Der Sozialist. Organ der unabhängigen Sozialisten. Redaktion und Expedition: Alts Zakodstraße 91, Hof 3 Treppen. »Der Sozialist" erschein, wöchentlich einmal. aeo,»prell: Monatlich »0 ps. vierteljährlich, dtirch die post bezogen I Mk. ro ps. ohne Bestellgeld; direkt per Kreuzband I Mt. c Inserlionrprei» pro ^gespaltene peiilzeile >» Ps. o Pf. — Linzel-Nummer (Ö Pf. M I. Sonntag» 6cu 15. November 1891. I >. Jahrgang. Inhalt: AbounemeiilS-EIülodmig. —Unftr Zweck — Gcgcn den Slslal8jojioliJmu4.. — Vom Kampf btt Partei- Itlluiifl gegen die Opposition. — Nach dem Parteitag. — Depesche oder Postkarte. — Zur Bewegung. — Zur Ab wehr. — Abrechnung. — Inserate. Alionncirrenls-Einlnduirg. .Der Sozialist' tritt mir hcntigcr Nummer znm erste» Male an die Ocfscntlichkeit. Er wendet sich in erster Linie an die unabhängig denkenden Sozialisten und an olle Diejenigen, denen eine Klärung der sozialistischen Prin zipien am Herzen liegt. .Der Sozialist' erscheint am Sonnabend jeder Woche zum Preise von 40 Pf. pro Monat; siir Monat November 20 Ps. Bei Bezug durch die Post beträgt der vierleljähr- iiche SbonnemenISprci» I Mk. 20 Ps.; direkt per Kreuz band l Mk. 60 Ps. Die Einzel-Nummer kostet 10 Pf. Bestellungen nehmen alle Postanslalten. Kolporteurc und ZcitungS-AnSlräger enlgcgcn. Wir bitten Gleichgesinnte, sich die Verbreitung deö .Sozialist' angelegen sei» z» lassen und Probenummern nach Bedarf von \iii-3 zu verlange». Die Expedition des „Sozialist" grrtin §.. fttr Jnkobstr. 91, gof «>. lHuscr Zweck. f Wer die Vorgänge der leijlc» Zeit ansvicrlsam bcob- m.j.'.k, den wird uns« Erscheine» nicht überrasche» Innerhalb der sozlaldeinokratischc» Partei machte sich bercitb ivährcnd der lebte» Tage de» AuSnahm-geseheS eine licsgchcnde Gählntig gellend. Die Parieiverhälluisse dräng-, len schon damals zu einer Klärung, Anzeichen innczcr Korrnplion riese» in ntanchei» Genossen das Gcsühl de« Unbehagens »nd der Mißstimmung wach. Die NcichitagS- sraklion enlsernle sich iuuner mehr vdn> rein proletarischen Boden; sie begatt» Im Lager de» Kieinbürgerthumr unter- zntaitchcir. At, die Endziele de» SozialiSnutS kehrte ste sich inöglichst wenig; vielmehr stichle sie iiti PosstbiliSinuS dar Heil der Arbellerklasse. Etat! ans dem Boden de» Llasscn- kamvseS zu verharren, schickte sie sich a». di« SescbeSstickeret im Große» zn betreiben. Nicht di, prinzipielle Propaganda, sondern da» Paclaineni imirde ihr Ideal; nicht der rcvo- Ptiiotiärcn Bcwegnug, sonder» der Sozialreson» widmete man seine Kräfte. Z» alledem knin noch die Diklalttr der Parteileitung, die jedes selbständige Denke» der Genosse» erstickte. Wie ein eiserner Druck lastete die hcrauSgebildetc Zentralisation ans der freien Bewegung des Proletariat». Scho» daittolS lirste» sich einzelne Slitnmcn vernehme», «elä)e vor dem Weiierschreile» aus dem cittgeschlagenen Wege warnte». Sic übtet, an den Misiltäiidcti nickt,attSlosc Kritik und machte» aus da« Vcrhängiiibvolle der neuen Taktik ausmcrksanr So ersülllen sie ihre Pflicht ,1» Ge nossen. Aber der Geist der Diklatur war noch zu »tüchtig; die eiserne Zentralisation hielt die Masse» »och zu sehr ge- knedc» — dir den Arbeitern eingedrillte Disziplin erllüric die Mahnrufe für Hochverrolh an der Partei I Man «er- kündete: .Disziplin