel dem allge- meinen Zuwachs der Besteuerung. Dieser Umschwung in der Ent- wicklung der Zollbesteuerung erklärt sich durch den erzwungenen Uebergang Rußlands (in den Jahren 1893—1894) vom autonomen Tarif zum Konventionalsystem, bei welchem der Zoll mit dem Jahre Stammkapital der russi- schen A.-G. Mill. Rubel 42 — Kon- zessioniert Ausländische A.-G. Fehlen Stammkapital Angaben Mill. Rubel 1905 99,7 n — 37,5 1906 127,3 6 — 4,2 1907 192,6 16 — 40,4 1908 i54,i 18 — ■5,4 1909 99,5 14 — 10,6 Die Zahlen der ersten Rubrik ergeben zweifellos eine über- triebene Vorstellung von dem Zustrom des Kapitals in die rus- sische Industrie, da dieselbe nicht nur die Kapitalien, welche von neuem der Industrie zufließen, sondern auch die alten, die nun- mehr die Form von Aktien angenommen haben, enthalten. Wie bekannt, haben im Laufe der letzten Dezennien viele alten Einzel- firmen die Form von Aktiengesellschaften angenommen. Unsere Statistik erlaubt uns nicht, diese alten Kapitalien, die eine neue ge- sellschaftliche Form angenommen haben, von den neu geschaffenen Kapitalien, die der Industrie zufließen, auszusondern. Dieser Fehler kompensiert sich übrigens durch eine entsprechend geringere Be- rechnung des Kapitalwachstums in den individuellen (die einer Person gehören) Betrieben. Außerdem sind in der ersten Rubrik nur diejenigen ausländischen Kapitalien berechnet, die in russischen Aktiengesellschaften angelegt sind (d. h. in solchen, deren Verwal- tung sich in Rußland befindet). Die Ziffern der ersten und vierten Rubrik zeigen endlich die Größe der zugelassenen Kapitalien, aber keineswegs die de facto in der Industrie angelegten. Ueber die letzteren finden wir die Angaben in den Bilanzen der Aktiengesellschaften, die im Jahrbuch des Finanzministeriums abgedruckt werden (ohne Eisenbahngesellschaften): Vom Staate Stammkapital der A.-G. Tatsächlicher Zuwachs zugelassene Vermehrung Mill. Rubel Mill. Rubel Mill. Rubel 1893 675,4 46,7 72,4 1894 722,1 24,2 60,s 1895 746,3 226,7 134,7 1896 973,o 163,9 272,6 1897 1136,9 140,3 271,6 1898 1277,2 322,9 326,0 1899 1600,1 i3i,5 524,4 1900 1731,6 i59,5 3?4,9 — 60 — Wertpapiere, die früher auf dem russischen Markte placiert war, nunmehr nach dem Auslande übersiedelte. Daher floß zu uns eine Menge Gold, die die Einführung einer Goldwährung ermög- lichte. Zur gleichen Zeit kamen die früheren Inhaber der Reichs- fonds zu barem Gelde, das sie sehr gut für die Industrie ver- wenden konnten. Die russische Industrieentwicklung rief auch einen Zuzug ausländischen Kapitals herbei. Der Hauptbestandteil des Kapitals aber kam aus dem Auslande in die russische Industrie nicht auf direktem, sondern auf indirektem Wege, durch die zins- tragenden Wertpapiere. Daraus können wir ersehen, daß das freie Kapital an den westeuropäischen Märkten allein noch nicht imstande wäre, einen Aufschwung der Industrie in Rußland hervorzurufen. Die aus- wärtigen Kapitalisten haben kein Vertrauen zu der russischen Industrie und placieren ihr Kapital hier nur ungern. Um dieses Hindernis aus der Welt zu schaffen, ist die Garantie des Reiches, die Vermittlung der Reichskrone notwendig. Die Vereinigung dieser zwei Bedingungen — Ueberfluß an freiem Gelde in West- europa und die Vermittlung des Staates — bietet uns eine Garantie für den Progreß der Industrie; fehlt eine dieser Bedingungen, so verliert unsere Industrie den unentbehrlichen Lebenssaft. Der industrielle Aufschwung auf dem Weltmärkte (in den Jahren 1905 bis 1907) hat keine entsprechende Wirkung auf den Stand der russischen Industrie ausgeübt, weil die Regierung, geschwächt durch den russisch-japanischen Krieg und die revolutionäre Bewegung der Jahre 1905/1906, nicht die Rolle eines Vermittlers zwischen den Finanzkreisen des Auslandes und den russischen Industriellen übernehmen konnte. Die Ursache liegt also nicht darin, daß das ausländische Kapital wegen der Labilität unserer politischen Ver- hältnisse Rußland zu vermeiden sucht oder, wie es Tugan-Bara- nowsky *) meint, daß sogar diejenigen spärlichen Summen, die sich in Rußland befanden, unter dem Einfluß der Revolution nach dem Ausland ausgewandert haben. Wie die oben angeführten Daten zeigen, scheute das ausländische Kapital gar nicht so stark vor der russischen Industrie. Der Zufluß des auswärtigen Kapi- tals glich nämlich; Der Zustand unserer Industrie im letzten Jahrzehnt und die Ansichten auf die Zukunft, • Sowremennyj Mir«, 1910, XII, S. 40, 47; Grundzüge der Nationalökonomie, 1909, S. 242—243 (russisch). 17 Wenn jeder dieser Arbeiter einen Wert von 428,2 Rubel pro- duziert, so erhalten wir eine Gesamtsumme von 1813427 Rubel. Der Reinertrag der Bergwerkindustrie macht folglich 249044000 Rubel aus. Ueber die Fabrikindustrie haben wir sehr genaue Daten in der Untersuchung von W. E. Warsar, » Statistische Daten betreffend die akzisefreien Fabriken und Werke im Jahre 1900«. Danach findet die Produktivität der in 1 den 50 Gouvernements Rußlands tätigen Fabriken und Werke ihren Ausdruck in der folgenden Tabelle: Allgemeiner Rein- Zahl der Wert ertrag') Arbeiter Tausend Tausend Rubel Rubel Bearbeitung der Baumwolle . . 323 477 451338,2 95 436,7 » » Wolle .... 90259 102 299,9 26581,7 » » Seide .... 20 132 26603,5 8067,2 » des Flachses, Hanfes und der Jute 59555 55514,4 15662,6 Bearbeitung gemischten Zeugs und Faserprodukte 10694 19777,9 6541,6 Herstellung des Papiers .... 58410 69639,4 28252,1 Bearbeitung des Holzes .... 64 614 87062,6 27 127,4 » der Metalle . . . 199389 305359,3 103524,1 » » Mineralien . . 110533 70505,7 38893,5 » » Tierprodukte 40911 95 443,1 16677,3 » » Nahrungsmittel . 65 260 338913,6 43399,5 Chemische Produktion .... 26255 78976,6 20 099,0 Zusammen 1 069 489' 1 701 434,2 430262,7 Die Produktivität eines Arbeiters hat folglich einen Wert von 402 Rubel und 30 Kopeken. Nach der Bilanzaufstellung der habrikinspektoren für das Jahr 1900 arbeiteten Mitte jenes Jahres in Fabriken und Werken, die der Fabrikinspektion unterworfen sind, 1453488 Arbeiter. Flievon sind abzuziehen 194623 Arbeiter, die in Betrieben, die mit Akzise belegt sind, beschäftigt wurden. In den akzisefreien Fabriken und Werkstätten arbeiteten folglich 1258865 Mann. Die Gesamtproduktion der Fabriken-und Werke repräsentiert einen Wert von 506441000 Rubel. Weniger befriedigend sind unsere Daten, die wir über die mit Akzise belegten Betriebe besitzen. Berechnen wir die Produkte ’) Unter Abzug der Rohmaterialien, Heizungs-, Beleuchtungs- und Re- paraturkosten. Arch. f. Sozialwissensch. u. Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch. 2 74 land »kein selbständiges Ziel der Wirtschaftspolitik sei, sondern eher ein Nebenprodukt der fiskalischen Bestrebungen der Regierung«1). Dies ist nicht ganz richtig. Die russische Zollpolitik ist gewiß von den fiskalischen Interessen der Regierung beherrscht. Trotz- dem ist es nicht zu leugnen, daß diese Politik auch ganz be- stimmte protektionistische Ziele verfolgte und daß der Protektio- nismus eine selbständige Rolle in der russischen Zollpolitik spielte. Folgende Tabelle veranschaulicht den Entwicklungsgang des Zoll- protektionismus in Rußland und die Veränderung, die die Norm der Zollbelastung in den Jahren 1870—1908 erfahren hat: Rohstoffe Jahre und Halb- fabrikate Fabrikate Differenz Prozent Prozent Prozent 1870 7,7 11,8 4,1 1875 7,9 12,6 4,7 1880 ”,7 16,6 4,9 1885 13,8 24,9 11,1 1890 18,3 26,0 7,7 189S 24,5 24,1 - 0,4 1900 23,7 24,6 0,9 1905 25,6 22,3 -3,3 1908 25,2 24,8 -0,4 Analysieren wir die Aenderung der Zollsätze auf Fabrikate, so finden wir, daß in den siebziger und besonders in den achtziger Jahren diese Sätze sehr rasch in die Höhe gingen, von da an bleiben sie fast auf demselben Niveau stehen. Der Zoll auf Roh- stoffe und Halbfabrikate dagegen, der in den siebziger und acht- ziger Jahren eine rasche Steigerung erfuhr, wuchs auch weiter und erreichte im Jahre 1895 das Niveau, auf welchem sich die Ver- zollung der Fabrikate befindet; seit da bleibt er stationär. Die Differenz zwischen der Belastung der Fabrikate und derjenigen der Rohstoffe, die vom Jahre 1870 an unaufhörlich stieg und im Jahre 1887 eine Maximalgrenze (15,40/0) erreichte, sank dann im Jahre 1894 bis auf 1,4°/o und ergab schließlich im Jahre 1898 ein umgekehrtes Maximum von —,6°/o. Der Handelsvertrag mit Deutsch- land vom Jahre 1894 spielte somit die Rolle eines Wendepunktes in unserer Schutzpolitik. Bis zu diesem Jahre wurde hauptsächlich die Produktion der Fabrikate, nach diesem Jahre die Gewinnung '' Ibid. S. 694. 9 binaJ) verbrauchen die Bauern des Gouvernements Woronesch jährlich pro Kopf 9 Pfund Fleisch. In Petersburg betrug im Jahre 1900 die Konsumtion des Fleisches 156,7 Pfund pro Kopf. Der Fleischkonsum der Bevölkerung des europäischen Rußlands (die Zahl der Bevölkerung nach der Volkszählung vom Jahre 1897) beträgt also: In den Städten . . , 47203000 Pud Auf dem Lande . . . 18314000 » Im ganzen 65517000 Pud Der Fleischkonsum in Petersburg übersteigt zweifellos die Durchschnittsnorm. Nicht nur die Bezirks-, sondern auch die Gouvernementsstädte konsumieren pro Kopf bedeutend weniger Fleisch als Petersburg. Aus diesem Grunde muß der tatsächliche Fleischkonsum viel geringer sein als nach den ermittelten Durch- schnittszahlen. Wenn wir nun die zweite Berechnungsart aufstellen, können wir konstatieren, daß das europäische Rußland insgesamt 32913228 Stück Rindvieh aufweist, und zwar ca. 18 Millionen Stück des gewöhnlichen kleinen und ca. 15 Millionen vom großen (»Tscherkasser«) Rindvieh. Im St. Petersburger Schlachthause wiegt ein geschlachteter »Tscherkasser« im Durchschnitt 15, ein Nichttscherkasser 7 Pud. Gewöhnlich wird jährlich 1fe — x/s der Herde zum Schlachten bestimmt. Nach diesen Angaben können wir berechnen, daß die jährliche Fleischproduktion etwa 50 Mil- lionen Pud beträgt. Diese Zahl ist kleiner der vorher gefundenen und anscheinend der Wahrheit eher entsprechend. In den Jahren 1891 —1900 war der Durchschnittspreis eines Puds Fleisch 2,60 Ru- bel. Die gesamte Fleischproduktion repräsentiert somit einen Wert von 130 Millionen Rubel. Die Gesamtzahl der jährlich produzierten Häute (von Pferden und Rindvieh) sind wir imstande nur auf indirektem Wege fest- zustellen. Nach den Angaben von W. E. Warsar2) waren mit der Bearbeitung von bläuten in den größeren Gerbereien 21457 Ar- beiter beschäftigt, die insgesamt für 24913 500 Rubel bläute be- arbeiten. Jeder Arbeiter bearbeitete folglich für 1161 Rubel. Nach der Volkszählung von 1897 waren in der Gerbereiindustrie insge- samt 38978 Personen beschäftigt. Nehmen wir an, daß sowohl in den großen, wie auch in den kleinen Gerbereien die Arbeits- produktivität die gleiche ist, so bekommen wir, daß in allen Gerbe- 1) Bauernbudgets. Ausgabe der Freien ökonomischen Gesellschaft, 1900. 