Erstes Kapitel DieEnLwicklungderinnerenPoliLikDeutschlands seit 1890. 1. Der Anfang der Ära Caprivi. Epoche, die mit dem Ableben des Sozialistengesetzes für die deutsche / Sozialdemokratie anhub, zeichnete sich zunächst durch eine merkbare Ansicherheit und Anbeständigkeit in der Politik der Regierung aus. Der General v. Caprivi, dem Wilhelm II. nach der Entlassung Bismarcks das Amt des Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten übertragen hatte, arbeitete sich überraschend schnell in die ihm obliegenden Aufgaben ein und erwarb sich dabei durch die Einfachheit und Gradheit seines Wesens viele Sym pathien, die durch die niedrigen Angriffe, mit denen die Presse der Bismarck brüderschaft den Zorn über die Entfernung ihres Leros vom Amt an ihm ausließ, nur gesteigert werden konnten. Auch der Landelsminister v. Berlepsch erwarb sich in reformfreundlichen Kreisen durch verschiedene Maßnahmen Anerkennung. In den Anfang der neunziger Jahre entfällt der Abschluß einer Reihe von Handelsverträgen, durch welche die hohen Getreidezölle — Weizen und Roggen von 5,00 auf 3,50 Mk. pro Doppelzentner — sowie eine Anzahl anderer Zölle ermäßigt wurden und der Außenhandel Deutschlands eine große Steigerung erfuhr. In Preußen führte 1891 der zum Finanz minister ernannte Miguel eine Steuerreform durch, welche die direkte Ein kommensteuer dadurch etwas verbesserte, daß die Besteuerung der Einkommen bis zu 9OO Mark aufgehoben, ein schärferes Einschätzungsverfahren mit bedingter Verpflichtung zur Selbsteinschätzung festgesetzt und die Steuersätze besser abgestuft und für die höheren Einkommen heraufgesetzt wurden — allerdings mit dem noch mäßigen Satz von 4 Proz. als Löchststeuer. 1893 ward außerdem als Ergänzungssteuer eine Steuer von 1 / 2 vom Tausend im Jahre auf Vermögen von über 20 000 Mk. eingeführt, mit Ausnahme bestimmungen für Leute, deren Jahreseinkommen 6000 Mk. nicht übersteigt. Ein anderes Werk dieser Steuerreform war die Äberweisung der Erund- und Gebäudesteuer sowie der Gewerbesteuer an die Kommunalverbände. Im Militärwesen wurde — allerdings erst nach der Reichstagsauflösung von 1893 — die zweijährige Dienstzeit für die Fußtruppen durchgeführt. Das waren alles Maßnahmen, die zwar nur mäßigen Fortschritt, aber doch Fortschritt bedeuteten. Wenn sie die sozialistische Arbeiterschaft in ihrer schroff oppositionellen Haltung nicht erschüttern konnten, so war dafür nicht nur der grundsätzliche Gegensatz gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem maßgebend. Wohl führte die sozialdemokratische Presse Männern wie