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Wirtschaftliches Organisationswesen. 
Von Reichswirtschaftsgerichtsrat Dr. Tschierschky, Berlin. 
Unbestreitbar ist die geltende Wirtschaftsordnung, die wir ihrem 
Kerne nach immer noch als die „kapitalistische‘” ansprechen müssen, 
einem auffällig starken Zuge zur Organisation unterworfen, wie bei uns, 
so im Auslande, Über die Ursachen sind schon viele treffliche Unter- 
suchungen veröffentlicht worden, ohne daß das Problem als restlos 
gelöst gelten kann. Für die Betrachtung ihrer gegenwärtigen staats- 
wirtschaftspolitischen Bedeutung, insbesondere als „Wiederaufbau- 
faktor”, die uns hier allein interessieren soll, muß es genügen, daran zu 
erinnern, daß schon die Verschiedenartigkeit der wichtigsten Organi- 
sationsformen und ihre unterschiedliche Verwendung in den einzelnen 
Wirtschaftskreisen zu der Annahme drängt, daß die ökonomische ratio 
nicht allein bestimmend sein kann, vielmehr beeinflußt wird von 
iremden Elementen”). Soweit hierbei „gesellschaftliche‘ Kräfte am 
Werke sind, dürfen wir von der aufstrebenden soziologischen Forschung 
wertvolle Aufschlüsse erwarten, wobei vor allem die Dienstbar- 
keit der rein wirtschaftlichen Organisation für die soziale Klassen- 
bildung und deren Einfluß auf das Staatsleben von besonderem staats- 
politischem Interesse sein muß, 
Daß der Staat selbst auf diese Entwicklung einen weitgehenden 
Einfluß nehmen kann, und zwar sowohl aus allgemeinen staatspoli- 
tischen, wie besonderen wirtschaftlichen Gründen, wissen wir aus der 
Wirtschafts- und Rechtsgeschichte, Die Grenzen sind hier sehr weit 
gesteckt. Sie bewegen sich zwischen der merkantilistischen Wirt- 
schaftsverfassung**) mit ihrem System eines staatlich regulierten Orga- 
nisationswesens bis zur Manchesterlehre in seiner Verherrlichung des 
Individualismus mit Verboten wirtschaftlicher korporativer Selbsthilfe 
in mannigfachen Abstufungen. 
*) Hierfür H. v. Beckerath: „Kräfte, Ziele und Gestaltungen in der deut- 
schen Industriewirtschaft‘, Jena, 1924, 2. Aufl., insbesondere S, 5, 89, — Othmar 
Spann: „Tote und lebendige Wirtschaft‘, Jena 1921, insbesondere S, 25 {f, 
"*) In meiner Schrift „Wirtschaftsverfassung‘, Breslau 1924, habe ich erstmalig 
den Versuch einer systematischen Darstellung unternommen.