2) Statistische Berichte betreffend Fabriken und Werkstätten im Jahre 1900. fällt, so erhalten wir die folgende Verteilung des Volkseinkommens im europäischen Rußland: Für die materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung . . 4760 Millionen Rubel n » Bedürfnisse der Reichsverwaltung................1200 » » Kapitalakkumulation..................................165 » » Wir ersehen daraus, daß eine übermäßige Steuerbelastung uns zunächst in der Gegenwart ruiniert; verhindert aber anderseits auch unser materielles Fortkommen in der Zukunft. Das unaufhörliche und übermäßige Wachstum der Steuern hat die ökonomische Schwäche des Landes zur Folge, verlangsamt sein wirtschaftliches Gedeihen und die Macht seiner ökonomischen Entwicklung. Seit dem Jahre 1870 hatte Rußland folgende Reichseinnahmen zu verzeichnen: Im Jahre 1870 461 Millionen Rubel 0 o~ O O » 1875 567 » » 123 » » » 1880 625 » » 136 » » » 1885 699 » 152 » » » 1890 838 A » 182 » » 1895 1038 » » 225 » » 1900 1225 » » 266 » » » 1905 1307 » » 284 D » 1909 1620 » » 351 » Innerhalb 39 Jahren vergrößerte sich die Steuerbelastun: 3^2mal. Vergleichen wir das Wachstum der Steuerbelastung mit der Entwicklung des Handelsverkehrs im Reiche! Der Warenhandel (mit Ausnahme der Getränke) betrug: Jahre Im ganzen In Prozent 1885 2111,3 Millionen Rubel 100 1890 2731,9 » 129 1895 , 3301,6 >. » V6 1898 3701,9 » » i75 Der Vergleich dieser Tabelle mit der vorangegangenen zeigt, daß die Reichseinnahmen sich parallel mit der Geld Wirtschaft ent- wickelt haben. Während der letzten Dezennien machte Rußland große Fortschritte auf dem Gebiete der kapitalistischen Produktion sowie des Warenhandels. Fast ebenso rasch wuchs die Steuerlast und überholte somit die Entwicklung der Produktionskräfte des Reiches. Die Uebermäßigkeit der Steuerbelastung wurde mehrere Male von den Leitern unserer Finanzen offen anerkannt. So hat 64 » betriebe und schließlich die Vermittlungsrolle der Regierung bei der Heranziehung der ausländischen Kapitalien — alles dies mußte angesichts der allgemeinen Schwäche der ökonomischen Kräfte Rußlands der Regierung einen überwiegenden und bestimmenden Einfluß sowohl auf das industrielle Leben wie auf die Tätigkeit des Volkes überhaupt verleihen. Jetzt, wo die kapitalbildende Fähigkeit des Landes sich vergrößerte, muß die Bedeutung des ausländischen Kapitals ziemlich stark herabsinken. Der allgemeine Aufschwung der industriellen Tätigkeit muß eine Herabminderung der Bedeutung, die die Regierung als Produzent und Konsument der Industriewaren austibte, zur Folge haben. Das rasche Wachs- tum des Kapitals, das wir im letzten Jahrzehnt beobachten, zeigt uns somit in der Zukunft eine Befreiung der russischen Industrie von der Vormundschaft der Regierung. Diese Befreiung wird notwendigerweise tiefgehende Veränderungen in unserem wirt- schaftlichen Leben und speziell in der Zollpolitik herbeiführen müssen. — 7 o — Prozent der Wert des Handels- Jahre Zollabgaben Imports bilanz Milk Rubel Milk Rubel Milk Rubel 1891 — 1895 32,37 463,5 158,0 1896—1900 34,97 607,3 90,9 1901—1905 36,56 632,2 309,2 1906 — 1908 31,58 853,6 i95d Unter dem Einfluß der raschen Erhöhung der Zollsätze in den Jahren 1875—1890 nahm der Import bedeutend ab; aus einer negativen wandelte sich die Handelsbilanz in eine positive um, jedes Jahrfünf warf immer größere Summen ab, die am Ende der achtziger Jahre ihren Kulminationspunkt erreicht haben. Seit dem Anfang der neunziger Jahre tritt in unserem Außenhandel wieder eine Wendung ein; die Zollbelastung wächst viel langsamer als in den vorangegangenen Jahren, der Import vergrößert sich, während die Handelsbilanz Schwankungen aufweist. Durchschnittlich ergibt sie im Laufe der nächsten 18 Jahre um 50 Millionen Rubel weniger als in den Jahren 1886—1890. Dies ist diejenige Periode, wo wir die Defizite unserer Zahlungsbilanz wiederum mit aus- wärtigen Anleihen gedeckt haben. Bei einem geringen Zufluß von auswärtigen Kapitalien in den Jahren 1876—1890 war die Erhal- tung einer günstigen Handelsbilanz ein ebenso wichtiges Ziel als die Erreichung eines Maximums der Zolleinnahmen. Zur Erlangung dieses Zieles mußte man zu solchen außerordentlichen Mitteln greifen, wie die Erhöhung der gesamten Zollsätze: Im Jahre um 1876 48°/« 1880 10 „ 1885 20 » (für die meisten Artikel) Durch diese Maßnahmen wollte man den Import einschränken, um auf diese Weise eine günstige Handelsbilanz herzustellen, die imstande wäre, die Zinsen für unsere auswärtigen Anleihen zu sichern J). Wie rasch Rußlands auswärtige Verpflichtungen wuchsen, zeigt am besten folgende Aufstellung unserer Zahlungen nach Aus- land (in gegenwärtiger Währung): Im Jahre 1866 37 Millionen Rubel* 2) » »1875 100 ' » » 3) *) Soboleff, 1. c. S. 420, 422, 478—479, 486—488, 692—694. 2) Nach den Angaben des Finanzministers Reitern, zitiert bei Soboleff, 1. c. S. 420. 3) I. Wyschnegradsky, Internationale Abrechnungsbilanz Rußlands, 1895. Seit i. Januar 1911 erscheinen Ergänzungshefte zum „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“. Der Anlaß zur Herausgabe der Ergänzungshefte war ein doppelter : 1. wurden dem »Archiv« von Zeit zu Zeit wertvolle Arbeiten angeboten, deren Veröffentlichung infolge ihres Umfangs innerhalb des Rahmens des »Archivs« aus- geschlossen war. Für diese soll in den »Ergänzungsheften« die Möglichkeit der Veröffentlichung geboten werden ; 2. haben mehrfach einige der wertvollsten Beiträge, die im »Archiv« zum Ab- druck gelangt sind, den Umfang eines Zeitschriftenartikels so stark überschritten, daß auch nach dieser Hinsicht eine Entlastung des »Archivs« notwendig erschien. Die »Ergänzungshefte« erscheinen in zwangloser Reihenfolge und sind einzeln käuflich. An die Abonnenten des »Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« oder bei Subskription auf alle erscheinenden »Ergänzungshefte« werden sie jedoch zu einem ermäßigten Abonnementspreis geliefert. Bis jetzt liegen vor: 1. Dr. Eugen Kaufmann in Heidelberg, Das franzö- sische Bankwesen mit besonderer Berücksichtigung der drei Depositengroßbanken. Einzelpreis M. 8.—. Subskr.-Preis M. 7.—. 2. Dr. Paul Arthur Söhner in Karlshorst b. Berlin, Die private Volksversicherung. Ihr Wesen und ihr Wert und die wichtigsten Reformbestrebungen. Einzelpreis M. 4.—. Subskr.-Preis M. 3.—. 3. Dr. Ida Kisker in Halle i. Westf., Die Frauenarbeit in den Kontoren einer Großstadt. Eine Studie über die Leipziger Kontoristinnen. Mit einem Anhang über die Berufsvereine der Handlungsgehilfinnen. Einzelpreis M. 4.—. Subskr.-Preis M. 3.—. 4. Louis Roth in New-York, Die Wohnungsfrage der minderbemittelten Klassen in New-York. Einzelpreis M. 3.—. Subskr.-Preis M. 2.—. 5. Dr. Arthur Löwenstein in Berlin, Geschichte des württembergischen Kreditbankwesens und seiner Beziehungen zu Handel und Industrie. Einzelpreis M. 6.—. Subskr.-Preis M. 5-—• 6. Dr. Leonore Seutter in Leipzig, Die Gefängnisarbeit in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung der Frauengefängnisse. Einzelpreis M. 6.—. Subskr.-Preis M. 5. —. 7. Dr. Edgar Landauer in Braunschweig, Handel und Produktion in der Baumwollindustrie. Einzelpreis M. 5-6°- Subskr.-Preis M. 4.60. 8. Dr. Lisa Ross, Weibliche Dienstboten und Dienstboten- haltung in England. Mit einer Kurve. Einzelpreis M. 3.—. Subskr.-Preis M. 2.40. 1). Dr. Werner Picht, Toynbee Hall und die englische Settlementsbewegung. Einzelpreis M. 6.—. Subskr.-Preis M. 5-—• IO. Sergej Prokopowitsch, Ueber die Bedingungen der industriellen Entwicklung Rußlands. Einzelpreis M. 3.—. Subskr.-Preis M. 2.40. Summe all dieser Privatinteressen keineswegs mit dem Interesse der Volkswirtschaft identisch ist. Was der Produzent gewinnt, verliert der Konsument, und ein einseitiger Schutz der Produ- zenteninteressen führt zu einer solchen Verteilung des National- einkommens, die nicht nur deshalb zu verwerfen ist, weil sie die Interessen der arbeitenden Massen beeinträchtigt, sondern auch, weil sie einen schädlichen Einfluß auf die Entwicklung der Pro- duktivkräfte des Reiches ausübt. Eine Unterstellung, wonach die Interessen der Volkswirtschaft mit denjenigen der Unternehmer- klasse zusammenfallen, wird momentan in sehr großem Umfange getrieben. Die Einführung eines Schutzzolles erfordert deshalb eine besondere Vorsicht. Eine Vorsicht ist hier um so mehr am Platze als neben diesen gefährlichen Maßnahmen noch andere exi- stieren, die ohne jegliche Gefahr das Ziel erreichen. Als solche dienen alle Maßnahmen, die die Einrichtung eines Industriebetriebes erleichtern, die den industriellen und kommerziellen Kredit organi- sieren, die den technischen und kommerziellen Unterricht fördern, die den persönlichen Verkehr der Gewerbetreibenden erleichtern (Eisenbahn, Post), die die nationalen Einschränkungen aufheben usw. Der bekannte Fachmann auf dem Gebiete der Tarifpolitik, I. Kolessow, hat schon längst vollkommen richtig bemerkt, daß in Rußland »eine Gewohnheit sich eingebürgert hat, vom Tarif allerlei Wohltaten für die Industrie zu erwarten und dabei nichts zu tun, um die Mindernisse wegzuräumen, auf die das heimische Gewerbe auf Schritt und Tritt stößt. . . . Hätte man zu den kaukasischen Berg- werken Kleinbahnen durchgeführt, so wäre es vielleicht möglich, daß Rußland seinen Kupferbedarf selbständig zu decken vermöchte 1). Wieviel es noch nach dieser Richtung hin bei uns zu tun übrig bleibt, kann man z. B. danach beurteilen, wie es mit der Bildung der Angestellten in den Industriebetrieben steht, die der Aufsicht der Fabrikinspektoren unterstellt sind. Nach einer Enquete, die Ende 1903 unternommen wurde, war die Zahl der höheren und unteren Beamten 2): Russische Staatsbürger Ausländer Prozent Gesamt- Prozent summe Gesamt- summe Höhere Beamte . Untere Beamte . ■5oi3 9U3 14330 83,4 1421 8,7 2855 16,6 ’) I. Kolessow, Rußlands Zollpolitik der letzten Zeit, 1890, S. 5 (russisch). 