Erziehung und Berufsausbildung der jugendlichen Krüppel. Von Pastor Vietlor, Leiter der Krüppelanstalten Volmarstein. Über die Erziehung und Berufsausbildung jugendlicher Krüppel vor etwa 20930 Jahren zu schreiben, hätte nur sehr geringes In- teresse gefunden. Wer kümmerte sich damals um die armen Menschen- kinder, die auf der Schattenseite des Lebens ihren Weg gehen mußten? Wohl waren = angeregt durch die mutige Tatkraft des dänischen Pastors Hans Knudsen, der im Jahre 1872 in Kopenhagen das erste Krüppelheim eröffnete ~ hier und dort in Deutschland einige private Krüppelheime entstanden, wo vor allem Kinderkrüppel freundliche Aufnahme und Verpflegung fanden. Die große Menge ging an der bisher geleisteten stillen Arbeit, den Krüppeln zu helfen, achtlos vor- über. Und doch gab es vor dem Kriege nicht weniger als 250 000 Krüppel in Deutschland, darunter mindestens 70 000 Kinder in schul- pflichtigem und 30 000 Kinder in vorschulpflichtigem Alter. Wieviel Elend und Leid spricht aus diesen Zahlen! Geistig meist normal, kör- perlich schwer behindert, lebte das große Heer der Krüppel in herbert Entsagung dahin, oft unverstanden und verbittert, weil ihnen überall die Pforten verschlossen blieben, die den gesunden Mitbrüdern und -schwestern offen standen. Wie viele von den Krüppeln endeten im Armenhaus oder erwarben sich mühsam ihren Lebensunterhalt durch Betteln auf den Straßen oder durch brotlose Künste, die sie auf Jahr- märkten zeigten. Der Weltkrieg mit seinen geradezu verheerenden Wirkungen hat doch insofern sein Gutes gehabt, als allen im deutschen Vaterlande die Augen darüber geöffnet wurden, wie dringend notwendig eine mo- derne Krüppelfürsorge ist. Zu den zahlreichen Kriegsbeschädigten, die auf dem Felde der Ehre ihr schweres Leiden erhalten hatten, kam eine ganz neue Art von Kriegskrüppeln hinzu. Die Hungerblockade in den Jahren 1917 und 1918, die große Teuerung in der Kriegs- und Nach- kriegszeit haben derartig traurige Opfer in der Kinderwelt gezeitigt. daß ein neues Geschlecht heranzuwachsen droht, das nicht nur seelisch. sondern auch körperlich schwer leidet. Zahllos sind vor allem in den In- dustriestädten die kleinen bedauernswerten Kriegsopfer, haltlose, ent- kräftete Leidensgestalten, die sich häufig nur mühsam an Krücken und Stöcken fortbewegen. Eine Statistik darüber, wie groß die Zahl dieser Kriegsopfer ist, läßt sich heute auch nicht annähernd feststellen. Da ist es freudig zu begrüßen, daß durch das Preußische Krüppelfürsorgegeseß vom 6. Mal!