Diese Ziffer entbehrt vor allem der statistischen Zuverlässig-
keit. Bei der Bestimmung der Höhe einzelner Posten des Volks-
einkommens mußten wir, um zu einem annähernd richtigen Re-
sultat zu kommen, öfters mit verschiedenen mutmaßlichen Daten
operieren. Der Mangel an exakten statistischen Daten machte die
Verwendung dieser mutmaßlichen Zahlen unumgänglich. Das von
uns erzielte Ergebnis ist zweitens zweifellos übertrieben. Bei
einigen Posten muß.ten wir unbedingt größere Zahlen verwenden
oder bei den Gesamteinnahmen bleiben. Die weitere Entwicklung
der Wirtschaftsstatistik wird zeigen, daß das erzielte Ergebnis die
Wirklichkeit übertrifft.

Und dennoch ist der von uns berechnete Betrag des Volks-
einkommens sehr gering, sobald wir ihn pro Kopf der Bevölkerung
verteilen. Nach der Volkszählung vom Jahre 1897 gab es in den
50 europäischen Gouvernements 93442864 Einwohner beiderlei
Geschlechts. Im Jahre 1900 (wenn wir den Zuwachs mit 1,3 °/o an-
setzen) erhöhte sich diese Zahl auf 97 134 792 Personen. Folglich
gleicht das Jahreseinkommen pro Bevölkerungskopf 63 Rubel. Nach
Mulhall betrug diese Summe indessen (im Jahre 1894) 74 Rubel. Nach
Pokrowski im gleichen Jahre 73 Rubel1). Die unfreiwilligen Ab-
weichungen der benannten Statistiken von den Tatsachen scheinen
noch bedeutender zu sein, als es bei uns der Fall ist.

der Industrieartikel im Jahre 1900 um 20 °o niedriger und diejenigen der
Landwirtschaftsprodukte um gerade so viel höher gewesen, so hätte das Volks-
einkommen des europäischen Rußlands 250 Millionen Rubel mehr betragen,
als es nach unseren Berechnungen der Fall ist. Das Einkommen aus der In-
dustrie hätte dann nicht mehr 54,6 °/o der landwirtschaftlichen Einnahme aus-
gemacht, sondern, wie folgende Tabelle zeigt, nur 36,4 °/o.

	Landwirtsch.	Industrie	
	Milk Rubel	Mill. Rubel	Proz.
Einnahme im Jahre 1900 .	.	.	.	■ • • ■ 2738,3	1494,8	54,6
20 °/o dieser Einnahmen .	.	.	.	■	•	•	•	547,7	299,0	—
Der angenommene Umfang des Einkommens 3286,0		1195,8	36,4

Die Schutzzollpolitik schraubt somit die Bedeutung der protektionierten
Produktionszweige künstlich auf. Dieses Resultat hat keineswegs nur eine
rechnerische Bedeutung. Es beweist, wie hoch die Einnahmen der Industrie
(besonders der Großfabrikanten) auf Kosten der Landwirte (hauptsächlich der
Bauern) aufgeschraubt sind.

') Mulhall, Industries and Wealth of nations, 1896, S. 391. Pokrowski,
»Zur Frage der Stabilität der Aktivenbilanz des russischen auswärtigen Han-
dels,« S. 38. In beiden Fällen haben wir vom Nationaleinkommen das Ein-
kommen der freien Berufe abgezogen (russisch).

59

liehe und Unmögliche versucht; keinem der Anhänger der Be-
fruchtung Rußlands durch einen starken Zufluß auswärtigen Geldes
gelang es, auf solche Maßnahmen hinzuweisen, die dieses vor-
sichtige Benehmen der ausländischen Kapitalisten der russischen
Industrie gegenüber zu überwinden vermöchten J).

Unserer Ansicht in bezug auf die Rolle des ausländischen
Kapitals in der russischen Industrie widerspricht scheinbar der
Umstand, daß der Industrieaufschwung der zweiten Hälfte der
neunziger Jahre durch den Zufluß des ausländischen Geldes
geschaffen wurde. Gewiß, das ausländische Kapital spielte bei
diesem Aufschwung eine entscheidende Rolle, aber keineswegs in
jener Form, die ihre Apologeten im Auge haben.

Verteilen wir das in den Jahren 1897—1900 für die Industrie
verwendete Kapital entsprechend seiner Herkunft, so erhalten wir
folgende Tabelle:

Kapital russischen Ursprungs......... 447,2 Millionen Rubel oder 21,1 °/0

» ausländischen	Ursprungs .	.	.	762,4	»	»	»	35,9 »

Erlös aus dem Verkauf russischer Fonds
nach dem Ausland.....................915,6	»	«	»	43,i »

Die Hauptrolle bei diesem Aufschwünge spielten somit die im
Lande selbst ersparten, jedenfalls erst durch den Verkauf der
russischen Fonds nach Ausland frei gewordenen Kapitalien. Mit
anderen Worten: Unser Industrieaufschwung der Jahre 1895 —1901
wurde durch die Konvertion der inneren Reichsanleihen und Herab-
setzung der Prozente der Reichsschuld herbeigeführt. Diese Operation
machte 1600 Millionen Rubel russischen Kapitals frei und belebte
die Industrie. Das ausländische Kapital beteiligte sich dabei nur
in einem Umfang von 3 5 °/o. Die entscheidende Bedeutung hatte
also der Zufluß des auswärtigen Kapitals in den Reichsfonds, nicht
aber in die Industrie. Die Anhäufung eines großen Quantums von
Geldmitteln an den westeuropäischen Märkten wurde vom da-
maligen Finanzminister, Grafen Witte, mit Erfolg zur Erreichung
von drei Zielen ausgenutzt: 1. zur Herabsetzung des Zinses für
die Staatsanleihen, 2. zur Ansammlung eines Goldvorrates im
Lande und 3. zur Entwicklung der Industrie. Die Konvertion
unserer inneren Anleihen führte dazu, daß ein großes Quantum

') Vgl. z. B. das in dieser Hinsicht charakteristische Buch vonW. P. Lit-
winow-Falinskij, »Unsere ökonomische Lage und die Aufgaben der Zukunft«,
1908 (russisch).

75

der Rohstoffe und die Produktion der Halbfabrikate gefördert. Dies
alles beweist, daß der Protektionismus eines der selbständigen Ziele
der russischen Zollpolitik war.

Die dominierende Bedeutung der fiskalischen Momente könnte
den Charakter des Protektionismus beeinflussen, ihn aber gänzlich
zu beseitigen waren sie nicht imstande. Die Schutzpolitik kann
verschiedene Ziele verfolgen. Wird ein Zoll von einem Produkt
erhoben, das im Lande nicht produziert wird, so bezahlt der Kon-
sument den wirklichen Preis der Ware plus Zoll. Wird dagegen
der Zoll von einem solchen Produkt erhoben, das im Lande produ-
ziert wird, so bezahlt der Konsument außerdem eine entsprechende
Summe auch den heimischen Produzenten dieses Produktes. Der
Zoll belastet somit den Konsumenten zum Vorteil der Produzenten
jener Produkte, deren Produktion die Regierung fördern will. Die
Vergrößerung der Rentabilität der unter Schutz stehenden Unter-
nehmen hat einen Zufluß sowohl von einheimischen als auch von
ausländischen Kapitalien zur Folge. Die Schutzpolitik kann somit
zwei Ziele verfolgen: i. die Neuverteilung des einheimischen Kapi-
tals, seine Heranziehung an diejenigen Unternehmen, deren Ent-
wicklung der Regierung aus dem einen oder anderen Grunde er-
wünscht ist; 2. die Heranziehung auswärtiger Kapitalien ins Land.
Unter dem direkten Einfluß der P'inanzpolitik der Regierung ver-
folgte der russische Protektionismus hauptsächlich das zweite Ziel.
Diese Aufgabe nahm die Aufmerksamkeit der offiziellen Leiter
unserer Zollpolitik so in Anspruch, daß sie geneigt waren, diese
Aufgabe als Hauptziel aller protektionistischen Politik zu betrachten.

Sehr charakteristisch in dieser Hinsicht sind die Betrachtungen,
die Graf Witte in seinem Kursus der Nationalökonomie und Finanz-
politik zum besten gibt. Bei der Besprechung der Produktivkräfte
Rußlands stellt er die Behauptung auf, wonach deren Wachstum
wurde erreicht »nicht durch die schaffende Arbeit, ausschließlich
unserer verhältnismäßig geringen Kapitalien (wozu Jahrhunderte
notwendig gewesen wären), sondern auf dem Wege, den alle Völker
gegangen und den zu beschreiten Rußland immer bestrebt gewesen
war. Dieser Weg ist die Entwicklung einer eigenen bearbeitenden
Industrie vermittels des Schutzzolls und die mögliche Beschleuni-
gung dieses Prozesses mit Hilfe der Kapitalien der ökonomisch
fortgeschrittenen Länder. Das Ziel der Schutzzollpolitik besteht
darin, daß man den Zustrom der ausländischen Waren verhindert
und die Kapitalien heranzieht, indem man ihnen besondere Vor-

aus dem Auslande nach Rußland jährlich zufließenden Geldes den
inländischen Kapitalzuvvachs bedeutend übersteigt. Die eigene
Kapitalbildung kann nur 42 °/o des nationalen Bedarfes decken,
während 58 °/o der notwendigen Kapitalien aus dem Auslande zu-
bezogen werden müssen. Ferner die einheimischen Kapitalien
werden hauptsächlich für Industriezwecke verwendet (97 °/o), wäh-
rend die ausländischen meistens Staatsgarantien suchen und nur
ein geringer Teil derselben (19 °/o) sich der Industrie zuwendet
und auch dies nur in dem Falle, wenn die russischen Kapitalien
den Weg angebahnt haben J). Schließlich kommt der Zufluß
des auswärtigen Kapitals in die russische Industrie nicht gleich-
mäßig, sondern sprungweise, unter der direkten Einwirkung der
westeuropäischen Industriekrisen. Das russische Kapital dagegen
bildet sich gleichmäßig, und ebenso gleichmäßig fließt es der In-
dustrie zu.

Die übermäßige Steuerlast hat somit die inneren Kräfte des
ökonomischen Wachstums Rußlands und seine kapitalbildende
Fähigkeit auf das äußerste geschwächt. Nach den maximalen,
sicherlich übertriebenen Berechnungen spart Rußland jährlich etwa
200 Millionen Rubel. In England aber betragen die jährlichen
Ersparnisse etwa 2 Milliarden Rubel, in Deutschland (in der Mitte
der neunziger Jahre) 1400 Millionen Rubel (3000 Millionen Mark)
und sogar in Italien (um das Jahr 1900) 300—400 Millionen Rubel
(800—1000 Millionen Lire). Statistisch genau sind diese Ziffern
gewiß nicht, sie sind aber zweifellos symptomatisch und drücken
ziemlich genau die relative Kraft des ökonomischen Wachstums
verschiedener Länder aus. Die Kapitalakkumulation in einem
Lande hängt nicht nur von der Größe des Volkseinkommens,
sondern auch von der Größe der Steuerbelastung ab. In bezug
auf beides befindet sich Rußland, wie wir gesehen haben, in be-
sonders ungünstigen Verhältnissen. Nehmen wir, nach der oben
angeführten Berechnung* 2), an, daß auf die 50 Gouvernements des
europäischen Rußlands etwa 80 °/o des akkumulierten Kapitals ent-

') Professor Soboleff sagt: »Die Ausländer stehen ihre Kapitalien für
staatliche und kommunale Anleihen gern zur Verfügung, sind dagegen sehr
zurückhaltend, sobald es sich um fremde Industrieunternehmen handelt. . , .
Bis jetzt wurde nur sehr wenig ausländisches Kapital in die russische Industrie,
mit Ausnahme der Bergwerke, placiert.« »Rußlands Zollpolitik in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts«, 1911 (russisch), S. 825—826.

2) S. S. 32.

33

daß das Budget des europäischen Rußlands 8o°/o des Reichsbud-
gets ausmacht, d. h. 980000000 Rubel. Außerdem kostet der
Bevölkerung die Ortsverwaltung:

Die städtische Selbstverwaltung.............................72102000

Semstwoselbstverwaltung..................................76 564 000

Semstwoabgaben in den Gouvernements, die keine Semstwos

besitzen.................................................. 9446000

Dorfgemeindeverwaltung (1894).............................. 57618000

Bedürfnisse der kosakischen Siedlungen...................... 2583000

Zusammen 2183000001)

Im ganzen kostet also der Bevölkerung die Staats- und Orts-
verwaltung 1200 Millionen Rubel oder fast 20°/o des Volksein-
kommens. Da, wie wir bereits hervorgehoben haben, die von
uns berechnete Summe des Volkseinkommens (6,125 Millionen
Rubel) höher ist, als die wirkliche, der Gesamtbetrag der Steuer-
auflage dagegen (1200 Millionen Rubel) ziemlich genau die tat-
sächlichen Verwendungen der Regierung für Staats- und Ortsver-
waltung fixiert, so ist die von uns angenommene Norm der Be-
steuerung des Volkseinkommens (19,6 °/o) eher zu niedrig als zu
hoch angesetzt. Jeder Einwohner zahlt somit jährlich 12,35 Rubel
Steuer.

Um die Last einer solchen Besteuerung		richtig	beurteilen zu
können, wollen wir diese Zahlen mit denjenigen			der anderen
Staaten vergleichen2):	Einkommen pro Ein-	Steuer		Prozent
Australien		wohnerkopf  •	374	23,6	6,3
Vereinigte Staaten . . ,	•	346	23,6	6,8
Kanada			15,1	5,2
England		•	273	29,3	10,7
Frankreich		•	233	3S.o	15,0
Belgien			19,8	8,8
Dänemark		•	215	20,8	9,7
Holland			31,2	15,7
Deutschland		.	184	23,6	12,8
Schweiz			17,0	9,3
Schweden und Norwegen .	163	14,2	8,7
Oesterreich			18,9	14,9

*) Annähernde Ziffern, berechnet nach der gleichen Methode, der wir
uns bei der Bestimmung der Staatseinnahmen bedienten.

2) Nach Mulhall, Industries and Wealth of nations, 1896, S. 393.

Arch. f. Sozialwissensch. u. Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch.	3

m

16

zusammen mit dem Gewinn aus			den Erzen 153 509000 Rubel aus-	
macht.  Im ganzen hat		die Bergwerkindustrie im Jahre		1900 ab-
geworfen:	Zahl der	Produktion in Pud		Wert
Gold . . .	Arbeiter  45277	539 Pud 23 Pf. 6 Solot. 41 Dolja		Rubel  9982 167
Platin .	.	.	1763	310	» 27 » 59	»	16	»	4159625
Kupfer .	.	.	6751	241148	»	3496646
Quecksilber .	918	18586		830000
Gußeisen1) .] Stahl u. Eisen J	313595	158614798  92326630	: !	153509328
Manganerz .	2324	8 591993	»	343680
Chromeisen .	2052	1 H3I55	»	III300
Schwefelkies .	237	1413 547	»	162400
Steinkohle	90332	712000580	»	59096000
Kochsalz . .	15 550	108524113	9	7054067
Asphaltmastik^	467	1 508528	»	422388
Asphaltgudr. J		131 126	»	137682
Asbest .	.	.	1330	234756	»	347 500
Porzellanton .	191	2 003 727		374000
Phosphorit .	462	1 566704		257721
Steingruben .	32263	—	»	4238975
Feuerfeste Materialien .	6324		»	2707937’)
	519836			247 231OOO

Die gewonnene Ziffer übersteigt die wirkliche, da die Aus-
gaben für Reparaturen, Heizung und Beleuchtung vom Gesamt-
ertrag nicht in Abzug gebracht worden sind. In der »Sammlung
der statistischen Nachrichten bezüglich der Bergwerkindustrie« sind
einige der nebensächlichen Zweige der extrahierenden Industrie
nicht angeführt. Nach der Volkszählung von 1897 waren be-
schäftigt bei der Gewinnung von

Torf.......................1442	Personen

Kalk und Alabaster .	.	.	1905	»

Edelsteinen................. 888	»

4235 Personen

') Im Jahre 1903 sank der Preis des Gußeisens bis auf 47,8 Kopeken
(von 70 Kopeken im Jahre 1900). Der Zoll erhöht überhaupt den Preis der
Ware und vergrößert nominell die Produktivität der extrahierenden und be-
arbeitenden Industrie.

2) Nach den Angaben von W. E. Warsar produziert ein Arbeiter der
Ziegelfabriken einen Wert von 428,2 Rubel im Jahr; die gleiche Produktivität
nehmen wir für die Fabriken von feuerfesten Materialien an.

34

Einkommen

pro Ein- Steuer Prozent
wohnerkopf

Spanien........................ 120	16,1	13,4

Italien..........................104	25,5	24,5

Portugal....................... 101	17,0	16,8

Balkanstaaten.................. 101	12,3	12,2

Griechenland.................... 93	17,0	18,3

Rußland.......................... 63	12,4	19,6

Aus dieser Tabelle ersehen wir, daß kein einziges Land ein
so geringes Einkommen pro Kopf der Bevölkerung aufzuweisen
vermag, wie Rußland; anderseits wird aber von keinem Staate
(Italien ausgenommen) ein so beträchtlicher Teil des Einkommens
für Verwaltungszwecke verwendet, wie dies in Rußland der Fall
ist. Nur in Italien drückt also die Steuerlast stärker als bei uns.
Es ist aber viel leichter, 25 °/o der Einnahme abzugeben, wenn
diese 104 Rubel (Italien), als nur 20°/o, wenn sie bloß 63 Rubel
(Rußland) ausmachen. Im ersten Falle bleiben für die übrigen
Bedürfnisse jedes Einwohners noch ca. 80, bei uns aber nur
ca. 50 Rubel übrig. Alle anderen Länder verbrauchen für Ver-
waltungszwecke einen viel kleineren Teil ihrer Einnahmen. Be-
sonders interessant ist der Vergleich zwischen Rußland und einigen
anderen Staaten, vor allem mit denjenigen, die die ganze Last
des bewaffneten Friedens tragen:

Staat	Einkommen  Rubel	Steuer  Rubel	Prozent
England 		•	•	273	29,3	10,7
Frankreich			35>°	15.0
Deutschland .	.	.	.	.	.	184	23,6	12,8
Oesterreich .	. .	.	.	.	127	18,9	i4,9
Italien			25.5	24,5
Rußland		.	•	63	12,4	19,6

Aus diesen Zahlen folgt, daß die ersten vier Staaten verhält-
nismäßig leicht die Last des bewaffneten Friedens tragen. Italien
und Rußland dagegen (besonders das letztere) tragen im Vergleich
zu ihren Kräften eine übermäßige Last. Sie ersticken unter der
Schwere ihrer Rüstung. Im Kriegsfall stehen sie erschöpft und
ermüdet von ihrem allzu schweren Rüstzeug da.

Eine weitere Gruppe bilden diejenigen Kolonialstaaten, mit
denen Rußland auf dem Weltmarkt konkurriert:

mitgeteilten Angaben betreffend den Vorrat an Fourage benutzen.
Verteilen wir die Pferde proportionell der den Militärkreisen zu-
gewiesenen Fourage, so erhalten wir, daß in allen sechs Kreisen
sich 84349 Pferde befinden, was zusammen mit den städtischen
625 598 ausmacht. Ein Pferd dient im Durchschnitt ca. 6 Jahre,
folglich muß jährlich nur a/o derselben, also 104266 Pferde, er-
setzt werden. Nach dem Auslande und in das Königreich Polen
wurden im Jahre 1900 20600 Pferde (per Eisenbahn) transportiert;
somit haben die Landwirte im allgemeinen ca. 125000 Pferde ver-
kauft. Der Durchschnittspreis der nach dem Auslande exportierten
Pferde betrug 89,6 Rubel und der von der Artillerieverwaltung
im Jahre 1900 erworbenen 91,2 Rubel. Wenn wir den Durch-
schnittspreis mit 90 Rubel ansetzen, gleichen die Einnahmen der
Pferdezucht 11 250000 Rubel. Diese Zahl ist bedeutend niedriger,
als diejenige, die Herr Pokrowsky x) angeführt hat, nämlich 647 Mil-
lionen Rubel. Es ist deshalb anzunehmen, daß Pokrowsky die
Arbeit der Pferde in der Landwirtschaft und diejenigen im Fuhr-
mannsgewerbe mitgerechnet hat.

Der Ertrag vom Rindvieh zerfällt in zwei Rubriken: Ein-
kommen aus Milch und dasjenige aus Fleisch. Nach den Berech-
nungen von A. A. Radtzig2) macht die Zahl der Kühe in den
Gouvernements außerhalb der Humuszone 50°/o des sämtlichen
Viehes aus; in den südwestlichen Gouvernements sowie in den
Gouvernements Poltawa, Charkow, Woronesch und Saratow 3 3 °/o,
in den übrigen humusbodenhaltigen Gouvernements 25 °/o, in
Astrachan und Orenburg io°/o. Für das europäische Rußland
macht es somit 36,7 °/o aus. Der Milchertrag im Gouvernement
Archangelsk macht 150, in den 10 nördlichen Gouvernements und
3 Ostseeprovinzen 100 und in den übrigen Gouvernements 60 Eimer
aus; somit im Durchschnitt 72 Eimer. Der Preis eines Eimers
Milch ist in den Gouvernements Petersburg und Moskau sowie in
den Ostseeprovinzen 50, in den übrigen Gouvernements 40 Ko-
peken, im Durchschnitt 41 Kopeken. Diese Zahlen zugrunde gelegt,
erhalten wir eine Bruttoeinnahme für Milch von 357 370000 Rubel.
Den F'leischertrag (Hornvieh) können wir auf zwei Arten be-
rechnen, entweder nach der Produktion desselben oder nach seiner
Konsumtion. Nach den Budgetberechnungen von F. A. Schtjer-

!) Zur Stabilitätsfrage der Aktivbilanz des russischen Auswärtshandels

S. 36.

2) Viehzucht und Milchwirtschaft in verschiedenen Staaten, 1899.

69

male lassen den deutlich ausgeprägten fiskalischen Charakter
unserer Zollpolitik erkennen. Die Regierung sieht vor allem in
den Zöllen eine Einnahmequelle und hat daher, um ein Maximum
der Einnahmen zu erzielen, die Zölle so hoch angesetzt, daß sie
36,5 °/o des Wertes der importierten Waren ausmachen, und der von
den Zöllen resultierende Ertrag erreicht 16—17 °/o der gesamten
Staatseinnahmen. Ein anderes Verfahren wäre für die russische
Regierung auch undenkbar: sobald die Steuerbelastung 20 °/o des
Volkseinkommens wegnimmt, mußten die Zölle ihr Maximum er-
reichen. Die Zölle sind eine allzu bequeme Einnahmequelle und
es ist daher nur begreiflich, wenn die russische Regierung, die die
letzte Kopeke von den Steuerzahlern auspressen möchte, diese
Quelle soweit als möglich ausnützt. Bis zur Mitte der siebziger
Jahre führte das Bestreben nach möglichst großen Zolleinnahmen
zu möglichst niedrigen Zollsätzen1), vom Jahre 1876 dagegen
zu hohen Zollsätzen. Mit Recht folgert daher Prof. Soboleff, daß
die russische Zollpolitik hauptsächlich fiskalische Interessen vep
folgt2).

Die Wendung zu hohen Zollsätzen (in der Mitte der siebziger
Jahre) verfolgte nicht nur die Interessen des Fiskus; sie steht viel-
mehr im Zusammenhänge mit dem Wunsch, eine günstige Handels-
bilanz für Rußland zu schaffen und zwar auf einer möglichst
breiteren Basis. Bis zur Mitte der siebziger Jahre deckte der
Zufluß ausländischen Kapitals das Defizit der russischen Zahlungs-
bilanz so gut wie vollständig. Unter dem Einfluß der Industrie-
krise des Jahres 1873 sowie der politischen Komplikationen auf
dem Balkan (seit 1876) hatte sich dieser Zufluß ziemlich ver-
mindert. Die Regierung war gezwungen, der Handelsbilanz ihre
ernsteste Aufmerksamkeit zu widmen. Die getroffenen Maßregeln

wurden, wie die folgende Tabelle  Prozent der		zeigt, mit Erfolg gekrönt  Wert des	Handels-	
Jahre	Zollabgaben Mill. Rubel	Imports Mill. Rubel	bilanz  Mill. Rubel
1866—1870	14,93	317,8	- 0,4
00  T  00  c_n	13,05	565,8	-95,2
1876—1880	16,32	517,8	9,5
1881—1885	19,60	494,3	55,6
1886—1890	28,66	392,4	238,6

J) Cf. E. Soboleff, »Die Zollpolitik Rußlands in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts«, S. 78—79, 173—174, 220.

2) Ibid. Vorwort, S. VI.

43

	Stammkapital	Tatsächlicher	Vom Staate zugelassene
	der A.-G.	Zuwachs	Vermehrung
	Mill. Rubel	Mill. Rubel	Mill. Rubel
1901	1891,1	1,0	168,9
1902	1892,1	27,3	82,9
1903	I9i9,4	90,4	86,2
1904	2009,8 ')	32,9	96,1
1905	2042,7	37,9	137,2
1906	2080,6	120,4	i3i,5
1907	2201,0	66,1	233,o
1908	2267,1	—	169,9
Innerhalb 15	Jahren wurde	erlaubt, das	Grundkapital

Aktiengesellschaften um 2982,9 Millionen Rubel zu vergrößern;
de facto aber gleicht der Zuwachs 1591,7 Millionen Rubel, d. h. er
ist um 1391,2 weniger. Welcher Teil dieser Differenz auf die
nichtrealisierten Konzessionen entfällt und welcher auf die dem
Bankrott verfallenen Gesellschaften, das wissen wir nicht. Ein
anderer Mangel dieser Bilanzen ist das, daß die Angaben, die die
russischen Gesellschaften betreffen, von denjenigen, die sich auf
die ausländischen beziehen, nicht getrennt sind. Unsere Berech-
nung übersteigt somit den wirklichen Umfang des Kapitalzuwachses
der russischen Industrie.

Das rapide Zunehmen von Aktiengesellschaften während der
Jahre 1895 —1901 steht gewiß im Zusammenhang mit der Einfüh-
rung der 4 °/o Rente und dem Verkaufe der russischen Fonds nach
dem Auslande; wie wir bereits bemerkt haben, machte diese Ope-
ration 1600 Millionen Rubel russischen Kapitals frei. Im Laufe
von 4 Jahren (1897—1900) überstieg die Summe des in der Indu-
strie angelegten Kapitals die während dieser Zeit gemachten Er-
sparnisse um 900 Millionen Rubel. Diese Summe von ca. 1 Milliarde
Rubel konnte nur aus dem Erlös der ins Ausland verkauften
russischen Staatspapiere gedeckt werden.

Wenden wir uns nun der Statistik der freien Kapitalien zu,
die sich in Form von Kontokorrenten in den Reichs- und Privat
banken befinden (s. Tabelle S. 44 oben).

Berücksichtigen wir alle angeführten Tabellen, so können wir
sowohl den Kapitalzuwachs in Rußland selbst, als auch den Zufluß
von ausländischen Kapitalien nach Rußland annähernd berechnen.

') Annähernde Ziffer.

— 65 —

Drittes Kapitel.

Die Zollpolitik.

Als eines der mächtigsten Mittel der Industrieentwicklung gilt
•die Schutzpolitik. Die Belastung der importierten Waren mit
solchen Abgaben, die dem ausländischen Produzenten die Konkur-
renz mit dem einheimischen auf dem inländischen Markte er-
schweren und dem letzteren einen guten Gewinn garantieren, wirkt
fördernd auf die einheimische Industrie. Die russische Zollpolitik
hat schon längst einen protektionistischen Charakter angenommen,
aber, wie wir oben gesehen haben, bleibt Rußland ein überwiegend
landwirtschaftlicher Staat. Im Jahre 1900 erreichte die extrahierende
und bearbeitende Industrie einen Wert von 1495 Millionen Rubel,
während die Landwirtschaft fast das Doppelte, nämlich 2738 Mil-
lionen Rubel einbrachte. Die Schutzpolitik vermochte somit nicht
Rußland in einen industriellen Staat zu verwandeln. Um die Ur-
sachen dieses Mißlingens zu begreifen, müssen wir zuerst die Ziele
kennen lernen, die unsere Zollpolitik verfolgt.