geh! über das Prinzip!' und die Menge nickte dazu mit dem Kopse. Die Kritiker wurden der Ber- üchtlichmachung sozlaldcinokralilchcr Slaalscinrichlungcn für schuldig besundcn — man stempelte sie nach alter Manier zu Polizeispitzeln und räudige» Schnsen. Die selbst von der bürgerlichen LescllschasI zugelassen- Vertheidigung wurde ln diesem Falle dadurch verhinderl, das, mün die Angrklagten einfach niederschrie. Noch iticnialS hat sich die brutale Ma- joriiütShcrrschafl so verderblich gräustert, als gerade damal«. Und itoch nie zelglc sich die Mache geschickter Demagogen drntllcheri So wurde die erste Regung der Opposition in Dresden, Magdeburg und Berlin niedergeworfen. Der Parlcilag zu Halle hieb all' diese Mastregein gut. Die Opposillon hotte man bi» aus einen Genossen von vorn herein von jenem Kongrelle sernzuhallea gewußt. Aus dcm- jclben wurde die Zciitralisalion woinSgllch »och enger-ge schmiedet. die Diklatur noch mveitert. Im Parieivorstand schuf man eine Behörde, deren Macht und Ei»fl»b in- zwischen klar geworden Ist. Die Parleiorgauisallon hat sich als Fessel jsir jede selbständige Bewegung, für jeden freien Meinungsaustausch erwiesen; sie niacht ihre Mitglieder zu willenlosen Werkzeugen einer von der Diktaiur approbirlen DiSzivlltt. Und wer sich nickst unterordnet, der .stiegt ein- sach hinaus' - wie cS nach berühmtem Muster heiß,. Auch sonst ist Alle« so gclommcii, wie c« die Opposillon bei ihren, ersten - Anslrclcn erwartete. Die Partei befindet sich im schönsten PosstbiliSinuS. Ihre seiiherige RclchSlagS- IHLIIgkcil hat dies ans daS Bestimmteste gelehrt. Man denke doch mir m> die Bernlhimgen deS ArbcilerschntzgcsctzeS! ES war ein Jammer, wie sich dicicnigcn gcbcrdeie», die das Proletariat zu vcttrclcn vorgaben — bcschänicnd für eine Arbeilerpuclei! Wenn e« noch etncS Beweises für den klein- bürgerlichen Charakter der heutigen Sozialdeniokraiie dcdursl hällc: die pnrlnmcntnrijche Berlrelinig selbst hat ihn i» dieser Periode hnnderlsnch erbracht! ES war daher mir natürlich, daß sich die Opposition imuirr lcbhaster geltend machte. Und ebenso erklärlich war e«. dab die Zusammenstöße mit der Parteidillaliir gerade zu jener Zelt am hcsligstcn ersotglcti, alS der Internationale Ärbellerkongreß zn Brüssel beschickt tverdcii sollte. Allen ehrlichen Gcnossctt mußte daran liegen, die sozialistischen Prinzipien aus dem Kongresse »»verwässert und unverfälscht vertreten zu sehen. Sic vermochten jedoch nicht zu hindern, daß auch hier die kleinbürgerlichen Beslrebiingen biumphirlcii. Aber der Stclü war nun unaushallsai» i»'S Rallen gebracht. Der Kampf wurde immer erregter. Man sachte die Oppo sition niederzuschreien; man verleumdete sie, so viel mna tonnte; man erklär,« sic für Polizeiinnchc — kurz: man bol alle Mittel auf. um dir Minderheit z» unterdrücken. Und babei halten die ParteihLuptliNge und ihre Kreaturen die Slirn, zn ertlären: das Recht der strllif und der freien Meinungsäußerung sei nicht gcsührdel! WaS vorher bereits feststand, geschah ans dein Erfurter Parteitage: man sordcrlc den Ausschluß der Opposition — natürlich Initiier üit Interesse der freien Meinungsäußerung! Piait verbreitete nnler bei, Dctcgiricn eineAnklageschrift gegen die Hochverrülhcr. die nach allcil Regel» staaiSanivalt- schastlichcr