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DIE KRISIS DER FREIHEIT NACH DEM WELTKRIEG 
Umana libertäa, come sei caral 
(Leonardo da Vinci) 
Ich gedenke noch eines langen Gesprächs, das ich vor vielen Jahren mit 
Gladstone hatte gelegentlich einer seiner Reisen nach Italien — ich glaube, 
es war die letzte. Er war schon sehr alt und hatte die Absicht ausgesprochen, 
sich von der Politik zurückzuziehen, aber er besaß noch eine große geistige 
Regsamkeit und eine erstaunliche Leichtigkeit der Rede. Wie alle Greise, die 
ein reiches Leben hinter sich haben, pflegte er gern zu erzählen. Er bestand. 
darauf, italienisch zu sprechen, und die Anstrengungen, die er machte, um 
die richtigen Worte zu finden, verliehen seiner Rede einen noch größeren 
Reiz. Er erzählte mir von seinem Besuch in Neapel unmittelbar nach den Er- 
eignissen von 1848, wo er sich bemüht hatte, die Liberalen zu unterstützen 
und die Urteilsvollziehungen und Verfolgungen zu verhindern. Er hatte nach 
seiner Rückkehr in England viel Gleichgültigkeit gefunden, und es war ihm 
sehr schwer geworden, die öffentliche Meinung für die italienische Sache zu 
begeistern. Trotz der feindlichen Gleichgültigkeit der Konservativen war es. 
ihm jedoch endlich gelungen, das britische Empfinden gegen die reaktionären: 
Bewegungen Italiens und vor allem gegen die Bourbonen aufzustacheln. 
„Ich konnte es nicht über mich bringen,‘ sagte er mir, „ein großes Volk 
in Knechtschaft und noch dazu in so niedriger Knechtschaft zu sehen. Nichts. 
kann die Freiheit aufwiegen, und keine große Tat ist ohne Freiheit denkbar.“ 
Und er fügte hinzu: „Die Freiheit ist wie die Luft. Man empfindet erst ihre 
Notwendigkeit, wenn sie einem zu fehlen beginnt. Man kann gewiß mit spär- 
licher Luft in einem Bergwerk oder in einem Kerker leben. Aber wirkliches. 
Wohlbefinden, wahre Freude am Leben, genießt man nur dort, wo die Luft 
rein und frei ist. Ein Volk kann nichts Großes leisten, wenn es die Freiheit: 
entbehrt.“ 
Viel später, im Jahre 1912, war ich Handelsminister und verbrachte 
meinen Urlaub im Walde von Vallombrosa mit meinem Kollegen, dem Mar-- 
chese di San Giuliano, Minister des Auswärtigen. Der Marchese di San Giu-- 
liano war ein Schöngeist. Die Politik hatte ihn keiner der hellenischen Fein- 
heiten beraubt, die er von seiner Heimat, am Fuße des Ätna, geerbt hatte.. 
Wir sprachen mehr über Dichtung und Kunst als über Politik, und er liebte: 
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