Wie man aus den Motiven zur Einführung dieser oder jener
Zölle ersehen kann, verfolgten die russischen Zollabgaben drei
Ziele: 1. ein fiskalisches — die Zölle sind eine der Hauptquellen
der Reichseinnahmen, 2. ein protektionistisches — durch die Preis-
erhöhung der importierten Waren fördern die Zölle die Entwick-
lung der russischen Industrie, 3. ein handelspolitisches — durch
die Einschränkung des Imports wird für Rußland eine günstige
Handelsbilanz erreicht. Diese Verschiedenheit der von der Zoll-
politik verfolgten Ziele, die mitunter einander widersprechen, ver
hindert ein konsequentes Streben zur Verwirklichung jedes der-
selben. Die finanziellen Erwägungen erfordern einen Zoll, der
ein Maximum von Einnahmen gewähren könnte. In den einen
Fällen steigt die Einnahme bei der Erhöhung des Zolls, in anderen
hingegen bei seiner Reduzierung. Nach der zollamtlichen Arith-

Arch. f. Sozialwissensch. u. Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch.	5



26

Getreidebau.................................1458411000	Rubel

Pflanzenbau................................. 384096000	»

Viehzucht................................... 762400000	»

Andere Zweige der Landwirtschaft . .	.	133400000	a

2738300000 Rubel

Versuchen wir nun den Anteil der Gutsbesitzer und den der
Bauern festzustellen. Im Jahre 1900 betrug die Bodenfläche für
die 16 wichtigsten Getreide- und Pflanzenarten 71 276871 Deßjätinen.
Dabei entfiel auf

Bäuerliches Anteil- (Nadjel-) Land .	. .	49720641 Deßjätinen

Privat- und Fiskusbesitz................21556230	»

Ein Teil der privatbesitzlichen Ländereien ist von den Bauern
gekauft, ein anderer gepachtet. Im Jahre 1900 pachteten die Bauern
bei den Gutsbesitzern und beim Fiskus insgesamt 19507000 Deß-
jätinen; nach den Angaben von 1881 wurden 52,2 °/o des gepach-
teten Landes als Aussaatfläche benutzt. Nach den statistischen
Daten von 1905 glich die Gesamtzahl des von den Kleinbauern
gekauften Landes (bis 20 Deßjätinen pro Familie) 13714937 Deß-
jätinen. Nehmen wir an, daß auf den gekauften Ländereien der
Prozentsatz der Aussaat die Hälfte desjenigen auf dem »Nadjel-
boden« ausmacht, so verteilt sich die Aussaatfläche folgendermaßen:

Bäuerliche Wirtschaft..............49721000	Deßjätinen	Aussaat

Auf den gekauften Ländereien .	.	2743000	»	»

»	» gepachteten Ländereien .	.	10183000	»	»

Zusammen 62647000 Deßjätinen Aussaat
In den gutsbesitzlichen Wirtschaften	.	8630000	»	»

Den privatbesitzlichen Wirtschaften gehört folglich nur 12,1 °/o
der ganzen Aussaat. Da die Ernte bei den Gutsbesitzern um 20°/o
reicher ist als diejenige der Bauern, so beträgt der Anteil der
Gutsbesitzer 14,2 °/o des landwirtschaftlichen Ertrages. Berück-
sichtigen wir aber noch dazu den höheren Marktpreis des guts-
besitzlichen Getreides, so können wir den Anteil der Gutsbesitzer
bis zu 15 °/o einschätzen. Die Tatsache, daß der Rübenbau fast
ausschließlich von den Gutsbesitzern gepflegt wird, spielt dagegen
keine Rolle in bezug auf den Prozentsatz der Gutsbesitzer, da
andere Pflanzen, besonders Flachs und Planf, meistens in den
bäuerlichen Betrieben gebaut werden. Der Ackerbau bringt somit
den Gutsbesitzern eine Einnahme von 276 Millionen Rubel ein.
Hierzu muß noch der Pachtzins zugerechnet werden (19507000 Deß-
jätinen ä 5,1 Rubel — nach den Angaben der Kommission be-

oder i2,3°/o im Verhältnis zum Umsatz. Wenn wir die Rentabilität
aus diesen Betrieben mit 20 °/o ansetzen, erhalten wir eine Brutto-
einnahme von 45548000 Rubel. Diese Ziffer ist ebenso größer
als die wirkliche und zwar aus denselben Ursachen.

Das Branntweinmonopol beschäftigte im Jahre 1900:

Angestellte	in	den	Akziseverwaltungen ...	328	Personen

»	»	»	Depots...................... 2646	»

Verkäufer..................................15 711	»

Arbeiter......................................16214	»

Zusammen 34899 Personen

Wenn wir die von jedem Angestellten erzielte Einnahme auf
402,3 Rubel ansetzen, erhalten wir ein Gesamteinkommen von
14040000 Rubel.

Somit werfen ab:

Warenhandel..............502298000	Rubel

Wirts- und Gasthäuser.	.	.	.	45548000	»

Branntweinmonopol........ 14040000	»

Zusammen	561900000	Rubel

Das Volkseinkommen der 50 Gouvernements des europäischen
Rußlands setzte sich somit im Jahre 1900 aus folgenden Bestand-
teilen zusammen:

Landwirtschaft................................2738300000	Rubel

Forstwirtschaft und Fischerei................. 325800000	»

Extrahierende und bearbeitende Industrie .	.	1494800000	»

Transportwesen................................ 531200000	»

Bauwesen................................... 473100000	»

Handel........................................ 561900000	»

____________ Zusammen 6125000000 Rubel1)

‘) In seinem »alleruntertänigsten Memorandum« über den Etat auf das
Jahr 1897 schrieb S. Witte: »Die sämtlichen Einnahmen aus den landwirt-
schaftlichen Produkten Rußlands übersteigen nicht den Wert von 1 */» Milliarden
Rubel, während die jährlichen Einnahmen aus unserer Berg- und Fabrikindustrie
2 Milliarden Rubel übersteigen.« Unseren Berechnungen nach beträgt der
Wert der Produktion in den 50 europäischen Gouvernements:

der Landwirtschaft................2738300000 Rubel

der Berg- und Fabrikindustrie . .	.	953400000	»

Wie kam also Witte zu den unrichtigen Zahlen ? Wahrscheinlich hat er das Land-
wirtschaftseinkommen mit demjenigen aus dem Getreidebau (1458411 000 Rubel)
identifiziert; als Ertrag der kapitalistischen extrahierenden und bearbeitenden
Industrie nahm er den Gesamtertrag ohne vorher den Wert der Rohmaterialien,
der Heizung usw. abzuziehen. Man darf auch nicht außer acht lassen, daß
unsere Zollpolitik die Preise der industriellen Produkte künstlich erhöht und
den Preis der landwirtschaftlichen Produkte herabdrückt. Wären die Preise

53

schon im Herbst des Jahres 1876 der Finanzminister M. Ch. Reitern,
als er nach Livadia (kaiserliche Sommerresidenz) zu einer Be-
sprechung über die finanziellen Mittel für den Krieg mit der Türkei
zitiert wurde, erklärt, die Finanzlage Rußlands sei mehr als ernst
und die Führung eines Krieges wegen Mangel an Mitteln unmög-
lich. Als der Krieg doch beschlossen wurde, reichte Reitern seine
Demission ein, und nur auf dringendes Bitten hin blieb er an der
Spitze des Finanzministeriums bis Ende des Krieges. Sein Nach-
folger, S. A. Greig, schrieb in seinem am Ende des Jahres 1878
eingereichten Memorandum wörtlich folgendes: »Man muß zugeben,
daß unsere Staatsverwaltung und unsere Staatswirtschaft die teuer-
sten der Welt sind.« A. A. Abasa, der das Portefeuille von Greig
übernahm, schrieb in seinem »alleruntertänigsten Rapport betreffend
das Staatsbudget für das Jahr 1881« wie folgt: »Der natürliche Zu-
wachs der Reichseinnahmen hat bestimmte Grenzen. Im Laufe der
letzten 20 Jahre haben sich die Einnahmen der Reichskasse mehr
als verdoppelt und dennoch werden sie bis auf die letzte Kopeke
von den gewöhnlichen Reichsausgaben absorbiert. Obwohl die
friedliche Richtung unserer auswärtigen Politik wiederhergestellt
ist, so ist fast ein dritter Teil unseres Ausgabebudgets für Be-
dürfnisse des Kriegsministeriums bestimmt. Bei solchem Sach-
verhalt hält es der Finanzminister für seine Pflicht, seiner Meinung
Ausdruck zu geben, daß es notwendig sei, auf Befehl Eurer
Majestät solche Maßnahmen zu treffen, die geeignet wären, die
gegenwärtigen Ausgaben des Reiches für Militärmittel einzuschrän-
ken.« Im selben Jahre mußte Abasa seinen Posten verlassen.

In der alleruntertänigsten Eingabe bezüglich des Budgets pro
1882 des folgenden Ministers, N. Ch. Bunge, wird von der »Her-
stellung der zwar nicht erschöpften, wohl aber einstweilig ge-
schwächten Finanzkräfte des Landes« gesprochen. Das Budget
pro 1886 wies ein Defizit von 25 Millionen Rubel auf. Seinen Un-
willen gegen die Steuererhöhung motivierte N. Ch. Bunge in seiner
alleruntertänigsten Eingabe folgendermaßen: »Der Finanzminister
hält es für unmöglich, im Jahre 1886 ein Gleichgewicht zwischen
die ordentlichen Einnahmen und Ausgaben durch eine unverzüg-
liche Erhöhung der früheren oder Einführung von neuen Steuer-
abgaben zu schaffen. Obwohl die Finanzquellen Rußlands nicht
erschöpft sind, so wird doch eine stärkere Besteuerung die Lage
der auch ohnedies schlecht stehenden Steuerzahler verschlimmern.«
Das Budget pro 1887 schloß mit einem Defizit von 36x/2 Millionen

— IO —

reien im ganzen für 45253458 Rubel Häute bearbeitet wurde.
Hinzu kommt noch dasjenige Quantum der Häute, das von den
Sattlermeistern bearbeitet worden ist. Nach den Warsarschen
Angaben beträgt der Wert dieser Häute 389 100 Rubel. Im ganzen
erhalten wir die Summe 45643000 Rubel. Nach der Transport-
statistik der russischen Eisenbahnen und gemäß der »Uebersicht
des auswärtigen Handels Rußlands im Jahre 1900« betrug der Im-
und Export von Häuten in den 50 Gouvernements des europäischen
Rußlands:

	Einfuhr	Ausfuhr
	Pud	Pud
Kaukasus			168000
Sibirien und Steppengebiet .	.	799000	184000
Königreich Polen		364000	629000
Westeuropa (per Eisenbahn) .	301000	IOI OOO
	1 699000	1 082 000

Nach den Ausfuhrangaben kostet ein Pud Rohhäute 8,7 Rubel.
Folglich wurden per Eisenbahn Häute für 5367900 Rubel impor-
tiert. Die Seeausfuhr übersteigt die Einfuhr um 2767936 Rubel.
Somit wurde importiert für 2 600000 Rubel. Der Wert der bear-
beiteten einheimischen Produkten beträgt folglich 43 Millionen
Rubel.

Die Einnahmen aus der Schafzucht können wir nach den An-
gaben von P. N. Kuleschow x) feststellen. Der Ertrag der Wolle
bei der Schafzucht:

12500000 Merinoschafe (Vlies 8 Pfund) ....	2500000 Pud

37143000 einfache Schafe (Vlies 5 Pfund) .	.	.	4643000	»

Wenn wir den Preis der Merinoschafswolle zu 8 und den der
einfachen Schafe zu 5 Rubel pro Pud berechnen, so bekommen
wir einen Gesamtwert von 43215000. Jährlich schlachtet man ein
Viertel der Herde, also 12410850 Stück. Von jedem Schafe erhält
man 1,3 Pud Schafsfleisch und 0,12 Pud Fett. 1 Pud Schafsfleisch
kostete (in den Jahren 1891 —1900) 2,31 Rubel, 1 Pud Fett 4,16 Ru-
bel und 1 Schaf- bzw. Lammfell (in den Jahren 1894—99) 1,83 Ru-

bel. Der Ertrag gleicht daher:

Vom Fleisch.....................37269783	Rubel

» Fett..........................6195496	»

» Lammfell resp. Schaf .	.	22711764	»

Zusammen 66177043 Rubel

') Der gegenwärtige Stand der Schafzucht in Rußland, 1896.

Somit hat der Finanzminister den umlaufenden Charakter von

\ A

800 Millionen Rubel anerkannt; er mußte daher neben demNG'fey
samt- auch das Reinausgabebudget anführen. Dann ist es aMtk
unbegreiflich, warum er uns auch nicht eine Berechnung des Netto-
einnahmebudgets geben will.

Nach unseren Berechnungen, deren Grundlage wir oben an-
gegeben haben, haben 900 Millionen Rubel unseres Budgets einen
umlaufenden Charakter. Abstrahieren wir dieselben, so nimmt das
Ausgabebudget pro 1909 folgende Gestalt an:

Das System des Reichskredits	.	.	395	Milk	Rubel	oder	25,7 °/o

Armee und Flotte............... 534,7	»	»	»	34,7 *

Zivilverwaltung................610	»	»	»	39,6 »

Noch im Jahre 1881 sah der damalige Finanzminister A.
A. Abasa die Hauptursache der Zerrüttung der russischen Finanzen
in den übermäßigen Ausgaben für die Erhaltung und Entwicklung
der Militärkräfte des Landes, die für sich fast einen dritten Teil
des gesamten Ausgabebudgets in Anspruch nahmen. Während
der verflossenen 30 Jahre hat sich diese Norm nicht vermindert.
In Wirklichkeit wurde für die Bewaffnung des Reiches noch viel
mehr ausgegeben. Ein beträchtlicher Teil unserer Reichsanleihen
wurde zwecks Kriegsführung gemacht; die Mehrzahl der Eisen-
bahnen, die mit einem Verlust arbeiten, wurde aus strategischen
Gesichtspunkten gebaut, aut Grund der direkten Forderung des
Kriegsministers. Diese imperialistische Richtung unserer auswär-
tigen Politik ist die Ursache der gegenwärtigen russischen ökono-
mischen und finanziellen Depression. Jahrzehnte hindurch hat die
Regierung alle Mittel, die sie aus dem Volke auszupressen ver-
mochte, für Krieg und Kriegsrüstungen ausgegeben. Diese Hyper-
trophie der Offensions- und Defensionsorgane hatte eine vollstän-
dige Schwächung unseres Volksorganismus zur Folge. Rußland
erstickt unter der Last seiner Bewaffnung*).

') Das Wachstum der Produktivkräfte ist indessen auch vom rein mili-
tärischen Standpunkt notwendig. Es ist vorauszusehen, daß in 2—3 Jahr-
zehnten die Ausgaben der Großmächte für Kriegszwecke sich verdoppeln bzw.
verdreifachen werden. Für die Länder, die ihre Produktivkräfte rasch ent-
wickeln, wird ein solches Wachstum der Ausgaben für die Armee und Flotte
sehr schwer sein, aber nichtsdestoweniger möglich. Für Rußland dagegen, das
schon jetzt unter der Last seiner Rüstung seufzt, kann eine weitere Ver-
mehrung der Militärausgaben gerade zur Katastrophe führen. Diese Seite des
Problems wird von unseren kampfeslustigen Nationalisten vollkommen ignoriert,
ihre Politik dient nur den Interessen des Augenblicks und ist jeder Einsicht bar.

17

gängig, Frankreich, Deutschland und Nordamerika als »junge«
Länder zu betrachten, die ihr Protektionssystem zwecks Heran-
ziehung ausländischer Kapitalien behalten. Die oben angeführten
Betrachtungen der Herren Witte und Fedorow widersprechen so-
wohl der Theorie wie der Geschichte der protektionistischen Politik.

Sowohl die Aufgaben als auch die Resultate des Zollschutzes
befinden sich in direktem Zusammenhänge mit dem Zustande der
Volkswirtschaft des Landes *). Ist das Land reich an Kapital und
ist der Protektionismus hauptsächlich bestrebt, das Verhältnis
zwischen den heimischen Produktionszweigen zu ändern und den
Abfluß des heimischen Kapitals nach dem Auslande zu verhindern,
dann wird die Zollpolitik einen anderen Charakter haben, als wenn
das Land kapitalarm ist und die Hauptaufgabe des Protektionismus
in der Heranziehung ausländischer Kapitalien besteht. In reichen,
sich rasch entwickelnden Ländern dehnt sich der Zollschutz, der
eine Verschiebung im Verhältnis der Produktionszweige im Auge
hat, nur auf einzelne Produktionszweige aus, für deren Entwick-
lung die notwendigen natürlichen und wirtschaftlichen Bedingungen
vorhanden sind. In den armen Ländern, die bestrebt sind, die
notwendigen Kapitalien heranzuziehen, trägt der Schutz einen
generellen Charakter. Bei der Ausarbeitung des Tarifentwurfs im
Jahre 1891 ging unser Finanzministerium deshalb gewöhnlich von
dem Gedanken aus, daß man jedem Produktionszweig einen Schutz
im Umfange von 30—40 °/o des Preises ausländischer Waren ge-
währen muß2). Je rascher der Kapitalzuwachs in einem Lande ist,
das nur den einzelnen Industriezweigen den Schutz gewährt, desto
intensiver ist der Kapitalzufluß in diese Zweige und desto rascher
kommt der Zeitpunkt, wo man die hohen Zollsätze aufheben kann.
Bei einem blühenden Zustand der Volkswirtschaft kann die Ein-
führung eines partiellen Zollschutzes einen überraschenden Effekt
herbeiführen. Diese Art Zollschutz trägt deshalb immer einen
vorübergehenden Charakter. Die Jagd nach ausländischem Kapital
hat dagegen seinem Wesen nach eine dauernde Bedeutung. Ein

>) Professor Bastable behauptet, das Studium der Handelspolitik vom
Standpunkt der geschichtlichen Entwicklung zeigt mit voller Evidenz, daß
die Normen, die den Handel und die Industrie in den verschiedenen Staaten
regulieren, eher von den sozialen Verhältnissen sowie von den Interessen der
herrschenden Klassen, als von den bestimmten theoretischen Doktrinen ab-
hängig sind. Vgl. C. F. Bastable, The Commerce of Nations, 5 th ed., 1911,
S. 117, 119—120.

2) Soboleff, I. c. S. 825.

14

Heu und Stroh . .	27476000	Rubel
Weinbau		11 481 000	»
Gartenbau ....	742IOOOO	»
Gemüsebau ....	9315000	2>
Bienenzucht ....	I09I9000	»

Zusammen 133400000 Rubel

Der Ertrag der Landwirtschaft im ganzen ist somit
folgender:

Getreide..............................1458411000	Rubel

Pflanzen.............................. 384096000	»

Viehzucht............................. 762400000	»

Andere Zweige der Landwirtschaft .	.	133400000	»

Zusammen 2738300000 Rubel

Da wir weder die Ausgaben für Reparatur der landwirtschaft-
lichen Maschinen und Geräte, noch die Kosten für den während der
Frühlingsarbeiten zur Ernährung der Pferde verbrauchten Hafer,
noch die Futterkosten für das Vieh in der Form von Wurzel-
früchten und Mehl in Betracht zogen, sind die von uns erzielten
Resultate höher als der tatsächliche Ertrag der Landwirtschaft.
Diese Ausgabekosten sind wir nicht imstande auch nur annähernd
anzugeben und müssen daher bei der von uns erhaltenen Ziffer
bleiben.

Einen weiteren Zweig der materiellen Produktion bilden der
Waldbau und die F'ischerei. Die 50 europäischen Gouvernements
Rußlands zählen an Wald:

Staatsforsten ....	107256959 Deßjätinen

Davon taugliche . . . 85882654	»

Anderer Besitzer . . . 54971 582	»

Die tauglichen Staatsforsten werfen 46x09107 Rubel ab. Es
ist anzunehmen, daß alle privatbesitzlichen Forsten zu den taug-
lichen, die einen Gewinn abwerfen, gehören. Setzen wir den Ertrag
einer Deßjätine derselben demjenigen aus den im selben Gouverne-
ment befindlichen Kronwäldern gleich, so erhalten wir eine Brutto-
einnahme von 132105383 Rubel. Die größere Durchschnitts-
rentabilität der Privatwälder erklärt sich dadurch, daß dieselben
sich meistens in den Gouvernements befinden, wo die Forsten den
größten Gewinn erzielen. Der Reinertrag der Forstwirtschaft gleicht
somit 178214000 Rubel.

Was die Fischerei anbelangt, so macht der Fischfang in den

ARCHIV FÜR SOZIALWISSENSCHÄFT
UND SOZIALPOLITIK

IN VERBINDUNG MIT

WERNER SOMBART UND MAX WEBER

HERAUSGEGEBEN VON

EDGAR JAFFE

ERGÄNZUNGSHEFT X

ÜBER DIE BEDINGUNGEN
DER INDUSTRIELLEN
ENTWICKLUNG RUSSLANDS

Von

SERGEJ PROKOPOWITSCH

TÜBINGEN

VERLAG VON J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK)

1913

71

Im Jahre 1895	143 Millionen Rubel1)

»	»	1910	300	»	»	2)

Die letzte Zahl können wir an der Hand der von uns an-
geführten Angaben über den Zufluß des ausländischen Kapitals
überprüfen. Diesen Angaben gemäß gleichen unsere auswärtigen

Verpflichtungen im Jahre 1908:

Reichsanleihen.............................4510,3 Millionen Rubel

Realisierte Obligationen der Eisenbahnen .. 1251,9	»	»

Aktienkapital der Industrieunternehmungen3) . 972,1	»	»

Zusammen 6734,3 Millionen Rubel

Im Jahre 1908 zahlten wir dem Auslande, wie es scheint,
tatsächlich 300 Millionen Rubel. Im allgemeinen stimmen die
oben angeführten Zahlen über die Steigerung unserer Zahlungen
nach Ausland vollständig mit dem von uns ermittelten Umfange
der Zunahme unserer auswärtigen Verschuldung überein. In den
Jahren 1866—1875 wuchs diese Verschuldung ziemlich rapid; in
den Jahren 1875—1890 meidete Rußland neue Verpflichtungen im
Auslande einzugehen und begnügte sich mit dem Golde, das es
durch den auswärtigen Handel in seine Hände bekam; in den
Jahren 1890—1908 wächst unsere Verschuldung wiederum ziem-
lich rasch. Ziehen wir noch in Betracht die Ausgaben der russi-
schen Touristen im Auslande und die Gewinne der Ausländer in
Rußland — am Anfänge der neunziger Jahre ca. 100 Millionen
Rubel, am Anfänge des Jahres 1900 nicht weniger als 150 Mil-
lionen Rubel —, dann begreifen wir, welche Bedeutung die Zah-
lungsbilanz für unsere Volkswirtschaft besitzt. Um unseren aus-
wärtigen Verpflichtungen nachkommen zu können, müssen wir
unseren Export bis zum Aeußersten anspannen und überhaupt
alles aufbieten, um das ausländische Kapital heranzuziehen. Der
Charakter der Handelsbilanz und die Größe des Zuflusses des aus-
ländischen Kapitals sind für das Reich keineswegs belanglose

!) Ibid. S. 70, Note 3.

2)	Nach den Angaben des Finanzministers Kokowzeff in der Sitzung der
Budgetkommission der Reichsduma am 18. Januar 1910.

3)	Nach den Angaben von Werstraat glich im Jahre 1900 die Gesamtzahl
des in ausländischen und russischen Aktiengesellschaften angelegten aus-
wärtigen Kapitals, einschließlich des diesen Gesellschaften im Auslande ein-
geräumten Kredits 178,1 Millionen Rubel (2075 Millionen Franken). Das
Grundkapital der ausländischen Aktiengesellschaften betrug in den Jahren 1900
bis 1908 194 Millionen Rubel, zusammen 972,1 Millionen Rubel. Die Werst-
raatschen Angaben haben wir bei P. Schwanebach, I. c. S. 210, entnommen.

41

schöpfen. Ueber das Grundkapital von 45 (aus den während
diesen zwölf Jahren insgesamt konzessionierten 263) Aktiengesell-

schäften ist es	uns nicht gelungen, entsprechende		Angaben auf-
zutreiben; wie	es scheint, hat	die Mehrzahl dieser	ausländischen
Gesellschaften	ihre Tätigkeit	in Rußland nie an	gefangen und
brachte auch	keinen Rubel fremden Geldes nach		Rußland mit.
Folgende Tabelle soll den Zuwachs des Grundkapitals der Aktien-			
gesellschaften	(mit Ausnahme	der Eisenbahngesellschaften) illu-	
strieren:			
	Stammkapital	Ausländische A.-G.	
Jahre	der russi-	Kon-	Fehlen  sehen A.-G.	zessioniert	.	,  Angaben  Mill. Rubel	s		Stammkapital Mill. Rubel
1893	61,1	11	3	>i,3
1894	59.5	3	1	1,0
1895	129.4	2	—	5,3
1896	232,6	25	—	40,0
1897	239.3	25	32,3
1898	256,2	26	2	69,8
1899	430,9	69	5	93,5
1900	336,8	40	7	48,1
1901	140,2	23	6	28,7
1902	69,1	13	4	13,8
1903	82,4	15	10	3,8
1904	94,o	11	7	2,1

gesellschaften und Handelshäuser, 1905; P. Witkowitsch, Aktien-, Anteil und

andere Unternehmen am 1. Januar 1908. St. Petersburg 1910 (russisch).

Nach den anderen Quellen ist das Grundkapital der ausländischen Aktien-
gesellschaften etwas größer:

	Zahl der	Stammkapital
	Unternehmen	Mill. Rubel
1894	3	2,8
1895	7	11 >3
1896	25	35,9
1897	19	23,5
1S9S	36	82,2
1899	71	109,5
1900	30	46,4
1901	24	78,4
	Zusammen 215	390,0

Vgl. «Historische Uebersicht der Tätigkeit des Komitees der Minister«, 1902
(russisch), S. 122. Nach den im Text angegebenen Berechnungen waren in
diesen 8 Jahren 213 Unternehmungen mit einem Grundkapital von 318,7 Mil-
lionen Rubel gegründet.

28

stehende Material bestätigt werden, aber immerhin auf Annahmen
und nicht auf exakt statistischen Angaben. Uebrigens sind wir im-
stande, die erzielten Resultate mit der Wirklichkeit zu vergleichen.
Wir haben dabei die Arbeit von F. A. Schtjerbina x) über Bauern-
budgets im Gouvernement Woronesch im Auge. Da ein Bauern-
hof im Durchschnitte 11,3 Deßjätinen Nadjelland hat, so halten wir
uns bei den Angaben von Schtjerbina an, insofern sie Betriebe mit
5 —15 Deßjätinen Nadjelland pro Familie betreffen. Aus den Ein-
nahmen ziehen wir diejenigen aus Heu-, Stroh- und Spreu verkauf
ab, da diese Produkte meistens in der bäuerlichen Wirtschaft selbst
verbraucht werden und nur als Betriebsmittel dienen. Ferner sind
auszuschalten die Einnahmen aus Pachtzins für Nadjelland, da
andere Bauernfamilien den gleichen Posten als Ausgabe buchen
müssen; desgleichen die Einnahmen von Gewerbe und Handel.
Aus den Einnahmen, die der Viehverkauf mit sich bringt, haben
wir die Kaufkosten abgezogen; desgleichen aus den Einnahmen
für Getreideverkauf den Kaufpreis vom Samen.

Nach diesen unerläßlichen Korrekturen erhalten wir ein Ein-
kommen pro Person beiderlei Geschlechts:

Vom Ackerbau....................18,80 Rubel

Von der Vieh- und Vogelzucht . . 10,75	»

Vom Garten- und Gemüsebau . . . 1,18	»

Zusammen 30,73 Rubel

Diese Zahl ist kleiner als die von uns gewonnene. Man soll
aber dabei nicht vergessen, daß in der oben angeführten Ein-
kommentabelle des Woronescher Bauern der Lohn fehlt, den er
für Dienstleistungen beim Gutsbesitzer erhält. Schtjerbina behandelt
diese Einnahme in der gewerblichen Rubrik und betrachtet sie so-
mit als eine nicht landwirtschaftliche Quelle. Der Gewerbebetrieb
wirft nach den Angaben von Schtjerbina 6,73 Rubel pro Person
beiderlei Geschlechts ab Nach unseren Berechnungen liefert die
landwirtschaftliche Lohnarbeit 2,89 Rubel pro Kopf. Das Durch-
schnittseinkommen eines Woronescher Bauern aus der Landwirt-
schaft beträgt folglich 33,62 Rubel. Dies ist aber fast das gleiche
Resultat, zu welchem auch wir gelangt sind. Diese Bestätigung
unserer hypothetischen Berechnungen durch die Schtjerbinaschen
Angaben verleiht ihnen einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit.

Genügt dieses Einkommen für die bescheidene Lebensführung
des russischen Bauern?

’) F. A. Schtjerbina, Bauernbudgets. Woronesch 1900 (russisch).

7 2

Dinge, sobald die Zahlungsbilanz jährlich ein Defizit1) von
125 Millionen Rubel ergibt und die Zahlungen nach Ausland 40°/o
des Exportwerts ausmachen. In einer ausführlichen Arbeit, die
sich mit der Geschichte der Zollpolitik Rußlands in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts befaßt, kommt Professor Soboleff
zum Schluß, daß »im Mechanismus des internationalen Tausch-
verkehrs Kräfte existieren, die die Fähigkeit besitzen, das gestörte
Gleichgewicht des Im- und Exportes wieder herzustellen. Es ist
nicht notwendig, um eine künstliche Verminderung des Importes
durch Auferlegung eines Zolles zu sorgen, da der Staat immer
einen solchen Import hat, der seiner Zahlungsfähigkeit entspricht.
Die ganze Zollpolitik nach dieser Richtung hin ist nichts anderes
als ein Mißverständnis«ä). Es unterliegt keinem Zweifel, daß in
der modernen Organisation der Industrie und des Handels Kräfte
vorhanden sind, die die Fähigkeit besitzen, automatisch das ein-
mal verlorene Gleichgewicht zwischen dem Im- und Export her-
zustellen. Jede Verbesserung der Handelsbilanz setzt eine Ver-
größerung der Produktion oder eine Verminderung des Konsums
im Lande voraus. In beiden Fällen bleibt bei der Bevölkerung
ein gewisser Zuwachs der Kaufkraft, der sich in Form eines
Ueberschusses des aus dem Auslande zugeflossenen Goldes mate-
rialisiert. Eine Verschlimmerung der Handelsbilanz dagegen be-
deutet eine Verminderung des freien Geldvorrates der Bevölkerung,
das entweder durch eine Abnahme der Produktion oder durch eine
Zunahme des Konsums hervorgerufen wurde. Das Erscheinen
freier Geldvorräte steigert den Konsum, ihr Verschwinden da-
gegen schränkt denselben ein; in beiden Fällen verändert sich die
Handelsbilanz automatisch in entgegengesetzter Richtung. Solcher
Art ist die Tendenz der Kräfte, die im modernen internationalen
Verkehr wirken * 2 3).

v) Nach den Wytschewskyschen Berechnungen beträgt dieses Defizit
200 Millionen Rubel pro Jahr. Ibid. S. 175.