2) Sostaw slusastschych w promyschlennych sawedeniach w otnoschenii poddanstwa, jasyka i obrasowatelnawo censa, 1904, S. 2—3, 13, 24—26. 40 — Zum t. Januar Staats- eisenbahn Privatbahnen ,, . Obli- Aktien gationen Staats- porte- feuille “) Realisation auf dem Markte 1893 708,9 472,7 •499,5 673,0 826,5 1894 900,5 401,5 •538,8 532,8 1006,0 1895 1705,9 210,4 1255,2 449,8 805,4 1896 2102,9 156,3 994,7 449,7 545,o 1897 2203,9 •34,5 1046,7 449,2 597,5 1898 2222,9 122,2 1128,5 152,6 975,9 1899 2i73d 116,9 • 277,3 •5i,9 1125,4 1900 2173,1 116,9 1370,6 •5i,3 1219,3 1901 2485,2 ii3,7 1266,5 150,6 •H5,9 1902 2520,5 • 15,8 •365,3 •49,9 1215,4 1903 2645,6 115,8 1365,3 •34,5 1230,8 1904 2664,5 116,1 1507,6 445,5 1062,1 190S 2664,0 ••5,8 •554,i 482,5 1071,6 1906 2695,9 • •5,8 1522,1 481,0 1041,1 1907 2695,9 ••5,8 1568,9 479,5 1089,4 1908 2695,9 124,0 1618,3 478,i 1040,2 1909 2695,9 124,0 1657,2 405,3 •251,9 infolge der Jagd nachdem ausländischen Gelde, wie i : 13. Gewiß ist ein Teil der Eisenbahnobligationen in Rußland plaziert und ein Teil der Aktien im Auslande; wir besitzen aber absolut keine Anhaltspunkte, um diese Größe zu bestimmen. Jedenfalls sind sie nicht bedeutend und nehmen wir an, daß alle Eisenbahnaktien in Rußland und alle Obligationen im Auslande plaziert sind, so machen wir einen geringfügigen Fehler, der für die Richtigkeit unserer Schlußfolgerungen unbedeutend ist. Die nötigen Angaben über die Zahl der vom Staate konzes- sionierten Aktiengesellschaften, ihre Grundkapitalien und die Ver- größerung oder Verminderung der letzteren finden wir in den »Sammlungen der gesetzlichen Bestimmungen und Regierungs- verordnungen« für die entsprechenden Jahre. In bezug auf aus- ländische Gesellschaften, deren Sitz sich außerhalb Rußlands be- findet, sowie ihre Stammkapitalien wurden bis zum Jahre 1905 keine Angaben veröffentlicht. Daher mußten wir die Angaben über die vorhergehenden Jahre (1893—1904) aus anderen Quellen2) *) Obligationen, die vom Staate übernommen und durch konsolidierte Anleihen realisiert wurden; die Zahlen sind den Berichten der Staatskontrolle betreffend die Budgeterfüllung entnommen. 2) Bulletin russe de statistique finaneiere et de legislation, 1898—1901. W. Dmitrieff-Mamonoff, Verzeichnis der in Rußland existierenden Aktien- 27 treffend den wirtschaftlichen Niedergang Zentralrußlands, — ins- gesamt also ioo Millionen Rubel). Im ganzen erhalten die Guts- besitzer vom Boden 376 Millionen Rubel. Für den Viehbestand haben wir folgende Ziffern des statisti- schen Zentralkomitees, die sich auf das Jahr 1900 beziehen: Gutbesitzer Pferde..........................3009543 Rindvieh........................6031456 Schafe, Hammel und Ziegen . 9473184 Schweine.................... 1 880 848 Bauern 16672 226 26881 772 40170226 9489663 Zusammen 19681769 32913228 49643410 11370511 Das übermäßige Aufpflügen des Nadjel- (Anteil-) Landes er- schwert den Bauern die Viehzucht; es mangelt bei ihnen an Weide- plätzen im Sommer und an Heu im Winter. Das bäuerliche Vieh leidet deshalb immer an Hunger. Bei den Gutsbesitzern dagegen, wo der Prozentsatz des aufgepflügten Grund und Bodens verhält- nismäßig gering ist, gedeiht die Viehzucht besser. Wir können ruhig annehmen, daß die Rentabilität der Viehzucht bei den Guts- besitzern um 50 °/o höher ist als bei den Bauern. Dann erhalten wir, daß das Einkommen der Gutsbesitzer von der Viehzucht 190 Millionen Rubel ausmachen muß. Nehmen wir an, daß das Heu und Stroh, das von der Armee und den Städten aufgekauft wird, von den Gutsbesitzern herstammt, und 15 °/o des Gesamt- ertrages vom Garten-, Wein- und Gemüsebau ebenfalls auf den Gutsbesitz entfällt, so müssen wir den Gutsbesitzern noch weitere 43 Millionen Einnahmen hinzurechnen. Von der Totaleinnahme der Gutsbesitzer muß man 200 Millionen Arbeitslohn abziehen, das die Bauern und Knechte für den Ackerbau, für die Heuernte, Vieh- pflege, Garten- und Weinbergarbeiten erhalten. Somit verteilt sich das Einkommen aus der Landwirtschaft zwischen den Bauern und Gutsbesitzern folgendermaßen: Bauern Ackerbau.............................. 1567000000 Pacht...................................—100000000 Viehzucht............................... 572000000 Andere Zweige der Landwirtschaft . . 90000000 Arbeitslohn............................. 200000000 Zusammen 2329000000 Gutsbesitzer 276000000 100000000 190000000 43 000000 — 200000000 409000000 Da die bäuerliche Bevölkerung 69157625 Personen zählt, so entfällt auf jeden Bauer ein Jahreseinkommen von 33,68 Rubel. Diese Berechnung hat nur einen hypothetischen Wert. Sie basiert auf Annahmen, die zwar durch das uns zur Verfügung Um die Einnahmen aus der Schweinezucht festzustellen, wollen wir die Angaben betreffend Produktion und Konsum des Schweinefleisches benutzen. Im Gouvernement VVoronesch gleicht, nach den Angaben von Schtjerbina, der Schweinefleischkonsum 12,6 Pfund pro Kopf. In Petersburg im Jahre 1900 30,6 Pfund pro Kopf. Nehmen wir an, daß die Einwohnerzahl der Städte und Bezirke (abzüglich der Juden und Mohammedaner, die kein Schweinefleisch gebrauchen) gleich derjenigen der Volkszählung von 1897 ist, und setzen wir den Konsum auf dem Lande dem- jenigen der Woronescher Bauern gleich und den Konsum der Städte demjenigen von Petersburg gleich, so erhalten wir eine Ziffer des Gesamtkonsums des Schweinefleisches gleich 3165b653 Pud. Die Gesamtzahl der Schweine in den 50 Gouvernements beträgt 11370511 Stück. Jährlich wird zirka die Hälfte aller Schweine geschlachtet. Das Gewicht eines ausgeweideten Schweines machte im Jahre 1900 im Petersburger Schlachthause 5,5 Pud aus. Multi- plizieren wir diese Zahl, dann erhalten wir, daß die Gesamtpro- duktion des Schweinefleisches 31268908 Pud beträgt. Somit sind die Zahlen der Produktion und Konsumtion des Schweinefleisches fast gleich. Nehmen wir als Durchschnittszahl 31,5 Millionen Pud zum Preise von 3,31 Rubel (in den Jahren 1897—1900) an, dann erhalten wir eine Bruttoeinnahme aus der Schweinefleischproduk- tion von 104 Millionen Rubel. Von einem Schweine erhält man 1J/4 Pfund Schweinsborsten, somit von allen Schweinen 177664 Pud. Der Preis der im Jahre 1900 nach dem Auslande exportierten Schweinsborste betrug 41,6 Rubel pro Pud. Folglich gleicht das Einkommen aus der Schweinsborste 7391000 Rubel. Die Schweine- zucht wirft somit im ganzen 111 391000 Rubel ab. Das Einkommen aus der Produktion des Schweinefetts zogen wir nicht in Betracht, weil zu dessen Produktion intensive Fütte- rungsmittel, Mehl und Kartoffel, gehören. Sollten wir dies tun wollen, so müßten wir die Ausgaben für Mehl und Kartoffel, welche als Schweinefutter verwendet werden, berücksichtigen. Wir glauben keinen großen Fehler zu begehen, wenn wir die Kosten der inten- siven Fütterungsmittel dem Werte des erzielten Fettes gleichsetzen. Wir sehen auch von der Vogelzucht ab, da deren Einnahmen (Vogelfleisch, Eier) kaum die notwendigen Ausgaben für das Futter der Vögel übersteigen. Der Ertrag der Viehzucht ist somit folgender: ;6 teile gewährt. Auf diesem Wege, d. h. durch die Heranziehung ausländischer Kapitalien, haben ihre industrielle Macht alle nun- mehr ökonomisch fortgeschrittene Länder — England, Deutschland, Nordamerika -— geschaffen« 1). Eine ähnliche Betrachtung finden wir auch bei Herrn M. M. Fedorow, den früheren Minister für Handel und Industrie: »Daß die Heranziehung ausländischer Kapi- talien,« sagt Herr Fedorow, »immer und überall, nicht nur bei uns, ein Ziel der Zollschutzpolitik ist, ergibt sich schon daraus, daß eine solche Politik nur in den jungen Ländern, die ihre eigenen Kapitalien nicht besitzen, erforderlich ist und dort einen Sinn hat. Zu diesem Zwecke schafft das Land selbst eine Prämie in der Gestalt eines hohen Tarifsatzes; es entschließt sich folglich, Opfer zu tragen, denn das Land wird genötigt, die heimischen, zunächst vielleicht schlechteren, Produkte teurer zu bezahlen. Aber das alles wird getan natürlich nur in der Ueberzeugung, daß diese Prämie das ausländische Kapital heranziehen und die Gründung von technisch gut bedienten Betrieben ermöglichen wird. Hätte man das nicht im Auge, so wäre die ganze Zollschutzpolitik eine Ab- surdität und sie hätte nie und nirgends das Ziel erreicht (was aber durchaus nicht der Fall ist). In der Tat, in diesem Falle hätte der intensive Schutz nur den Erfolg gehabt, daß das heimische Kapital von einem Produktionszweig zum anderen überginge ohne jeglichen Nutzen für das Reich. Man muß somit unbestreitbar an- erkennen, daß eines der Hauptziele der Zollpolitik die Heranziehung des ausländischen Kapitals sei, da nur unter dieser Bedingung das Endziel der Schutzpolitik — die Entwicklung aller Produktivkräfte — erreicht werden kann2).« Bekanntlich war List ein Anhänger gerade jenes protektionistischen Systems, das Herr Fedorow als absurd bezeichnet. Der Apostel des Protektionismus hielt es für unzweckmäßig, diejenigen Industriezweige zu schützen, die für ihre Entstehung einen Zoll von mehr als 40—60 °/o bedurften und deren weitere Existenz durch einen 20—30°/oigen Zoll nicht gesichert wäre3). In seinem »nationalen System« deutet List nirgends an, daß es möglich wäre, eine nationale Industrie auf Kosten des ausländischen Kapitals zu schaffen. Anderseits ist es kaum an- ') S. 139. 