LcrdrchnngSknnst abgesaßl tvar. Die Angeklaglen zogen ej! jedoch vor, selbst ihren AuSlrllt z» erkläre». DaS hinderte de» Parlcilag aber keineswegs, sic hinlcrhcr noch Immer scierlich ouSznjchlirßcn — auf Bclreibrn derselben Herren, die einst selbst daS Recht der Opposition für sich in Anspruch genommen! Jehl inöchte man natürlich dir Bedeulmig de» Vorganges abschwächen. Die Acwalllgc» de» ParlcivorstandeS bchanvlc». der Ausschluß richte sich mir gcgcn die Personen Werner und Wildbcrgcr - nickst gegen die Opposition. ES muß weil gckomme» sein, wein, man die Genossen durch solche Spicgelfcchtcrci zn täusche» ivagl! Wer de» Verhandlungen de« Parteitages gefolgt ist. weiß, daß Ihaijächlich die Opposition als soichc ausgeschlossen wurde; daS Volum richtet sich ivider die abweichende Mei nung — mögen auch »och so viele Parlcibüllcl das Gegen theil gläubig nachbeten! Man stempelte Kritik undAnsichten der Oppostlio» zu Bcrlcnmdnngcn, uni mit staotSanwalt- Ichaslilcher Logik sagen zck können: die Opposition wurde wegeik- Verleumdung der Partei ausgeschlossen. Und daß er wirklich die abweichende Meinung war. welche man auSsließ, daS Hai Herr Singer in einem milKbiufttcii Augen- blicke selbst verrathen. Er sagte im vierten' Berliner Wahl kreise gelegentlich der Berichterstattung über dr» E-rsurlrr Parteitag: .Seien wir sroh, daß wir die Nörgler an der dlsherigen Taktik loSgrivordeii sind.' Nachdem nun d,e Oppostiioa außerhalb der Panel- organisalion steht, muß sie die Propaganda sür die Ideen de« Sozialismus aus eigene Hand betreiben. Sie wird selbständig und unabhängig operircu. In Berlin hat sich die Opposillon bereit« zu einem .Verein »»abhängiger So zialisten' znsammkttgcschaart, und gleiche Vereinigungen werden in anderen Jndustrlczenlrcn enistehen. Uebcrall de- ginnt man einzusehen, daß ' t« unmöglich ist. Im engen Rahmen der sozialdemokratische» Organisalion noch todter erfolgreich für die Befreiung deS Proletariats zu wirken. Mit.diesem Zusammenschließen aller unabhängig denkende» Sozialisten ist er aber nichk allein gethan. Um die Prin zipien deS Sozialismus verfechten, den klcinbürgerlich-posffbi- listlschcn Bestrebungen der Sozialdemokratie entgegenarbeiten »nd alle Angriffe abwehren zu kömien — dazu bedarf es in 'erster Linie deS bcwührlcstcn KampsmillcIS: der Presse. Die Parteiprcssc hat sich unsShig erwiesen, alle Meinungen der Genosse» znm Ausdruck zu bringen. Sie folgt in ihrer Haltung nur der parleibchördlichcn Mnrschrouic nnd wag! «S nicht, Andersdenkende» Raun, zu gewähren. Und sie muß derartig schablonenhasl werden, iveil über ihr die - Zensur deS ParlcivorstandeS schwebt. DaS Recht der sozial dcinokralischcu NcichSregicrung, die Haltung der Prcffe - zu koiitroNiren - dieses Recht führt zur Knebelung dcS freie» Wortes, raubt der Publizistik Lust und Licht, sodast hier eine Versumpfung „oll,wendig eintreten muß. ES Ist also unmöglich, nnscrc Anschauungen im Rahmen der Parlei- presse zur Grllung zu bringen, »nd daher uiachke sich sür die unabhüngigcn Sozialisten ein eigenes Organ nöthig. Wir werden unsere Ausgabe zu crsüllcn suchen, indem wir unS der Hauplsache nach von folgenden Grundsähen leiten lassen. Unser Ziel ist die wlrlhschastliche nnd damit die io ziale Besrcinng der