95 Kapitel 6. Der Gefahrenschutz der Arbeiter auf der Grundlage korporativer Organisation. Nachdem im Vorhergehenden die ablehnende Haltung des Für sten Bismarck gegenüber der staatlichen Fabrikinspektion, insbeson dere der Übertragung des Gefahrenschutzes als Aufgabe an die Fabrik inspektoren gekennzeichnet worden ist, wird es sich nunmehr darum handeln, zu zeigen, auf welcher Grundlage sich Fürst Bismarck die Ausübung eines wirksamen Gefahrenschutzes dachte. Charakte ristisch für seine Pläne in dieser Beziehung ist der Umstand, daß die Handhabung dieses Zweiges des Arbeiterschutzes in organischem Zusammenhang mit der von ihm inaugurierten Arbeiterversicherung stehen sollte; die ausübenden Organe für diesen Arbeiterschutz sollten die berufsgenossenschaftlichen Verbände sein, auf denen er sich die Unfall- und die Invalidenversicherung auf gebaut dachte. Der grundlegende Gedanke, von dem er hierbei ausging, war der, daß diese Korporationen dadurch, daß man ihnen die Lasten der Versicherung aufbürdete, auch ein materielles Interesse daran haben würden, diese Lasten möglichst klein zu gestalten, d.h. durch Schutz maßnahmen gegen Unfall- und Krankheitsgefahren den Eintritt der Versicherungsverpflichtung nach Möglichkeit zu vermeiden. Das materielle Interesse der Beteiligten sollte also wirksam werden, um damit zugleich die ethischen Ziele des Arbeiterschutzes zu erreichen, und das Ganze sollte sich aufbauen auf dem Prinzip der Selbstverwaltung und der Selbstüberwachung der in den Genossen schaften zusammengeschlossenen einzelnen Betriebe. Durch diese Überwachung sollte erreicht werden, daß der einzelne Betrieb nicht gegen die Vorschriften, welche zur Verminderung der aus Unfällen und Invalidität entstehenden Lasten aufzustellen waren, verstoße, und daß somit nicht durch die Schuld des einzelnen die Genossenschaft geschädigt würde. Dieser Gedanke, welcher sich zum erstenmal andeutungsweise in jenem früher zitierten Briefe des Fürsten Bismarck vorfindet, nahm in der Folgezeit immer deut lichere Gestalt bei ihm an. Schon während der Vorarbeiten zum ersten Unfallversicherungs-Gesetzentwurf, der auf ganz anderer als ge nossenschaftlicher Grundlage, nämlich auf der Grundlage einer zentralen staatlichen Reichsversicherungsanstalt — ein Gedanke, der nicht vom Fürsten Bismarck stammte — auf gebaut war, wurde bei ihm die Ansicht von den Vorzügen der Genossenschaften all mählich eine so unumstößliche und zwar gerade im Hinblick auf