2)	Die Zollpolitik Rußlands, S. 849,

3)	Bei dem Papiergeldverkehr übt der eine oder andere Charakter der
Zahlungsbilanz auf das Quantum des im Lande zirkulierenden Geldes gar keine
Wirkung aus und setzt folglich die erwähnten Kräfte, welche fähig wären, das
gestörte Gleichgewicht zwischen dem Im- und Export wieder herzustellen,
nicht in Bewegung. Der Kurs des Papiergeldes hängt ausschließlich von der
Größe der Emission ab. Diese theoretische Behauptung findet in der Ge-
schichte des Papiergeldes in Rußland ihre Bestätigung; die von Professor
Soboleff angeführten Daten ergeben, daß in den Jahren 1870—1895 »zwischen

37

sich übrigens auch direkt feststellen, daß solche Ersparnisse ent-
weder gar nicht vorhanden oder nur unbedeutend sind. Wir
wissen, daß das Vieh den wertvollsten Teil einer bäuerlichen Wirt-
schaft bildet. Die Zahl der Viehstücke im europäischen Rußland
vergrößert sich indessen nicht, nimmt vielmehr beständig ab.
Nach den Angaben der offiziellen Statistik betrug die Zahl des
Rindviehs, der Schafe (inklusiv Ziege) und der Schweine:

	Rindvieh	Schafe	Schweine
	Stück	Stück	Stück
1900	32913228	43643410	11370511
1904	30858410	45497621	11 041819
1909	30734878	40149326	9743617

Ein Teil dieser Abnahme entfällt unzweifelhaft auf den Groß-
grundbesitz. Da aber nach den Angaben für das Jahr 1900 den
Bauern 82,9 °/o der Gesamtzahl des Rindviehs, 80,9 °/o der Schafe
und 83,5 °/o der Schweine gehörten, so ist es klar, daß wir die
Abnahme nicht ganz auf die Rechnung des Großgrundbesitzes
setzen können. Auf jeden Fall kann von einem bedeutenden
»Zuwachs« beim Bauer keine Rede sein. Auch im Handwerk und
in der Hausindustrie läßt sich kein bedeutender Fortschritt wahr-
nehmen. Die Entwicklung der Fabrikindustrie, die den kleinen
Produzenten vom Markte verdrängt, verhindert das Aufblühen der
Kleinindustrie und verursacht den Ruin einzelner Zweige der Haus-
industrie. Der Mangel an Angaben über die Akkumulation pro-
duktiver Fonds in der Kleinindüstrie hat somit für uns keine
wesentliche Bedeutung. Anders verhält es sich mit dem Kapital-
zuwachs in den privaten, nicht aktionären Betrieben. Hier ist ein
Zuwachs sicherlich vorhanden. Ueber seinen Umfang aber haben
wir absolut keine, nicht einmal annähernde Angaben. Dieser Um-
stand ist als eine große Lücke in unserer Arbeit zu betrachten.

Ein weiterer Mangel ist die Unmöglichkeit, eine scharfe
Grenze zwischen dem in Rußland selbst akkumulierten Kapital
und demjenigen aus dem Auslande zufließenden zu ziehen. Wir
werden noch Gelegenheit haben, darüber ausführlicher zu sprechen.
Der Mangel an genauen statistischen Angaben zwingt uns in
einigen Fällen mehr oder weniger wahrscheinliche Daten anzu-
wenden.

Wir wollen nun unsere Berechnung mit den Reichsschulden
anfangen. Rußland besitzt keine Obligationen der anderen Staaten,
ein bedeutender Teil seiner Schulden ist dagegen im Auslande

12

Pferdezucht............11250000	Rubel

Milch.....................357370000	»

Rindfleisch...............130000000	»

Häute......................43000000	»

Schafzucht................109392000	«

Schweinezucht .... in 391000	»

762 403 000	Rubel

Die übrigen Zweige der Landwirtschaft haben eine ziemlich
geringere volkswirtschaftliche Bedeutung. Hierzu gehören vor
allem Heu und Stroh, das von den Pferden in der Armee und in
den Städten verbraucht wird. Laut der Fouragetabelle für Pferde
bekommt ein jedes (außer Hafer) täglich 10 Pfund Heu und 4 Pfund
Stroh, was in einem Jahre 90 Pud Heu und 36 Pud Stroh aus-
macht. Der Totalverbrauch von Heu und Stroh der arbeitenden
Pferde außerhalb der Landwirtschaft beträgt somit:

Heu................ 56304000 Pud

Stroh.............22522000 »

Bei den Vorratsanschaffungen (im Jahre 1900) der Fourage
der Intendantenverwaltung im europäischen Rußland kam 1 Pud
Heu auf 40 und 1 Pud Stroh auf 22 Kopeken zu stehen. Folg-
lich gestaltet sich der Gesamtverbrauch wie folgt:

Heu............22521600 Rubel

Stroh..........4954840 »

27476440 Rubel

Die Einnahmen aus dem Weinbau können wir nach den An-
gaben von M. Ballaß x) berechnen. Danach betrug die Fläche der
Weingärten und deren Einnahmen in den neunziger Jahren:

Krym und Gouvernement Taurien		Deßjätinen  .	10120	Pud und  Eimer  2000000	Wert  Rubel  2 500000
Dongebiet .		3000	200000	160000
Gouvernement Astrachan .	.	.		416	166400	250000
»	Bessarabien.	.	.	■	67925	12 529OOO	7517000
»	Cherson ....	7710	1528000	917000
»	Podolien ....	941	130000	130000
	Jekaterinoslaw . .	250	7000	7000
	Zusammen 903622)		16 560400	11481000
Nach	den Angaben der	Schrift: »Die	Lage des	Gartenbau

wesens in Rußland 1901«, umfassen die Gärten im europäischen

‘) Der Weinbau in Rußland, Teil I und V, 1895 und 1899.

2) Nach anderen Angaben soll die Fläche der Weinberge in den Jahren
1898—1900 93070 Deßjätinen ausgemacht haben.

„Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“.

In Verbindung mit Werner Sombart und Max Weber
herausgegeben von Edgar Jaffe.

Redaktions-Sekretär : ’Emil Lederer, Heidelberg.

Jährlich 2 Bände ä 3 Hefte. — Jedes Heft wird für sich berechnet.

Aus dem Inhalt des 2. Heftes des sechsunddreißigsten Bandes.
(März 1913.)

,	ABHANDLUNGEN.

Die naturphilosophischen Grundlagen der Wirtschaftstheorie. Von
Professor SERGEI BULGAKOFF, Moskau.

Zur historischen Analyse des Patriotismus. Von Professor ROBERT
MICHELS, Turin, II. (Schluß).

Zur Systematik der Lohnmethoden. Von Dr. KARL KUMPMANN, Bonn.
Petroleum-Monopol. Von ***.

Ueber die Fortschritte der gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit in
Frankreich. Von PAUL LOUIS, Paris.

Die neue wohnungspolitische Gesetzgebung Oesterreichs. Von Dr.
Karl Forchheimer, Wien.

LITERATUR.

Die Kaufkraft des Geldes. Von W. EGGENSCHWYLER, Turin, II.
(Schluß).

Literatur zum Petroleummonopol. Von Dr. Th. M. VOGELSTEIN,
München.

Zur Soziologie des Parteiwesens der modernen Demokratie. Von
Professor HERMANN ONCKEN, Heidelberg.

Der Geburtenrückgang. Von Dr. SIEGFRIED BUDGE, Frankfurt a. M.

LITERATUR-ANZEIGER.

SOZIALPOLITISCHE CHRONIK.

—p Die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland und Oesterreich, die
Arbeitersozialpolitik und die Kämpfe zwischen Unternehmern und
Arbeitern im Jahre 1912.

46

Nehmen wir an, daß der Zuwachs der Arbeiter sich gleich-
mäßig vollzogen hatte, so finden wir, daß im Jahre 1892 die Zahl
der Arbeiter ungefähr 1080331 betrug. Für die Mitte des Jahres
1900 finden wir Angaben in der »Zusammenfassung der Berichte
der Fabrikinspektoren für die zweite Hälfte des Jahres 1900«
(Swod ottschotow fabritschnych inspektorow« etc.). Von den
kaukasischen Gouvernements war in dieser Zeit die Fabrikinspek-
tion nur im Gouvernement Baku eingeführt; in den sibirischen und
mittelasiatischen Gouvernements gibt es auch heute noch keine
Fabrikinspektion. In bezug auf die kaukasischen Gouvernements
und Provinzen konnten wir die Angaben für das Jahr 1900 be-
nutzen , die sich im »Fabrikregister des europäischen Rußlands«
(»Spissok fabrik i sawodow« etc.) 1903 befinden. Für die sibirischen
und mittelasiatischen Gouvernements müßten wir uns mit den
Daten für das Jahr 1897 begnügen. Nach allen diesen Quellen
war die Zahl der Fabrikarbeiter im Jahre 1900:

In den 50 Gouvernements des europäischen Rußlands .	1 453 488 Arbeiter

Im Königreich Polen........................................ 223047

» Kaukasus................................................. 26956

In Sibirien und Mittelasien................................. 23497

Zusammen 1726988 Arbeiter

Ueber die Arbeiterzahl des Jahres 1908 haben wir Angaben
in der »Zusammenfassung der Berichte der Fabrikinspektoren für
das Jahr 1908« (»Swod« etc.). Zu dieser Zeit war die Fabrik-
inspektion (im Jahre 1902) noch auf drei weitere kaukasische Gouver-
nements ausgedehnt — Kutais, Tiflis und Tschernomorskaja.
Außerdem wurden der Fabrikinspektion im Jahre 1907 auch die
Naphtawerke des Gouvernements Baku mit 46531 Arbeiter unter-
stellt; in den Jahren 1892 und 1900 standen diese Werke unter
der Aufsicht der Berginspektion. Ziehen wir diese Zahl ab und
vervollständigen wir die Angaben der »Zusammenfassung« mit den
Angaben des »Fabrikregisters«, die sich auf das Jahr 1908 beziehen,
so erhalten wir nachfolgende Zahlen:

Europäisches Rußland.............1577699	Arbeiter

Königreich Polen................. 245890	»

Kaukasus.......................... 20184	»

Sibirien und Mittelasien ....	17 451	»

Zusammen 1861224 Arbeiter

Diese Ziffern sind nicht ohne weiteres mit denjenigen für das
Jahr 1900 vergleichbar. Seit 1899, nach der Einführung der neuen



20

an der Weichsel gelegenen und der Wladikaukasuseisenbahnen
(560 Werst) gleich derjenigen der Perm-Samara-Slatoust-, St. Peters-
burg-Warschauer und Süd-West-Eisenbahnen (588 Werst) angesetzt.
Des weiteren ist zu bemerken, daß für die erwähnten Ausgaben
der Lokalbahnen wir keine besondere Rubrik gebildet haben, und
berechneten sie im Verhältnis der Ausgaben der Normalbahnen.
Nach solcher Berechnung stellten sich die Ausgaben für Instand-
haltung und Reparatur der Eisenbahnen auf 138688000 Rubel
heraus. Der Reinertrag gleicht also 317055000 Rubel.

Die Handelsschiffahrt zerfällt in Fluß- und Seeschiffahrt. Nach
den Angaben des »Jahrbuches des Finanzministeriums für 1903«
kursierten auf den Flüssen der 50 Gouvernements (mit Ausnahme
der Weichsel- und einer Hälfte der Njemanschiffahrt):

Schiffe......... 25366

Tragfähigkeit	....	685034000	Pud

Herstellungskosten	.	.	191285000	Rubel

Besatzung....... 40280	Personen.

Nach den »Berichten betreffend die inneren Wasser- und
Chauseestraßen im Jahre 1900« wurden im letzten Jahre auf
Schiffen 1206 133000 Pud transportiert, indem jedes Pud im Durch-
schnitt eine Strecke von 844 Werst ablegte.

Ueber den Personenverkehr fehlen jedwede Angaben. An-
gesichts des Mangels an Daten, die die Bruttoeinnahmen und Aus-
gaben der Flußschiffe betreffen, kann man den Reinertrag der
Flußschiffahrt nur indirekt bestimmen. Nehmen wir den Durch-
schnittsverdienst eines Reeders gleich 20°/o an, was eher mehr als
weniger bedeuten würde, denjenigen eines Angestellten gleich dem-
jenigen eines Fabrikarbeiters (entsprechend den Angaben von
W. E. Warsar für das Jahr 1900 — 215,59 Rubel) und die Navi-
gationsperiode im Durchschnitte etwa 8 Monate, so ist auch diese
Ziffer als allzu groß anzusehen. Wir erhalten dann:

Einnahme der Reeder .... 38257000 Rubel
Arbeitslohn der Besatzung .	. .	8684000	»

Zusammen 46941000 Rubel

Was die Seeschiffahrt anbelangt, so war laut Angaben des
»Jahrbuches des Finanzministeriums für das Jahr 1903« die Zahl
der Registertonnen der in die russischen Häfen (im Jahre 1900)
eingelaufenen Schiffe:

3

*

\

'K

Erstes Kapitel.

Das Volkseinkommen.

Eine exakte Berechnung des Volkseinkommens wäre nur dann
möglich, wenn uns zweierlei statistische Zahlenreihen zur Verfügung
ständen: i. über den Gesamtertrag aller Zweige der Güterproduk-
tion (Handel und Transport mit eingeschlossen) und 2. ebensolche
Daten über die während der Produktion verbrauchten materiellen
Güter (Rohstoffe, Reparatur, Beleuchtung, Heizung sowie die Aus-
gaben für Gebäude-, Maschinen- und Warenversicherung). Abstra-
hieren wir aus dem Gesamtertrag eines bestimmten Produktions-
zweiges den Preis all dieser in der Produktion verbrauchten mate-
riellen Güter, so erhalten wir den Reinertrag, der sich in der
Summe von neu produzierten Werten ausdrückt. Addieren wir den
Reinertrag aller Produktionszweige, so erhalten wir das Jahresein-
kommen eines Volkes. Das letztere umfaßt alle seine Bestandteile,
die Einkommen aller Personen, die an der materiellen Produktion
beteiligt sind (Arbeiter, Angestellte, Kapitalisten, Grundbesitzer)
und die Einkommen aller derjenigen Personen, die an der mate-
riellen Produktion nicht beteiligt sind (Geistliche, Aerzte, Dienst-
boten usw.), sowie die kommunalen und staatlichen Einnahmen.

Die Berechnung des Volkseinkommens ist somit eine einfache
Aufgabe, sobald wir die nötigen statistischen Daten zur Verfügung
haben. Aber bei dem gegenwärtigen Stand der Wirtschaftsstatistik
fehlen diese Angaben nicht nurvin Rußland, sondern auch in den
westeuropäischen Staaten. Eine statistische Berechnung des Ein-
kommens des russischen Volkes ist zurzeit völlig unmöglich. Da
uns genaue Ziffern fehlten, so mußten wir für eine Reihe von Pro-
duktionszweigen uns mit mehr oder weniger annähernden Berech-
nungen begnügen. Diese annähernde Berechnung gibt uns eine
allgemeine Vorstellung von der ökonomischen Lage des Volkes.
Um den Vorwürfen einer tendenziösen Färbung zu entgehen, waren
wir überall geneigt, den Umfang des Reinertrages eher zu ver-
größern als zu vermindern.

I.

29

Die Schtjerbinasche Untersuchung gibt aut diese Frage eine
negative Antwort. Nach seiner Berechnung übersteigen die Aus-
gaben einer Bauernfamilie bedeutend ihre Einnahmen aus dem
Landwirtschaftsbetrieb. Ziehen wir ab die Ausgaben für Samen,
Heu, Stroh, Spreu, Viehanschafiung, Arbeitslohn, Pachtzins, Steuern
und Kredit, so betragen die Ausgaben pro Kopf einer bäuerlichen
Durchschnittsfamilie des Gouvernements Wpronesch:

Für	Nahrung....................................19,46	Rubel

»	Wohnung......................................3,83	»

»	Kleidung.....................................5,50	»

»	andere materielle Bedürfnisse............... 1,43	»

»	religiöse Bedürfnisse........................2,51	»

»	Vieh und Vögel..............................10,64	»

»	Geräte und Pferdegeschirr..................... 1,24	»

Zusammen 44,61	Rubel

Hierzu muß man noch folgende Ausgaben hinzufügen:

Für	Landpacht.................................. 1,47	Rubel

»	Fiskus-, Bezirks- und	öffentliche Abgaben *) .	2,76	»

Zusammen 48,84 Rubel

Nach den Schtjerbinaschen Berechnungen muß der Bauer so-
mit 14,39 Rubel oder 29,5 °/o seines Ausgabebudgets aus anderen
Quellen (also nicht aus dem Ackerbau) herschaffen. Unsere bäuer-
liche Bevölkerung hat nach den angeführten Berechnungen jährlich
ein Defizit von mehr als einer Milliarde Rubel zu verzeichnen. Ein
Teil dieses Defizits wird durch die Einnahmen aus der Hausindu-
strie, die insgesamt 200 Millionen Rubel abwirft, gedeckt. Hierzu
gehört noch der Verdienst der Bauern aus dem Fischfang (etwa
mehr als 100 Millionen Rubel), sowie der Arbeitslohn für Fabrik-
und andere Arbeiten. Aber alle diese industriellen Einnahmen
decken nur einen Teil des Defizits. Um satt zu werden, fehlt dem
Bauernstand eine halbe Milliarde Rubel im Jahr. Daher sind die
ärmeren Schichten der Bevölkerung auf chronisches Hungern an-
gewiesen. In den Jahren, in welchen die Ernte gut ausfällt, sind
die Landeinwohner satt, in den schlechten Jahren dagegen ver-
wandelt sich das chronische Unterernähren in eine akute Hungersnot.

Dies ist, vorausgesetzt die bestehende Verteilung zwischen den
sozialen Klassen, die konkrete Bedeutung, die für das Bauerntum
ein Volkseinkommen im Werte von 63 Rubel pro Kopf haben muß.

*) Nach dem »Versuch einer annähernden Berechnung des Umfanges
verschiedener Quellen der Volkseinnahmen«, 1903.

22

Eisenbahnen		317055000 Rubel
Handelsschiffahrt: Flüsse .	.	46941000	»
„	See . . .	40838000	„
Fuhrmannsgewerbe	.	.	98039000	»
Post- und Telegraph .	.	.	28349000	»

Zusammen 531200000 Rubel

Das Baugewerbe zerfällt in zwei Zweige: Einnahmen von Wohn-
häusern und Bauarbeiten. Nach dem »Versuch einer annähernden
Berechnung des Umfanges der Volkseinkommen nach ihren ver-
schiedenen Quellen« betrugen die Einnahmen von allen städtischen
Vermögen im Jahre 1904 nach der Einschätzung des Finanzmini-
steriums 253450000 Rubel.

An Bauarbeiten beschäftigten sich (nach der Volkszählung von
1897) 545 977 Personen. Nehmen wir an, daß die Produktivität
jedes Bauarbeiters einer solchen eines Fabrikarbeiters gleicht, so
erhalten wir den Reinertrag dieses Gewerbes in der Summe von
219647000 Rubel.

Somit:

Ertrag der Wohnhäuser . . . 253450000 Rubel
»	» Bauarbeiten . . . 219647000	»

Zusammen 473100000 Rubel

Sehr ungenügend sind unsere Daten über den Handel. Nach
den Angaben des Steuerdepartements*) betrug der Warenverkehr
und der Gewinn:

	Warenverkehr	Gewinn	Prozent
	Rubel	Rubel	
1898	3701895300	224393000	6,06
1903	4669718820	277559234	5.94
Im Durchschnitt	O  vO  O  O  00  «-O  00	250976117	6,00

Den Gewinn aus dem Handelsverkehr können wir mit 12 °/o
berechnen; dann erhalten wir einen Gesamtertrag im W'ert von
502298000 Rubel. Diese Ziffer ist größer als der Reinertrag, da
in den 12 °/o auch Ausgaben für Miete der Geschäftsräume inbe-
griffen sind, die wir in der Gesamteinnahme von den städtischen
Häusern	bereits	berücksichsigt haben.

Wirts-	und	Gasthäuser hatten	im Jahre	1898:

Umsatz ....	227738200	Rubel

Gewinn ....	27955330	»

') Die statistischen Resultate der Prozent- und Umlageabgaben im Jahre
1898. St. Petersburg 1900. Materialien zur Revision des Reglementes be-
treffend die Gewerbesteuer. Petersburg 1905 (russisch).

39

um 4 Milliarden Rubel erhöht haben. Besonders stark wird der
Schuldenzuwachs in den Jahren 1895—1896, 1899—1902 und
1904—1907. Die innere Verschuldung blieb dagegen fast unver-
ändert. Sie hob sich bis zum Jahre 1895, sank dann bis zum
Jahre 1901 und blieb fast stabil bis zu den Jahren 1901 —1903.
Vom Jahre 1904 an fängt die innere Verschuldung wieder an zu
wachsen, aber nicht so rapid wie die auswärtige. Der Umstand,
daß die innere Verschuldung während der Jahre 1895—1900 im
allgemeinen sich um 1600 Millionen Rubel verminderte, beweist,
daß ein Teil des russischen Staatsfonds, welcher früher in Ruß-
land angelegt war, nach dem Ausland ausgewandert ist1). Diese
Erscheinung befindet sich in engem Kausalzusammenhänge mit
der Konvertion der inneren Anleihen, die den Zinsfuß von 5 auf
4°/o herabsetzte. Wie wir weiter sehen werden, haben sich diese,
während der verstrichenen Jahrzehnte angesammelten Kapitalien
zum Teil der Industrie zugewandt und verursachten den Industrie-
aufschwung der zweiten Hälfte der neunziger Jahre. In gleicher
Zeit (1895—1900) wuchs unsere auswärtige Verschuldung um
ca. 2000 Millionen Rubel. Der größere Teil dieses Betrages wurde
zur Tilgung der inneren Anleihen verwendet. Etwa 250 Millionen
Rubel wurden vom Fiskus für die Verstaatlichung der Eisenbahnen
ausgegeben. Die Anleihen der Jahre 1904—1907 sind als Folgen
des Krieges mit Japan zu betrachten.

Nach den Angaben der statistischen Sammelwerke des Ver-
kehrsministeriums 2) betrug das Grundkapital der im Betrieb be-
findlichen Eisenbahnen (in Millionen Rubel) (s. Tabelle S. 40):

Das Grundkapital der Staatseisenbahnen ist in unseren Auf-
stellungen betreffend die Prozente der inneren und äußeren Staats-
anleihen bereits inbegriffen. Was die Privateisenbahnen betrifft,
so werden ihre Aktien gewöhnlich auf dem inneren und die Obli-
gationen auf dem auswärtigen Markte plaziert. Während bis zum
Jahre 1893 das Verhältnis zwischen dem Aktien- und Obligations-
kapital zirka drei ausmachte, gestaltete es sich seit diesem Jahre,

’) Die Auswanderung der russischen Fonds stellte schon P. Ch. Schwane-
bach fest. Vgl. »Die Geldreform und die Volkswirtschaft«, 1901 (russisch),

S.	92, 189—190, 198—199.

a) Diese Sammelwerke enthalten Angaben über Eisenbahnen, die sich
schon im Betriebe befinden, folglich wird das Grundkapital der Eisenbahnen
nicht in dem Jahre registriert, in welchem sie ausgegeben werden, sondern
ein, zwei und oft drei Jahre später.

ARCHIV

FÜR

SOZIALWISSENSCHAFT UND SOZIALPOLITIK

IN VERBINDUNG MIT WERNER SOMBART UND MAX WEBER
HERAUSGEGEBEN VON EDGAR J A F F L

JErf/ä 11 zuiu/shejf t X

UEBER DIE

BEDINGUNGEN DER INDUSTRIELLEN
ENTWICKLUNG RUSSLANDS

VON

SERGEJ PROKOPO WITSCH

/

TÜBINGEN

VERLAG VON J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK)

1913

Preis im Einzelverkauf M. 3.—.

Preis für die Abonnenten des „Archivs für Sozialwissenschaft und
Sozialpolitik“ oder der „Ergänzungshefte“ M. 2.40.

56

äußert sich nicht nur in der Größe der Steuern, sondern auch im
Charakter der Besteuerung in der Vorherrschaft der einen oder
anderen Form der Steuererhebung.

Im russischen Budget spielen die indirekten Steuern und Zölle
eine dominierende Rolle.

So betrugen im Jahre 1909:

Direkte Steuern .......	205,3	Milk	Rubel	12,7	°/o

Indirekte Steuern und Zölle .	.	1205,9	»	*	74,4 11

Domänen und Staatsbetriebe . .	208,8	»	»	12,9 »

Somit werden 3/4 des Budgets in Form von indirekten Steuern
erhoben, die hauptsächlich die arbeitenden Klassen belasten *). In
den Reichsetatentwürfen und in den Berichten bezüglich ihrer
Durchführung wird diese Tatsache immer vertuscht, und zwar durch
die Aufnahme in das Budget der Exploitationsausgaben sowie der
umlaufenden Einnahmen, die im Jahre 1909 eine angesehene Summe
von 900 Millionen Rubel erreicht haben.

Da seit dem Jahre 1909 der Finanzminister bei der Berech-
nung der indirekten Größe der einzelnen Posten des Ausgabe-
budgets die Betriebsausgaben der Reichsbetriebe sowie einiger
anderen umlaufenden Ausgaben nicht mehr berücksichtigt, so ist
es jetzt um so weniger angebracht, die umlaufenden Eingänge im
Einnahmebudget beizubehalten. Im Etatentwurf für das Jahr 1909
finden wir zwei Berechnungen des Ausgabebudgets:

Schuldentilgung und	Gesamtetat		Der Reinetat	
Zinsen ....	396,7 Mill. Rub. odei	-16 °|o	396 Mill. Rub. oder	23,7%
Heer und Flotte	536,4 »	21,7 »	536	32,0 »
Reichsbetriebe .	.	784,1	»	»	»	31,7»		 » » »		 »
Verwaltung und an-				
dere Ausgaben .	755,o	»	30,6 »	742,2	»	»	»	44,3 »
Zusammen	2472,2 Mill. Rub.		i675, 3 Mill. Rub.	

') Gerade dieses Vorherrschen der indirekten Steuern in unserem Budget
ermöglichte die Tatsache, wonach die Reichssteuern nicht entsprechend der
Entwicklung der Produktivkräfte des Reiches wuchsen, sondern entsprechend
der Zunahme der Tauschwirtschaft, die sich auf Kosten der Naturalwirtschaft
vollzog. Alle Produkte des Massenkonsums sind bei uns mit Steuern belegt.
Wollte der Bauer Kaufprodukte konsumieren (statt Kienspan Petroleum, statt
Leinwand Baumwolle gebrauchen), geriet er sofort in die Steuermaschine.
Der Zuwachs von Staatssteuern kann daher auch bei einer Stagnation der
Produktivkräfte stattfinden, und zwar infolge der ununterbrochenen Ver-
drängung der Natural- durch die Tauschwirtschaft.

82

ihre Arbeiter erst zu erziehen, was sehr teuer zu stehen kommt.
Zweitens, die Konzentration der Produktion an einem Orte gewährt
die Möglichkeit, die Produktionskosten zu vermindern. Drittens
verfügt die alte Industrie über eine große Anzahl unternehmungs-
lustiger und erfahrener Administratoren, kennt genau den Markt
und besitzt eine gut funktionierende Organisation des Absatzes.
Einer jungen Industrie aber mangelt es an alledem im hohen
Maße. Alle diese Vorzüge einer alten Industrie sind so groß,
daß in mehreren Fällen dieser oder jener Produktionszweig ohne
Zollschutz gar nicht entstehen könnte. Ein Zollschutz in gewissen
Fällen könnte deshalb von großem Nutzen sein. Aber neben den
Industriezweigen, die einen Schutz bedürfen, existieren andere
Zweige, die sich auch ohne Schutz entwickeln können, und noch
andere, die auch unter dem Schutz einer Zollmauer nur zu vegetieren
vermögen. Die Einführung eines Zollschutzes erfordert deshalb
eine besondere Vorsicht; das Eingreifen des Staates in das wirt-
schaftliche Leben muß zweckmäßig und vernünftig sein. Jeder
übermäßig große Zollschutz ist für die Volkswirtschaft von großem
Schaden, da er direkter Verlust für die Konsumenten der
verzollten Produkte ist; indirekt aber trifft er alle Produzenten der
Exportartikel, da er einen entsprechenden Zoll der benachbarten
Staaten provoziert.

Die Zollschutzpolitik Rußlands wird hauptsächlich von dem
Bauerntum bezahlt, da es der Hauptkonsument der verzollten In-
dustrieartikel und der Produzent unseres wichtigsten Exportartikels,
des Getreides, ist, der im Auslande einem Retortionszoll begegnet.
Ist der Schutzzoll mit Geschick und Vernunft eingeführt, so kann
der Schaden, den er der Landwirtschaft und seinem Hauptvertreter,
dem Bauern, beibringt, durch die Erfolge der Fabrikindustrie kom-
pensiert werden; andernfalls ist der Schaden ein direkter Verlust
für die Volkswirtschaft. Anderseits muß man auch damit rechnen,
daß jedes Uebermaß an Schutz für eine Industrie einen technischen
Rückstand zur Folge hat. Ein vernünftiges Schutzsystem auszu-
arbeiten ist sehr schwer. Nicht der Mangel an Wissen bei den
maßgebenden administrativen und gesetzgeberischen Instituten ist
hier ein Hindernis, sondern auch die Eigenschaften jener Persön-
lichkeiten, die als Sachverständige hinzugezogen werden. Als
solche erscheinen immer die Industriellen und Unternehmer, die
die Privatinteressen der Produzenten bestimmter Industriezweige
einseitig beleuchten, wobei hinzugefügt werden muß, daß eine

48

ganzen 902981 Arbeiter beschäftigt, d. h. 645 Arbeiter auf je
1000000 Grundkapital. Nehmen wir an, daß im Jahre 1892 das
Verhältnis zwischen der Arbeiterzahl und dem Grundkapital das-
selbe war, so erhalten wir, daß die Zahl der Arbeiter in den
Aktien- und individuellen Betrieben sich folgendermaßen verteilte:

Aktienbetriebe
1892	270900	Arbeiter

1908	902981	»

Zuwachs	632081	»

Individuelle Betriebe
809431 Arbeiter
1016014	»

206 583	»

Diese Ziffern zeigen, daß in den letzten 16 Jahren in Rußland
hauptsächlich die Aktienbetriebe sich entwickelt haben. Da im
Jahre 1892 die organische Zusammensetzung des Kapitals zweifellos
niedriger war, als im Jahre 1908, so muß die Arbeiterzahl in den
Aktienbetrieben etwas größer und die Zahl in den individuellen
Betrieben etwas geringer sein. Der Fehler beträgt aber kaum
mehr als 100000 Arbeiter. In diesem Falle werden wir in den
individuellen Betrieben einen allgemeinen Zuwachs von 300OOO Ar-
beitern haben. Nehmen wir an, daß die organische Zusammen-
setzung des Kapitals in den individuellen Betrieben um 2 mal
niedriger ist, als in den Aktienbetrieben, dann erhalten wir, daß
das Grundkapital, das für die Beschäftigung dieser 300000 Arbeiter
notwendig ist, nur 230 Millionen Rubel ausmacht, oder etwa
15 Millionen Rubel im Jahre Zuwachs 1).