Arbeiterklasse. Wir bckämpsen Hnrschast »nd KncchlschasI in jeder Form, die »laicricllc. wie die geistige. Dies wird möglich durch die Aushebung de» bürger lichen PrivatelgenihinnS. InSbejonderc durch Lergcscll schal- lung der ProdnkiionSniiitcl. An Stelle bcB bculigcn So zial- nnd WirtbschaslSzustandrS tritt da« gemeinsame Eigen lhum, die gemeinsame Produliion und die gemeinsame Kmi-- snnilion — wie dict schon nu° der Tendenz der gejchichl-, lieben Enlwicktnng hervorgeht Diese« Ziel allein hat für eine strrilg - ioziolistische Bewegung «IS Gnindlage zu bicnciu Ausgabe der Agi tation ist cS, da« Prolclariat dafür vorzubcrrilm, eS zu orgaiiistrcn für die Bcsrciung. ES ist klar, daß die Be wegung durch nnd durch rcvuiullonär sein must, da eine freiwillige Abdankung der Bourgeoisie mnuögUch crwarlct tverdcii kann. Wir verwerfe» alle Koinpromisse mit den beerschendra Klaffen »nd jrdcS Entgcgenlommc» seitens der Aibeiicr. Uiitcrhandlnngcn mit der Bourgeoisie cmsm-cckicil einer orole- larlsch-rcvolulioiiären Bcivegung nicht. Darin» bleiben wir Gcgncr der gesetzgeberisch - varlnmcninrisckirn Thäligkcil; die Erlnhrung hat gclchrl, daß dirsclbc «»abwendbar zur »nc- rnpiion nnd zum PossibiliSnins führt. Man muß scsthallcn. daß das Parlanient eine Instllntio» Ist. durch welche die Bourgeoisie ihre Herrschafi Über daS Proletariat ausübt. Hier elwaS sür die Arbcttcr ertrotzen ober erbetteln zu tvollcn. ist daher einfach umnöglich. Je weiter sich die bürgerliche Gesellschaft entwickelt, desto klaffender werden die Klaffe,igcgcnsätze zwischen Bourgeoisie »nd Proletariat. Der Boden sür die Unlcrhandliingen mit der Bourgeoisie schwin de, Immer »uehr nnd Immer hcsliger muß der Kiaffru- kamvs enldrcnnen. So wird dar Proleiarial in stcigciideni Pkäßc gezwungen, der herrschenden Klasse gegenüber eine rein abwehrcndc Taktik einzuschlagc»; die positive Pkitarbeil an der Gcjehgcbiing wird mehr den» je zur iinmSglichkft. Und wenn das Prolclariat einst In die Lage kommt, eine portamenlarischc Mehrheit bilde» zn können, so wird iB daraus verzichten, weil <S bnini sein Ziel auf einem weit kürzeren Wege zu erreichen vermag. U»S erscheint der geiverfschaflllch - sozialistischc Klaffe»' kanws alS die ziveckmäßigstc Forni, unter welcher ber Ar beiter heule der Bourgeoisie gcgcnübertrett» tan». Er hält zugleich die Waffen in Muß. fördert die Orgaiiisatlo» »nd die Propaganda, stärkt daS SolidarilälSgcsbht und beschleunigt den Konzenlrationkprozeß deS Kapitals, indem er nament lich de» Kteinbettieb vernichten Hilst. Dl/Beseitigung deS Kleinbürger, und Kleinbauer»«,»!»« hallen wir für eine der Vorbedingungen de«. Sozialismus. Die wirihschastliche- Entwicklung räumt bereits damit ans, und wir werden den Untergang dieser Elemente nur zu de jchkcnnigen suchen. Da« ist eine» der wicht igstc» ttu-er- schcidungLincrkmalc ztvischen Mi» und der osslziellc» Soztat- dcniokratic. Innerhalb der proletarischen Betvegnng selbst werden Wir jede zwangsweise Zculralisniio» bckSiupfen. -weil durch diese OrganisalionSfonn die Machlbesngmffc den Händen Einzelner HLufen nnd somit stet* d>c ©c.aiir dn Diktatur droht. Der selbständigen Beweg,mg ^niciaer Glieder n:uß da« zentralistische Prinzip auf ftdeu 0-a» 63. Titelseite der ersten Nummer des „Sozialist" 1891