2) Betrachtungen des Redakteurs der Zeitschrift »Westnik Promyschlen- wosti, Finansow i Torgowli«. M. M. Fedorow, Ueber die Frage von der Be- deutung ausländischer Kapitalien, 1899, S. 23—24. 3) Das nationale System der politischen Oekonomie, S. 352. i5 50 Gouvernements Rußlands nach den von O. A. Grimmx) an- gestellten Berechnungen 50 Millionen Pud aus, davon: Stör...................................... 1450000 Pud Lachs...................................... 200000 » Heringe....................................7900000 » Kabeljau................................... 650000 » Weiße Fische (Sterlett, Zander usw.) ca. 40000000 » Gemäß der Veröffentlichung des Ministeriums für Landwirt- schaft: »Der Fischfang in Rußland im Jahre 1900« waren die Marktpreise der Fische im angegebenen Jahre: Stör...............etwa 6 Rubel pro Pud Lachs.............. » 9 » * » Heringe............ »2 » » » Weiße Fische . . »3 » » » Folglich repräsentiert der ganze Fischfang einen Wert von 147600000 Rubel. Wir erhalten somit folgende Resultate: Forstwirtschaft .... 178214000 Rubel Fischerei...............147600000 » Zusammen 325800000 Rubel Bei der Berechnung der Bergwerkindustrie besteht die Haupt- schwierigkeit in der genauen Feststellung der Produktivität der Eisenwerke. Wegen Mangel an exakten Zahlen haben wir zur folgenden annähernden Berechnung Zuflucht genommen. Gemäß der »Sammlung der statistischen Angaben, betreffend die Berg- werkindustrie in Rußland im Jahre 1900«, wurden in diesem Jahre 337175 76/ Pud Eisenerz erhalten. Der Durchschnittspreis des Erzes pro Pud machte damals 5,1 Kopeken aus; der Gesamtwert der Erze beträgt somit 17195964 Rubel. Bei der Erzgewinnung waren 5 1050 Arbeiter beschäftigt. Es arbeiteten : Bergwerker..............123120 Personen Hilfsarbeiter...........139425 » Zusammen 262545 Personen Nach den Angaben von W. E. Warsar2) produziert jeder Metallarbeiter im Jahre einen Wert von 519,2 Rubel. Nehmen wir diese Produktivität auch für die Eisenfabriken und Gießereien an, so erhalten wir einen Gesamtertrag von 136313364 Rubel, was ■) Die Land- und Waldwirtschaft in Rußland, 1893. 2) Statistische Berichte betreffend die Fabriken und Werke im Jahre 1900. 45 Eisenbahnaktien ist im Auslande plaziert; anderseits ist ein Teil der Eisenbahnobligationen, höchst wahrscheinlich der größere, in Rußland angebracht. Im Wachstum des Grundkapitals der Ak- tiengesellschaften sind alte Kapitalien, die nur die Form von Aktien angenommen haben, sowie diejenigen der nur projektierten Aktiengesellschaften, desgleichen auswärtige Kapitalien, die in russischen Unternehmungen plaziert sind (d. h. solche ausländische Aktiengesellschaften, deren Sitz sich in Rußland befindet), in- begriffen. Aber trotz alledem zeigen unsere Ziffern sehr genau den Gang der Entwicklung, wenn auch in etwas vergrößerter Form. Unsere willkürlichen Annahmen vermindern zwar den Wert der absoluten Ziffern, wirken aber nicht auf ihre relative Bedeutung, da die Abweichungen überall dieselben bleiben. Addieren wir die Zahlen gruppenweise (ä 4 Jahre), gelangen wir zu folgender Tabelle des Kapital zu wachses pro Jahr (durchschnittlich und in Millionen Rubel): Zuwachs Kapital- All- Waren- Jahre der zuwachs gemeiner In Pro- export Reichs- in der In- Kapital- zent nach dem schuld dustrie zuwachs Auslande 1893—1896 68,9 34,8 103,7 100 661,4 1897—-1900 — 228,9 340,7 11 i,S 108 700,5 1901—1904 41,6 167,8 209,4 202 907,4 I9°5—1908 141,0 198,1 339,i 327 1005,2 Durchschnittlich 5,7 i85,3 191,0 — 831,1 In Prozent 3,o 97,o 100,0 — — ■ Es bleibt uns nun übrig, den Kapitalzuwachs der industriellen Betriebe festzustellen, die nicht Aktiengesellschaften, sondern physi- schen Personen gehören. Wie schon oben angedeutet wurde, haben wir über die Größe der Akkumulation in diesen Betrieben auch keine annähernden Daten. Wir müssen deshalb einen Umweg machen. Für die Fabrikindustrie stehen uns für die Periode 1892 bis 1908 nur solche Daten, die sich auf die Zahl der beschäftigten Arbeiter beziehen, wobei jedoch hinzugefügt werden muß, daß auch diese Daten nicht ganz befriedigend sind. Nach der »Zu- sammenfassung der Angaben für die Fabrikindustrie in Rußland für das Jahr 1897« (»Swod dannych o fabritschnosawodskoj pro- myschlennosti«) gab es: Im Jahre 1890 .... 998095 Arbeiter » » 1893 .... 1121449 * 58 I Vielleicht aber wird uns der Zufluß des ausländischen Kapitals die Rettung bringen ? Vielleicht können die durch die übermäßige Besteuerung erschöpften inneren Kräfte des russischen Volkes durch Ersparnisse der Franzosen, Deutschen oder Engländer restituiert werden ? Unsere Erfahrungen zwingen uns hier zur Skepsis. Unsere Berechnungen zeigten, daß das ausländische Kapital in Rußland Garantien der Regierung sucht, und nur ein unbedeutender Teil dieses Kapitals (20°/o) widmet sich der Industrie. Die Ausländer geben ihr Geld gern der russischen Regierung, sind aber sehr vorsichtig, sobald es sich um Privatunternehmen handelt. Im Laufe von 16 Jahren (1893—1908) wurden nach unseren Berech- nungen 2965 Millionen Rubel russischen und 874 Millionen Rubel ausländischen Geldes in Industrieunternehmen investiert. Gewiß, diese Zahlen sind statistisch keineswegs exakt (s. den von uns oben gemachten Vorbehalt); sie haben trotz alledem aber einen symptomatischen Charakter. Abstrahieren wir von der Summe des russischen Kapitals 900 Millionen Rubel, die aus dem Ver- kaufe der russischen Fonds nach Ausland erzielt wurden, so gleicht das Kapital russischer Herkunft immer noch einer Summe von 2065 Millionen Rubel gegen 879 ausländischer Herkunft. Es soll auch nicht vergessen werden, daß wir es nur mit denjenigen Industrie- unternehmungen zu tun haben, die der Registratur unterliegen. Gruppieren wir die Summen für jede 4 Jahre, so erhalten wir die nachfolgende Tabelle (in Millionen Rubel): Kapital In den Jahren russisches ausländisches Mill. Rubel Mill. Rubel 1893—1896 34,8 -42,9 1897—1900 n 1,8 190,6 1901 —1904 167,8 1,0 1905—1900 198,1 69,5 Während das Kapital russischen Ursprungs sich langsam, aber gleichmäßig konzentriert, fließt das ausländische Geld, den Schwan- kungen der europäischen Geldmärkte entsprechend. sprungweise nach Rußland. Somit spielte das ausländische Kapital in der russi- schen Industrie nur eine Nebenrolle, die zwar unserer Armut halber wichtig war, aber immerhin nur einen Aushilfscharakter besaß. Und es ist kaum anzunehmen, daß ihre Bedeutung in Zukunft größer wird, denn zu ihrer Heranziehung wurde bereits alles Mög- 21 Unter russischer Flagge Seeverkehr Tonnen Weißes Meer........................50515 Ostsee............................288663 Schwarz- und Asowmeer .... 463626 Donau...........................51 412 Astrachan.......................56109 Zusammen 910325 Küstenverkehr Tonnen 233480 1 215176 10383853 124720 4053324 16010553 Zusammen also 16920878 Tonnen oder 1049094000 Pud = 87 °/(1 des Gesamttransportes der Flußschiffe. Wenn wir die Frachten der Seeschiffahrt gleich derjenigen der Flüsse ansetzen, erhalten wir einen Ertrag der Seeschiffahrt im Werte von 40838000 Rubel. Im Fuhrmannsgewerbe, auf den Straßenbahnen und Omnibussen sind nach der Volkszählung von 1897 243696 Personen beschäf- tigt. Wenn man den Verdienst eines Fuhrmanns gleich demjeni- gen eines Fabrikarbeiters ansetzt (402,3 Rubel im Jahr), so erhält man den Reinertrag dieses Gewerbes im Werte von 98039000 Rubel. Ueber das Post- und Telegraphenwesen besitzen wir be- friedigende Daten. Gemäß der »Post- und Telegraphenstatistik für das Jahr 1900« beträgt die Gesamteinnahme des Reiches aus diesem Kapitel 50333064 Rubel. Davon sind folgende Ausgaben abzuziehen: Wirtschaftsausgaben dieser Institute..................7380042 Rubel Instandhaltung .......................................5556967 » Remise für auswärtige Korrespondenzen.............. 211999 t Reparatur des Telegraphen- und Telephonnetzes . . 1968100 » Zusammen 15 117108 Rubel Der Reinertrag = 35215956 Rubel. Um nun den auf die 50 Gouvernements zukommenden Teil des Reineinkommens festzustellen, wollen wir die Angaben des »Jahrbuches des Finanzministeriums für das Jahr 1902« betreffend den örtlichen und intraurbanen Verkehr einfacher Briefe benutzen: Die Zahl der Briefe im ganzen Reich . . . 255926342 In den 50 europäischen Gouvernements . . 206045784 oder 80,5 °/o Wenn wir diese Norm als Grundlage zur Berechnung des Rein- ertrags des Post- und Telegraphenwesens in den 50 Gouvernements verwenden, erhalten wir eine Summe von 28349000 Rubel. Somit wirft das Verkehrswesen ab: 38 plaziert. Genaue Angaben über den Umfang der Reichsschulden finden wir in dem Bericht der Reichskontrolle betreffend Ausfüh- rung des Reichsetats; daselbst finden wir die Ziffer der Zinsen, die Rußland für seine Schulden dem Auslande zahlt. Ein Teil der Coupons wird, wie es scheint, immer im nächsten Jahre be- glichen; der andere wird bei günstiger Konjunktur nach Rußland zur Bezahlung geschickt. Die Zahlungen nach Ausland entsprechen deshalb nicht ganz dem Umfang unserer ausländischen Verschul- dung. Dieser Fehler hat aber eine Bedeutung nur für jedes ein- zelne Jahr. Im allgemeinen widerspiegeln unsere Zahlungen nach dem Ausland ganz genau den Stand unserer Reichsschulden. Um den Umfang unserer Verschuldung festzustellen, wollen wir an- nehmen, daß wir für die in- und ausländischen Schulden den gleichen Zinsfuß zahlen. Dann erhalten wir die folgende Tabelle unserer Reichsschulden (in Millionen Rubel): Zum Zins- tragende Bezahlt Hiervon Schulden 31. De- Reichs- Prozente im Aus- in Ruß- im Aus- in Ruß- zember schuld ') land land land land 1892 4,852 246,45 30,56 215,89 601,7 4250,3 1893 5,026 253,58 29,732) 223,85 589,2 4436,8 1894 5,775 272,45 25,392) 247,06 538,3 5236,7 1895 5,897 275,57 58,412) 217,16 1250,0 4647,0 1896 6,o6S 266,77 67,79 198,98 1542,2 4525,8 1897 6,123 255A9 68,91 186,28 1653,1 4469,9 1898 6,122 271,78 61,27 210,51 1380,4 4741,6 1899 6,184 271,63 98,01 173,62 2231,6 3952,4 1900 6,193 272,78 113,78 159,00 2582,8 3610,2 1901 6,392 276,55 115,85 160,70 2677,3 3714,7 1902 6,644 290,29 128,02 162,27 2930,3 3713,7 1903 6,652 288,71 130,34 158,37 3003,0 3649,0 1904 7,082 297,57 138,88 158,69 3305,3 3776,7 1905 7,841 306,56 146,97 159,59 3759,5 4081,5 1906 8,626 356,53 170,56 185,97 4125,9 4500,1 1907 8,726 374,27 190,59 183,68 4442,7 4283,3 1908 8,851 397,62 202,62 I95,oo 4510,3 4340,7 1909 9,055 394,91 180,52 214,39 4i39,3 4915,7 Betrachten wir diese Tabelle, so finden wir, daß im Laufe von 16 Jahren (1893—1908) die Reichsschulden Rußlands sich fast ') In den Jahren 1892—1900. Nach den Angaben von M. Kaschkarow. Die finanzielle Bilanz des letzten Jahrzehntes, 1903, Bd. II, S. 50, 56, 57 (russisch). 