Die Arbeiterzahl in der Bergindustrie2) hat sich folgender-
maßen vermehrt (mit Ausnahme der Arbeiter, die sich unter Auf-
sicht der Fabrikinspektion befinden und mit Einschluß der Arbeiter
der Naphtawerke im Gouvernement Baku, die der Fabrikinspektion
im Jahre 1907 unterstellt wurden):

50 Gouvernements des europäischen	1892

Rußland.............................349014	Arbeiter

Königreich Polen.......................26879	»

Kaukasus............................ 15 475	»

Sibirien und	Mittelasien...............48588	»

Zusammen 439956 Arbeiter

1908

473446 Arbeiter
44356	»

65825
84 797

668424 Arbeiter

Der Zuwachs für 16 Jahre beträgt 228468 Arbeiter oder 51,90/0
der Anfangszahl (im Jahre 1892). Angesichts der großen Entwick-

’) Die Geringfügigkeit dieser Ziffer erklärt sich dadurch, daß eine be-
deutende Zahl großer Privatfirmen in Aktienbetriebe verwandelt wurde.

s) »Sbornik statistitscheskich swedenij gornosawodskoj promyschlennosti
Rossii« für die entsprechenden Jahre.

s

	Reinernte		Durchschnitts- preis in den	Brutto-
von	1 Deßjät.	Total	Jahren 1896	einnahmen
	Pud	Pud	bis 1900 Kopeken ■)	Rubel')
Winterkorn . .	37,8	912433746	53,8	490 900 I 15
Sommerkorn .	25,4	5366588	53,8 •)	2 887 224
Winterweizen .	39,7	113550694	75,i	85276571
Sommerweizen	30,5	364291726	74,8	272 49021 I
Hafer ....	33,2	459923 484	49,6	228 122048
Gerste .	.	.	34,1	222 160 560	53,2	118189418
Spelz ....	27,3	10598324	53,2 2)	5638308
Buschweizen .	18,0	38194218	65,8	25131795
Hirse ....	40,8	97309387	49,9	48557384
Mais ....	5L2	51384525	44,9	23071652
Erbsen .	. .	30,8	26780230	70,3	18826502
Linsen .	.	.	26,1	9423953	40,02)	3769581
Bohnen .	.	.	48,8	2967235	I00,02)	2967235
Total	34,7	2314404670	57,3	1325828044

Nach L. N. Mareß müssen die Angaben des statistischen
Zentralkomitees erhöht werden, und zwar nach den Angaben der
Semstwo-Statistik für die Bauernernten um io °/o und für diejenigen
der Gutsbesitzer um 20 °/o 3). Die Differenz rührt wahrscheinlich
daher, daß die Semstwo-Statistik unter »Privatbesitz« etwas anderes
im Auge hat, als die Schriften des statistischen Zentralkomitees.
Wir können daher annehmen, daß der Irrtum in bezug auf die
Ernten der privatbesitzlichen Ländereien nicht höher als io°/o ist.
In diesem Falle gleicht die Bruttoeinnahme vom Getreidebau
1 458411 000 Rubel.

Nach den gleichen Angaben des statistischen Zentralkomitees
war der Umfang der Aussaatfläche, der Ernte der handelsindu-
striellen Pflanzen sowie die Bruttoeinnahme von denselben, wie
folgt (Tabellen siehe S. 6):

Wenn wir, dem Beispiele von L. N. Mareß folgend, die Ernte
der handelsindustriellen Pflanzen um io°/o erhöhen, erhalten wir
eine Bruttoeinnahme von 384096000 Rubel. Wie man aus den
vielen Bemerkungen zu der soeben angeführten Tabelle ersehen
kann, haben unsere Angaben betreffend Saat, Ernte und Preise
der handelsindustriellen Pflanzen, durchaus nicht die erwünschte

’) 1 Rubel = 100 Kopeken = 2,65 Frank.

2)	Annähernde Zahlen.

3)	»Der Einfluß der Ernten und der Getreidepreise«, Bd. I, S. 7 (russisch).

78

Laad mit einer schwachen kapitalbildenden Fähigkeit braucht
immer den Kapitalzufluß., Um dieses Ziel zu erreichen, muß die
Rentabilität des Kapitals, das in der bearbeitenden und extrahie-
renden Industrie investiert ist, ununterbrochen auf einem künstlich
hohen Niveau erhalten bleiben. Daraus das ununterbrochene Wachs-
tum der Schutzmauer für die heimische Industrie. Die Zollabgaben
in kapitalarmen Ländern fördern die Entwicklung neuer und schützen
die schon existierenden gutentwickelten Industrien, — häufig mit
Hilfe höherer Zollsätze als diejenigen, die bei der Entstehung
dieser Industriezweige bestanden haben. In den reichen Ländern
hat der Kapitalzufluß in die protektionierten Industriezweige die
Entwicklung der inneren Konkurrenz und die Herabsetzung der
Preise zur Folge, was die hohen Zollsätze überflüssig macht. In
den kapitalarmen Ländern dagegen entwickelt sich die innere
Konkurrenz nur sehr langsam, die Preise bleiben gewöhnlich auf
dem maximalen Niveau, das durch die Zollsätze bestimmt ist, und
der rasche Fortschritt der ausländischen Industrie — bei dem
schwachen Wachstum der vaterländischen — macht einen weiteren
Schutzzoll notwendig.

Vom Standpunkt der ausländischen Konkurrenz ist nicht nur
der Fortschritt der Industrie, sondern auch sein Tempo von großer
Wichtigkeit. Ein Land mit einer geringfügigen kapitalbildenden
Fähigkeit und ungenügendem Zufluß ausländischen Kapitals kann
seine Industrie, trotz des intensiven Zollschutzes, viel langsamer
entwickeln, als es die reichen Nachbarn tun, und wird folglich
immer mehr Zurückbleiben. Gerade diesen Charakter aber trägt
die Entwicklung der Industrie in Rußland. Diese Erscheinung, die
ganz natürlich ist für ein Land, das durch die Steuerschraube er-
schöpft ist, erscheint für Professor Soboleff ganz unbegreiflich.
Nachdem er das Wachstum der Zollsätze in Rußland gekennzeichnet
hat, stellt Professor Soboleff die Frage auf: »Was aber ruft die
Hebung der Zollsätze hervor. Es ist doch unmöglich anzunehmen,
daß eine Industrie, geschützt durch hohe Tarife und allerlei Pri-
vilegien, Subventionen, staatlichen Aufträgen usw., statt sich zu
vervollkommnen immer mehr zurückgeht im Vergleich mit der
westeuropäischen Konkurrenz. Wäre es denn so, so wäre der
Protektionismus eine Ursache, die den Niedergang der Industrie
herbeiführt1). Die Daten, die wir im zweiten Kapitel angeführt

*) Ibid. S. 823.

the scale towards document





i

o

w

O

~-i

cn

~-i

>

O

00

03

00

>

00

O

CD

03

CD

	Prozent der
	Steuer-
	belastung
i86i—1S65	20,7
1866—1870	>4,9
t"»  00  T  00	>3,o
1876—1880	>6,3
00  00  7  CO  00  G/u	>9,6

8 I

Das Grundkapital
der A.-G. (Jahres-
durchschnitt)

Millionen Rubel

>9,9
>33,8

89.9

28.9
45,4

'abelle zeigt, daß der liberale Tarif des Jahres 1868
eueren Zufluß des ausländischen Kapitals nach Ruß-
pf- Im Jahre 1867 betrug das Kapital der gegründeten
chaften nur 70,5 Millionen Rubel. Im Jahre 1868
.on 184,2 Millionen Rubel, im Jahre 1869 154,9. Die
ires 1873 hat diesen Zufluß eingeschränkt. Nachher
rkische Krieg und der Uebergang zum Protektionismus,
anomische Entfremdung Rußlands hervorgerufen hat.
Wachstum der Kapitalien der gegründeten Aktiengesell-
:n Jahren 1881 —1885 erklärt sich wahrscheinlich durch
len heimischer Kapitalien. Diese Wirkung der hohen
i durchaus nicht rätselhaft. Je größer der Handels-
:hen Rußland und dem Ausland, je mehr Verbindungen
en Fabrikanten und Händler in Rußland besitzen, je
usländischen Kapitalisten und Unternehmer von den
rhältnissen informiert sind, um desto leichter vollzieht
uß des ausländischen Kapitals und der ausländischen
gslust. Eine nationale Isolierung stoßt sie dagegen
n den seltenen Momenten, wie z. B. in den Jahren
gelingt es, diesen Widerstand zu überwinden, wobei
und die speziellen Privilegien eine große Rolle spielen,
itionalistische Tendenzen kommen der Volkswirtschaft
.Euer zu stehen.

krott, den die dreißigjährige Politik des generellen
us in Rußland erfahren hat, spricht weder für noch
vernünftigen Schutz einzelner Industriezweige. Die Er-
:e, daß die Erziehungszölle zweifellos eine positive
lben. Im Vergleich zu der entstehenden Industrie
» hat die entwickelte Industrie der alten kapitalistischen
e wichtige ökonomische Vorteile. Erstens verfügt
itrie über einen genügenden Stamm erfahrener und
Arbeiter; die junge Industrie ist dagegen genötigt,

issensch. u Sozialpol. Ergänzuugsheft: Prokopowitsch.	6

i8

dieser Betriebe mit den von W. E. Warsar angegebenen Preisen,
so erhalten wir folgende Tabelle:

	Zahl der  Arbeiter	Allgemeiner  Wert  Rubel	Reinertrag  Rubel
Branntweinbrennerei ....	27231	43 214000	27I17000
Hefeindustrie ’)		53	6 599000	6573 000
Schnapserzeugung		3 110	3774000	3067000
Gewinnung von Fruchtschnaps .	130	245000	245 000
Bierbrauerei	)	11 536	39075000	34070000
Metbrauerei	/		459000	224 000
Zuckerfabrikation		99 963	153 068000	113038000
Tabakindustrie		34112	35499000	9228000
Zündhölzerfabrikation ....	16792	4273 000	4086000
Naphtaindustrie		1696	I 780000	271OOO
Zusammen	194623	287986000	I97 9I9°00

Vom allgemeinen Wert könnten wir nur den Wert der Roh-
materialien abziehen, aber auch das nicht ganz (so z. B. nicht den
Wert der Weintrauben oder den der Früchte für die Schnaps-
produktion oder den Wert des Holzstrohs für Zündhölzer). Die
Ausgaben für Heizung, Beleuchtung, Gebäude- und Maschinen-
reparatur sind im Reinertrag mitgerechnet. Die erhaltene Ziffer
ist daher weit größer als die wirkliche.

Ueber das Handwerk besitzen wir überhaupt keine statistk
sehen Angaben. Nach der Volkszählung von 1897 beschäftigt die
bearbeitende Industrie in den Städten, mit Ausnahme der Betriebe,
die mit Akzise belegt sind, 1501335 Arbeiter. Nach dem »Ver-
zeichnis der Fabriken und Werke des europäischen Rußlands 1903«
arbeiteten in den städtischen Betrieben von den in den Jahren 1900
und 1901 in das Verzeichnis aufgenommenen 1 144558 Arbeiter
bloß 539901, also etwa 47°/o. Insgesamt arbeiteten in den Fa-
briken 1258865 Personen, somit in den Städten 591667 Arbeiter.
Hierzu gehören noch 44615 Arbeiter, die sich in den Städten der
Eisengießerei und Eisenbearbeitung widmen, im ganzen also 636282
Arbeiter. Außerdem sind ca. 2 5 ooo Personen als Besitzer und
Angestellte ‘ in den städtischen Betrieben beschäftigt. Folglich
macht die Zahl der Handwerker ca. 840000 Personen aus. Wenn
wir die Leistung eines jeden Handwerkers derjenigen eines Fabrik-
arbeiters gleich ansetzen (402,30 Rubel pro Jahr), finden wir, daß

!) Hefe wird auch als Nebenprodukt bei der Gewinnung des Brannt-
weines in den Branntweinbrennereien erzeugt.

35

Staat	Einkommen  Rubel	Steuer  Rubel	Prozent
Australien ....	■	•	374	23,6	6,3
Vereinigte Staaten .	.	.	346	23,6	6,8
Kanada 			GA	5-2
Argentinien ....		22,5	12,4
Rußland		■	•	63	12,4	19,6

Es ist klar, daß unsere Konkurrenz mit diesen Ländern völlig
aussichtslos ist. Ein bedeutendes Sinken der Getreidepreise auf
dem Weltmärkte wird uns zum Bankrott treiben, während es für
unsere Gegner nur eine kleine, kaum empfindliche Verminderung
des Jahreseinkommens bedeuten würde. Die jungen Kolonialstaaten
haben von der russischen Konkurrenz eben so viel Angst, wie
der Millionär vor der Konkurrenz eines Bettlers.

Die dritte Gruppe bilden die in den neunziger Jahren insol-
vent gewordenen Staaten, welche ihre Zahlungen teilweise einstellten
oder eine 20°/oige Couponsteuer einführten:

Staat	Einkommen	Steuer	Prozent
	Rubel	Rubel	
Portugal (1892)	. .	.	.	IOI	17,0	16,8
Griechenland (1893) .	■ •	93	17,0	18,3
Italien (1894) . .	.	.	.	104	25-5	24,5
Spanien (1898)	.	.	.	.	120	16,1	13,4
Rußland		. .	63	12,4	19,6

Rußland hat seine Schulden immer richtig bezahlt. Aber das
Schicksal von Portugal, Griechenland, Italien und Spanien, die
viel reicher sind und weniger unter dem Drucke der Steuerlast
zu leiden haben, hat auch in bezug auf Rußland Befürchtungen
hervorgerufenx). Mag die Reichskasse sich in befriedigendem
Zustande befinden, mögen die Staatseinnahmen die Ausgaben über-
steigen, und dennoch kann ein Staat dem Bankrotte entgegen-
gehen. Ein Staat ist kein Handelsunternehmen, und eine entschei-
dende Bedeutung für ihn hat nicht die Einnahme- und Ausgabe-
bilanz, sondern die Wirkung der Finanzpolitik auf das Wirtschafts-
leben des Volkes. Gelingt es auch der Regierung vermittels un-
unterbrochener Einführung von neuen Steuern und Erhöhung der
alten knapp auszukommen, so besagt doch dieser Finanzwohlstand
der Regierung nichts über den Stand der Volkswirtschaft. Für

6i

In den Jahren	Zusammen im Durchschnitt	Stammkapital der A.-G. im Durchschnitt	
1901 —1904	i,o Millionen Rubel	12,1	Millionen Rubel
1905	7,0	»	»	37,5	» »
1906	52,5	4,2	» ».
1907	91,2	40,4	» »
1908	127,1	G,4	»
1909	? »	io,6	» »

Was aber den Abfluß des russischen Kapitals ins Ausland
anbetrifft, so war es, wie dies die Progression des Zuwachses des
Industriekapitals im Reiche zeigt, nur vorübergehender Natur und
unbedeutend. Der Kapitalzuwachs ging in folgendem Tempo
vor sich:

In den Jahren	Zusammen im Durchschnitt	Stammkapital der A.-G. im Durchschnitt	
1901 —1904	167,8 Millionen Rubel	99,4	Millionen Rubel
1905	- 53,4	99,7	» »
1906	340,5	127,3	„
1907	259,8	192,6	» » '
1908	245,5	i54,i	»
1909	} » »	99,5	»

Ein Rückgang konnte nur im Jahre 1905 konstatiert werden.
Er erklärt sich ausschließlich durch das Abnehmen der Konto-
korrente um einen Betrag von 153,1 Millionen Rubel, davon
126,1 Million Rubel laufender Rechnungen der Sparkassen der
Reichsbank. Der Rückgang erklärt sich somit hauptsächlich durch
den Abfluß des Geldes ins Innere des Landes, da man schwerlich
annehmen kann, daß die kleinen Sparer ihr Geld nach dem Aus-
lande überwiesen haben. Was aber die Gründung von neuen
Aktiengesellschaften und die Erweiterung der bereits vorhandenen
anbetrifft, so kann man hier keine Stockung verzeichnen, sondern
im Gegenteil, einen gewissen Aufschwung bis zum Jahre 1907 —
wie immer nach einem Kriege *) —, worauf ein Niedergang folgte.
Dagegen war der Zufluß des ausländischen Kapitals gerade in
diesen Jahren sehr minimal. Somit erzielte die russische Industrie

*) Einen ähnlichen Aufschwung erlebte die russische Industrie in den
Jahren 1855—1856 nach dem Krimkrieg und im Jahre 1879 nach dem türki-
schen Krieg. Vgl. W. Besobrasow, »Ueber einige Erscheinungen des Geld-
verkehrs in Rußland«, 1864, S. 24; Derselbe: »Rußlands Volkswirtschaft«, 1882,
Bd. I, S. 277 (russisch).

86

Danach kehrten aus dem Auslande während der letzten zwei
Jahre etwa 850 Millionen Rubel russischer Reichsfonds zurück1).
Die Regierung hat keine Mittel, um auf dieses Element der
Zahlungsbilanz eine Wirkung auszuüben; es ist nutzlos, irgend-
welche Opfer für eine positive Handelsbilanz zu bringen, sobald
der Exportüberschuß (im Verhältnis zum Import) jeden Tag nach
dem Auslande zum Einkauf russischer Wertpapiere abfließen kann.
Bei der heutigen Sachlage besitzt die Regierung nur ein Mittel
zur Regulierung einer ungünstigen Zahlungsbilanz. Und dieses
Mittel ist die Abschließung neuer Anleihen. Wir sind deshalb
der Meinung, daß die Sorge um eine günstige Zahlungsbilanz
schon in der nächsten Zeit keinen Einfluß auf die Handelspolitik
Rußlands ausüben wird.

Ganz anders steht es mit dem dritten Motiv unserer Zoll-
politik — mit dem fiskalischen. Solange die Besteuerung etwa
20° 0 des Volkseinkommens absorbiert, müssen die Zölle, als eine
der bequemsten Besteuerungsformen, notwendigerweise ein Maximum
der Einnahmen gewähren. Eine radikale Herabsetzung der fiska-
lischen Zölle können wir deshalb nur in Verbindung mit einer
Herabsetzung der Steuerbelastung erwarten, was aber nur dann
möglich wäre, wenn der Charakter unserer auswärtigen Politik
wesentlich geändert wird und wenn die Ausgaben für Heer und
Marine eingeschränkt werden. Solche radikalen Reformen sind
aber nur unter einem demokratischen Regime denkbar. Solange
wir ein solches nicht besitzen, sind nur relativ unbedeutende
Herabsetzungen der Zollsätze und zwar zwecks Vergrößerung der
Zolleinnahme zu erwarten. Die Zollarithmetik ist bekanntlich ein
sehr launiges Ding und größere Zolleinnahmen lassen sich
manchmal durch geringere Zollsätze erzielen. Die Vergrößerung
der Zolleinnahmen durch eine Herabsetzung der Zollsätze wurde
bis zuletzt durch die Sorge um die Handelsbilanz und durch den
generellen Protektionismus verhindert. Verschwinden diese Motive
unserer Zollpolitik von der Oberfläche, so gelangen wir zu der
Herabsetzung der Zollsätze, wie es in den Jahren 1852—1875 der

’) Diese Erscheinung steht zweifellos im Zusammenhang mit dem noch
nie dagewesenen Wachstum des russischen Exports der letzten Jahre:

Jahre	Export	Handelsbilanz
1909	1427,7 Mill. Rubel	+ 521,4 Mill. Rubel
1910	1449,1	»	+ 364,7 »
1911	1591,4 »	+ 429,7	»

Unsere Staatsbudgets werden nach dem Muster der Kassen-
bücher der kaufmännischen Betriebe aufgestellt. Sie bestehen aus
allen Ein- und Ausgängen verschiedener Ressorts. In die Rubrik
der Staatseinnahmen werden daher auch die Gesamteinnahmen
der Staatseisenbahnen eingetragen, ohne Abzug der Betriebskosten,
sowie verschiedene umlaufende Posten und Ersparnisse. Bei einem
solchen Budgettypus ist es natürlich, daß die Summe der ange-
gebenen ordentlichen Einnahmen dem tatsächlichen Quantum der
von der Regierung aus dem Volkseinkommen für die Verwaltungs-
zwecke erhaltenen Werte nicht entspricht. Die effektiven Ein-
nahmen sind in der Wirklichkeit geringer als die im Budget an-
gezeigten Kasseeinnahmen.

Um den wichtigen Umfang der Steuerbelastung festzustellen,
müssen wir aus der Gesamtzahl der im Budget angeführten Ein-
nahmen zuerst alle umlaufenden Einnahmen abschreiben, — Ueber-
weisungen aus den anderen Ressorts, Ersparnisse, Restbestände,
Einnahmen aus dem Verkauf untauglicher Gegenstände, Rück-
zahlungen usw.

Verschiedene Betriebe, die zur Befriedigung der Staatsbedürf-
nisse dienen, wie z. B. die Militärwaffenfabriken, figurieren im
Staatsbudget nur in der Ausgabeabteilung. In der Einnahmerubrik
werden nur solche Betriebe erwähnt, die ganz oder teilweise den
Bedürfnissen von Privaten dienen, so z. B. die Eisenbahnen, Buch-
druckereien usw. Sobald ein Betrieb ganz oder fast ausschließlich
Privaten dient, kann er als eine Einnahmequelle des Staates an-
gesehen werden. Der Fiskus eignet sich einen Teil des Volks-
einkommens in der P'orm des Reinertrages dieser Betriebe an,
wie es z. B. bei den Eisenbahnen oder beim Branntweinmonopol
der Pall ist. Um diesen Reinertrag zu ermitteln, müssen wir von
den Bruttoeinnahmen die Betriebskosten abziehen. Dient dagegen
der Betrieb hauptsächlich den Zwecken der Verwaltung und ver-
äußert nach außen nur einen geringen Teil seiner Erzeugnisse, so
daß der Ertrag derselben die Betriebskosten kaum oder gar nicht
zu decken vermag, so erhält der Staat davon keinen Reingewinn
und eignet sich folglich dadurch nichts vom Volkseinkommen an.
Die von solchen Betrieben gewonnenen Einnahmen verringern
nur die Betriebskosten.

bei solcher Erweiterung der Staatsfunktionen ist es geboten, um die Steuer-
belastung richtig bestimmen zu können, die Verwaltungskosten von den Pro-
duktionskosten getrennt zu behandeln.

I

Einleitung.

Die russische nationalökonomische Literatur verfolgt zwar sehl-
aufmerksam die industrielle Entwicklung Rußlands, doch meistens
faßt sie das Problem sehr einseitig auf. Für die Entwicklung der
Industrie braucht man nicht nur einen Schutz vor der ausländischen
Konkurrenz oder irgendwelche andere Förderungsmittel, — man
braucht vor allem die innere Kraft der ökonomischen Expansion,
deren Maßstab man in der kapitalbildenden Fähigkeit der Nation
erblicken kann. Die Größe der nationalen Ersparnisse aber, die
man für die Entwicklung der Produktivkräfte verwendet, befindet
sich im engsten Zusammenhang mit der Intensivität der Steuer-
belastung. Für den ökonomischen Fortschritt eines Landes hat
somit eine entscheidende Bedeutung nicht die Zoll-, sondern die
Finanzpolitik der Regierung. Die Frage darüber, wie die Finanz-
politik auf das Wachstum der Kapitalien und auf die Entwicklung
der Produktivkräfte in Rußland gewirkt hat, blieb bis heute so
gut wie unerörtert. Die vorliegende Arbeit möchte den Versuch
machen, diese Lücke auszufüllen.

Dank der außerordentlich hohen Norm der Steuerbelastung,
die die wirtschaftlichen Kräfte des Landes im höchsten Maße
schwächt, übt die russische Regierung einen unvergleichlich größeren
Einfluß auf das wirtschaftliche Leben des russischen Volkes aus,
als es die westeuropäischen Regierungen in ihren Ländern ver-
mögen. Ein glänzendes Beispiel dieses Einflusses ist das Aufblühen
der russischen Industrie in den Jahren 1895—1901, das durch die
Maßnahmen des f'inanzministeriums geschaffen wurde. Bei dieser
Sachlage finden wir es methodologisch unrichtig, wenn man irgend-
eine Frage des ökonomischen Lebens Rußlands ohne Rücksicht
auf die Finanzpolitik und ihre ökonomischen Folgen betrachtet.
Die Finanzpolitik der Regierung wirkt aber anderseits sehr stark
auf die Richtung ihrer Wirtschaftspolitik. Daher halten wir es für
unrichtig, wenn man irgendeine P'rage der Wirtschaftspolitik, z. B.

Arch. f. Sozialwissensch. u. Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch.	I

63



erscheinen lassen. Wir haben die rasche
lation des Kapitals im Auge1):

Kapitalzuwachs
Millionen Rubel

einheimische Akkumu-

Warenausfuhr
nach dem Ausland
Millionen Rubel

1893 — 1896	103,7
1897—1900	111,8
1901 —1904	209,4
1905—1908	339,i

661.4

700.5
907,4

1055,2

Diese Tabelle zeigt, daß mit der Entwicklung der Tausch-
wirtschaft und der kapitalistischen Verhältnisse — darauf weist
der Warenexport hin — ein ziemlich gleichmäßiges Wachstum
der Kapitalakkumulation zu beobachten ist2). Trotz der depri-
mierenden Wirkung, die die übermäßige Steuerbelastung ausübt, ist
in den letzten acht Jahren eine bedeutende Verstärkung der kapital-
bildenden Fähigkeit der russischen Volkswirtschaft zu verzeichnen.
Der Kapitalzuwachs in den Jahren 1901 —1908 ist um 2^2 mal
größer als die nationalen Ersparnisse in den Jahren 1893 — 1900.
Diese Belebung der wirtschaftlichen Kräfte, die zwar unfähig ist,
die internationale wirtschaftliche Lage Rußlands zu ändern — in
diesen Jahren haben die anderen Länder, mit Deutschland an der
Spitze, einen kolossalen Aufschwung erlebt —, muß einen sehr
wesentlichen Einfluß auf die ökonomischen Verhältnisse innerhalb
des Reiches ausüben. Die russische Industrie hatte bis jetzt, im
Unterschied zu der Industrie anderer Länder, die in bezug auf den
Kapitalismus voraus sind, einige spezifische Besonderheiten, die
eine tiefe Wirkung auf den Entwicklungsgang ausgeübt haben.
Die hohe Zollmauer, die sie von der westeuropäischen Industrie
trennt, milderte die Wirkung der Krisen, die die westeuropäischen
und amerikanischen Länder periodisch erschütterten; gleichzeitig
übten auf sie eine große Wirkung auch die heimischen Verhält-
nisse aus, hauptsächlich die Getreideernte. Die spezifische Be-
sonderheit der russischen Industrie lag aber in der Rolle, die in
ihrem Leben die russische Regierung spielte. Die großen Aus-
gaben des Staates für Heer und Flotte, die kolossalen Unterneh-
mungen der Krone — Eisenbahnen, Branntweinmonopol, F'abrik-

‘) Ohne diejenigen Kapitalien, die in den individuellen (also nicht auf
Aktien gegründeten) Betrieben investiert sind.

2) Eine gewisse Bedeutung hat auch das Wachstum der Preise für russische
Exportwaren auf dem Weltmärkte.



