wären nicht ernst zu nehmen. Wenn auch der Bolschewismus eine aus- schließlich russische Erscheinung ist, so müssen wir doch die jetzige Unruhe Europas für einen Zustand halten, aus dem jedes Unheil entstehen kann. Wie ich nicht glaube, daß der russische Bolschewismus sich durch den Aufruhr der revolutionären Klassen ausbreiten wird, so glaube ich gleichfalls nicht, daß der Fascismus sich durch den Aufruhr der reaktionären Klassen ausbreiten kann. Der Fascısmus besitzt, als reaktionäre "Erscheinung be- trachtet, die ganze Sympathie und Zustimmung dieser Klassen; aber er findet nicht die für seine Entwicklung notwendigen Bedingungen. Nach dem gewaltsamen Unterdrücken jeder Opposition im Parlament, in der Presse und im Leben des Landes, befindet sich der Fascismus jetzt in heftiger Krise. Im Lande unterdrückt, taucht die Opposition innerhalb der Partei selbst auf und zersetzt ihren Bau, wenn es auch anders zu sein scheint. Der Fascismus hat den Staat durch Gewalt erobert und muß ihn durch Ge- walt halten ; daher sind Drohungen für ihn unentbehrlich. Die höchsten Stellen sind von Männern mittelmäßiger Klugheit und Bildung besetzt, die sie nicht um ihrer Verdienste willen, sondern infolge ihrer Fähigkeit zur Gewalttätig- keit erhielten. Der Fascismus hat, wie ich schon sagte, zwei Seelen. Das Haupt der Partei, Mussolini, und seine nächsten Mitarbeiter, sind ihr Leben lang Revolutionäre gewesen. Sie hegen daher nicht allein die frühere Gesinnung, sondern vielleicht auch immer noch die Hoffnung einer Rückkehr zum Volke. Die Nationalisten sind mehr oder minder alle Reaktions-Elemente. Sie hegen die wahre reaktionäre Gesinnung, wenn sie auch früher Sozialisten und Re- volutionäre waren, und erstreben nur eine dauernde Reaktion. Der Führer des Fascismus hat nur deshalb einen so großen Einfluß gewinnen können, weil er über seine persönlichen Fähigkeiten hinaus noch die Kenntnis der Arbeiterklassen und der revolutionären Kreise besaß. Die Reaktion setzt sich immer und überall leicht durch, wenn sie von Elementen der Revolution an- geregt wird, die ihre stets geübten demagogischen Methoden in entgegen- gesetztem Sinne wie früher anwenden. Der italienische Fascismus bleibt also ein isoliertes Phänomen, das nicht nur keine Nachahmung finden, sondern auch keine Dauer haben wird. Entweder wird er die jetzige Gewaltpolitik fortsetzen und unvermeidlich eine nicht absehbare Reaktion hervorrufen, oder er wird allmählich, was aber minder wahrscheinlich ist, seine heutigen Formen ablegen und zur konstitutionellen Ordnung zurückkehren. In jedem Fall ist der Fascismus mehr das Erzeugnis individueller Fähigkeiten als ein Programm, mehr eine Erinnerung an Methoden der Vergangenheit als ein Vorwegnehmen der Systeme der Zukunft. Er ist eine Eroberung, nicht eine Bolschewismus 6 81