2) 1 Metallrubel = 1,50 Rubel in Kreditscheinen (in den Angaben der Staatskontrolle in den Jahren 1892, 1894, 1895, — 1,60 Rubel, 1893, — 1,70 Rubel). — 81. — Prozent der Steuer- belastung Das Grundkapital der A.-G. (Jahres- durchschnitt) Millionen Rubel 1861 —1865 20,7 19,9 1866 — 1870 14,9 133,8 10 00 T t'- 00 13,0 89,9 1876—1880 16,3 28,9 00 co T 00 co 19,6 45,4 Diese Tabelle zeigt, daß der liberale Tarif des Jahres 1868 einen ungeheueren Zufluß des ausländischen Kapitals nach Ruß- land hervorrief. Im Jahre 1867 betrug das Kapital der gegründeten Aktiengesellschaften nur 70,5 Millionen Rubel. Im Jahre 1868 waren es schon 184,2 Millionen Rubel, im Jahre 1869 154,9. Die Krise des Jahres 1873 hat diesen Zufluß eingeschränkt. Nachher folgte der türkische Krieg und der Uebergang zum Protektionismus, der eine ökonomische Entfremdung Rußlands hervorgerufen hat. Ein gewisses Wachstum der Kapitalien der gegründeten Aktiengesell- schaften in den Jahren 1881 —1885 erklärt sich wahrscheinlich durch das Aufkommen heimischer Kapitalien. Diese Wirkung der hohen Zollsätze ist durchaus nicht rätselhaft. Je größer der Handels- verkehr zwischen Rußland und dem Ausland, je mehr Verbindungen die auswärtigen Fabrikanten und Händler in Rußland besitzen, je besser die ausländischen Kapitalisten und Unternehmer von den russischen Verhältnissen informiert sind, um desto leichter vollzieht sich der Zufluß des ausländischen Kapitals und der ausländischen Unternehmungslust. Eine nationale Isolierung stoßt sie dagegen ab und nur in den seltenen Momenten, wie z. B. in den Jahren 1896—1901, gelingt es, diesen Widerstand zu überwinden, wobei die Reklame und die speziellen Privilegien eine große Rolle spielen. Engherzige nationalistische Tendenzen kommen der Volkswirtschaft immer sehr teuer zu stehen. Der Bankrott, den die dreißigjährige Politik des generellen Protektionismus in Rußland erfahren hat, spricht weder für noch gegen einen vernünftigen Schutz einzelner Industriezweige. Die Er- fahrung zeigte, daß die Erziehungszölle zweifellos eine positive Bedeutung haben. Im Vergleich zu der entstehenden Industrie junger Länder hat die entwickelte Industrie der alten kapitalistischen Staaten einige wichtige ökonomische Vorteile. Erstens verfügt die alte Industrie über einen genügenden Stamm erfahrener und arbeitsfähiger Arbeiter; die junge Industrie ist dagegen genötigt, Arch. f. Sozialwissensch. u Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch. 6 Zweites Kapitel. Die Steuerlast und das Kapitalwachstum. Der Hauptbestandteil des Volkseinkommens wird immer für die Befriedigung der unmittelbaren Bedürfnisse der Bevölkerung an materiellen Gütern (Nahrung, Kleidung usw.) verwendet. Ein weiterer, verhältnismäßig kleinerer Teil dient zur Deckung der Ausgaben für die innere Verwaltung, sowie den äußeren Schutz des Staates; der dritte Teil endlich bildet die jährlichen Ersparnisse der Nation und dient zur Vergrößerung des Produktionsfonds. Je größer das Volkseinkommen und je geringer der Teil desselben ist, der zur Befriedigung der Staatsbedürfnisse verwendet wird, desto bedeutender ist die kapitalbildende Fähigkeit und somit die Kraft der ökonomischen Entwicklung der betreffenden Volkswirt- schaft. Im vorangegangenen Kapitel berechneten wir das Volks- einkommen des europäischen Rußlands; versuchen wir nun die Größe der Steuerlast zu bestimmen. Die Staatsausgaben für die Verwaltung werden aus zwei Quellen geschöpft: i. aus materiellen Werten, die, von Privat- personen geschaffen, vom Staate in der Form von Abgaben an- geeignet werden und 2. aus materiellen Werten, die der Staat selbst produziert. In beiden Fällen nimmt der Staat einen be- stimmten Teil des Volkseinkommens weg und verwendet ihn für die Organisation der inneren Verwaltung sowie für den Schutz des Staates nach außen hin. Der Staat hat keineswegs die Aufgabe, neue materielle Werte zu schaffen; er verbraucht sie nur, um be- stimmte, nicht materielle Güter zu erreichen. Daher haben die wirtschaftlichen Betriebe des Staates keinen selbständigen Wert, sie dienen ihm vielmehr nur als Einnahmequellen J). ') In den fortgeschritteneren westeuropäischen Staaten entsteht eine neue Aufgabe — die Organisation einer neuen Wirtschaftsordnung. Die Muni- zipalisierung und Sozialisierung verschiedener Betriebe, die Umwandlung der- selben in öffentliche ändern vollständig das Wesen des Staates. Aber auch Perlag uoa 3. E. B. fllohr (Paul Siebeck) rn Tübingen. Die Industrie und der Staat. Von Hugo Böttger. 8. 1910. M. 3.20. Gebunden M. 4.—. Das Staatsrecht des Russischen Reiches. Von Dr. Wiatscheslaw Gribowski, Professor der Kechte an der Universität Odessa. Lex. 8. 1912. M. 7.—, gebunden M. 9.—. (Das öffentliche Recht der Gegenwart. Systematischer Teil. Eand XVII.) Preis bei Subskription auf das ganze Sammelwerk (Systematischer Teil und Jahrbuch) M. 6.30, gebunden M. 7.-. Jahrbuch der sozialen Bewegung in Deutschland und Oesterreich ---------- 1912._____ Von Dr. Emil Lederer, Heidelberg. Separatabdruck aus dem „Archiv für Sozial Wissenschaft und Sozialpolitik“. Groß 8. 1912. M. 4.—. Kriegssteuer oder Kriegsanleihe? Von Dr. Heinrich Dietzel, Professor in Bonn. Groß 8. 1912. M. 1.60. .... Die Schrift trägt ein reichhaltiges Material zur Beantwortung des Problems zusammen und ist dabei so klar und leichtverständlich abge- faßt, wie wir es leider nur den wenigsten Schriften unserer Gelehrten nach- rühmen können. Jeder, der Interesse an den berührten Fragen nimmt, wird, gleichgültig ob Freund oder Feind der Kriegsanleihe, aus der Schrift reiche Belehrung schöpfen. Die Post. 12. 7. 19/2. Umschlag-Druck von H. Laupp jr in Tübingen. 44 Jahre Reichsbank Physische Spar_ Personen u. kassen Institute Handels- aktien- banken Kreditgesell- schaften auf Gegenseitig- keit Städti- sche Banken Zu- sammen 1893 49)4 52,4 ? j > 319,6 !) 1894 45.5 74,3 157,9 42,9 5,6 326,3 1895 37,9 50,7 168,1 47,2 5,o >) 308,8 1896 39,o 46,7 153,7 46,2 5,o ß 290,6 1897 51,2 27,9 182,2 48,2 5,o ß 314,5 1898 62,8 73,o 257,2 61,3 4,2 458,4 1899 74,2 8,3 293,9 58,8 2,2 437,4 1900 52,9 25,7 283,6 61,2 8,2 431,6 1901 49,7 25,7 281,6 68,4 9,7 435,o 1902 60,7 56,4 291,5 69,6 10,2 488,4 1903 67,8 1.35,7 354,9 73,2 11,6 643,2 1904 78,2 73,5 426,7 84,6 14,3 677,3 •905 102,9 43,7 464,8 91,6 15,4 718,4 1906 130,3 82,4 414,6 84,2 18,5 565,3 1907 120,3 42,9 489,8 96,3 20,2 778,5 1908 116,0 56,5 540,6 103,2 21,2 837,5 1909 93,4 52,0 636,5 122,4 24,7 928,9 Den Kapitalzuwachs in Rußland selbst veranschaulicht folgende Tabelle (in Millionen Rubel). Jahre Reichs- Eisenbahn- Stamm- Konto- Zu- schuld aktien kapitale der A.-G. korrent sammen CO 08 00 186,5 — 71,2 61,1 6,7 183,1 1894 799,9 - 191,1 59,5 - D,5 650,8 >895 - 589,7 - 54,i 129,4 — 18,2 - 532,6 1896 — 121,2 - 21,8 232,6 23,9 H3,5 1897 - 55,9 12,3 239,3 143,9 3i5,o 1898 27t,7 - 5,3 256,2 - 21,0 501,6 1899 - 789,2 0,0 430,0 5,8 -364,1 1900 - 342,2 3,2 336,8 3,4 - 5,2 1901 104,5 2,1 140,2 53,4 300,2 1902 — 1,0 0,0 69,1 154,8 222,9 1903 - 64,7 o,3 82,4 34,1 52,1 1904 127,7 o,3 94,0 4i,i 262,5 1905 304,8 0,0 99,7 - I53A 251,4 1906 418,6 0,0 127,3 213,2 759,1 1907 — 216,8 8,2 192,6 59,6 43,o I90S 57,4 0,0 I54,i 9G4 302,9 Diese Tabelle gibt, wie gesagt, die Entwicklung des Kapital- zuwachses in Rußland nicht ganz genau wieder. Ein Teil der ') Annähernde Ziffer. 73 Diese Tendenz realisiert sich zwar in einem gewissen Zeit- raum oder, wie man gewöhnlich sagt, »in letzter Linie«, für die Industrie aber ist es vollkommen genug. Der Geldabfluß nach Ausland ist gewöhnlich eine Begleiterscheinung der Industriekrisen und in der nachfolgenden Zeit der Depression kehrt das Gold aus dem Auslande wieder zurück. Die Länder, die ihre Staatsfonds bei sich zu Hause placiert haben, können deshalb ganz ruhig eine automatische Wiederherstellung der Handelsbilanz abwarten und die Sorge um ihren positiven Charakter als etwas Ueberflüssiges betrachten. In einer ganz anderen Lage befinden sich die Länder mit einer großen auswärtigen Verschuldung, die ihre Verpflich- tungen im Auslande plaziert haben. Rußland z. B. ist verpflichtet, für seine Anleihen dem Auslande jährlich etwa 200 Millionen Rubel zu zahlen. Ist die Zahlung nicht pünktlich erfolgt, so be- deutet das einen Staatsbankrott. Dabei ist zu bemerken, daß der russische Export nach Willkür nicht zu forcieren ist, da sein Um- fang hauptsächlich von der Ernte und sein Wert von den Welt- marktspreisen auf landwirtschaftliche Produkte abhängig ist. Und zuletzt darf man nicht außer acht lassen, daß auch der Import nach Rußland nicht jene Beweglichkeit besitzt, die dem aus- wärtigen Handel der fortgeschrittenen Länder eigentümlich ist. Die Preise werden bei uns noch immer in bedeutendem Maße von der Sitte reguliert und die Verminderung des Goldverkehrs im Lande hat deshalb eine unmittelbare Einschränkung des Imports nicht zur Folge. Unter diesen Umständen ist ein zielbewußtes Einwirken auf die Plandelsbilanz keineswegs ein »Mißverständnis«, sondern eine der Hauptaufgaben der Finanzpolitik. Gewiß, je größer der Goldvorrat im Lande, desto geringer die Gefahr unan- genehmer Ueberraschungen. Die Anhäufung großer Goldvorräte in den neunziger Jahren vermochte deshalb wenn nicht ganz, so doch in bedeutendem Umfange den Einfluß schwächen, den dieser Umstand in der Zollpolitik Rußlands ausiibt. Wenden wir uns nun der dritten Aufgabe unserer Zollpolitik zu: der Förderung der Industrie. Professor Soboleff kommt in seiner Untersuchung zum Schluß, wonach der Zollschutz in Ruß- dem Stand der Handelsbilanz und dem Wechselkurs kein Parallelismus zu verzeichnen ist. ... Im Gegenteil, man kann eher eine umgekehrte Proportio- nalität zwischen dem Quantum des Papiergeldes und dem Wechselkurs kon- statieren. Je größer die Zahl des vorhandenen Papiergeldes, desto niedriger ist der Wechselkurs und umgekehrt.