50 —

Jahre	Reichs-  schuld  110,9	Eisenbahn-  obli-	Stamm-  kapital	Zusammen
1897		gationen  378,4	der A.-G.  32,3	521,6
1898	- 272,7	149,5	69,8	- 53,4
1899	CO  <~n  To	93,9	93,5	1038,6
1900	351.2	- 103,4	48,1	295,9
1901	94,5	99,5	28,7	222,7
1902	253.0	15,4	13,8	282,2
1903	72,7	— 168,7	3,8	- 92,2
1904	302,3	9,5	2,1	3i3,9
1905	- 454,2	- 30,5	37,5	461,2
1906	366,4	48,3	4,2	418,9
1907	316,8	50,8	40,4	408,0
1908	67,6	111,7	15,4	194,7

Wie bereits bemerkt wurde, gibt diese Tabelle keine genaue
Aufklärung über den Zuwachs der ausländischen Kapitalien in Ruß-
land. Ein Teil der Eisenbahnobligationen ist z. B. auf dem inneren
Markte placiert; ein Teil der Eisenbahnaktien dagegen befindet
sich im Auslande. Außer den Kapitalien, die bei den sogenannten
ausländischen Aktiengesellschaften (deren Sitz sich im Auslande
befindet) angelegt worden sind, placieren die Ausländer ihre Kapi-
talien auch in den russischen Aktiengesellschaften (deren Sitz sich
im Inneren des Landes befindet). Schließlich wird ein Teil des
konzessionierten ausländischen Kapitals gar nicht realisiert oder
er wird im Auslande verwendet. Trotz alledem schildert die von
uns aufgestellte Tabelle den Zufluß des ausländischen Kapitals
ziemlich richtig. Gruppieren wir die Zahlen für jede vier Jahre, so
erhalten wir die nachfolgende Tabelle des Kapitalzuflusses pro Jahr
(in Millionen Rubel):

	Zuwachs	Kapital-		
Jahre	der	zuwachs	Zu-	In
	Reichs-	in der	sammen	Prozent
	schuld	Industrie		
1893 — 1896	187,8	— 42,0	144,9	100
1897 — 1900	260,1	190,6	450,7	311
1900—1904	180,6	1,0	181,6	125
1905—1908	301,2	69,5	370,7 fi  287,0	256
Im Durchschnitt	232,4	54,6		—
In Prozent	81,0	19,0	IOO	—

Der Vergleich dieser Tabelle mit der analogen, die den Ka-
pitalzuwachs im Reiche behandelt, ergibt einige sehr interessante
Folgerungen. Erstens ist festzustellen, daß der Gesamtbetrag des

8o

unser Protektionismus sui generis, dessen Hauptaufgabe die Heran-
ziehung ausländischen Kapitals ist, von einem vollen Erfolg ge-
krönt ist. Bei näherem Zusehen aber stellt sich heraus, daß unsere
Zollpolitik in dieser Hinsicht ein völliges Fiasko erlitten hat. Die
ausländischen Kapitalisten haben wenig Vertrauen zu fremden
Leuten, deren Gewissenhaftigkeit und Tüchtigkeit ihnen unbekannt
sind. Die Uebersiedlung nach Rußland aber ist für sie wenig ver-
lockend. Sie ziehen es deshalb vor, ihre Ersparnisse in jene
kolonialen Länder zu schicken, wo sie die gewohnten, rechtlichen,
politischen und kulturellen Bedingungen vorfinden; in Rußland
aber fordern sie eine Garantie des Staates. Aus der Gesamtsumme
der auswärtigen Kapitalien, die in den Jahren 1893—1908 nach
Rußland hinübergesiedelt haben, sind es nur 20°/o, die in der
Privatindustrie investiert worden; 8o°/o sind in die Reichsfonds

eingelegt. Durchschnittlich betrug der Kapitalzufluß im Jahre		
	Heimisches	Ausländisches
	Kapital	Kapital
	Mill. Rubel	Mill. Rubel
1893—1896	34,8	— 42,9.
1897—1900	340,7	190,6
1901 — 1904	167,8	1,0
1905—1908	198,1	69,5
Durchschnittlich	185,3	54,6

Diese Tabelle zeigt, daß alle Anstrengungen, die das Land
für die Heranziehung ausländischen Kapitals gemacht hat, ergeb-
nislos blieben. Um jährlich 55 Millionen Rubel zu erhalten,
brauchte man nicht die Zollsätze generell heraufzuschrauben und
einen entsprechenden Zoll für unseren Export zu provozieren.
Durch eine Anspannung des Reichskredits könnte man diese
55 Millionen Rubel billiger erhalten. Der Mißerfolg unserer Zoll-
politik wird noch deutlicher, wenn man den Zufluß des ausländischen
Kapitals nach Rußland in den Jahren 1893 —1908 (als zur Zeit
•des höchsten Triumphes des Zollschutzes) mit dem Kapitalzufluß
vergleicht, der in den Jahren 1860—1870 (während der frei-
händlerischen Aera) zu verzeichnen war. Die heimische Kapital-
akkumulation war damals ganz minimal und die Aktiengesell-
schaften gründeten sich hauptsächlich vermittels des ausländischen
Kapitals. Vergleichen wir die Größe des Grundkapitals der ge-
gründeten Aktiengesellschaften mit der Höhe der Zollbelastung,
so erhalten wir folgende Tabelle:

54

Rubel ab. »Der Finanzminister hält es für seine Pflicht, zu be-
tonen,« — schrieb Bunge in seinem alleruntertänigsten Bericht —,
»daß die Regulierung der Verhältnisse zwischen den Einnahmen
und Ausgaben vermittels Erhöhung der früheren oder Einführung
von neuen Steuern momentan nicht zeitgemäß wäre.«

Am i. Januar 1887, sofort nach Veröffentlichung dieses Finanz-
anschlages, wurde N. Ch. Bunge entlassen. An seine Stelle wurde
I. A. Wyschnegradsky berufen, der eine unermüdliche Energie in
bezug auf Einführung von neuen Steuern und Erhöhung der alten
an den Tag legte. Die Hungersnot von 1891 machte aber auch
ihn vernünftiger. Der Etatentwurf auf das Jahr 1892 schloß mit
einem Defizit von 25 Millionen Rubel. In seinem alleruntertänig-
sten Begleitschreiben erlaubte sich Wyschnegradsky folgendes zu be-
merken: »Auf den ersten Blick könnte es als natürlich erscheinen,
neue Einnahmequellen zur Deckung des sich ergebenden Defizits
ausfindig zu machen; allein diese neuen Quellen, mögen sie nun
in beliebiger Form erscheinen, führen eigentlich am Schlüsse nur
zur Einführung von neuen und Erhöhung der alten Steuerabgaben.
Da die Mißernte nicht nur die Getreideproduzenten ruiniert habe,
sondern alle Seiten des ökonomischen Lebens arg ergriff, so wäre
es momentan äußerst gefährlich, zu diesen Mitteln zu greifen.« Im
gleichen Jahre wurde Wyschnegradsky entlassen und durch S. J. Witte
ersetzt.

Der neue Minister vergrößerte ohne Schwanken die Steuer-
last. Aber am Ende hat auch Witte nicht ausgehalten. In der
Sitzung der Generalversammlung des Reichsrates vom 30. De-
zember 1902 erklärte er, daß die gegenwärtige direkte und in-
direkte Besteuerung die Grenze ihrer Spannfähigkeit erreicht hat;
eine weitere Politik in diesem Sinne wäre unproduktiv, ja beim
gegebenen ökonomischen Zustand des Landes überhaupt unzulässig.
Die Aufgabe einer vernünftigen Finanzpolitik wäre die Ausfindig-
machung von Mitteln zur allmählichen Minderung der Steuerlast1).
Der Reichsrat pflichtete dieser Meinung Wittes bei: »Die Zahlungs-
fähigkeit der Bevölkerung hat,« meinte der Reichsrat, »auch seine
Grenzen, die man nicht überschreiten darf, wenn man den ökono-
mischen Wohlstand des Landes nicht gefährden will. Dieser
Wohlstand ist die Grundlage des finanziellen Gleichgewichts des
Staates, seiner inneren Kraft und internationalen politischen Macht.

’) Witte und der Reichsrat über Rußlands finanzielle Lage. Stuttgart
1903, S. 6 (russisch; es existiert auch eine deutsche Ausgabe).

67

Importstaate vereinbart wird. W. Witschewskyx) bezeichnet die
Autonomie des Zolltarifs als ein »Lieblingsprinzip« der russischen
Zollpolitik und erklärt diese Vorliebe durch folgende Erwägungen:
»Die Neigung, speziell Rußlands, im Vergleich zu anderen Staaten,
für die zollpolitische Ungebundenheit läßt sich durch mancherlei
Erwägungen ergründen. Dem dortigen Fiskus ist der Einfuhr-
handel von jeher ähnlich einem Fels erschienen, aus welchem der
Stab Arons, Zolldepartement genannt, unschwer neue Goldquellen
hervorzuzaubern vermag. Bei einem solchen Auffrischungsmittel
läßt man nicht gern den Mitverschluß eines anderen Staates zu,
und je näher die Möglichkeit liegt, daß der Fiskus gerade bei
den Zöllen sich Erholung sucht, desto unlieber muß die Sperrung
des Zuganges zu diesem Goldborn empfunden werden. Daher ist
die durch keine internationalen Verpflichtungen eingeschränkte
Tariffreiheit für Staaten mit vielen fiskalischen Zöllen wichtiger
als für solche Staaten, die eine Steigerung der Zollsätze in der
Regel nur auf Grund reiflich erwogener protektionistischer Inter-
essen eintreten zu lassen pflegen.« Die Handelsverträge, beson-
ders mit Deutschland in den Jahren 1894 und 1904 haben der
Regierung die Hände gebunden und hemmten das Wachstum des
Zolls. Dessenungeachtet erscheint Rußland zurzeit als ein Staat
mit den höchsten Zollsätzen. Im Verhältnis zum Wert der im-
portierten Waren beträgt der Zoll* 2):

In	Holland............................0,4	°/o

j>	Belgien............................1,0	»

»	der Schweiz........................4,4	»

»	England............................4,9	»

»	Frankreich ........................8,4	»

»	Italien...........................10,5	»

*	Deutschland.......................14,3	•

»	den Vereinigten Staaten N. A. .	25,2	»

»	Rußland.........................33,o	»

Die gegenwärtigen äußerst hohen Zollsätze in Rußland bilden
das Resultat der Zollpolitik der letzten 25 Jahre. In den sieb-
ziger und sogar in der ersten Hälfte der achtziger Jahre war die
Norm der Zollbesteuerung doppelt, sogar dreimal niedriger als
die gegenwärtige:

') W. Witschewsky, Rußlands Handels-, Zoll- und Industriepolitik von
Peter dem Großen bis auf die Gegenwart, 1905, S. 368.

2) Nach J. Scott Keltie, The Statesman’s Year-book for 1910.

ÜBER DIE BEDINGUNGEN
DER INDUSTRIELLEN
ENTWICKLUNG RUSSLANDS

SERGEJ jPROKOPOWITSCH

i

TÜBINGEN

VERLAG VON J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK)

1913

Bei Guts- besitzern	Bei Bauern	Zusammen
3009543	16672 226	19681 769 *)
6031 456	26881 772	32913 228
9473 184	40170226	49643410
1880848	9489663	ii37°5n
15	102553	102 568
21111	41316	62427
737	450	I 187

Genauigkeit. Noch unzuverlässiger sind unsere Angaben betreffend
Rentabilität der Viehzucht. Gemäß den Angaben des statistischen
Zentralkomitees zählte man im Jahre 1900 in den 50 Gouverne-
ments des europäischen Rußlands:

Pferde.................

Rindvieh...............

Schafe, Hammel, Ziegen

Schweine...............

Hirsche................

Kamele.................

Andere.................

Gewerbliche Bedeutung haben nur die ersten vier Vieharten.
Am meisten bestritten ist die Frage betreffend die Rentabilität
der Pferdezucht. Es liegt auf der Hand, daß die Arbeit der
Pferde beim Ackerbau in diese Tabelle nicht aufgenommen werden
darf, da wir sie bei der Berechnung des Getreidewertes sowie
derjenigen der handelsindustriellen Pflanzen in Betracht gezogen
haben. Und was die Arbeit der Pferde als Zug- und Lasttiere
anbelangt, so gehört diese zu den Einnahmen aus dem I'uhr-
mannsgewerbe. Zu den Einnahmen aus der Pferdezucht gehört
ausschließlich der Verkauf von Pferden in die Städte, in die
Armee, nach dem Ausland sowie der Verkauf von Häuten. Ver-
suchen wir nun die Einnahmen der Landwirtschaft aus dem Ver-
kaufe von Pferden festzustellen.

Nach den Angaben der Militärpferdezählungen machen die
städtischen Pferde 2,75 °/o der Gesamtzahl aller Pferde aus. Ihre
Zahl gleicht folglich 541249. Wir können ruhig annehmen, daß
die Stadtbewohner alle diese Pferde von den Landwirten be-
ziehen. Es wird zwar ein Teil der Pferde in den Städten selbst
gezüchtet; aber anderseits sind nicht alle Pferde auf dem Lande
in der Landwirtschaft tätig. Nach den Angaben der Allerunter-
tänigsten Aufstellung des Kriegsministeriums pro 1900 zählte die
Armee in jenem Jahre 148988 Pferde. Um festzustellen, welche
Zahl von Pferden sich in den sechs Militärkreisen des europäischen
Rußlands befindet, wollen wir die in der erwähnten Aufstellung

‘) Nach den Militärpferdezählungen von 1896, 1899/1900, 1904 waren die
Pferde um 9 °/o stärker vertreten als nach den Berichten des statistischen
Zentralkomitees.

84

Aus dieser Gesamtzahl haben eine technische Bildung genossen
in den Hochschulen, in den Mittel- und Elementarschulen:

Ausländer

Russische Staatsbürger
Aus dieser

Aus dieser
Zahl im
Auslande

im

ganzen

38,8»/«
26,9 >>

4,2 0/0
2,8 »

40,0 °/o
29,1 »

Höhere Beamte .	.	13,7 °/°

Untere Beamte .	.	13,7 *

Aus der Gesamtzahl der russischen Staatsbürger sind somit
86,3 °/o sowohl der unteren wie der höheren Beamten ohne jegliche
technische Bildung. Unter diesen gibt es sogar Analphabeten und
zwar nicht vereinzelt, sondern hundertweise. Es wurden Anal-
phabeten gezählt unter den

Höheren Beamten ....	97 Personen

Unteren Beamten ....	265	»

Diese Ziffern sprechen Bände und enthüllen eine der Haupt-
wunden der russischen Industrie. Sie erklären einerseits, warum
die russischen Fabrikanten den Schutz des Staates von der aus-
ländischen Konkurrenz begehren; anderseits aber zeigen sie uns,
warum dieser Schutz, der die Konsumenten so schwer belastet, so
wenig die Entwicklung der russischen Industrie fördert. Und
zuletzt zeigen sie noch, daß die Einfuhr technischer Kenntnisse
aus dem Auslande für die russische Industrie vielleicht eine größere
Bedeutung hat als die Heranziehung ausländischer Kapitalien.

Das System des generellen Schutzes, das in den letzten
drei Dezennien geherrscht hat, hat somit ein volles Fiasko erlitten.
Die Erfahrung hat gezeigt, daß trotz aller Verlockungen das aus-
ländische Kapital uns nur in geringem Umfange (etwa 55 Mil-
lionen Rubel im Jahr) zuströmt, der die schweren Opfer der
Bevölkerung gar nicht kompensieren kann. Je größer das Wachs-
tum der heimischen Kapitalien ist — in den Jahren 1901—1904
waren es 209 Millionen Rubel im Jahre, in den Jahren 1905—1908
waren es schon 339 Millionen Rubel im Jahre, in den letzten
drei Jahren überstieg es 750 Millionen Rubel —, desto geringer
wird die Bedeutung des ausländischen Kapitals für die russische
Volkswirtschaft. Diese zwei Momente — das Herabsinken der
relativen Bedeutung des ausländischen Kapitals und der Mißerfolg
des generellen Protektionismus — lassen in der nächsten Zukunft
eine wesentliche Aenderung in unserer Zollpolitik erwarten.

68

		Wert des Im-	Zoll-	Prozent der
Jahre		portes  Mill. Rubel	einnahme Mill. Rubel	Steuerung
1866—	O  I-  CO	317.8	47,4	i4,93
1871 —	•1875	565,8	73,8	13,05
1876 —	1880	517,8	84,5	16,32
1881 —	■1885	494,3	96,9	19,60
1886—	1890	392,4	112,4	28,66
1891 —	1895	463,5	150,0	32,37
1896—	1900	607,3	212,4	34,97
1901 —	•1905	632,2	231,1	36,56
1906—	•1908	853,6	269,6 *)	3i,58b

Diese Zahlen zeigen, daß das fiskalische Ziel unserer Zoll-
politik in vollem Maße erreicht wurde. Indem das Finanzministe-
rium die Zollsätze bis zu einer in anderen Ländern unerhörten
Höhe aufschraubte, hat es aus den Zöllen eine sehr wichtige Stütze
unseres Reichsbudgets gemacht. Um nun den Charakter unserer
Zollpolitik noch klarer zu zeigen, wollen wir sehen, wie sich die
Besteuerung verschiedener Gruppen von Importwaren entwickelte * 2):

Jahre	Lebens-  mittel	Rohstoffe und Halbfabrikate	Fabrikate
	Prozent	Prozent	Prozent
1870	31,8	7,7	11,8
1875	25,6	7,9	12,6
1880	33,i	n,7	16,6
1885	4i,i	13,8	24,9
1890	59,6	18,3	26,0
1895	63,9	24,5	24,1
1900	7L7	23,7	24,6
1905	73,4	25,6	22,3
1908	50,9	25,2	24,8
Betrachten wir	diese Tabelle, so merken		wir zunächst

die nicht in Rußland produzierten Lebensmittel mit einem Zoll
belegt sind, der um zwei- oder dreimal größer ist, als die auch in
Rußland teilweise produzierten Fabrikate. Eine weitere hervor-
ragende Besonderheit unserer Zollpolitik ist die gleiche Belastung
für Fabrikate, Halbfabrikate und Rohstoffe. Diese beiden Merk-

b Vom Jahre 1906 treten wir augenscheinlich wieder in ein Stadium des
Wachstums der Zolleinnahmen bei einer Verminderung der Zollsätze (ähnlich
wie in den Jahren 1852 —1875) ein.

2) Für die Jahre 1870—1900 nach den Angaben von E. Soboleff: »Die
russische Zollpolitik in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts«, 1911, S. 821
bis 822.

25

Um die volkswirtschaftliche Bedeutung eines solchen gering-
fügigen Einkommens pro Kopf der Bevölkerung würdig schätzen
zu können, wollen wir einen Vergleich zwischen dem Einkommen
eines Russen und demjenigen eines Ausländers anstellen.

Nach Mulhall gleicht das letztere *)

In	Australien...........................374	Rubel

»	den Vereinigten Staaten..............346	»

»	England2)............................273	»

»	Frankreich...........................233	»

» Deutschland.................... .	184	»

»	Oesterreich..........................127	»

»	Italien..............................104	»

»	Balkanstaaten........................101	»

»	Rußland...............................63	>>

Wir sind die Aermsten unter den Kulturvölkern. Der Bulgare
bzw. der Serbe hat I ^2mal so viel Einkommen wie der Russe,
der Deutsche fast 3mal so viel, der Engländer 41/ämal, der Au-
stralier 6mal.

Wenn schon die Berechnung des Volks einkommens des
europäischen Rußlands kaum überwindbare Schwierigkeiten bietet,
so ist es bei dem gegenwärtigen Stand der Wirtschaftsstatistik völlig
unmöglich, festzustellen, wie dieses Einkommen sich unter den
verschiedenen Klassen der Bevölkerung verteilt. Wir besitzen nicht
einmal annähernde Angaben in bezug auf die Größe dieser Klassen
und ihre Einnahmen. Eine Ausnahme bildet nur der Bauernstand.
Nach der Volkszählung von 1897 widmeten sich der Landwirt-
schaft auf dem Lande (abzüglich der Privatgutbesitzer) 32787000 Per-
sonen männlichen Geschlechts. Da innerhalb der Landbevölkerung
auf je 100 Personen männlichen Geschlechts 108 solcher des weib-
lichen entfallen, so lebten von der Landwirtschaft insgesamt
68 196960 Personen. Hierzu gehören noch diejenigen 960665 Per-
sonen beiderlei Geschlechts, die sich in den Städten dem Landbau
widmen. Zusammen also 69 157625 Personen beiderlei Geschlechts.
Wie hoch ist nun das Einkommen dieser landwirtschaftlichen Be-
völkerung?

Nach den oben angeführten Berechnungen beträgt das Ein-
kommen der Landwirtschaft in den 50 europäischen Gouverne-
ments:

’) Ibid. S. 393 (unter Abzug der Einkommen der freien Berufe).
2) Inklusive Schottland und Irland.

66

metik hat eine Verdoppelung der Zollsätze manchmal eine Ver-
doppelung, manchmal aber eine absolute Verminderung der Zoll-
einnahmen zur Folge. Der Schutz der einheimischen Industrie
setzt eine freie Einfuhr aller Rohstoffe voraus und eine Einschrän-
kung des Imports von Fabrikaten, die der Reichskasse nur eine
unbedeutende Einnahme gewähren könnte. Für die eine Gruppe
von Waren ist somit ein hoher Zoll notwendig, für die andere
gar keiner. Schließlich führt der Wunsch, eine vorteilhafte Handels-
bilanz zu erzielen, zu einem fast gänzlichen Verbot des Imports,
nicht nur der Fabrikate, sondern auch der Rohstoffe. Unsere Zoll-
politik stellt einen Kompromiß dieser drei Tendenzen dar, wobei
die fiskalischen Aufgaben sichtlich vorherrschen.

Als eine der bequemsten Arten der indirekten Besteuerung
müssen die Zölle parallel mit dem Wachstum der Steuerbelastung
wachsen. Je größer die Steuerlast in einem Lande ist, desto
höher sind die Zölle. Die Regelmäßigkeit dieser Wechselbeziehung
wird durch den Charakter der Handelspolitik verschiedener Staaten
durchbrochen, indem die einen Länder im Interesse ihrer Industrie
dem Protektionismus, die anderen der Handelsfreiheit huldigen.
Während der letzten 40 Jahre hat sich in Rußland die Zollein-
nahme zuerst schneller als die anderen Formen der Besteuerung
entwickelt, später aber glich sich das Verhältnis aus:

	Reicheinnahmen	Zoll-		In  Prozent
Jahre	insgesamt Mill. Rubel	einnahmen Mill. Rubel	
1870	461	40,6	8,8
1875	567	62,0	10,9
1880	625	94,7	D,2
LO  00  00	699	94,8	13,6
:89c)	838	141,2	16,8
189s	1038	178,6	17,2
1900	1225	204,0	16,7
1905	1307	212,8	16,3
1909	1620	274,3	16,9
Man sieht:	bis zum Jahre	1895 wuchsen	die Zolleinnahmen

rascher als die anderen Reichseinnahmen; von diesem Jahre an
nimmt ihr Steigen allmählich ab und geht parallel dem allge-
meinen Zuwachs der Besteuerung. Dieser Umschwung in der Ent-
wicklung der Zollbesteuerung erklärt sich durch den erzwungenen
Uebergang Rußlands (in den Jahren 1893—1894) vom autonomen
Tarif zum Konventionalsystem, bei welchem der Zoll mit dem

Jahre	Stammkapital der russi- schen A.-G. Mill. Rubel	42	—  Kon-  zessioniert	Ausländische A.-G.  Fehlen	Stammkapital  Angaben	Mill. Rubel	
1905	99,7	n	—	37,5
1906	127,3	6	—	4,2
1907	192,6	16	—	40,4
1908	i54,i	18	—	■5,4
1909	99,5	14	—	10,6

Die Zahlen der ersten Rubrik ergeben zweifellos eine über-
triebene Vorstellung von dem Zustrom des Kapitals in die rus-
sische Industrie, da dieselbe nicht nur die Kapitalien, welche von
neuem der Industrie zufließen, sondern auch die alten, die nun-
mehr die Form von Aktien angenommen haben, enthalten. Wie
bekannt, haben im Laufe der letzten Dezennien viele alten Einzel-
firmen die Form von Aktiengesellschaften angenommen. Unsere
Statistik erlaubt uns nicht, diese alten Kapitalien, die eine neue ge-
sellschaftliche Form angenommen haben, von den neu geschaffenen
Kapitalien, die der Industrie zufließen, auszusondern. Dieser Fehler
kompensiert sich übrigens durch eine entsprechend geringere Be-
rechnung des Kapitalwachstums in den individuellen (die einer
Person gehören) Betrieben. Außerdem sind in der ersten Rubrik
nur diejenigen ausländischen Kapitalien berechnet, die in russischen
Aktiengesellschaften angelegt sind (d. h. in solchen, deren Verwal-
tung sich in Rußland befindet). Die Ziffern der ersten und vierten
Rubrik zeigen endlich die Größe der zugelassenen Kapitalien, aber
keineswegs die de facto in der Industrie angelegten.

Ueber die letzteren finden wir die Angaben in den Bilanzen
der Aktiengesellschaften, die im Jahrbuch des Finanzministeriums
abgedruckt werden (ohne Eisenbahngesellschaften):

			Vom Staate
	Stammkapital der A.-G.	Tatsächlicher  Zuwachs	zugelassene  Vermehrung
	Mill. Rubel	Mill. Rubel	Mill. Rubel
1893	675,4	46,7	72,4
1894	722,1	24,2	60,s
1895	746,3	226,7	134,7
1896	973,o	163,9	272,6
1897	1136,9	140,3	271,6
1898	1277,2	322,9	326,0
1899	1600,1	i3i,5	524,4
1900	1731,6	i59,5	3?4,9





— 60	—

Wertpapiere, die früher auf dem russischen Markte placiert war,
nunmehr nach dem Auslande übersiedelte. Daher floß zu uns
eine Menge Gold, die die Einführung einer Goldwährung ermög-
lichte. Zur gleichen Zeit kamen die früheren Inhaber der Reichs-
fonds zu barem Gelde, das sie sehr gut für die Industrie ver-
wenden konnten. Die russische Industrieentwicklung rief auch einen
Zuzug ausländischen Kapitals herbei. Der Hauptbestandteil des
Kapitals aber kam aus dem Auslande in die russische Industrie
nicht auf direktem, sondern auf indirektem Wege, durch die zins-
tragenden Wertpapiere.

Daraus können wir ersehen, daß das freie Kapital an den
westeuropäischen Märkten allein noch nicht imstande wäre, einen
Aufschwung der Industrie in Rußland hervorzurufen. Die aus-
wärtigen Kapitalisten haben kein Vertrauen zu der russischen
Industrie und placieren ihr Kapital hier nur ungern. Um dieses
Hindernis aus der Welt zu schaffen, ist die Garantie des Reiches,
die Vermittlung der Reichskrone notwendig. Die Vereinigung
dieser zwei Bedingungen — Ueberfluß an freiem Gelde in West-
europa und die Vermittlung des Staates — bietet uns eine Garantie
für den Progreß der Industrie; fehlt eine dieser Bedingungen, so
verliert unsere Industrie den unentbehrlichen Lebenssaft. Der
industrielle Aufschwung auf dem Weltmärkte (in den Jahren 1905
bis 1907) hat keine entsprechende Wirkung auf den Stand der
russischen Industrie ausgeübt, weil die Regierung, geschwächt durch
den russisch-japanischen Krieg und die revolutionäre Bewegung
der Jahre 1905/1906, nicht die Rolle eines Vermittlers zwischen
den Finanzkreisen des Auslandes und den russischen Industriellen
übernehmen konnte. Die Ursache liegt also nicht darin, daß das
ausländische Kapital wegen der Labilität unserer politischen Ver-
hältnisse Rußland zu vermeiden sucht oder, wie es Tugan-Bara-
nowsky *) meint, daß sogar diejenigen spärlichen Summen, die
sich in Rußland befanden, unter dem Einfluß der Revolution nach
dem Ausland ausgewandert haben. Wie die oben angeführten
Daten zeigen, scheute das ausländische Kapital gar nicht so stark
vor der russischen Industrie. Der Zufluß des auswärtigen Kapi-
tals glich nämlich;

Der Zustand unserer Industrie im letzten Jahrzehnt und die Ansichten
auf die Zukunft, • Sowremennyj Mir«, 1910, XII, S. 40, 47; Grundzüge der
Nationalökonomie, 1909, S. 242—243 (russisch).

17

Wenn jeder dieser Arbeiter einen Wert von 428,2 Rubel pro-
duziert, so erhalten wir eine Gesamtsumme von 1813427 Rubel.
Der Reinertrag der Bergwerkindustrie macht folglich 249044000
Rubel aus.

Ueber die Fabrikindustrie	haben	wir sehr genaue	Daten in
der Untersuchung von W. E. Warsar, »		Statistische Daten betreffend	
die akzisefreien Fabriken und	Werke	im Jahre 1900«.	Danach
findet die Produktivität der in	1 den 50 Gouvernements		Rußlands
tätigen Fabriken und Werke	ihren Ausdruck in der		folgenden
Tabelle:			
		Allgemeiner	Rein-
	Zahl der	Wert	ertrag')
	Arbeiter	Tausend	Tausend
		Rubel	Rubel
Bearbeitung der Baumwolle .	.	323 477	451338,2	95 436,7
»	» Wolle ....	90259	102 299,9	26581,7
»	» Seide ....	20 132	26603,5	8067,2
»	des Flachses, Hanfes			
und der Jute		59555	55514,4	15662,6
Bearbeitung gemischten Zeugs und			
Faserprodukte		10694	19777,9	6541,6
Herstellung des Papiers ....	58410	69639,4	28252,1
Bearbeitung des Holzes ....	64 614	87062,6	27 127,4
»	der Metalle .	.	.	199389	305359,3	103524,1
»	» Mineralien .	.	110533	70505,7	38893,5
»	» Tierprodukte	40911	95 443,1	16677,3
»	» Nahrungsmittel .	65 260	338913,6	43399,5
Chemische Produktion ....	26255	78976,6	20 099,0
Zusammen 1 069 489'		1 701 434,2	430262,7

Die Produktivität eines Arbeiters hat folglich einen Wert von
402 Rubel und 30 Kopeken. Nach der Bilanzaufstellung der
habrikinspektoren für das Jahr 1900 arbeiteten Mitte jenes Jahres
in Fabriken und Werken, die der Fabrikinspektion unterworfen
sind, 1453488 Arbeiter. Flievon sind abzuziehen 194623 Arbeiter,
die in Betrieben, die mit Akzise belegt sind, beschäftigt wurden.
In den akzisefreien Fabriken und Werkstätten arbeiteten folglich
1258865 Mann. Die Gesamtproduktion der Fabriken-und Werke
repräsentiert einen Wert von 506441000 Rubel.

Weniger befriedigend sind unsere Daten, die wir über die mit
Akzise belegten Betriebe besitzen. Berechnen wir die Produkte

’) Unter Abzug der Rohmaterialien, Heizungs-, Beleuchtungs- und Re-
paraturkosten.

Arch. f. Sozialwissensch. u. Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch.

