Der moderne Imperialismus. 151 meidlich hielt, wenn sie erst zur vollen Reife gelangt seien. Da gegen scheint es heute nicht notwendig zu sein, den politischen Zusammenhang des beherrschten Volkes mit dem herrschenden Volke zu beenden, wenn das Ziel einer nationalen Selbstver waltung erst erreicht ist. Das herrschende Volk hat seit langem die Absicht aufgegeben, dem beherrschten seine Eigenart aufzu drücken; es ist, soweit Tochtervölker und andere Völker europä ischer Abstammung in Frage kommen, längst zur Einsicht gelangt, daß ein Zusammenarbeiten verschiedener Völkerarten die Erfüllung gemeinsamer Reichszwecke nicht gefährdet, sondern erleichtert. Es ist denkbar, daß in fernen Zeiten der Imperialismus, der als Be herrschung eingeborener Völker erscheint, sich mit jenem Impe rialismus verbinden mag, der die Mitarbeiterschaft der eigenen zu Tochtervölkern herangereiften Stammesgenossen erstrebt. Dann werden beherrschte Gebiete wie Indien, und Tochterstaaten wie Kanada, zu einem Reichsverbande mit dem Mutterlande zusammen geschlossen werden. Soweit eine Beteiligung an den Pflichten des Reiches in Frage kommt, hat Indien heute schon Anteil an denselben genommen. An vielen Orten der Welt haben indische Truppen neben britischen ge kämpft. Überdies bildet Indien und mit ihm die übrigen Einge borenengebiete des britischen Reiches wirtschaftlich weit mehr eine «Provinz», einen Teil dieses Reiches, als etwa Tochterstaaten, wie Kanada, die mit den Mitteln der Zollpolitik eine möglichst weit gehende wirtschaftliche Selbständigkeit zu erreichen suchen. Die Hauptschwierigkeit, die Gebiete, in denen der Imperialismus als Herrschaftsverhältnis einer hochstehenden Rasse über tiefer stehende Völkerschaften begonnen hat, zu vollwertigen Reichsteilen zu machen, liegt nicht auf der Seite formaler Verfassungsfragen. Es ist durchaus möglich, daß dieser weitausblickende Gedanke sich nie wird verwirklichen lassen, weil die Spannung, die zwischen den Herrschern und den Beherrschten besteht, — zum mindesten in der Masse der Bevölkerung —, allezeit zu groß sein wird, als daß eine Mitarbeit möglich wäre, wie sie heute zwischen England und seinen Kolonien mit Selbstverwaltung angebahnt wird. Soweit es sich um die Auslese des Beamtentums handelt, ist ein Verständnis zwischen Herrscher und Beherrschten erreichbar. Die Masse der Europäer verachtet jedoch die Eingeborenen, soweit sie sie nicht