75 Lohn und Gewinn. empfehlen, ist das nicht die Arbeit — und wieviel wertvoller ist sie als das Almosen? Ja, nur ist eine Stunde gekommen, eine tragische Stunde, wo im Geist der Massen ein Verdacht erwacht ist. Und dieser Verdacht hat sich in folgende Gestalt umgesetzt: gibt uns wirk lich der Eigentümer zu leben? oder geben wir nicht ihm zu leben? Und sollte er dann nicht, statt Wohltäter, ein Aus beuter sein? Und an dem Tage, wo dieser Gedanke in das Hirn der Massen gelangte, war der Sozialismus geboren. Wenn tatsächlich der Kapitalist sagen kann, daß er dem Arbeiter Arbeit gibt, kann dann dieser umgekehrt nicht ant worten, daß er dem Kapitalisten das Erzeugnis seiner Arbeit gibt, und daß ihm nur ein Teil, vielleicht der geringste Teil, unter dem Namen Lohn wieder ausgezahlt wird? Zwar ist das dem Entlohnten gezahlte Geld von dem schon vorhandenen Kapital gezahlt, das das Geld vorschießt, aber es ist das nur eine Vorwegnähme vom Endergebnis, und als Preis für einen Verzicht auf jedes Anrecht an dem künftigen Produkt seiner Arbeit erhält der Arbeiter seinen Lohn. Ohne Zweifel ist das ein Vorteil, da er bares Geld erhält und keine Mittel zum Warten besitzt, aber augenscheinlich befindet er sich gerade da durch in einer mißlichen Lage, wenn er wissen will, was ihm zukommen muß. Er weiß nicht, welches der Wert dieses Pro dukts sein wird, besonders dann nicht, wo es sich um Kollektiv arbeit handelt, bei der niemand seinen Anteil erkennen könnte. In der Tat ist bekanntlich der Mietspreis der Arbeit, der den Lohn darstellt, nicht der Gegenstand eines Feilschens; es ist ein fester Preis wie in den Warenhäusern, nur mit dem Unter schied, daß der Kunde in den Warenhäusern immer die Mög lichkeit hat, nicht zu kaufen, wenn er den Preis zu hoch findet, während der Arbeiter nicht immer die Wahl hat, nicht zu ver kaufen, selbst wenn er den Preis zu niedrig findet. Erst seit Gründung der Syndikate hat man den Lohn erörtern können. Man hat daher auch in der Geschichte den Arbeitslohn auf einen unglaublich niedrigen Satz fallen sehn, auf jenes Minimalniveau, unter dem der Arbeiter sich nicht mehr nähren und leben könnte und die menschliche Arbeitskraft verschwinden würde. Und noch vor kurzem, bis zum Kriege, war das der Fall in den Jndustrieen, in denen der Arbeiter nicht um Lohn feilschen konnte, besonders bei den Heimarbeite rinnen. Diese Situation hat sich glücklicherweise verschoben, nicht allein weil die gewerkschaftliche Organisation und die