2

74

land »kein selbständiges Ziel der Wirtschaftspolitik sei, sondern eher
ein Nebenprodukt der fiskalischen Bestrebungen der Regierung«1).
Dies ist nicht ganz richtig. Die russische Zollpolitik ist gewiß
von den fiskalischen Interessen der Regierung beherrscht. Trotz-
dem ist es nicht zu leugnen, daß diese Politik auch ganz be-
stimmte protektionistische Ziele verfolgte und daß der Protektio-
nismus eine selbständige Rolle in der russischen Zollpolitik spielte.
Folgende Tabelle veranschaulicht den Entwicklungsgang des Zoll-
protektionismus in Rußland und die Veränderung, die die Norm
der Zollbelastung in den Jahren 1870—1908 erfahren hat:

	Rohstoffe		
Jahre	und Halb- fabrikate	Fabrikate	Differenz
	Prozent	Prozent	Prozent
1870	7,7	11,8	4,1
1875	7,9	12,6	4,7
1880	”,7	16,6	4,9
1885	13,8	24,9	11,1
1890	18,3	26,0	7,7
189S	24,5	24,1	- 0,4
1900	23,7	24,6	0,9
1905	25,6	22,3	-3,3
1908	25,2	24,8	-0,4

Analysieren wir die Aenderung der Zollsätze auf Fabrikate,
so finden wir, daß in den siebziger und besonders in den achtziger
Jahren diese Sätze sehr rasch in die Höhe gingen, von da an
bleiben sie fast auf demselben Niveau stehen. Der Zoll auf Roh-
stoffe und Halbfabrikate dagegen, der in den siebziger und acht-
ziger Jahren eine rasche Steigerung erfuhr, wuchs auch weiter und
erreichte im Jahre 1895 das Niveau, auf welchem sich die Ver-
zollung der Fabrikate befindet; seit da bleibt er stationär. Die
Differenz zwischen der Belastung der Fabrikate und derjenigen der
Rohstoffe, die vom Jahre 1870 an unaufhörlich stieg und im
Jahre 1887 eine Maximalgrenze (15,40/0) erreichte, sank dann im
Jahre 1894 bis auf 1,4°/o und ergab schließlich im Jahre 1898 ein
umgekehrtes Maximum von —,6°/o. Der Handelsvertrag mit Deutsch-
land vom Jahre 1894 spielte somit die Rolle eines Wendepunktes
in unserer Schutzpolitik. Bis zu diesem Jahre wurde hauptsächlich
die Produktion der Fabrikate, nach diesem Jahre die Gewinnung

'' Ibid. S. 694.

9

binaJ) verbrauchen die Bauern des Gouvernements Woronesch
jährlich pro Kopf 9 Pfund Fleisch. In Petersburg betrug im Jahre
1900 die Konsumtion des Fleisches 156,7 Pfund pro Kopf. Der
Fleischkonsum der Bevölkerung des europäischen Rußlands (die
Zahl der Bevölkerung nach der Volkszählung vom Jahre 1897)
beträgt also:

In den Städten . . , 47203000 Pud
Auf dem Lande . . . 18314000 »

Im ganzen 65517000 Pud

Der Fleischkonsum in Petersburg übersteigt zweifellos die
Durchschnittsnorm. Nicht nur die Bezirks-, sondern auch die
Gouvernementsstädte konsumieren pro Kopf bedeutend weniger
Fleisch als Petersburg. Aus diesem Grunde muß der tatsächliche
Fleischkonsum viel geringer sein als nach den ermittelten Durch-
schnittszahlen. Wenn wir nun die zweite Berechnungsart aufstellen,
können wir konstatieren, daß das europäische Rußland insgesamt
32913228 Stück Rindvieh aufweist, und zwar ca. 18 Millionen Stück
des gewöhnlichen kleinen und ca. 15 Millionen vom großen
(»Tscherkasser«) Rindvieh. Im St. Petersburger Schlachthause
wiegt ein geschlachteter »Tscherkasser« im Durchschnitt 15, ein
Nichttscherkasser 7 Pud. Gewöhnlich wird jährlich 1fe — x/s der
Herde zum Schlachten bestimmt. Nach diesen Angaben können
wir berechnen, daß die jährliche Fleischproduktion etwa 50 Mil-
lionen Pud beträgt. Diese Zahl ist kleiner der vorher gefundenen
und anscheinend der Wahrheit eher entsprechend. In den Jahren
1891 —1900 war der Durchschnittspreis eines Puds Fleisch 2,60 Ru-
bel. Die gesamte Fleischproduktion repräsentiert somit einen
Wert von 130 Millionen Rubel.

Die Gesamtzahl der jährlich produzierten Häute (von Pferden
und Rindvieh) sind wir imstande nur auf indirektem Wege fest-
zustellen. Nach den Angaben von W. E. Warsar2) waren mit
der Bearbeitung von bläuten in den größeren Gerbereien 21457 Ar-
beiter beschäftigt, die insgesamt für 24913 500 Rubel bläute be-
arbeiten. Jeder Arbeiter bearbeitete folglich für 1161 Rubel. Nach
der Volkszählung von 1897 waren in der Gerbereiindustrie insge-
samt 38978 Personen beschäftigt. Nehmen wir an, daß sowohl
in den großen, wie auch in den kleinen Gerbereien die Arbeits-
produktivität die gleiche ist, so bekommen wir, daß in allen Gerbe-

1)	Bauernbudgets. Ausgabe der Freien ökonomischen Gesellschaft, 1900.

2)	Statistische Berichte betreffend Fabriken und Werkstätten im Jahre 1900.

fällt, so erhalten wir die folgende Verteilung des Volkseinkommens
im europäischen Rußland:

Für die materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung .	.	4760 Millionen Rubel

n » Bedürfnisse der Reichsverwaltung................1200	»	»

Kapitalakkumulation..................................165	»	»

Wir ersehen daraus, daß eine übermäßige Steuerbelastung uns
zunächst in der Gegenwart ruiniert; verhindert aber anderseits auch
unser materielles Fortkommen in der Zukunft. Das unaufhörliche
und übermäßige Wachstum der Steuern hat die ökonomische
Schwäche des Landes zur Folge, verlangsamt sein wirtschaftliches
Gedeihen und die Macht seiner ökonomischen Entwicklung. Seit
dem Jahre 1870 hatte Rußland folgende Reichseinnahmen zu
verzeichnen:

Im Jahre 1870		461	Millionen Rubel		0  o~  O  O
»	1875	567	»	»	123 »
» »	1880	625	»	»	136 »
» »	1885	699		»	152 »
» »	1890	838	A	»	182 »
»	1895	1038	»	»	225 »
»	1900	1225	»	»	266 »
» »	1905	1307	»	»	284 D
»	1909	1620	»	»	351 »
Innerhalb	39 Jahren	vergrößerte		sich die	Steuerbelastun:

3^2mal. Vergleichen wir das Wachstum der Steuerbelastung mit
der Entwicklung des Handelsverkehrs im Reiche!

Der Warenhandel (mit Ausnahme der Getränke) betrug:

Jahre	Im ganzen	In Prozent
1885	2111,3 Millionen Rubel	100
1890	2731,9	»	129
1895	,	3301,6	>.	»	V6
1898	3701,9	»	»	i75

Der Vergleich dieser Tabelle mit der vorangegangenen zeigt,
daß die Reichseinnahmen sich parallel mit der Geld Wirtschaft ent-
wickelt haben. Während der letzten Dezennien machte Rußland
große Fortschritte auf dem Gebiete der kapitalistischen Produktion
sowie des Warenhandels. Fast ebenso rasch wuchs die Steuerlast
und überholte somit die Entwicklung der Produktionskräfte des
Reiches. Die Uebermäßigkeit der Steuerbelastung wurde mehrere
Male von den Leitern unserer Finanzen offen anerkannt. So hat

64

»

betriebe und schließlich die Vermittlungsrolle der Regierung bei
der Heranziehung der ausländischen Kapitalien — alles dies mußte
angesichts der allgemeinen Schwäche der ökonomischen Kräfte
Rußlands der Regierung einen überwiegenden und bestimmenden
Einfluß sowohl auf das industrielle Leben wie auf die Tätigkeit
des Volkes überhaupt verleihen. Jetzt, wo die kapitalbildende
Fähigkeit des Landes sich vergrößerte, muß die Bedeutung des
ausländischen Kapitals ziemlich stark herabsinken. Der allgemeine
Aufschwung der industriellen Tätigkeit muß eine Herabminderung
der Bedeutung, die die Regierung als Produzent und Konsument
der Industriewaren austibte, zur Folge haben. Das rasche Wachs-
tum des Kapitals, das wir im letzten Jahrzehnt beobachten, zeigt
uns somit in der Zukunft eine Befreiung der russischen Industrie
von der Vormundschaft der Regierung. Diese Befreiung wird
notwendigerweise tiefgehende Veränderungen in unserem wirt-
schaftlichen Leben und speziell in der Zollpolitik herbeiführen
müssen.

— 7 o —

	Prozent der	Wert des	Handels-
Jahre	Zollabgaben	Imports	bilanz
	Milk Rubel	Milk Rubel	Milk Rubel
1891 — 1895	32,37	463,5	158,0
1896—1900	34,97	607,3	90,9
1901—1905	36,56	632,2	309,2
1906 — 1908	31,58	853,6	i95d

Unter dem Einfluß der raschen Erhöhung der Zollsätze in
den Jahren 1875—1890 nahm der Import bedeutend ab; aus einer
negativen wandelte sich die Handelsbilanz in eine positive um,
jedes Jahrfünf warf immer größere Summen ab, die am Ende der
achtziger Jahre ihren Kulminationspunkt erreicht haben. Seit dem
Anfang der neunziger Jahre tritt in unserem Außenhandel wieder
eine Wendung ein; die Zollbelastung wächst viel langsamer als in
den vorangegangenen Jahren, der Import vergrößert sich, während
die Handelsbilanz Schwankungen aufweist. Durchschnittlich ergibt
sie im Laufe der nächsten 18 Jahre um 50 Millionen Rubel
weniger als in den Jahren 1886—1890. Dies ist diejenige Periode,
wo wir die Defizite unserer Zahlungsbilanz wiederum mit aus-
wärtigen Anleihen gedeckt haben. Bei einem geringen Zufluß von
auswärtigen Kapitalien in den Jahren 1876—1890 war die Erhal-
tung einer günstigen Handelsbilanz ein ebenso wichtiges Ziel als
die Erreichung eines Maximums der Zolleinnahmen. Zur Erlangung
dieses Zieles mußte man zu solchen außerordentlichen Mitteln
greifen, wie die Erhöhung der gesamten Zollsätze:

Im Jahre	um

1876	48°/«

1880	10 „

1885	20 »	(für die meisten Artikel)

Durch diese Maßnahmen wollte man den Import einschränken,
um auf diese Weise eine günstige Handelsbilanz herzustellen, die
imstande wäre, die Zinsen für unsere auswärtigen Anleihen zu
sichern J). Wie rasch Rußlands auswärtige Verpflichtungen wuchsen,
zeigt am besten folgende Aufstellung unserer Zahlungen nach Aus-
land (in gegenwärtiger Währung):

Im Jahre 1866	37 Millionen Rubel* 2)

»	»1875	100 '	»	»	3)

*) Soboleff, 1. c. S. 420, 422, 478—479, 486—488, 692—694.

2)	Nach den Angaben des Finanzministers Reitern, zitiert bei Soboleff,
1. c. S. 420.

3)	I. Wyschnegradsky, Internationale Abrechnungsbilanz Rußlands, 1895.

Seit i. Januar 1911 erscheinen

Ergänzungshefte

zum

„Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“.

Der Anlaß zur Herausgabe der Ergänzungshefte war ein doppelter :

1.	wurden dem »Archiv« von Zeit zu Zeit wertvolle Arbeiten angeboten, deren
Veröffentlichung infolge ihres Umfangs innerhalb des Rahmens des »Archivs« aus-
geschlossen war. Für diese soll in den »Ergänzungsheften« die Möglichkeit der
Veröffentlichung geboten werden ;

2.	haben mehrfach einige der wertvollsten Beiträge, die im »Archiv« zum Ab-
druck gelangt sind, den Umfang eines Zeitschriftenartikels so stark überschritten,
daß auch nach dieser Hinsicht eine Entlastung des »Archivs« notwendig erschien.

Die »Ergänzungshefte« erscheinen in zwangloser Reihenfolge und sind einzeln
käuflich. An die Abonnenten des »Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik«
oder bei Subskription auf alle erscheinenden »Ergänzungshefte« werden sie jedoch
zu einem ermäßigten Abonnementspreis geliefert.

Bis jetzt liegen vor:

1.	Dr. Eugen Kaufmann in Heidelberg, Das franzö-
sische Bankwesen mit besonderer Berücksichtigung der drei
Depositengroßbanken. Einzelpreis M. 8.—. Subskr.-Preis M. 7.—.

2.	Dr. Paul Arthur Söhner in Karlshorst b. Berlin, Die
private Volksversicherung. Ihr Wesen und ihr Wert und
die wichtigsten Reformbestrebungen.

Einzelpreis M. 4.—. Subskr.-Preis M. 3.—.

3.	Dr. Ida Kisker in Halle i. Westf., Die Frauenarbeit in
den Kontoren einer Großstadt. Eine Studie über die Leipziger
Kontoristinnen. Mit einem Anhang über die Berufsvereine der
Handlungsgehilfinnen. Einzelpreis M. 4.—. Subskr.-Preis M. 3.—.

4.	Louis Roth in New-York, Die Wohnungsfrage der
minderbemittelten Klassen in New-York. Einzelpreis M. 3.—.

Subskr.-Preis M. 2.—.

5.	Dr. Arthur Löwenstein in Berlin, Geschichte des
württembergischen Kreditbankwesens und seiner Beziehungen
zu Handel und Industrie. Einzelpreis M. 6.—. Subskr.-Preis M. 5-—•

6.	Dr. Leonore Seutter in Leipzig, Die Gefängnisarbeit

in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung
der Frauengefängnisse.	Einzelpreis M. 6.—.

Subskr.-Preis M. 5. —.

7.	Dr. Edgar Landauer in Braunschweig, Handel und
Produktion in der Baumwollindustrie. Einzelpreis M. 5-6°-

Subskr.-Preis M. 4.60.

8.	Dr. Lisa Ross, Weibliche Dienstboten und Dienstboten-
haltung in England. Mit einer Kurve. Einzelpreis M. 3.—.

Subskr.-Preis M. 2.40.

1). Dr. Werner Picht, Toynbee Hall und die englische
Settlementsbewegung. Einzelpreis M. 6.—. Subskr.-Preis M. 5-—•
IO. Sergej Prokopowitsch, Ueber die Bedingungen der
industriellen Entwicklung Rußlands.	Einzelpreis M. 3.—.

Subskr.-Preis M. 2.40.

Summe all dieser Privatinteressen keineswegs mit dem Interesse
der Volkswirtschaft identisch ist. Was der Produzent gewinnt,
verliert der Konsument, und ein einseitiger Schutz der Produ-
zenteninteressen führt zu einer solchen Verteilung des National-
einkommens, die nicht nur deshalb zu verwerfen ist, weil sie die
Interessen der arbeitenden Massen beeinträchtigt, sondern auch,
weil sie einen schädlichen Einfluß auf die Entwicklung der Pro-
duktivkräfte des Reiches ausübt. Eine Unterstellung, wonach die
Interessen der Volkswirtschaft mit denjenigen der Unternehmer-
klasse zusammenfallen, wird momentan in sehr großem Umfange
getrieben. Die Einführung eines Schutzzolles erfordert deshalb
eine besondere Vorsicht. Eine Vorsicht ist hier um so mehr am
Platze als neben diesen gefährlichen Maßnahmen noch andere exi-
stieren, die ohne jegliche Gefahr das Ziel erreichen. Als solche
dienen alle Maßnahmen, die die Einrichtung eines Industriebetriebes
erleichtern, die den industriellen und kommerziellen Kredit organi-
sieren, die den technischen und kommerziellen Unterricht fördern,
die den persönlichen Verkehr der Gewerbetreibenden erleichtern
(Eisenbahn, Post), die die nationalen Einschränkungen aufheben
usw. Der bekannte Fachmann auf dem Gebiete der Tarifpolitik,
I. Kolessow, hat schon längst vollkommen richtig bemerkt, daß in
Rußland »eine Gewohnheit sich eingebürgert hat, vom Tarif allerlei
Wohltaten für die Industrie zu erwarten und dabei nichts zu tun, um
die Mindernisse wegzuräumen, auf die das heimische Gewerbe auf
Schritt und Tritt stößt. . . . Hätte man zu den kaukasischen Berg-
werken Kleinbahnen durchgeführt, so wäre es vielleicht möglich, daß
Rußland seinen Kupferbedarf selbständig zu decken vermöchte 1).
Wieviel es noch nach dieser Richtung hin bei uns zu tun übrig
bleibt, kann man z. B. danach beurteilen, wie es mit der Bildung
der Angestellten in den Industriebetrieben steht, die der Aufsicht
der Fabrikinspektoren unterstellt sind. Nach einer Enquete, die
Ende 1903 unternommen wurde, war die Zahl der höheren und
unteren Beamten 2):

Russische Staatsbürger	Ausländer

Prozent Gesamt- Prozent
summe

Gesamt-

summe

Höhere Beamte .
Untere Beamte .

■5oi3	9U3

14330	83,4

1421	8,7

2855	16,6

’) I. Kolessow, Rußlands Zollpolitik der letzten Zeit, 1890, S. 5 (russisch).

2) Sostaw slusastschych w promyschlennych sawedeniach w otnoschenii
poddanstwa, jasyka i obrasowatelnawo censa, 1904, S. 2—3, 13, 24—26.

40 —

Zum  t. Januar	Staats-  eisenbahn	Privatbahnen  ,, .	Obli-  Aktien  gationen		Staats- porte- feuille “)	Realisation auf dem  Markte
1893	708,9	472,7	•499,5	673,0	826,5
1894	900,5	401,5	•538,8	532,8	1006,0
1895	1705,9	210,4	1255,2	449,8	805,4
1896	2102,9	156,3	994,7	449,7	545,o
1897	2203,9	•34,5	1046,7	449,2	597,5
1898	2222,9	122,2	1128,5	152,6	975,9
1899	2i73d	116,9	• 277,3	•5i,9	1125,4
1900	2173,1	116,9	1370,6	•5i,3	1219,3
1901	2485,2	ii3,7	1266,5	150,6	•H5,9
1902	2520,5	• 15,8	•365,3	•49,9	1215,4
1903	2645,6	115,8	1365,3	•34,5	1230,8
1904	2664,5	116,1	1507,6	445,5	1062,1
190S	2664,0	••5,8	•554,i	482,5	1071,6
1906	2695,9	• •5,8	1522,1	481,0	1041,1
1907	2695,9	••5,8	1568,9	479,5	1089,4
1908	2695,9	124,0	1618,3	478,i	1040,2
1909	2695,9	124,0	1657,2	405,3	•251,9

infolge der Jagd nachdem ausländischen Gelde, wie i : 13. Gewiß
ist ein Teil der Eisenbahnobligationen in Rußland plaziert und
ein Teil der Aktien im Auslande; wir besitzen aber absolut keine
Anhaltspunkte, um diese Größe zu bestimmen. Jedenfalls sind sie
nicht bedeutend und nehmen wir an, daß alle Eisenbahnaktien in
Rußland und alle Obligationen im Auslande plaziert sind, so
machen wir einen geringfügigen Fehler, der für die Richtigkeit
unserer Schlußfolgerungen unbedeutend ist.

Die nötigen Angaben über die Zahl der vom Staate konzes-
sionierten Aktiengesellschaften, ihre Grundkapitalien und die Ver-
größerung oder Verminderung der letzteren finden wir in den
»Sammlungen der gesetzlichen Bestimmungen und Regierungs-
verordnungen« für die entsprechenden Jahre. In bezug auf aus-
ländische Gesellschaften, deren Sitz sich außerhalb Rußlands be-
findet, sowie ihre Stammkapitalien wurden bis zum Jahre 1905
keine Angaben veröffentlicht. Daher mußten wir die Angaben
über die vorhergehenden Jahre (1893—1904) aus anderen Quellen2)

*) Obligationen, die vom Staate übernommen und durch konsolidierte
Anleihen realisiert wurden; die Zahlen sind den Berichten der Staatskontrolle
betreffend die Budgeterfüllung entnommen.

2) Bulletin russe de statistique finaneiere et de legislation, 1898—1901.
W. Dmitrieff-Mamonoff, Verzeichnis der in Rußland existierenden Aktien-

27

treffend den wirtschaftlichen Niedergang Zentralrußlands, — ins-
gesamt also ioo Millionen Rubel). Im ganzen erhalten die Guts-
besitzer vom Boden 376 Millionen Rubel.

Für den Viehbestand haben wir folgende Ziffern des statisti-
schen Zentralkomitees, die sich auf das Jahr 1900 beziehen:

Gutbesitzer

Pferde..........................3009543

Rindvieh........................6031456

Schafe, Hammel und Ziegen .	9473184

Schweine.................... 1 880 848

Bauern
16672 226
26881 772
40170226
9489663

Zusammen
19681769
32913228
49643410
11370511

Das übermäßige Aufpflügen des Nadjel- (Anteil-) Landes er-
schwert den Bauern die Viehzucht; es mangelt bei ihnen an Weide-

plätzen im Sommer und an Heu im Winter. Das bäuerliche Vieh
leidet deshalb immer an Hunger. Bei den Gutsbesitzern dagegen,
wo der Prozentsatz des aufgepflügten Grund und Bodens verhält-
nismäßig gering ist, gedeiht die Viehzucht besser. Wir können
ruhig annehmen, daß die Rentabilität der Viehzucht bei den Guts-
besitzern um 50 °/o höher ist als bei den Bauern. Dann erhalten
wir, daß das Einkommen der Gutsbesitzer von der Viehzucht
190 Millionen Rubel ausmachen muß. Nehmen wir an, daß das
Heu und Stroh, das von der Armee und den Städten aufgekauft
wird, von den Gutsbesitzern herstammt, und 15 °/o des Gesamt-
ertrages vom Garten-, Wein- und Gemüsebau ebenfalls auf den
Gutsbesitz entfällt, so müssen wir den Gutsbesitzern noch weitere
43 Millionen Einnahmen hinzurechnen. Von der Totaleinnahme
der Gutsbesitzer muß man 200 Millionen Arbeitslohn abziehen, das
die Bauern und Knechte für den Ackerbau, für die Heuernte, Vieh-
pflege, Garten- und Weinbergarbeiten erhalten. Somit verteilt sich
das Einkommen aus der Landwirtschaft zwischen den Bauern und
Gutsbesitzern folgendermaßen:

Bauern

Ackerbau..............................  1567000000

Pacht...................................—100000000

Viehzucht............................... 572000000

Andere Zweige der Landwirtschaft .	.	90000000

Arbeitslohn............................. 200000000

Zusammen 2329000000

Gutsbesitzer
276000000
100000000
190000000
43 000000
— 200000000
409000000

Da die bäuerliche Bevölkerung 69157625 Personen zählt, so
entfällt auf jeden Bauer ein Jahreseinkommen von 33,68 Rubel.

Diese Berechnung hat nur einen hypothetischen Wert. Sie
basiert auf Annahmen, die zwar durch das uns zur Verfügung

Um die Einnahmen aus der Schweinezucht festzustellen,
wollen wir die Angaben betreffend Produktion und Konsum des
Schweinefleisches benutzen. Im Gouvernement VVoronesch gleicht,
nach den Angaben von Schtjerbina, der Schweinefleischkonsum
12,6 Pfund pro Kopf. In Petersburg im Jahre 1900 30,6 Pfund
pro Kopf. Nehmen wir an, daß die Einwohnerzahl der Städte
und Bezirke (abzüglich der Juden und Mohammedaner, die kein
Schweinefleisch gebrauchen) gleich derjenigen der Volkszählung
von 1897 ist, und setzen wir den Konsum auf dem Lande dem-
jenigen der Woronescher Bauern gleich und den Konsum der Städte
demjenigen von Petersburg gleich, so erhalten wir eine Ziffer
des Gesamtkonsums des Schweinefleisches gleich 3165b653 Pud.
Die Gesamtzahl der Schweine in den 50 Gouvernements beträgt
11370511 Stück. Jährlich wird zirka die Hälfte aller Schweine
geschlachtet. Das Gewicht eines ausgeweideten Schweines machte
im Jahre 1900 im Petersburger Schlachthause 5,5 Pud aus. Multi-
plizieren wir diese Zahl, dann erhalten wir, daß die Gesamtpro-
duktion des Schweinefleisches 31268908 Pud beträgt. Somit sind
die Zahlen der Produktion und Konsumtion des Schweinefleisches
fast gleich. Nehmen wir als Durchschnittszahl 31,5 Millionen Pud
zum Preise von 3,31 Rubel (in den Jahren 1897—1900) an, dann
erhalten wir eine Bruttoeinnahme aus der Schweinefleischproduk-
tion von 104 Millionen Rubel. Von einem Schweine erhält man
1J/4 Pfund Schweinsborsten, somit von allen Schweinen 177664 Pud.
Der Preis der im Jahre 1900 nach dem Auslande exportierten
Schweinsborste betrug 41,6 Rubel pro Pud. Folglich gleicht das
Einkommen aus der Schweinsborste 7391000 Rubel. Die Schweine-
zucht wirft somit im ganzen 111 391000 Rubel ab.

Das Einkommen aus der Produktion des Schweinefetts zogen
wir nicht in Betracht, weil zu dessen Produktion intensive Fütte-
rungsmittel, Mehl und Kartoffel, gehören. Sollten wir dies tun
wollen, so müßten wir die Ausgaben für Mehl und Kartoffel, welche
als Schweinefutter verwendet werden, berücksichtigen. Wir glauben
keinen großen Fehler zu begehen, wenn wir die Kosten der inten-
siven Fütterungsmittel dem Werte des erzielten Fettes gleichsetzen.
Wir sehen auch von der Vogelzucht ab, da deren Einnahmen
(Vogelfleisch, Eier) kaum die notwendigen Ausgaben für das Futter
der Vögel übersteigen.

Der Ertrag der Viehzucht ist somit folgender:

;6

teile gewährt. Auf diesem Wege, d. h. durch die Heranziehung
ausländischer Kapitalien, haben ihre industrielle Macht alle nun-
mehr ökonomisch fortgeschrittene Länder — England, Deutschland,
Nordamerika -— geschaffen« 1). Eine ähnliche Betrachtung finden
wir auch bei Herrn M. M. Fedorow, den früheren Minister für
Handel und Industrie: »Daß die Heranziehung ausländischer Kapi-
talien,« sagt Herr Fedorow, »immer und überall, nicht nur bei uns,
ein Ziel der Zollschutzpolitik ist, ergibt sich schon daraus, daß
eine solche Politik nur in den jungen Ländern, die ihre eigenen
Kapitalien nicht besitzen, erforderlich ist und dort einen Sinn hat.
Zu diesem Zwecke schafft das Land selbst eine Prämie in der
Gestalt eines hohen Tarifsatzes; es entschließt sich folglich, Opfer
zu tragen, denn das Land wird genötigt, die heimischen, zunächst
vielleicht schlechteren, Produkte teurer zu bezahlen. Aber das
alles wird getan natürlich nur in der Ueberzeugung, daß diese
Prämie das ausländische Kapital heranziehen und die Gründung von
technisch gut bedienten Betrieben ermöglichen wird. Hätte man
das nicht im Auge, so wäre die ganze Zollschutzpolitik eine Ab-
surdität und sie hätte nie und nirgends das Ziel erreicht (was aber
durchaus nicht der Fall ist). In der Tat, in diesem Falle hätte
der intensive Schutz nur den Erfolg gehabt, daß das heimische
Kapital von einem Produktionszweig zum anderen überginge ohne
jeglichen Nutzen für das Reich. Man muß somit unbestreitbar an-
erkennen, daß eines der Hauptziele der Zollpolitik die Heranziehung
des ausländischen Kapitals sei, da nur unter dieser Bedingung das
Endziel der Schutzpolitik — die Entwicklung aller Produktivkräfte
— erreicht werden kann2).« Bekanntlich war List ein Anhänger
gerade jenes protektionistischen Systems, das Herr Fedorow als
absurd bezeichnet. Der Apostel des Protektionismus hielt es für
unzweckmäßig, diejenigen Industriezweige zu schützen, die für ihre
Entstehung einen Zoll von mehr als 40—60 °/o bedurften und deren
weitere Existenz durch einen 20—30°/oigen Zoll nicht gesichert
wäre3). In seinem »nationalen System« deutet List nirgends an,
daß es möglich wäre, eine nationale Industrie auf Kosten des
ausländischen Kapitals zu schaffen. Anderseits ist es kaum an-

') S. 139.

2)	Betrachtungen des Redakteurs der Zeitschrift »Westnik Promyschlen-
wosti, Finansow i Torgowli«. M. M. Fedorow, Ueber die Frage von der Be-
deutung ausländischer Kapitalien, 1899, S. 23—24.

3)	Das nationale System der politischen Oekonomie, S. 352.

i5

50 Gouvernements Rußlands nach den von O. A. Grimmx) an-
gestellten Berechnungen 50 Millionen Pud aus, davon:

Stör...................................... 1450000	Pud

Lachs...................................... 200000	»

Heringe....................................7900000	»

Kabeljau................................... 650000	»

Weiße Fische (Sterlett, Zander usw.) ca. 40000000	»

Gemäß der Veröffentlichung des Ministeriums für Landwirt-
schaft: »Der Fischfang in Rußland im Jahre 1900« waren die
Marktpreise der Fische im angegebenen Jahre:

Stör...............etwa 6 Rubel pro Pud

Lachs.............. »	9	»	*	»

Heringe............ »2	»	»	»

Weiße Fische	.	.	»3	»	»	»

Folglich repräsentiert der ganze Fischfang einen Wert von
147600000 Rubel.