« Soboleff, 1. c. S. 411—414. 47 Reichsgewerbesteuer (das Gesetz vom 8. Juni 1898), hauptsächlich seit der zweiten Hälfte des Jahres 1900, wurden mehrere größere Handwerksbetriebe der Aufsicht der Fabrikinspektion entzogen. Bis zum Jahre 1909 wurden von dieser Aufsicht 57 775 Arbeiter befreit. Da diese Betriebe im Jahre 1900 als Fabrikbetriebe be- trachtet wurden, so müssen wir sie den letzteren hinzuzählen. Dann werden wir für das Jahr 1908 folgende Angaben enthalten, die sich mit denjenigen für das Jahr 1900 sehr gut vergleichen lassen: Europäisches Rußland....1629970 Arbeiter Königreich Polen........ 250082 » Kaukasus................ 21492 » Sibirien und Mittelasien .... 17 451 » Zusammen 1918995 Arbeiter Im allgemeinen drückt sich der Zuwachs der Arbeiterzahl in den 16 Jahren, 1892—1908, in folgenden Ziffern aus: Im Jahre 1892 .... 1080331 Arbeiter » » 1900 .... 1726988 » » » 1908 .... 1918995 » Der allgemeine Zuwachs für diese 16 Jahre beträgt folglich 838664 Arbeiter oder 77,6 °/o der Anfangszahl (im Jahre 1892). Ein Teil dieser Arbeiter ist in den Aktienbetrieben beschäftigt, der andere in den individuellen. Das Grundkapital der Aktien- betriebe betrug: Im Jahre 1892 .... 420 Millionen Rubel » » 1908 .... 1400 » » Die Zahl der Arbeiter, die im Jahre 1908 in den Aktien- betrieben beschäftigt wurde, konnten wir ziemlich genau feststellen, wozu wir die Angaben der allgemeinen Bilanz (»Swodnyj Balans«), sowie diejenigen des Herrn Witkowitsch x) benutzen. In denjenigen Fällen, wo wir keine Angaben über die Arbeiterzahl vorfanden, benutzten wir eine annähernde Ziffer, die wir auf Grund der An- gaben anderer Unternehmen desselben Industriezweiges berech- neten. Aus der Gesamtzahl von 942 Aktienbetrieben fehlen im »Spissok« 125 Unternehmer oder 13 °/o. Es fehlen Angaben in bezug auf die Arbeiterzahl in den Aktienmühlen (19 Betriebe mit einem Grundkapital von 18,2 Millionen Rubel). Nach unserer Berechnung waren nun in den Aktienbetrieben im Jahre 1908 im ’) Aktien-, Anteil- und andere Gesellschaften zum 1. Januar 1908. 87 Fall war. Daß eine gewisse Tendenz in dieser Richtung existiert, zeigt das Sinken der Steuerbelastung auf Lebensmittel. Seit 1875 —1905 wuchs diese Besteuerung beständig und erreichte zuletzt 73,4°/o des Importproduktes. Zum Jahre 1908 sank diese Norm bis zu SO,9°/o herab. Es ist deshalb zu erwarten, daß auch die fiskalischen Zölle nunmehr herabgesetzt werden. Ob unsere Erwartungen sich in der Tat verwirklichen werden, das hängt natürlich nicht nur von den Bedürfnissen der Volks- wirtschaft, sondern auch von dem Verhältnis der politischen Kräfte im Lande ab. Dieses Moment aber liegt außerhalb des Rahmens unserer Untersuchung. 13 Rußland, unter Abzug der Gouvernements Pensa, Ufa, Astrachan, Livland und Dongebiet, eine Fläche von 517 215 Deßjätinen. Auf Grund von Angaben, die das Jahr 1881 betreffen, dürfen wir das Gartenland der fehlenden fünf Gouvernements mit 67112 Deß- jätinen berechnen. Zusammen also 584327 Deßjätinen. Nach den weiteren Angaben derselben Schrift betrug in den Jahren 1895 bis 1896 die Bruttoeinnahme von einer Deßjätine 148 Rubel. Wir wollen aber vorsichtshalber den Ertrag eines Gartens gleich dem- jenigen eines Weingartens ansetzen, d. h. mit 127 Rubel pro Deß- jätine. In diesem Falle wird die Gärtnerei eine Bruttoeinnahme von 74210000 Rubel abwerfen. Die Gemüsegärten umfaßten im Jahre 1881 eine Fläche von 70815 Deßjätinen. Gemäß den Angaben der Kommission betreffend den wirtschaftlichen Niedergang Zentralrußlands vermehrte sich die Landbevölkerung Rußlands in den Jahren 1880—1900 um 37,3 °/o. Wir können mit Sicherheit annehmen, daß der Gemüsekonsum der Landbewohner sich während der verflossenen 20 Jahre nicht ver- mindert hat. Dann müßte sich die Bodenfläche für den Gemüse- bau bis zu 97229 Deßjätinen ausgedehnt haben. Eine Deßjätine Kartoffel wirft im ganzen 68,5 Rubel und eine solche von Rüben 95,8 Rubel ab. Wenn wir das Einkommen von einem Gemüse- garten gleich demjenigen von einer Zuckerrübenkultur ansetzen, erhalten wir einen Reinertrag der Gemüsegärtnerei von 9315000 Rubel. Nach den Berechnungen von Tschefranoffx) zählt das euro- päische Rußland ca. 3,6 Millionen Bienenstöcke, die abwerfen: Honig . . 1313243 Pud ä 5 Rubel 10 Kopeken = 6702264 Rubel Wachs . . 235003 » » 17 » 95 » = 4216934 » 10919000 Rubel Die Seidenzucht im europäischen Rußland hat einen nur ge- ringen Umfang. Die Gesamtproduktion der rohen Seidenkokone macht nur ca. 1000 Pud aus und wirft einen Betrag von 10000 Rubel ab 1 2). Somit geben die übrigen Zweige der Landwirtschaft einen Ertrag: 1) Russische Bienenindustrie am Anfang des 20. Jahrhunderts, 1901. 2) W. J. Pokrofsky schätzt die Einnahme aus der Seidenzucht mit 15 Mil- lionen und die der Baumwolle mit 41,4 Millionen Rubel ein. Hat aber wohl das ganze Reich im Auge. Ibid. S. XXXVI. 4 Das Volkseinkommen setzt sich aus dem Reinertrag folgender Produktionszweige zusammen: 1. Landwirtschaft. 2. Forstwirtschaft und Fischerei. 3. Extraktive und bearbeitende Industrie. 4. Transportwesen. 5. Bauwesen. 6. Handel. Unsere Berechnungen betreffen nur die 50 Gouvernements des europäischen Rußlands. In bezug auf Sibirien, Mittelasien und Kaukasus fehlt es überhaupt an statistischen Daten für eine ganze Reihe von Produktionszweigen. Eine Berechnung des Volksein- kommens für diese Gebiete ist deshalb völlig unmöglich. Was aber Polen anbetrifft, über welches wir mehr Material besitzen, so muß man darauf hinweisen, daß dieses Gebiet einen selbständigen Organismus darstellt, dessen Leben sich bedeutend von demjenigen der 50 russischen Gouvernements unterscheidet. Beginnen wir nun mit dem Brotgetreide. Nach den Angaben des statistischen Zentralkomitees betrugen die Aussaatfläche, die Getreideernte und der Gesamtertrag: Aussaatfläche im Jahr 1900 Durchschnitts- ernte 1896— Durchschnitts- saat 1900 Deßjätinen ’) Pud2) Pud2) Winterkorn . . . 24138988 46,7 8,9 Sommerkorn . . 211 283 33,6 8,2 Winterweizen . . 2860219 48,1 8,4 Sommerweizen • ■ H 94399I 37,4 6,9 Hafer . . . ■ ■ 13853117 44,4 I 1,2 Gerste . . . . . 6513844 42,7 8,6 Spelz . . . . . 388217 37,6 10,3 Buschweizen . . . 2I2I90I 24,9 6,9 Hirse . . . ■ • 2385034 43,3 2,5 Mais .... . . 1 003 604 53,i i,9 Erbsen . . . . . 869488 39,i 8,3 Linsen . . . . . 361071 34,i 3) 8,0 4) Bohnen . . . . 60804 58,6 •) 9,84) Total 66711 561 43,3 8,6 *) 1 Deßjätine — 1,0925 ha. 2) 1 Pud = 40 russische Pfund 3) Pro 1897 — 1900. 4) Pro 1899/1900. 16 kg. 35 Der generelle Schutz muß dem Schutze einzelner Industriezweige Platz machen J). Es ist möglich, daß diese Reform des Zolltarifes eine bedeutende Verstärkung des Zuflusses ausländischer Kapitalien zur Folge haben wird (ähnlich dem Zufluß, den wir in den Jahren 1868—-1873 erlebt haben). Durch diese Reform wird sich der Handelsverkehr mit dem Auslande vergrößern; es ist aber bekannt, daß das ausländische Kapital überall dem ausländischen Unter- nehmer folgt. Was aber das zweite bestimmende Motiv unserer Zollpolitik anbetrifft — die Sorge um eine günstige Handels- bilanz —, so ist dabei zu bemerken, daß die bedeutenden Geld- vorräte, die im Lande angehäuft sind, die Bedeutung der Frage herabmindern. Es läßt sich nunmehr in viel bedeutenderem Maße als am Ende der siebziger und in den achtziger Jahren erwarten, daß das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte die Resultate des Handelsverkehrs automatisch korrigieren wird. Dabei muß noch in Betracht gezogen werden, daß der Charakter unserer Zahlungs- bilanz jetzt nicht nur von unserem Außenhandel, sondern auch von der Bewegung der russischen Reichsfonds abhängig ist. Für die Reichsanleihen wurden gezahlt (Zinsen und Amortisation): Insgesamt In Rußland Im Aus- lande Mill. Rubel Mill. Rubel Mill. Rubel 1908 397,6 i95,° 202,6 1909 394,5 214,4 180,5 1910 409,0 233,6 i75,4 1911 399,5 255,s 143,7 ') Für die Herabsetzung der Zollabgaben spielt auch die folgende Er- wägung eine Rolle. Eine Fabrikindustrie, die sich entwickelt, braucht für ihre Produkte ein immer größeres Absatzgebiet. Der Hauptabnehmer unserer Industrieartikel ist der Bauer; die Erweiterung des Absatzmarktes kann somit nur durch eine Vergrößerung der Kaufkraft der bäuerlichen Wirtschaft ge- schehen. Diese Vergrößerung wurde bis jetzt hauptsächlich durch den Ueber- gang von Natural- zur Tauschwirtschaft erreicht. Im allgemeinen ist dieser Prozeß nunmehr im europäischen Rußland (mit Ausnahme der östlichen Gou- vernements) als vollzogen zu betrachten. Es ist daher notwendig, zu einem anderen Mittel zu greifen, — zur Hebung der Rentabilität der bäuerlichen Wirtschaft. Die Verarmung der Bauern, der Niedergang der bäuerlichen Wirtschaft bedroht die russische Industrie durch eine Einschränkung des inneren Marktes. Unsere Industriellen haben somit ein Interesse an der Herabsetzung des Zolles für landwirtschaftliche Produkte, die Rußland nach dem Ausland exportiert. Diese Herabsetzung kann, nur dadurch erreicht werden, daß man seinerseits die Zollsätze für die nach Rußland importierten Waren herabsetzt. 