Wir erhalten somit folgende Resultate:

Forstwirtschaft ....	178214000 Rubel

Fischerei...............147600000	»

Zusammen 325800000 Rubel

Bei der Berechnung der Bergwerkindustrie besteht die Haupt-
schwierigkeit in der genauen Feststellung der Produktivität der
Eisenwerke. Wegen Mangel an exakten Zahlen haben wir zur
folgenden annähernden Berechnung Zuflucht genommen. Gemäß
der »Sammlung der statistischen Angaben, betreffend die Berg-
werkindustrie in Rußland im Jahre 1900«, wurden in diesem Jahre
337175 76/ Pud Eisenerz erhalten. Der Durchschnittspreis des
Erzes pro Pud machte damals 5,1 Kopeken aus; der Gesamtwert
der Erze beträgt somit 17195964 Rubel. Bei der Erzgewinnung
waren 5 1050 Arbeiter beschäftigt. Es arbeiteten :

Bergwerker..............123120 Personen

Hilfsarbeiter...........139425	»

Zusammen 262545 Personen

Nach den Angaben von W. E. Warsar2) produziert jeder
Metallarbeiter im Jahre einen Wert von 519,2 Rubel. Nehmen wir
diese Produktivität auch für die Eisenfabriken und Gießereien an,
so erhalten wir einen Gesamtertrag von 136313364 Rubel, was

■) Die Land- und Waldwirtschaft in Rußland, 1893.

2) Statistische Berichte betreffend die Fabriken und Werke im Jahre 1900.

45

Eisenbahnaktien ist im Auslande plaziert; anderseits ist ein Teil
der Eisenbahnobligationen, höchst wahrscheinlich der größere, in
Rußland angebracht. Im Wachstum des Grundkapitals der Ak-
tiengesellschaften sind alte Kapitalien, die nur die Form von
Aktien angenommen haben, sowie diejenigen der nur projektierten
Aktiengesellschaften, desgleichen auswärtige Kapitalien, die in
russischen Unternehmungen plaziert sind (d. h. solche ausländische
Aktiengesellschaften, deren Sitz sich in Rußland befindet), in-
begriffen. Aber trotz alledem zeigen unsere Ziffern sehr genau
den Gang der Entwicklung, wenn auch in etwas vergrößerter Form.
Unsere willkürlichen Annahmen vermindern zwar den Wert der
absoluten Ziffern, wirken aber nicht auf ihre relative Bedeutung,
da die Abweichungen überall dieselben bleiben. Addieren wir die
Zahlen gruppenweise (ä 4 Jahre), gelangen wir zu folgender Tabelle
des Kapital zu wachses pro Jahr (durchschnittlich und in Millionen
Rubel):

	Zuwachs	Kapital-	All-		Waren-
Jahre	der	zuwachs	gemeiner	In Pro-	export
	Reichs-	in der In-	Kapital-	zent	nach dem
	schuld	dustrie	zuwachs		Auslande
1893—1896	68,9	34,8	103,7	100	661,4
1897—-1900	— 228,9	340,7	11 i,S	108	700,5
1901—1904	41,6	167,8	209,4	202	907,4
I9°5—1908	141,0	198,1	339,i	327	1005,2
Durchschnittlich	5,7	i85,3	191,0	—	831,1
In Prozent	3,o	97,o	100,0	—	— ■

Es bleibt uns nun übrig, den Kapitalzuwachs der industriellen
Betriebe festzustellen, die nicht Aktiengesellschaften, sondern physi-
schen Personen gehören. Wie schon oben angedeutet wurde, haben
wir über die Größe der Akkumulation in diesen Betrieben auch
keine annähernden Daten. Wir müssen deshalb einen Umweg
machen. Für die Fabrikindustrie stehen uns für die Periode 1892
bis 1908 nur solche Daten, die sich auf die Zahl der beschäftigten
Arbeiter beziehen, wobei jedoch hinzugefügt werden muß, daß
auch diese Daten nicht ganz befriedigend sind. Nach der »Zu-
sammenfassung der Angaben für die Fabrikindustrie in Rußland
für das Jahr 1897« (»Swod dannych o fabritschnosawodskoj pro-
myschlennosti«) gab es:

Im Jahre 1890	....	998095 Arbeiter

»	»	1893 .... 1121449	*

58

I

Vielleicht aber wird uns der Zufluß des ausländischen Kapitals
die Rettung bringen ? Vielleicht können die durch die übermäßige
Besteuerung erschöpften inneren Kräfte des russischen Volkes durch
Ersparnisse der Franzosen, Deutschen oder Engländer restituiert
werden ?

Unsere Erfahrungen zwingen uns hier zur Skepsis. Unsere
Berechnungen zeigten, daß das ausländische Kapital in Rußland
Garantien der Regierung sucht, und nur ein unbedeutender Teil
dieses Kapitals (20°/o) widmet sich der Industrie. Die Ausländer
geben ihr Geld gern der russischen Regierung, sind aber sehr
vorsichtig, sobald es sich um Privatunternehmen handelt. Im
Laufe von 16 Jahren (1893—1908) wurden nach unseren Berech-
nungen 2965 Millionen Rubel russischen und 874 Millionen Rubel
ausländischen Geldes in Industrieunternehmen investiert. Gewiß,
diese Zahlen sind statistisch keineswegs exakt (s. den von uns
oben gemachten Vorbehalt); sie haben trotz alledem aber einen
symptomatischen Charakter. Abstrahieren wir von der Summe
des russischen Kapitals 900 Millionen Rubel, die aus dem Ver-
kaufe der russischen Fonds nach Ausland erzielt wurden, so gleicht
das Kapital russischer Herkunft immer noch einer Summe von
2065 Millionen Rubel gegen 879 ausländischer Herkunft. Es soll
auch nicht vergessen werden, daß wir es nur mit denjenigen Industrie-
unternehmungen zu tun haben, die der Registratur unterliegen.

Gruppieren wir die Summen für jede 4 Jahre, so erhalten wir
die nachfolgende Tabelle (in Millionen Rubel):

Kapital

In den Jahren russisches ausländisches
Mill. Rubel Mill. Rubel
1893—1896	34,8	-42,9

1897—1900	n 1,8	190,6

1901 —1904	167,8	1,0

1905—1900	198,1	69,5

Während das Kapital russischen Ursprungs sich langsam, aber
gleichmäßig konzentriert, fließt das ausländische Geld, den Schwan-
kungen der europäischen Geldmärkte entsprechend. sprungweise
nach Rußland. Somit spielte das ausländische Kapital in der russi-
schen Industrie nur eine Nebenrolle, die zwar unserer Armut halber
wichtig war, aber immerhin nur einen Aushilfscharakter besaß.
Und es ist kaum anzunehmen, daß ihre Bedeutung in Zukunft
größer wird, denn zu ihrer Heranziehung wurde bereits alles Mög-

21

Unter russischer Flagge

Seeverkehr

Tonnen

Weißes Meer........................50515

Ostsee............................288663

Schwarz- und Asowmeer ....	463626

Donau...........................51 412

Astrachan.......................56109

Zusammen 910325

Küstenverkehr
Tonnen
233480
1 215176
10383853
124720
4053324
16010553

Zusammen also 16920878 Tonnen oder 1049094000 Pud
= 87 °/(1 des Gesamttransportes der Flußschiffe. Wenn wir die
Frachten der Seeschiffahrt gleich derjenigen der Flüsse ansetzen,
erhalten wir einen Ertrag der Seeschiffahrt im Werte von 40838000
Rubel.

Im Fuhrmannsgewerbe, auf den Straßenbahnen und Omnibussen
sind nach der Volkszählung von 1897 243696 Personen beschäf-
tigt. Wenn man den Verdienst eines Fuhrmanns gleich demjeni-
gen eines Fabrikarbeiters ansetzt (402,3 Rubel im Jahr), so erhält
man den Reinertrag dieses Gewerbes im Werte von 98039000
Rubel. Ueber das Post- und Telegraphenwesen besitzen wir be-
friedigende Daten. Gemäß der »Post- und Telegraphenstatistik
für das Jahr 1900« beträgt die Gesamteinnahme des Reiches aus
diesem Kapitel 50333064 Rubel. Davon sind folgende Ausgaben
abzuziehen:

Wirtschaftsausgaben dieser Institute..................7380042	Rubel

Instandhaltung .......................................5556967	»

Remise für auswärtige Korrespondenzen.............. 211999	t

Reparatur des Telegraphen- und Telephonnetzes .	.	1968100	»

Zusammen 15 117108 Rubel

Der Reinertrag = 35215956 Rubel.

Um nun den auf die 50 Gouvernements zukommenden Teil
des Reineinkommens festzustellen, wollen wir die Angaben des
»Jahrbuches des Finanzministeriums für das Jahr 1902« betreffend
den örtlichen und intraurbanen Verkehr einfacher Briefe benutzen:

Die Zahl der Briefe im ganzen Reich . .	.	255926342

In den 50 europäischen Gouvernements .	.	206045784 oder 80,5 °/o

Wenn wir diese Norm als Grundlage zur Berechnung des Rein-
ertrags des Post- und Telegraphenwesens in den 50 Gouvernements
verwenden, erhalten wir eine Summe von 28349000 Rubel.

Somit wirft das Verkehrswesen ab:

38

plaziert. Genaue Angaben über den Umfang der Reichsschulden
finden wir in dem Bericht der Reichskontrolle betreffend Ausfüh-
rung des Reichsetats; daselbst finden wir die Ziffer der Zinsen,
die Rußland für seine Schulden dem Auslande zahlt. Ein Teil
der Coupons wird, wie es scheint, immer im nächsten Jahre be-
glichen; der andere wird bei günstiger Konjunktur nach Rußland
zur Bezahlung geschickt. Die Zahlungen nach Ausland entsprechen
deshalb nicht ganz dem Umfang unserer ausländischen Verschul-
dung. Dieser Fehler hat aber eine Bedeutung nur für jedes ein-
zelne Jahr. Im allgemeinen widerspiegeln unsere Zahlungen nach
dem Ausland ganz genau den Stand unserer Reichsschulden. Um
den Umfang unserer Verschuldung festzustellen, wollen wir an-
nehmen, daß wir für die in- und ausländischen Schulden den gleichen
Zinsfuß zahlen. Dann erhalten wir die folgende Tabelle unserer
Reichsschulden (in Millionen Rubel):

Zum	Zins-  tragende	Bezahlt	Hiervon		Schulden	
31. De-	Reichs-	Prozente	im Aus-	in Ruß-	im Aus-	in Ruß-
zember	schuld ')		land	land	land	land
1892	4,852	246,45	30,56	215,89	601,7	4250,3
1893	5,026	253,58	29,732)	223,85	589,2	4436,8
1894	5,775	272,45	25,392)	247,06	538,3	5236,7
1895	5,897	275,57	58,412)	217,16	1250,0	4647,0
1896	6,o6S	266,77	67,79	198,98	1542,2	4525,8
1897	6,123	255A9	68,91	186,28	1653,1	4469,9
1898	6,122	271,78	61,27	210,51	1380,4	4741,6
1899	6,184	271,63	98,01	173,62	2231,6	3952,4
1900	6,193	272,78	113,78	159,00	2582,8	3610,2
1901	6,392	276,55	115,85	160,70	2677,3	3714,7
1902	6,644	290,29	128,02	162,27	2930,3	3713,7
1903	6,652	288,71	130,34	158,37	3003,0	3649,0
1904	7,082	297,57	138,88	158,69	3305,3	3776,7
1905	7,841	306,56	146,97	159,59	3759,5	4081,5
1906	8,626	356,53	170,56	185,97	4125,9	4500,1
1907	8,726	374,27	190,59	183,68	4442,7	4283,3
1908	8,851	397,62	202,62	I95,oo	4510,3	4340,7
1909	9,055	394,91	180,52	214,39	4i39,3	4915,7
Betrachten		wir diese	Tabelle, so	finden	wir, daß	im Laufe

von 16 Jahren (1893—1908) die Reichsschulden Rußlands sich fast

') In den Jahren 1892—1900. Nach den Angaben von M. Kaschkarow. Die
finanzielle Bilanz des letzten Jahrzehntes, 1903, Bd. II, S. 50, 56, 57 (russisch).

2) 1 Metallrubel = 1,50 Rubel in Kreditscheinen (in den Angaben der
Staatskontrolle in den Jahren 1892, 1894, 1895, — 1,60 Rubel, 1893, — 1,70 Rubel).

	— 81. —	
	Prozent der Steuer- belastung	Das Grundkapital der A.-G. (Jahres- durchschnitt) Millionen Rubel
1861 —1865	20,7	19,9
1866 — 1870	14,9	133,8
10  00  T  t'-  00	13,0	89,9
1876—1880	16,3	28,9
00  co  T  00  co	19,6	45,4

Diese Tabelle zeigt, daß der liberale Tarif des Jahres 1868
einen ungeheueren Zufluß des ausländischen Kapitals nach Ruß-
land hervorrief. Im Jahre 1867 betrug das Kapital der gegründeten
Aktiengesellschaften nur 70,5 Millionen Rubel. Im Jahre 1868
waren es schon 184,2 Millionen Rubel, im Jahre 1869 154,9. Die
Krise des Jahres 1873 hat diesen Zufluß eingeschränkt. Nachher
folgte der türkische Krieg und der Uebergang zum Protektionismus,
der eine ökonomische Entfremdung Rußlands hervorgerufen hat.
Ein gewisses Wachstum der Kapitalien der gegründeten Aktiengesell-
schaften in den Jahren 1881 —1885 erklärt sich wahrscheinlich durch
das Aufkommen heimischer Kapitalien. Diese Wirkung der hohen
Zollsätze ist durchaus nicht rätselhaft. Je größer der Handels-
verkehr zwischen Rußland und dem Ausland, je mehr Verbindungen
die auswärtigen Fabrikanten und Händler in Rußland besitzen, je
besser die ausländischen Kapitalisten und Unternehmer von den
russischen Verhältnissen informiert sind, um desto leichter vollzieht
sich der Zufluß des ausländischen Kapitals und der ausländischen
Unternehmungslust. Eine nationale Isolierung stoßt sie dagegen
ab und nur in den seltenen Momenten, wie z. B. in den Jahren
1896—1901, gelingt es, diesen Widerstand zu überwinden, wobei
die Reklame und die speziellen Privilegien eine große Rolle spielen.
Engherzige nationalistische Tendenzen kommen der Volkswirtschaft
immer sehr teuer zu stehen.

Der Bankrott, den die dreißigjährige Politik des generellen
Protektionismus in Rußland erfahren hat, spricht weder für noch
gegen einen vernünftigen Schutz einzelner Industriezweige. Die Er-
fahrung zeigte, daß die Erziehungszölle zweifellos eine positive
Bedeutung haben. Im Vergleich zu der entstehenden Industrie
junger Länder hat die entwickelte Industrie der alten kapitalistischen
Staaten einige wichtige ökonomische Vorteile. Erstens verfügt
die alte Industrie über einen genügenden Stamm erfahrener und
arbeitsfähiger Arbeiter; die junge Industrie ist dagegen genötigt,

Arch. f. Sozialwissensch. u Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch.	6

Zweites Kapitel.

Die Steuerlast und das Kapitalwachstum.

Der Hauptbestandteil des Volkseinkommens wird immer für
die Befriedigung der unmittelbaren Bedürfnisse der Bevölkerung
an materiellen Gütern (Nahrung, Kleidung usw.) verwendet. Ein
weiterer, verhältnismäßig kleinerer Teil dient zur Deckung der
Ausgaben für die innere Verwaltung, sowie den äußeren Schutz
des Staates; der dritte Teil endlich bildet die jährlichen Ersparnisse
der Nation und dient zur Vergrößerung des Produktionsfonds. Je
größer das Volkseinkommen und je geringer der Teil desselben
ist, der zur Befriedigung der Staatsbedürfnisse verwendet wird,
desto bedeutender ist die kapitalbildende Fähigkeit und somit die
Kraft der ökonomischen Entwicklung der betreffenden Volkswirt-
schaft. Im vorangegangenen Kapitel berechneten wir das Volks-
einkommen des europäischen Rußlands; versuchen wir nun die
Größe der Steuerlast zu bestimmen.

Die Staatsausgaben für die Verwaltung werden aus zwei
Quellen geschöpft: i. aus materiellen Werten, die, von Privat-
personen geschaffen, vom Staate in der Form von Abgaben an-
geeignet werden und 2. aus materiellen Werten, die der Staat
selbst produziert. In beiden Fällen nimmt der Staat einen be-
stimmten Teil des Volkseinkommens weg und verwendet ihn für die
Organisation der inneren Verwaltung sowie für den Schutz des
Staates nach außen hin. Der Staat hat keineswegs die Aufgabe,
neue materielle Werte zu schaffen; er verbraucht sie nur, um be-
stimmte, nicht materielle Güter zu erreichen. Daher haben die
wirtschaftlichen Betriebe des Staates keinen selbständigen Wert,
sie dienen ihm vielmehr nur als Einnahmequellen J).

') In den fortgeschritteneren westeuropäischen Staaten entsteht eine
neue Aufgabe — die Organisation einer neuen Wirtschaftsordnung. Die Muni-
zipalisierung und Sozialisierung verschiedener Betriebe, die Umwandlung der-
selben in öffentliche ändern vollständig das Wesen des Staates. Aber auch

Perlag uoa 3. E. B. fllohr (Paul Siebeck) rn Tübingen.

Die Industrie und der Staat.

Von

Hugo Böttger.

8. 1910. M. 3.20. Gebunden M. 4.—.

Das Staatsrecht des Russischen Reiches.

Von

Dr. Wiatscheslaw Gribowski,

Professor der Kechte an der Universität Odessa.

Lex. 8.	1912. M. 7.—, gebunden M. 9.—.

(Das öffentliche Recht der Gegenwart. Systematischer Teil. Eand XVII.)
Preis bei Subskription auf das ganze Sammelwerk (Systematischer Teil und
Jahrbuch) M. 6.30, gebunden M. 7.-.

Jahrbuch der sozialen Bewegung

in Deutschland und Oesterreich
---------- 1912._____

Von

Dr. Emil Lederer,

Heidelberg.

Separatabdruck
aus dem

„Archiv für Sozial Wissenschaft und Sozialpolitik“.
Groß 8.	1912. M. 4.—.

Kriegssteuer oder Kriegsanleihe?

Von

Dr. Heinrich Dietzel,

Professor in Bonn.

Groß 8.	1912. M. 1.60.

.... Die Schrift trägt ein reichhaltiges Material zur Beantwortung
des Problems zusammen und ist dabei so klar und leichtverständlich abge-
faßt, wie wir es leider nur den wenigsten Schriften unserer Gelehrten nach-
rühmen können. Jeder, der Interesse an den berührten Fragen nimmt, wird,
gleichgültig ob Freund oder Feind der Kriegsanleihe, aus der Schrift reiche
Belehrung schöpfen.

Die Post. 12. 7. 19/2.

Umschlag-Druck von H. Laupp jr in Tübingen.

44

Jahre	Reichsbank Physische Spar_ Personen u. kassen Institute		Handels-  aktien-  banken	Kreditgesell- schaften auf Gegenseitig- keit	Städti-  sche  Banken	Zu-  sammen
1893	49)4	52,4	?	j	>	319,6 !)
1894	45.5	74,3	157,9	42,9	5,6	326,3
1895	37,9	50,7	168,1	47,2	5,o >)	308,8
1896	39,o	46,7	153,7	46,2	5,o ß	290,6
1897	51,2	27,9	182,2	48,2	5,o ß	314,5
1898	62,8	73,o	257,2	61,3	4,2	458,4
1899	74,2	8,3	293,9	58,8	2,2	437,4
1900	52,9	25,7	283,6	61,2	8,2	431,6
1901	49,7	25,7	281,6	68,4	9,7	435,o
1902	60,7	56,4	291,5	69,6	10,2	488,4
1903	67,8	1.35,7	354,9	73,2	11,6	643,2
1904	78,2	73,5	426,7	84,6	14,3	677,3
•905	102,9	43,7	464,8	91,6	15,4	718,4
1906	130,3	82,4	414,6	84,2	18,5	565,3
1907	120,3	42,9	489,8	96,3	20,2	778,5
1908	116,0	56,5	540,6	103,2	21,2	837,5
1909	93,4	52,0	636,5	122,4	24,7	928,9

Den Kapitalzuwachs in Rußland selbst veranschaulicht folgende
Tabelle (in Millionen Rubel).

Jahre	Reichs-	Eisenbahn-	Stamm-	Konto-	Zu-
	schuld	aktien	kapitale der A.-G.	korrent	sammen
CO  08  00	186,5	— 71,2	61,1	6,7	183,1
1894	799,9	- 191,1	59,5	- D,5	650,8
>895	- 589,7	- 54,i	129,4	— 18,2	- 532,6
1896	— 121,2	- 21,8	232,6	23,9	H3,5
1897	- 55,9	12,3	239,3	143,9	3i5,o
1898	27t,7	-	5,3	256,2	- 21,0	501,6
1899	- 789,2	0,0	430,0	5,8	-364,1
1900	- 342,2	3,2	336,8	3,4	-	5,2
1901	104,5	2,1	140,2	53,4	300,2
1902	—	1,0	0,0	69,1	154,8	222,9
1903	- 64,7	o,3	82,4	34,1	52,1
1904	127,7	o,3	94,0	4i,i	262,5
1905	304,8	0,0	99,7	- I53A	251,4
1906	418,6	0,0	127,3	213,2	759,1
1907	— 216,8	8,2	192,6	59,6	43,o
I90S	57,4	0,0	I54,i	9G4	302,9

Diese Tabelle gibt, wie gesagt, die Entwicklung des Kapital-
zuwachses in Rußland nicht ganz genau wieder. Ein Teil der

') Annähernde Ziffer.



73

Diese Tendenz realisiert sich zwar in einem gewissen Zeit-
raum oder, wie man gewöhnlich sagt, »in letzter Linie«, für die
Industrie aber ist es vollkommen genug. Der Geldabfluß nach
Ausland ist gewöhnlich eine Begleiterscheinung der Industriekrisen
und in der nachfolgenden Zeit der Depression kehrt das Gold aus
dem Auslande wieder zurück. Die Länder, die ihre Staatsfonds
bei sich zu Hause placiert haben, können deshalb ganz ruhig eine
automatische Wiederherstellung der Handelsbilanz abwarten und
die Sorge um ihren positiven Charakter als etwas Ueberflüssiges
betrachten. In einer ganz anderen Lage befinden sich die Länder
mit einer großen auswärtigen Verschuldung, die ihre Verpflich-
tungen im Auslande plaziert haben. Rußland z. B. ist verpflichtet,
für seine Anleihen dem Auslande jährlich etwa 200 Millionen
Rubel zu zahlen. Ist die Zahlung nicht pünktlich erfolgt, so be-
deutet das einen Staatsbankrott. Dabei ist zu bemerken, daß der
russische Export nach Willkür nicht zu forcieren ist, da sein Um-
fang hauptsächlich von der Ernte und sein Wert von den Welt-
marktspreisen auf landwirtschaftliche Produkte abhängig ist. Und
zuletzt darf man nicht außer acht lassen, daß auch der Import
nach Rußland nicht jene Beweglichkeit besitzt, die dem aus-
wärtigen Handel der fortgeschrittenen Länder eigentümlich ist.
Die Preise werden bei uns noch immer in bedeutendem Maße von
der Sitte reguliert und die Verminderung des Goldverkehrs im
Lande hat deshalb eine unmittelbare Einschränkung des Imports
nicht zur Folge. Unter diesen Umständen ist ein zielbewußtes
Einwirken auf die Plandelsbilanz keineswegs ein »Mißverständnis«,
sondern eine der Hauptaufgaben der Finanzpolitik. Gewiß, je
größer der Goldvorrat im Lande, desto geringer die Gefahr unan-
genehmer Ueberraschungen. Die Anhäufung großer Goldvorräte
in den neunziger Jahren vermochte deshalb wenn nicht ganz, so
doch in bedeutendem Umfange den Einfluß schwächen, den dieser
Umstand in der Zollpolitik Rußlands ausiibt.

Wenden wir uns nun der dritten Aufgabe unserer Zollpolitik
zu: der Förderung der Industrie. Professor Soboleff kommt in
seiner Untersuchung zum Schluß, wonach der Zollschutz in Ruß-

dem Stand der Handelsbilanz und dem Wechselkurs kein Parallelismus zu
verzeichnen ist. ... Im Gegenteil, man kann eher eine umgekehrte Proportio-
nalität zwischen dem Quantum des Papiergeldes und dem Wechselkurs kon-
statieren. Je größer die Zahl des vorhandenen Papiergeldes, desto niedriger
ist der Wechselkurs und umgekehrt.« Soboleff, 1. c. S. 411—414.

47

Reichsgewerbesteuer (das Gesetz vom 8. Juni 1898), hauptsächlich
seit der zweiten Hälfte des Jahres 1900, wurden mehrere größere
Handwerksbetriebe der Aufsicht der Fabrikinspektion entzogen.
Bis zum Jahre 1909 wurden von dieser Aufsicht 57 775 Arbeiter
befreit. Da diese Betriebe im Jahre 1900 als Fabrikbetriebe be-
trachtet wurden, so müssen wir sie den letzteren hinzuzählen.
Dann werden wir für das Jahr 1908 folgende Angaben enthalten,
die sich mit denjenigen für das Jahr 1900 sehr gut vergleichen
lassen:

Europäisches Rußland....1629970	Arbeiter

Königreich Polen........ 250082	»

Kaukasus................ 21492	»

Sibirien und Mittelasien	....	17 451	»

Zusammen	1918995	Arbeiter

Im allgemeinen drückt sich der Zuwachs der Arbeiterzahl in
den 16 Jahren, 1892—1908, in folgenden Ziffern aus:

Im Jahre	1892	....	1080331	Arbeiter

»	»	1900	....	1726988	»

»	»	1908	....	1918995	»

Der allgemeine Zuwachs für diese 16 Jahre beträgt folglich
838664 Arbeiter oder 77,6 °/o der Anfangszahl (im Jahre 1892).
Ein Teil dieser Arbeiter ist in den Aktienbetrieben beschäftigt,
der andere in den individuellen. Das Grundkapital der Aktien-
betriebe betrug:

Im Jahre 1892 ....	420 Millionen Rubel

» » 1908 .... 1400 » »

Die Zahl der Arbeiter, die im Jahre 1908 in den Aktien-
betrieben beschäftigt wurde, konnten wir ziemlich genau feststellen,
wozu wir die Angaben der allgemeinen Bilanz (»Swodnyj Balans«),
sowie diejenigen des Herrn Witkowitsch x) benutzen. In denjenigen
Fällen, wo wir keine Angaben über die Arbeiterzahl vorfanden,
benutzten wir eine annähernde Ziffer, die wir auf Grund der An-
gaben anderer Unternehmen desselben Industriezweiges berech-
neten. Aus der Gesamtzahl von 942 Aktienbetrieben fehlen im
»Spissok« 125 Unternehmer oder 13 °/o. Es fehlen Angaben in
bezug auf die Arbeiterzahl in den Aktienmühlen (19 Betriebe mit
einem Grundkapital von 18,2 Millionen Rubel). Nach unserer
Berechnung waren nun in den Aktienbetrieben im Jahre 1908 im

’) Aktien-, Anteil- und andere Gesellschaften zum 1. Januar 1908.

87

Fall war. Daß eine gewisse Tendenz in dieser Richtung existiert,
zeigt das Sinken der Steuerbelastung auf Lebensmittel. Seit
1875 —1905 wuchs diese Besteuerung beständig und erreichte
zuletzt 73,4°/o des Importproduktes. Zum Jahre 1908 sank diese
Norm bis zu SO,9°/o herab. Es ist deshalb zu erwarten, daß auch
die fiskalischen Zölle nunmehr herabgesetzt werden.

Ob unsere Erwartungen sich in der Tat verwirklichen werden,
das hängt natürlich nicht nur von den Bedürfnissen der Volks-
wirtschaft, sondern auch von dem Verhältnis der politischen Kräfte
im Lande ab. Dieses Moment aber liegt außerhalb des Rahmens
unserer Untersuchung.

13

Rußland, unter Abzug der Gouvernements Pensa, Ufa, Astrachan,
Livland und Dongebiet, eine Fläche von 517 215 Deßjätinen. Auf
Grund von Angaben, die das Jahr 1881 betreffen, dürfen wir das
Gartenland der fehlenden fünf Gouvernements mit 67112 Deß-
jätinen berechnen. Zusammen also 584327 Deßjätinen. Nach den
weiteren Angaben derselben Schrift betrug in den Jahren 1895
bis 1896 die Bruttoeinnahme von einer Deßjätine 148 Rubel. Wir
wollen aber vorsichtshalber den Ertrag eines Gartens gleich dem-
jenigen eines Weingartens ansetzen, d. h. mit 127 Rubel pro Deß-
jätine. In diesem Falle wird die Gärtnerei eine Bruttoeinnahme von
74210000 Rubel abwerfen.

Die Gemüsegärten umfaßten im Jahre 1881 eine Fläche von
70815 Deßjätinen. Gemäß den Angaben der Kommission betreffend
den wirtschaftlichen Niedergang Zentralrußlands vermehrte sich die
Landbevölkerung Rußlands in den Jahren 1880—1900 um 37,3 °/o.
Wir können mit Sicherheit annehmen, daß der Gemüsekonsum der
Landbewohner sich während der verflossenen 20 Jahre nicht ver-
mindert hat. Dann müßte sich die Bodenfläche für den Gemüse-
bau bis zu 97229 Deßjätinen ausgedehnt haben. Eine Deßjätine
Kartoffel wirft im ganzen 68,5 Rubel und eine solche von Rüben
95,8 Rubel ab. Wenn wir das Einkommen von einem Gemüse-
garten gleich demjenigen von einer Zuckerrübenkultur ansetzen,
erhalten wir einen Reinertrag der Gemüsegärtnerei von 9315000
Rubel.

Nach den Berechnungen von Tschefranoffx) zählt das euro-
päische Rußland ca. 3,6 Millionen Bienenstöcke, die abwerfen:

Honig . . 1313243 Pud ä 5 Rubel 10 Kopeken = 6702264 Rubel
Wachs . . 235003 » » 17	» 95	»	= 4216934	»

10919000 Rubel

Die Seidenzucht im europäischen Rußland hat einen nur ge-
ringen Umfang. Die Gesamtproduktion der rohen Seidenkokone
macht nur ca. 1000 Pud aus und wirft einen Betrag von 10000
Rubel ab 1 2).

Somit geben die übrigen Zweige der Landwirtschaft einen
Ertrag:

1)	Russische Bienenindustrie am Anfang des 20. Jahrhunderts, 1901.

2)	W. J. Pokrofsky schätzt die Einnahme aus der Seidenzucht mit 15 Mil-
lionen und die der Baumwolle mit 41,4 Millionen Rubel ein. Hat aber wohl
das ganze Reich im Auge. Ibid. S. XXXVI.

4

Das Volkseinkommen setzt sich aus dem Reinertrag folgender
Produktionszweige zusammen:

1.	Landwirtschaft.

2.	Forstwirtschaft und Fischerei.

3.	Extraktive und bearbeitende Industrie.

4.	Transportwesen.

5.	Bauwesen.

6.	Handel.

Unsere Berechnungen betreffen nur die 50 Gouvernements des
europäischen Rußlands. In bezug auf Sibirien, Mittelasien und
Kaukasus fehlt es überhaupt an statistischen Daten für eine ganze
Reihe von Produktionszweigen. Eine Berechnung des Volksein-
kommens für diese Gebiete ist deshalb völlig unmöglich. Was aber
Polen anbetrifft, über welches wir mehr Material besitzen, so
muß man darauf hinweisen, daß dieses Gebiet einen selbständigen
Organismus darstellt, dessen Leben sich bedeutend von demjenigen
der 50 russischen Gouvernements unterscheidet.

Beginnen wir nun mit dem Brotgetreide. Nach den Angaben
des statistischen Zentralkomitees betrugen die Aussaatfläche, die
Getreideernte und der Gesamtertrag:

	Aussaatfläche im Jahr 1900	Durchschnitts-  ernte  1896—	Durchschnitts-  saat  1900
	Deßjätinen ’)	Pud2)	Pud2)
Winterkorn .	.	.	24138988	46,7	8,9
Sommerkorn	.	.	211 283	33,6	8,2
Winterweizen	.	.	2860219	48,1	8,4
Sommerweizen	•	■	H 94399I	37,4	6,9
Hafer .	. .	■ ■	13853117	44,4	I 1,2
Gerste .	.	.	. .	6513844	42,7	8,6
Spelz . .	.	.	.	388217	37,6	10,3
Buschweizen .	.	.	2I2I90I	24,9	6,9
Hirse .	.	.	■ •	2385034	43,3	2,5
Mais ....	. .	1 003 604	53,i	i,9
Erbsen .	.	.	.	.	869488	39,i	8,3
Linsen .	.	.	.	.	361071	34,i 3)	8,0 4)
Bohnen .	.	.	.	60804	58,6 •)	9,84)
	Total 66711 561	43,3	8,6



*) 1 Deßjätine — 1,0925 ha.

2)	1 Pud = 40 russische Pfund

3)	Pro 1897 — 1900.

4)	Pro 1899/1900.

16 kg.

35

Der generelle Schutz muß dem Schutze einzelner Industriezweige
Platz machen J). Es ist möglich, daß diese Reform des Zolltarifes
eine bedeutende Verstärkung des Zuflusses ausländischer Kapitalien
zur Folge haben wird (ähnlich dem Zufluß, den wir in den Jahren
1868—-1873 erlebt haben). Durch diese Reform wird sich der
Handelsverkehr mit dem Auslande vergrößern; es ist aber bekannt,
daß das ausländische Kapital überall dem ausländischen Unter-
nehmer folgt. Was aber das zweite bestimmende Motiv unserer
Zollpolitik anbetrifft — die Sorge um eine günstige Handels-
bilanz —, so ist dabei zu bemerken, daß die bedeutenden Geld-
vorräte, die im Lande angehäuft sind, die Bedeutung der Frage
herabmindern. Es läßt sich nunmehr in viel bedeutenderem Maße
als am Ende der siebziger und in den achtziger Jahren erwarten,
daß das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte die Resultate des
Handelsverkehrs automatisch korrigieren wird. Dabei muß noch
in Betracht gezogen werden, daß der Charakter unserer Zahlungs-
bilanz jetzt nicht nur von unserem Außenhandel, sondern auch
von der Bewegung der russischen Reichsfonds abhängig ist. Für
die Reichsanleihen wurden gezahlt (Zinsen und Amortisation):

	Insgesamt	In Rußland	Im Aus- lande
	Mill. Rubel	Mill. Rubel	Mill. Rubel
1908	397,6	i95,°	202,6
1909	394,5	214,4	180,5
1910	409,0	233,6	i75,4
1911	399,5	255,s	143,7

') Für die Herabsetzung der Zollabgaben spielt auch die folgende Er-
wägung eine Rolle. Eine Fabrikindustrie, die sich entwickelt, braucht für ihre
Produkte ein immer größeres Absatzgebiet. Der Hauptabnehmer unserer
Industrieartikel ist der Bauer; die Erweiterung des Absatzmarktes kann somit
nur durch eine Vergrößerung der Kaufkraft der bäuerlichen Wirtschaft ge-
schehen. Diese Vergrößerung wurde bis jetzt hauptsächlich durch den Ueber-
gang von Natural- zur Tauschwirtschaft erreicht. Im allgemeinen ist dieser
Prozeß nunmehr im europäischen Rußland (mit Ausnahme der östlichen Gou-
vernements) als vollzogen zu betrachten. Es ist daher notwendig, zu einem
anderen Mittel zu greifen, — zur Hebung der Rentabilität der bäuerlichen
Wirtschaft. Die Verarmung der Bauern, der Niedergang der bäuerlichen
Wirtschaft bedroht die russische Industrie durch eine Einschränkung des
inneren Marktes. Unsere Industriellen haben somit ein Interesse an der
Herabsetzung des Zolles für landwirtschaftliche Produkte, die Rußland nach
dem Ausland exportiert. Diese Herabsetzung kann, nur dadurch erreicht
werden, daß man seinerseits die Zollsätze für die nach Rußland importierten
Waren herabsetzt.

36

die Beurteilung der Finanzlage eines Landes — des Volkes und
nicht der Regierung — hat eine vorwiegende Bedeutung nicht die
Defizitlosigkeit des Budgets, sondern die Größe der Steuerlast und
die der Ersparnisse.

Ist die Möglichkeit eines Bankrotts Rußlands auch proble-
matisch und einer statistisch begründeten Lösungx) unzugänglich,
so ist es anderseits außer Zweifel, daß eine solch hohe Besteue-
rung den Kapitalzuwachs des Landes und seine Industrieentwick-
lung hemmen muß, während die Konkurrenzstaaten sowohl auf
dem Weltmärkte (Australien, Vereinigte Staaten, Kanada, Argen-
tinien) als auch in der internationalen Politik (England, Frankreich,
Deutschland, Oesterreich) rasch ihre Produktivkräfte entwickeln
und immer mehr Rußland in den Hintergrund drängen. Bei dem
gegenwärtigen Stand unserer offiziellen Statistik ist eine genaue
Berechnung der Kapitalakkumulation absolut unmöglich. Um aber
die in bezug auf diese Frage verbreiteten, völlig grundlosen Mei-
nungen zu beseitigen, halten wir es danach für zweckmäßig, unser
ungenügendes Material zu verwerten, um wenigstens eine allge-
meine, mehr oder weniger der Wirklichkeit entsprechende, Vor-
stellung von diesem wichtigen ökonomischen Prozeß gewinnen zu
können. Um dieses Ziel zu erreichen, sind wir genötigt, uns mit
unvollständigen und annähernden, aber zweifellos symptomatischen
Angaben zu begnügen. Wir verfügen über folgende Daten:

1.	Ueber die Reichsschulden.

2.	Ueber die Summen, die für den Eisenbahnbau verwendet
wurden.

3.	Ueber das Stammkapital der Aktiengesellschaften.

4.	Ueber die Akkumulation des freien Kapitals in den Banken
(Kontokorrente).

Unberücksichtigt bleibt der Kapitalzuwachs in den privat-
kapitalistischen Unternehmungen und die Akkumulation der Pro-
duktivkräfte in den kleineren Bauern- und Handwerksbetrieben.
Was die letztere anbetrifft, so können die Ersparnisse dieser
kleinen Produzenten, wie man dies aus der Verteilung des Volks-
einkommens erblickt, kaum bedeutend sein. Bei einem Jahres-
einkommen von 33,68 Rubel ist es schwer zu sparen. Es läßt

*) Weiter werden wir noch Gelegenheit haben, zu zeigen, daß einige
Aenderungen innerhalb der Volkswirtschaft Rußlands am Beginn des 20. Jahr-
hunderts die Gefahr eines Bankrotts — wenigstens für die nächste Zeit —
völlig ausschließen.

6

	.	,	Durchschnitts-	Durchschnitts-  Aussaatflache  T ,	ernte	saat  im fahr 1900	„ ,  1896—1900			
	Deßjätinen		Pud	Pud
Kartoffel . .	.	2508519		43I,t	88,8
Flachs (Samen)	1372914		18,65)	6,2')
Flachs (Faser) .	—		i6,o.5)	—
Hanf (Samen) .	683877		29,3 5)	8,1 5)
Hanf (Faser) .	—		20,63)	—
Rüben . . .	397 875		958,4	—
Tabak . . . .	32504		93,3	—
Sonnenblume .	265606	')	50,8c)	0,85 7)
Raps . . . .	I272I72)		47,5°)	I,I08)
Senf . . . .	5 0003)		6i,5 *)	i,59)
Hopfen .	.	.	4 75°4)		45,5 4)	—
Zusammen 5398262				
			Durchschnitts-	
	Reinernte		preise für die	Brutto-
von 1 Deßjät.		im ganzen	Jahre 1896	einnahmen
			bis 1900	
	Deßjätine	Pud	Kopeken	Rubel
Kartoffel . . . .	342,3	858666054	i7,9	153701223
Flachs (Samen) .	.	12,4	17024 i34	103,6	17637003
Flachs (Faser) .	.	16,0	21 966624	303,6	66690670
Hanf (Samen) .	.	21,2	14498 192	90,5	13 120864
Hanf (Faser) . . .	20,6	14087866	177,7	25034138
Rüben 		958,4	381323400	I0,09)	38132340
Tabak		93,3	3032623	402,7 ll)	12212373
Sonnenblume .	.	50,0	13 280300	107 12)	14 209921
Raps		46,4	5903169	104 12)	6139296
Senf		60,09)	300000	118 13)	354ooo
Hopfen		45,510)	216250	900 l0)	1946250

349178078

’) Aus »Rußland am Ende des 19. Jahrhunderts«, 1900 (russisch).

2)	Aus »Land- und Forstwirtschaft in Rußland«, 1893 (russisch).

3)	Annähernde Zahlen.

4)	Pro 1894.	5) Pro 1899/1900.

6)	Pro 1881—1890.

7)	Nach den Angaben von 1895 (Die Dichtigkeit der Feldpflanzensaaten
in Rußland, 1898).

8)	Nach den Angaben pro 1882 (Landwirtschaftliche und statistische Nach-
richten nach dem von den Landwirten mitgeteilten Materiale, 1884, Heft 1).

9)	Annähernde Zahlen.

I0)	Pro 1894.	n) Pro 1900.

12) Arithmetische Durchschnittszahlen der Gouvernementspreise.

’3) Dasselbe pro 1897—1900.

55

Daher schließt sich der Reichsrat der Erklärung des Staatssekre-
tärs Witte an betreffend die Unmöglichkeit einer weiteren Steuer-
erhöhung zwecks einer raschen Befriedigung der immer mehr
wachsenden Bedürfnisse der einzelnen Ressorts. Der Reichsrat
sieht sogar in der Erleichterung der Steuerlast eine sichere Garantie
für die Entwicklung des ökonomischen, finanziellen und politischen
Lebens des Reiches. ... Es müssen sofort Maßnahmen ergriffen
werden, um die Reichsausgaben auf ein gleiches Niveau mit dem
normalen Zuwachs der Reichseinnahmen zu bringen x).« Im nächsten
Jahre mußte Witte demissionieren.

Es ist interessant, die pessimistischen Gutachten der Minister
über die Finanzlage des Landes mit dem Tempo der Steuer-
belastung zusammenzustellen. Die letztere wuchs im Durchschnitte

Jahr:  Im Jahre		1871—1875 . .	um 4,6 °/o
»	x>	1876—1880	.	.	» 2,1 »
»	»	LO  00  00  7  00  00	» 2,4 »
»		1886—1890 .	.	»	3,9 »
»	»	1891—1895 .	.	» 4,7 »
»	»	1896—1900 .	.	»	3,6 »
»		1901—1905	.* .	*	1,4 »
»	*	1906—1909	.	.	»	5,9 »

M. Ch. Reitern protestierte im Jahre 1876 gegen die weitere
Erhöhung der Steuerlast unmittelbar nach einer Periode intensiver
Steuererhöhung. Weniger stark war der Zuwachs von Steuern zur
Zeit der Proteste seitens A. A. Abasas im Jahre 1881 und
N. Ch. Bunges in den Jahren 1886—1887. Dagegen erfolgte der
Protest von I. A. Wyschnegradsky im Jahre 1892 zu einer Zeit,
wo die Steuerbelastung am schwersten war. Der Wittesche Protest
am Ende des Jahres 1902 endlich ist die Folge dieser äußersten
Anspannung der Zahlungsfähigkeit der Bevölkerung. Nachher folgt
ein kleines Intervall und bald darauf eine äußerst intensive Er-
höhung der Steuerlast in den Jahren 1906—1909, die weit die-
jenige der siebziger und neunziger Jahre überstieg. Und dennoch
findet es der jetzt am Ruder stehende Finanzminister für »un-
umgänglich«, den Weg einer weiteren Besteuerung einzuschlagen* 2).
Die Geister der Vorgänger scheinen Herrn Kokowzew seinen Mut
zu rauben.

Die Wirkung der Steuerbelastung auf die Volkswirtschaft

') Ibid. S. 11—11.

2) Etatentwurf auf das Jahr 1910, S. 127.

79

haben, zeigen, daß von einem Niedergang der Industrie keine Rede
sein kann; das Wachstum des Schutzzolls in der ersten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts und ihr stationärer Zustand seit dieser
Zeit zeugen nur davon, daß die Politik der Heranziehung aus-
ländischer Kapitalien durch einen generellen Schutz aller Industrie-
zweige ihr Ziel verfehlte, und daß es der Regierung nicht gelungen,
ein Aufblühen der russischen Industrie auf Kosten französischer,
deutscher und englischer Ersparnisse herbeizuführen. Herr Pro- .
fessor Soboleff hätte den oben gezeigten Fehler nicht begangen,
hätte er genau zugesehen, welche Bedeutung das Quantum und
die Herkunft des zufließenden Kapitals für die Entwicklung der
heimischen Industrie besitzt. Er ahnt überhaupt nicht, daß der
generelle russische Protektionismus ein ganz anderes System der
Zollpolitik ist, als das protektionistische System eines Lists und
beurteilt die russische Zollpolitik, die die Heranziehung ausländi-
scher Kapitalien verfolgt, vom Standpunkt einer Zollpolitik, die
eine andere Verteilung des nationalen Kapitals unter den ver-
schiedenen Industriezweigen zum Ziele hat*). Die eine Art des
Protektionismus gleicht nicht der anderen. Der russische Pro-
tektionismus ist keineswegs ein stümperhafter Versuch, das List-
sche System anzuwenden, sondern ein ganz besonderes zollpoliti-
sches System, das seine besonderen ganz bestimmten Ziele verfolgt.
Wir halten es deshalb für völlig verfehlt, wenn Professor Soboleff
das Schlußergebnis seiner Untersuchung so formuliert, als ob in
der Zollpolitik Rußlands die »protektionistischen Aufgaben den
Prinzipien des Protektionismus nicht entsprochen haben« * 2).

Mit den Ergebnissen unserer Zollpolitik machten wir uns in
dem vorhergehenden Kapitel vertraut. Die übermäßige Steuerlast,
die eine Schwächung der wirtschaftlichen Kräfte der Bevölkerung
zur Folge hatte, verhinderte das Aufkommen heimischer Erspar-
nisse. Der Mangel an eigenen Mitteln rief einen Hunger nach
ausländischen Kapitalien hervor. Das Bedürfnis an Kapital über-
stieg die nationale Produktion in so großem Maße, daß in den
Jahren 1893—1908 nur 40°/o dieses Bedürfnisses durch die heimi-
schen Ersparnisse gestillt werden konnten; die übrigen 60°/o wurden
durch den Zufluß ausländischen Kapitals befriedigt. Diese Ziffer
ist so groß, daß man auf den ersten Blick vermuten könnte, daß

’) Ibid. XVIII. Kapitel: Die Bilanz des Protektionismus in Rußland.

2) Ibid. S. 849.

i9

die Jahresproduktion der Handwerker etwa 337932000 Rubel
beträgt.

Nach den Angaben der »Kommission betreffend den Nieder-
gang Zentralrußlands« waren im Jahre 1900 auf dem Lande in der
Haus- und Handwerkindustrie 4618839 Personen beschäftigt, die
203 510000 Rubel (im Durchschnitt 43 Rubel pro Kopf) verdienten.

Somit gleicht der Ertrag der extrahierenden und be-
arbeitenden Industrie:

Bergwerke.............................. 249044000	Rubel

Fabrikindustrie........................ 506441000	»

Die mit Akzise belegten Betriebe .	197 919 000	t

Handwerk............................... 337932000	»

Hausindustrie.......................... 203510000	»

Zusammen 1494800000 Rubel

Im Transportgewerbe sind es die Eisenbahnen, die das meiste
an Einnahmen leisten. Um die Größe des Geleisenetzes der
50 Gouvernements festzustellen, muß man von den Eisenbahnen
der letzteren abstrahieren:

Die transkaukasischen Eisenbahnen.

Die Privislianskija (an der Weichsel), abzüglich 124 Werst.

Die Warschau-Wiener Eisenbahn.

Die Wladikawkaser Eisenbahn, mit Ausnahme von 436 Werst.

Die Lodz-Eisenbahn.

Außerdem befinden sich einige Teile anderer Bahnen außer-
halb der 50 Gouvernements:

Von der Permeisenbahn.......................95 Werst

»	» Samara-Slatoust-Eisenbahn . . . .	121	*

»	» St. Petersburg-Warschau-Eisenbahn . 348	»

»	» Süd-West-Eisenbahn................ .	24	»

Dieser Berechnung nach zählte das Geleise der 50 Gouverne-
ments 36760 Werst!). Die Gesamteinnahme dieses Netzes beträgt
45 5 743000 Rubel. Davon sind nun in Abzug zu bringen die
Ausgaben für Instandhaltung und Reparaturen der Bahnen, der
Telegraphen, der Stationsgebäude, der Werkstätten und Züge. Auf
Grund der »Nachrichten über die Eisenbahnen im Jahre 1900«
können wir diese Ausgaben nur annähernd berechnen. Vor allem
haben wir, um die Berechnung zu vereinfachen, die Ausgaben der

‘) 1 Werst = 1,067 km.

49

lung der Aktienbetriebe in dieser Periode gerade in der Berg-
industrie ist anzunehmen, daß der Gesamtzuwachs der Arbeiter-
zahl auf die Aktienbetriebe entfällt. Das Stammkapital der letzteren
in der Bergindustrie betrug:

Im Jahre 1892 .... 100 Millionen Rubel
»	»	1908 .... 666	»	»

Im Jahre 1908 funktionierten 197 bergindustrielle Aktiengesell-
schaften, die 306989 Arbeiter beschäftigten. Aus dieser Zahl fehlen
im »Spissok« auf das Jahr 1910 54 Betriebe oder 27,40/0 der Ge-
samtzahl. Die Arbeiterzahl in diesen Betrieben berechne ich im
Verhältnis zum Stammkapital. Auf 1 Million des Stammkapitals
in der Bergindustrie kommen durchschnittlich 461 Arbeiter. Nehmen
wir an, daß im Jahre 1902 die organische Zusammensetzung des
bergindustriellen Kapitals derjenigen im Jahre 1908 gleicht, so er-
halten wir ungefähr folgende Verteilung der Bergarbeiter zwischen
den Aktien- und Einzelbetrieben:

Jahre	Aktienbetriebe
1892	46100 Arbeiter
1908	306989	»
Zuwachs	260889	»

Einzelbetriebe
393856 Arbeiter
3ÖI43S
-32421	»

Nach diesen Angaben fand in den Einzelbetrieben in diesem
Zeitraum keine Kapitalakkumulation statt. Die festgestellte Durch-
schnittsziffer des jährlichen Kapitalzuwachses in der Industrie —
191 Millionen Rubel — müssen wir deshalb nur um den Durch-
schnittszuwachs in den Einzelbetrieben der bearbeitenden Industrie,
das 15 Millionen Rubel beträgt, vermehren. Durchschnittlich betrug
also der Kapitalzuwachs in den Jahren 1892-—1908 etwa 206 Mil-
lionen Rubel im Jahr. Berechnen wir nun, wie groß der Zufluß von
ausländischen Kapitalien nach Rußland ist (in Millionen Rubel):

Jahre	Reichs-	Eisenbahn-	Stamm-	
	schuld	obli-	kapital	Zusammen
		gationen	der A.-G.	
1893	!2.5	V9,5	n,3	178,3
1894	- H3,3 ')	— 200,6	1,0	— 312,9
1895	584,7 2)	- 260,4	5,3	329,6
1896	292,2	52,5	40,0	384,7

") Unter Abzug von 62,4 Millionen Rubel, die für die Liquidation der
Zentralbank des russischen Bodenkredits verwendet wurden.

2) Nach Abzug einer Ausgabe von 127 Millionen Rubel zur Einlösung der
litel der Bodenkreditgesellschaft auf Gegenseitigkeit.

Arch. f. Sozial wissensch. u. Sozialpol. Ergänzungsheft: Prokopowitsch.	4

62

in den Jahren 1906—1908, und zwar auf Rechnung des ein-
heimischen Kapitals, einen bedeutenden Aufschwung. Die Ur-
sachen, warum die russische Industrie die auf den auswärtigen
Märkten in den Jahren 1905—1907 en masse vorhandenen freien
Kapitalien nicht ausnützte, liegen also nicht dort, wo sie Tugan-
Baranowskyx) sucht, sondern im traurigen Zustande des Reichs-
kredits, der durch den russisch-japanischen Krieg, durch die Re-
volution und die Auflösung der ersten zwei Reichsdumas herbei-
geführt wurde.

Analog des Industrieaufschwunges am Ende der neunziger
Jahre können wir ein neues Aufblühen der russischen Industrie
erst bei einer neuen Konvertiou der russischen inneren Anleihen
und Ausgabe einer 3b'2 °/oigen Rente erwarten. Dann werden die
russischen Fonds sich wiederum nach dem Auslande begeben, auf
dem inneren Markte aber werden sich Geldmittel befreien, die so
unentbehrlich für unsere Industrieentwicklung sind. Selbstver-
ständlich ist eine solche Konvertion nur dann möglich, wenn die
westeuropäischen Märkte von flüssigem Gelde überhäuft sind, das
heißt, bei einem Aufschwung der Industrie.

Der materielle Wohlstand Rußlands kann nicht somit durch die
Heranziehung des ausländischen Kapitals geschaffen werden. Unsere
Industrie kann nicht auf die Beine gebracht werden durch die Er-
sparnisse der Franzosen, Engländer oder die der Deutschen. Bei
dieser Sachlage wären wir zur ökonomischen Rückständigkeit und
Armut verurteilt, hätten nicht in den letzten Jahren in der russi-
schen Volkswirtschaft selbst einige Veränderungen stattgefunden,
die unsere wirtschaftliche Zukunft in einem etwas anderen Lichte

') Prof. Tugan-Baranowsky ist überhaupt geneigt, die Schwankungen der
russischen Industrie den industriellen Krisen gleichzustellen, die die west-
europäischen und amerikanischen Länder erlebt haben. Indessen ist zwischen
beiden Erscheinungen ein wesentlicher Unterschied zu verzeichnen. Die in-
dustriellen Krisen in England und Deutschland sind durch die Veränderungen
in der Akkumulation des heimischen Kapitals hervorgerufen; in Rußland aber
hängen die Schwankungen der Industrie vom Zufluß des ausländischen Kapitals
ab. Die Tugan-Baranowskysche Krisentheorie ignoriert vollkommen die Frage
nach der Herkunft des Kapitals, das die Industrie befruchtet und belebt.
Einen weiteren Mangel dieser Theorie bildet die Behauptung, wonach in den
Zeiten der Depression das Kapital sich in Geldform und nicht in Form von
Waren akkumuliert. Diese Behauptung entspricht nicht der Wirklichkeit,
worauf ich schon 10 Jahre zurück in meinem Buche: »Zur Kritik der Marx-
schen Theorien«, 1901 (russisch) hingewiesen habe. (Vgl. S. 139—146.)

32

Um die effektive Steuerbelastung richtig zu bestimmen, müssen
wir somit aus dem im Staatsbudget angegebenen Gesamtbetrag
der Staatseinnahmen folgende Posten abziehen:

x. alle umlaufenden Ueberweisungen und Ersparnisse,

2.	die Betriebskosten der industriellen Unternehmungen, die
dem Staate einen Gewinn gewähren, und

3.	die Einnahmen aus fiskalischen Industriebetrieben, die dem
Staate keinen Gewinn einbringen.

Ferner sind zu streichen die auswärtigen Einnahmen, so z. B.
die Kriegsentschädigung von der Türkei, sowie die Beiträge des
Großfürstentums Finnland. Nach dem Berichte der Reichskontrolle
gingen im Jahre 1900 gewöhnliche Staatseinnahmen im Betrage
von 17C4128506 Rubel und 36 Kopeken ein. Ziehen wir die
oben angeführten annähernden Summen ab, so erhalten wir die
wirkliche Steuerbelastung im Werte von 1225000000 Rubel.

Welcher Teil dieses Betrages fällt nun dem europäischen
Rußland zur Last? In den Beilagen zu den Berichten der Reichs-
kontrolle wird alljährlich eine Liste über die geographische Ver-
teilung der Staatseinnahmen und -ausgaben publiziert. Diese Liste
können wir aber nicht benutzen, da sie nur ein Bild der geo-
graphischen Verteilung der Steuereinnahmen liefert, keineswegs
aber ein Bild von der Verteilung der Steuerlast gibt (so werden
z. B. die indirekten Steuern meistens an der Produktionsstelle er-
hoben, die Zolleingänge am Sitze des Zollamtes, während dieselben
doch am Ende vom Konsumenten bezahlt werden). Die wirkliche
Verteilung der Steuerlast können wir nur auf indirektem Wege
ermitteln, und zwar an der Hand der Volkszählung vom Jahre 1897
und den Angaben für dasselbe Jahr über den Umsatz des Waren-
handels (Betriebe, die Gildensteuer zahlen). Nach der Zählung
von 1897 macht die Bevölkerung der 50 Gouvernements des
europäischen Rußlands 74,4 °/o der gesamten Reichsbevölkerung
aus. Die statistischen Angaben betreffend die Repartitionsabgaben
beziehen sich nicht auf das ganze Reich. Nehmen wir an, daß
in denjenigen Gebieten, wo die Steuern nicht repartiert werden,
der Handelswarenumsatz pro Kopf der Bevölkerung demjenigen
in den 4 Gouvernements Sibiriens (20,2 Rubel) gleicht. Dann
macht der ganze Warenumsatz der 50 Gouvernements des euro-
päischen Rußlands 79>5 % aus1). Wir können daher annehmen,

') Im Jahre 1900 wurde in diesen Gouvernements 80,5 °/o aller im Reiche
beförderten Briefe aufgegeben.

2

den Schutzzoll, getrennt von der Finanzpolitik behandelt. Zwischen
allen Zweigen der russischen Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie
zwischen dieser Politik im ganzen und der Entwicklung der russi-
schen Volkswirtschaft existiert überhaupt ein inniger organischer
Zusammenhang, außerhalb welchem kein ökonomisches Problem des
russischen Lebens betrachtet werden kann. Sogar das Problem
der industriellen Krisen erhält in Rußland einen ganz anderen
Charakter. Die Volkswirtschaft in Rußland besitzt leider noch in
entferntestem Maße nicht diejenige Selbständigkeit und Unabhängig-
keit von den Einflüssen der Regierung, die so charakteristisch sind
für die kapitalistische Welt Europas und Amerikas. Erst im letzten
Jahrzehnt zeigten sich Symptome, die darauf hindeuten, daß auch
die russische Industrie sich allmählich vor der Vormundschaft der
Regierung zu emanzipieren beginnt.

Angesichts des gegenwärtigen, sehr niedrigen Niveau der
Wirtschaftsstatistik in Rußland stoßen solche Untersuchungen, wie
die vorliegende, auf sehr große Schwierigkeiten. Für eine Reihe
von wirtschaftlichen Fragen besitzen wir überhaupt kein Material,
für die anderen sind die statistischen Angaben mangelhaft, für die
dritten wenig zuverlässig. Es ist dabei vollkommen gleichgültig,
welche Faktoren diese Lage der russischen offiziellen Statistik ver-
ursacht haben. Ob wir hier mit dem Bestreben, die Wirklichkeit
zu fälschen oder mit einer einfachen Nachlässigkeit zu tun fiaben —
jedenfalls ist es ein schwer zu überwindendes Hindernis zur Er-
forschung fast jeder wirtschaftlichen Frage der Gegenwart. Die
Mehrzahl der uns hier interessierenden Fragen läßt sich auf Grund
genauer statistischer Daten überhaupt nicht lösen. Doch weder
die Erfordernisse der Theorie noch die Forderungen des prakti-
schen Lebens gestatten uns, von ihrem Studium abzusehen. Mag
das Material, das uns zur Verfügung steht, noch so unvollständig
sein, wir müssen es ausnutzen, um wenigstens eine annähernd rich-
tige Lösung zu finden. Die index-numbers sind auch keines-
wegs genaue Durchschnittspreise, aber bei dem heutigen Stand der
Wirtschaftsstatistik sind wir genötigt, mit diesen annähernden Durch-
schnittszahlen zu operieren, und zwar mit großem Nutzen für die
Wirtschaftswissenschaft.