36 die Beurteilung der Finanzlage eines Landes — des Volkes und nicht der Regierung — hat eine vorwiegende Bedeutung nicht die Defizitlosigkeit des Budgets, sondern die Größe der Steuerlast und die der Ersparnisse. Ist die Möglichkeit eines Bankrotts Rußlands auch proble- matisch und einer statistisch begründeten Lösungx) unzugänglich, so ist es anderseits außer Zweifel, daß eine solch hohe Besteue- rung den Kapitalzuwachs des Landes und seine Industrieentwick- lung hemmen muß, während die Konkurrenzstaaten sowohl auf dem Weltmärkte (Australien, Vereinigte Staaten, Kanada, Argen- tinien) als auch in der internationalen Politik (England, Frankreich, Deutschland, Oesterreich) rasch ihre Produktivkräfte entwickeln und immer mehr Rußland in den Hintergrund drängen. Bei dem gegenwärtigen Stand unserer offiziellen Statistik ist eine genaue Berechnung der Kapitalakkumulation absolut unmöglich. Um aber die in bezug auf diese Frage verbreiteten, völlig grundlosen Mei- nungen zu beseitigen, halten wir es danach für zweckmäßig, unser ungenügendes Material zu verwerten, um wenigstens eine allge- meine, mehr oder weniger der Wirklichkeit entsprechende, Vor- stellung von diesem wichtigen ökonomischen Prozeß gewinnen zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, sind wir genötigt, uns mit unvollständigen und annähernden, aber zweifellos symptomatischen Angaben zu begnügen. Wir verfügen über folgende Daten: 1. Ueber die Reichsschulden. 2. Ueber die Summen, die für den Eisenbahnbau verwendet wurden. 3. Ueber das Stammkapital der Aktiengesellschaften. 4. Ueber die Akkumulation des freien Kapitals in den Banken (Kontokorrente). Unberücksichtigt bleibt der Kapitalzuwachs in den privat- kapitalistischen Unternehmungen und die Akkumulation der Pro- duktivkräfte in den kleineren Bauern- und Handwerksbetrieben. Was die letztere anbetrifft, so können die Ersparnisse dieser kleinen Produzenten, wie man dies aus der Verteilung des Volks- einkommens erblickt, kaum bedeutend sein. Bei einem Jahres- einkommen von 33,68 Rubel ist es schwer zu sparen. Es läßt *) Weiter werden wir noch Gelegenheit haben, zu zeigen, daß einige Aenderungen innerhalb der Volkswirtschaft Rußlands am Beginn des 20. Jahr- hunderts die Gefahr eines Bankrotts — wenigstens für die nächste Zeit — völlig ausschließen. 6 . , Durchschnitts- Durchschnitts- Aussaatflache T , ernte saat im fahr 1900 „ , 1896—1900 Deßjätinen Pud Pud Kartoffel . . . 2508519 43I,t 88,8 Flachs (Samen) 1372914 18,65) 6,2') Flachs (Faser) . — i6,o.5) — Hanf (Samen) . 683877 29,3 5) 8,1 5) Hanf (Faser) . — 20,63) — Rüben . . . 397 875 958,4 — Tabak . . . . 32504 93,3 — Sonnenblume . 265606 ') 50,8c) 0,85 7) Raps . . . . I272I72) 47,5°) I,I08) Senf . . . . 5 0003) 6i,5 *) i,59) Hopfen . . . 4 75°4) 45,5 4) — Zusammen 5398262 Durchschnitts- Reinernte preise für die Brutto- von 1 Deßjät. im ganzen Jahre 1896 einnahmen bis 1900 Deßjätine Pud Kopeken Rubel Kartoffel . . . . 342,3 858666054 i7,9 153701223 Flachs (Samen) . . 12,4 17024 i34 103,6 17637003 Flachs (Faser) . . 16,0 21 966624 303,6 66690670 Hanf (Samen) . . 21,2 14498 192 90,5 13 120864 Hanf (Faser) . . . 20,6 14087866 177,7 25034138 Rüben 958,4 381323400 I0,09) 38132340 Tabak 93,3 3032623 402,7 ll) 12212373 Sonnenblume . . 50,0 13 280300 107 12) 14 209921 Raps 46,4 5903169 104 12) 6139296 Senf 60,09) 300000 118 13) 354ooo Hopfen 45,510) 216250 900 l0) 1946250 349178078 ’) Aus »Rußland am Ende des 19. Jahrhunderts«, 1900 (russisch). 2) Aus »Land- und Forstwirtschaft in Rußland«, 1893 (russisch). 3) Annähernde Zahlen. 4) Pro 1894. 5) Pro 1899/1900. 6) Pro 1881—1890. 7) Nach den Angaben von 1895 (Die Dichtigkeit der Feldpflanzensaaten in Rußland, 1898). 8) Nach den Angaben pro 1882 (Landwirtschaftliche und statistische Nach- richten nach dem von den Landwirten mitgeteilten Materiale, 1884, Heft 1). 9) Annähernde Zahlen. I0) Pro 1894. n) Pro 1900. 12) Arithmetische Durchschnittszahlen der Gouvernementspreise. ’3) Dasselbe pro 1897—1900. 55 Daher schließt sich der Reichsrat der Erklärung des Staatssekre- tärs Witte an betreffend die Unmöglichkeit einer weiteren Steuer- erhöhung zwecks einer raschen Befriedigung der immer mehr wachsenden Bedürfnisse der einzelnen Ressorts. Der Reichsrat sieht sogar in der Erleichterung der Steuerlast eine sichere Garantie für die Entwicklung des ökonomischen, finanziellen und politischen Lebens des Reiches. ... Es müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden, um die Reichsausgaben auf ein gleiches Niveau mit dem normalen Zuwachs der Reichseinnahmen zu bringen x).« Im nächsten Jahre mußte Witte demissionieren. Es ist interessant, die pessimistischen Gutachten der Minister über die Finanzlage des Landes mit dem Tempo der Steuer- belastung zusammenzustellen. Die letztere wuchs im Durchschnitte Jahr: Im Jahre 1871—1875 . . um 4,6 °/o » x> 1876—1880 . . » 2,1 » » » LO 00 00 7 00 00 » 2,4 » » 1886—1890 . . » 3,9 » » » 1891—1895 . . » 4,7 » » » 1896—1900 . . » 3,6 » » 1901—1905 .* . * 1,4 » » * 1906—1909 . . » 5,9 » M. Ch. Reitern protestierte im Jahre 1876 gegen die weitere Erhöhung der Steuerlast unmittelbar nach einer Periode intensiver Steuererhöhung. Weniger stark war der Zuwachs von Steuern zur Zeit der Proteste seitens A. A. Abasas im Jahre 1881 und N. Ch. Bunges in den Jahren 1886—1887. Dagegen erfolgte der Protest von I. A. Wyschnegradsky im Jahre 1892 zu einer Zeit, wo die Steuerbelastung am schwersten war. Der Wittesche Protest am Ende des Jahres 1902 endlich ist die Folge dieser äußersten Anspannung der Zahlungsfähigkeit der Bevölkerung. Nachher folgt ein kleines Intervall und bald darauf eine äußerst intensive Er- höhung der Steuerlast in den Jahren 1906—1909, die weit die- jenige der siebziger und neunziger Jahre überstieg. Und dennoch findet es der jetzt am Ruder stehende Finanzminister für »un- umgänglich«, den Weg einer weiteren Besteuerung einzuschlagen* 2). Die Geister der Vorgänger scheinen Herrn Kokowzew seinen Mut zu rauben. Die Wirkung der Steuerbelastung auf die Volkswirtschaft ') Ibid. S. 11—11. 2) Etatentwurf auf das Jahr 1910, S. 127. 79 haben, zeigen, daß von einem Niedergang der Industrie keine Rede sein kann; das Wachstum des Schutzzolls in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und ihr stationärer Zustand seit dieser Zeit zeugen nur davon, daß die Politik der Heranziehung aus- ländischer Kapitalien durch einen generellen Schutz aller Industrie- zweige ihr Ziel verfehlte, und daß es der Regierung nicht gelungen, ein Aufblühen der russischen Industrie auf Kosten französischer, deutscher und englischer Ersparnisse herbeizuführen. Herr Pro- . fessor Soboleff hätte den oben gezeigten Fehler nicht begangen, hätte er genau zugesehen, welche Bedeutung das Quantum und die Herkunft des zufließenden Kapitals für die Entwicklung der heimischen Industrie besitzt. Er ahnt überhaupt nicht, daß der generelle russische Protektionismus ein ganz anderes System der Zollpolitik ist, als das protektionistische System eines Lists und beurteilt die russische Zollpolitik, die die Heranziehung ausländi- scher Kapitalien verfolgt, vom Standpunkt einer Zollpolitik, die eine andere Verteilung des nationalen Kapitals unter den ver- schiedenen Industriezweigen zum Ziele hat*). Die eine Art des Protektionismus gleicht nicht der anderen. Der russische Pro- tektionismus ist keineswegs ein stümperhafter Versuch, das List- sche System anzuwenden, sondern ein ganz besonderes zollpoliti- sches System, das seine besonderen ganz bestimmten Ziele verfolgt. Wir halten es deshalb für völlig verfehlt, wenn Professor Soboleff das Schlußergebnis seiner Untersuchung so formuliert, als ob in der Zollpolitik Rußlands die »protektionistischen Aufgaben den Prinzipien des Protektionismus nicht entsprochen haben« * 2). Mit den Ergebnissen unserer Zollpolitik machten wir uns in dem vorhergehenden Kapitel vertraut. Die übermäßige Steuerlast, die eine Schwächung der wirtschaftlichen Kräfte der Bevölkerung zur Folge hatte, verhinderte das Aufkommen heimischer Erspar- nisse. Der Mangel an eigenen Mitteln rief einen Hunger nach ausländischen Kapitalien hervor. Das Bedürfnis an Kapital über- stieg die nationale Produktion in so großem Maße, daß in den Jahren 1893—1908 nur 40°/o dieses Bedürfnisses durch die heimi- schen Ersparnisse gestillt werden konnten; die übrigen 60°/o wurden durch den Zufluß ausländischen Kapitals befriedigt. Diese Ziffer ist so groß, daß man auf den ersten Blick vermuten könnte, daß ’) Ibid. XVIII. Kapitel: Die Bilanz des Protektionismus in Rußland. 2) Ibid. S. 849. i9 die Jahresproduktion der Handwerker etwa 337932000 Rubel beträgt. Nach den Angaben der »Kommission betreffend den Nieder- gang Zentralrußlands« waren im Jahre 1900 auf dem Lande in der Haus- und Handwerkindustrie 4618839 Personen beschäftigt, die 203 510000 Rubel (im Durchschnitt 43 Rubel pro Kopf) verdienten. Somit gleicht der Ertrag der extrahierenden und be- arbeitenden Industrie: Bergwerke.............................. 249044000 Rubel Fabrikindustrie........................ 506441000 » Die mit Akzise belegten Betriebe . 197 919 000 t Handwerk............................... 337932000 » Hausindustrie.......................... 203510000 » Zusammen 1494800000 Rubel Im Transportgewerbe sind es die Eisenbahnen, die das meiste an Einnahmen leisten. Um die Größe des Geleisenetzes der 50 Gouvernements festzustellen, muß man von den Eisenbahnen der letzteren abstrahieren: Die transkaukasischen Eisenbahnen. Die Privislianskija (an der Weichsel), abzüglich 124 Werst. Die Warschau-Wiener Eisenbahn. Die Wladikawkaser Eisenbahn, mit Ausnahme von 436 Werst. Die Lodz-Eisenbahn. Außerdem befinden sich einige Teile anderer Bahnen außer- halb der 50 Gouvernements: Von der Permeisenbahn.......................95 Werst » » Samara-Slatoust-Eisenbahn . . . . 121 * » » St. Petersburg-Warschau-Eisenbahn . 348 » » » Süd-West-Eisenbahn................ . 24 » Dieser Berechnung nach zählte das Geleise der 50 Gouverne- ments 36760 Werst!). Die Gesamteinnahme dieses Netzes beträgt 45 5 743000 Rubel. Davon sind nun in Abzug zu bringen die Ausgaben für Instandhaltung und Reparaturen der Bahnen, der Telegraphen, der Stationsgebäude, der Werkstätten und Züge. Auf Grund der »Nachrichten über die Eisenbahnen im Jahre 1900« können wir diese Ausgaben nur annähernd berechnen. Vor allem haben wir, um die Berechnung zu vereinfachen, die Ausgaben der ‘) 1 Werst = 1,067 km. 49 lung der Aktienbetriebe in dieser Periode gerade in der Berg- industrie ist anzunehmen, daß der Gesamtzuwachs der Arbeiter- zahl auf die Aktienbetriebe entfällt. Das Stammkapital der letzteren in der Bergindustrie betrug: Im Jahre 1892 .... 100 Millionen Rubel » » 1908 .... 666 » » Im Jahre 1908 funktionierten 197 bergindustrielle Aktiengesell- schaften, die 306989 Arbeiter beschäftigten. Aus dieser Zahl fehlen im »Spissok« auf das Jahr 1910 54 Betriebe oder 27,40/0 der Ge- samtzahl. Die Arbeiterzahl in diesen Betrieben berechne ich im Verhältnis zum Stammkapital. Auf 1 Million des Stammkapitals in der Bergindustrie kommen durchschnittlich 461 Arbeiter. Nehmen wir an, daß im Jahre 1902 die organische Zusammensetzung des bergindustriellen Kapitals derjenigen im Jahre 1908 gleicht, so er- halten wir ungefähr folgende Verteilung der Bergarbeiter zwischen den Aktien- und Einzelbetrieben: Jahre Aktienbetriebe 1892 46100 Arbeiter 1908 306989 » Zuwachs 260889 » Einzelbetriebe 393856 Arbeiter 3ÖI43S -32421 » Nach diesen Angaben fand in den Einzelbetrieben in diesem Zeitraum keine Kapitalakkumulation statt. Die festgestellte Durch- schnittsziffer des jährlichen Kapitalzuwachses in der Industrie — 191 Millionen Rubel — müssen wir deshalb nur um den Durch- schnittszuwachs in den Einzelbetrieben der bearbeitenden Industrie, das 15 Millionen Rubel beträgt, vermehren. Durchschnittlich betrug also der Kapitalzuwachs in den Jahren 1892-—1908 etwa 206 Mil- lionen Rubel im Jahr. Berechnen wir nun, wie groß der Zufluß von ausländischen Kapitalien nach Rußland ist (in Millionen Rubel): Jahre Reichs- Eisenbahn- Stamm- schuld obli- kapital Zusammen gationen der A.-G. 1893 !2.5 V9,5 n,3 178,3 1894 - H3,3 ') — 200,6 1,0 — 312,9 1895 584,7 2) - 260,4 5,3 329,6 1896 292,2 52,5 40,0 384,7 ") Unter Abzug von 62,4 Millionen Rubel, die für die Liquidation der Zentralbank des russischen Bodenkredits verwendet wurden. 2) Nach Abzug einer Ausgabe von 127 Millionen Rubel zur Einlösung der litel der Bodenkreditgesellschaft auf Gegenseitigkeit. Arch. f. Sozial wissensch. u. Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch. 4 62 in den Jahren 1906—1908, und zwar auf Rechnung des ein- heimischen Kapitals, einen bedeutenden Aufschwung. Die Ur- sachen, warum die russische Industrie die auf den auswärtigen Märkten in den Jahren 1905—1907 en masse vorhandenen freien Kapitalien nicht ausnützte, liegen also nicht dort, wo sie Tugan- Baranowskyx) sucht, sondern im traurigen Zustande des Reichs- kredits, der durch den russisch-japanischen Krieg, durch die Re- volution und die Auflösung der ersten zwei Reichsdumas herbei- geführt wurde. Analog des Industrieaufschwunges am Ende der neunziger Jahre können wir ein neues Aufblühen der russischen Industrie erst bei einer neuen Konvertiou der russischen inneren Anleihen und Ausgabe einer 3b'2 °/oigen Rente erwarten. Dann werden die russischen Fonds sich wiederum nach dem Auslande begeben, auf dem inneren Markte aber werden sich Geldmittel befreien, die so unentbehrlich für unsere Industrieentwicklung sind. Selbstver- ständlich ist eine solche Konvertion nur dann möglich, wenn die westeuropäischen Märkte von flüssigem Gelde überhäuft sind, das heißt, bei einem Aufschwung der Industrie. Der materielle Wohlstand Rußlands kann nicht somit durch die Heranziehung des ausländischen Kapitals geschaffen werden. Unsere Industrie kann nicht auf die Beine gebracht werden durch die Er- sparnisse der Franzosen, Engländer oder die der Deutschen. Bei dieser Sachlage wären wir zur ökonomischen Rückständigkeit und Armut verurteilt, hätten nicht in den letzten Jahren in der russi- schen Volkswirtschaft selbst einige Veränderungen stattgefunden, die unsere wirtschaftliche Zukunft in einem etwas anderen Lichte ') Prof. Tugan-Baranowsky ist überhaupt geneigt, die Schwankungen der russischen Industrie den industriellen Krisen gleichzustellen, die die west- europäischen und amerikanischen Länder erlebt haben. Indessen ist zwischen beiden Erscheinungen ein wesentlicher Unterschied zu verzeichnen. Die in- dustriellen Krisen in England und Deutschland sind durch die Veränderungen in der Akkumulation des heimischen Kapitals hervorgerufen; in Rußland aber hängen die Schwankungen der Industrie vom Zufluß des ausländischen Kapitals ab. Die Tugan-Baranowskysche Krisentheorie ignoriert vollkommen die Frage nach der Herkunft des Kapitals, das die Industrie befruchtet und belebt. Einen weiteren Mangel dieser Theorie bildet die Behauptung, wonach in den Zeiten der Depression das Kapital sich in Geldform und nicht in Form von Waren akkumuliert. Diese Behauptung entspricht nicht der Wirklichkeit, worauf ich schon 10 Jahre zurück in meinem Buche: »Zur Kritik der Marx- schen Theorien«, 1901 (russisch) hingewiesen habe. (Vgl. S. 139—146.) 32 Um die effektive Steuerbelastung richtig zu bestimmen, müssen wir somit aus dem im Staatsbudget angegebenen Gesamtbetrag der Staatseinnahmen folgende Posten abziehen: x. alle umlaufenden Ueberweisungen und Ersparnisse, 2. die Betriebskosten der industriellen Unternehmungen, die dem Staate einen Gewinn gewähren, und 3. die Einnahmen aus fiskalischen Industriebetrieben, die dem Staate keinen Gewinn einbringen. Ferner sind zu streichen die auswärtigen Einnahmen, so z. B. die Kriegsentschädigung von der Türkei, sowie die Beiträge des Großfürstentums Finnland. Nach dem Berichte der Reichskontrolle gingen im Jahre 1900 gewöhnliche Staatseinnahmen im Betrage von 17C4128506 Rubel und 36 Kopeken ein. Ziehen wir die oben angeführten annähernden Summen ab, so erhalten wir die wirkliche Steuerbelastung im Werte von 1225000000 Rubel. Welcher Teil dieses Betrages fällt nun dem europäischen Rußland zur Last? In den Beilagen zu den Berichten der Reichs- kontrolle wird alljährlich eine Liste über die geographische Ver- teilung der Staatseinnahmen und -ausgaben publiziert. Diese Liste können wir aber nicht benutzen, da sie nur ein Bild der geo- graphischen Verteilung der Steuereinnahmen liefert, keineswegs aber ein Bild von der Verteilung der Steuerlast gibt (so werden z. B. die indirekten Steuern meistens an der Produktionsstelle er- hoben, die Zolleingänge am Sitze des Zollamtes, während dieselben doch am Ende vom Konsumenten bezahlt werden). Die wirkliche Verteilung der Steuerlast können wir nur auf indirektem Wege ermitteln, und zwar an der Hand der Volkszählung vom Jahre 1897 und den Angaben für dasselbe Jahr über den Umsatz des Waren- handels (Betriebe, die Gildensteuer zahlen). Nach der Zählung von 1897 macht die Bevölkerung der 50 Gouvernements des europäischen Rußlands 74,4 °/o der gesamten Reichsbevölkerung aus. Die statistischen Angaben betreffend die Repartitionsabgaben beziehen sich nicht auf das ganze Reich. Nehmen wir an, daß in denjenigen Gebieten, wo die Steuern nicht repartiert werden, der Handelswarenumsatz pro Kopf der Bevölkerung demjenigen in den 4 Gouvernements Sibiriens (20,2 Rubel) gleicht. Dann macht der ganze Warenumsatz der 50 Gouvernements des euro- päischen Rußlands 79>5 % aus1). Wir können daher annehmen, ') Im Jahre 1900 wurde in diesen Gouvernements 80,5 °/o aller im Reiche beförderten Briefe aufgegeben. 2 den Schutzzoll, getrennt von der Finanzpolitik behandelt. Zwischen allen Zweigen der russischen Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie zwischen dieser Politik im ganzen und der Entwicklung der russi- schen Volkswirtschaft existiert überhaupt ein inniger organischer Zusammenhang, außerhalb welchem kein ökonomisches Problem des russischen Lebens betrachtet werden kann. Sogar das Problem der industriellen Krisen erhält in Rußland einen ganz anderen Charakter. Die Volkswirtschaft in Rußland besitzt leider noch in entferntestem Maße nicht diejenige Selbständigkeit und Unabhängig- keit von den Einflüssen der Regierung, die so charakteristisch sind für die kapitalistische Welt Europas und Amerikas. Erst im letzten Jahrzehnt zeigten sich Symptome, die darauf hindeuten, daß auch die russische Industrie sich allmählich vor der Vormundschaft der Regierung zu emanzipieren beginnt. Angesichts des gegenwärtigen, sehr niedrigen Niveau der Wirtschaftsstatistik in Rußland stoßen solche Untersuchungen, wie die vorliegende, auf sehr große Schwierigkeiten. Für eine Reihe von wirtschaftlichen Fragen besitzen wir überhaupt kein Material, für die anderen sind die statistischen Angaben mangelhaft, für die dritten wenig zuverlässig. Es ist dabei vollkommen gleichgültig, welche Faktoren diese Lage der russischen offiziellen Statistik ver- ursacht haben. Ob wir hier mit dem Bestreben, die Wirklichkeit zu fälschen oder mit einer einfachen Nachlässigkeit zu tun fiaben — jedenfalls ist es ein schwer zu überwindendes Hindernis zur Er- forschung fast jeder wirtschaftlichen Frage der Gegenwart. Die Mehrzahl der uns hier interessierenden Fragen läßt sich auf Grund genauer statistischer Daten überhaupt nicht lösen. Doch weder die Erfordernisse der Theorie noch die Forderungen des prakti- schen Lebens gestatten uns, von ihrem Studium abzusehen. Mag das Material, das uns zur Verfügung steht, noch so unvollständig sein, wir müssen es ausnutzen, um wenigstens eine annähernd rich- tige Lösung zu finden. Die index-numbers sind auch keines- wegs genaue Durchschnittspreise, aber bei dem heutigen Stand der Wirtschaftsstatistik sind wir genötigt, mit diesen annähernden Durch- schnittszahlen zu operieren, und zwar mit großem Nutzen für die Wirtschaftswissenschaft.