32 1. Buch. KEinleitende Lehren. Diesem Umstande ist es insbesondere zuzuschreiben, daß die Finanz- wissenschaft in der englischen Wissenschaft lange nicht zur Selb- ständigkeit kam und der Vormundschaft der politischen Ökonomie nicht ledig wurde. Denn die englischen Forscher befaßten sich weder mit dem politischen, noch mit dem verwaltungsrechtlichen Teile der Finanzwissenschaft; sie richteten ihr Augenmerk nur auf eine Gruppe der Probleme, auf jene, welche sich auf die wirt- schaftlichen Wirkungen der Verfügungen des Staatshaushaltes be- zogen, namentlich auf die Wirkungen der Besteuerung mit Bezug auf das wirtschaftliche Leben und ganz besonders auf die einzelnen Einkommensarten. Aber trotz dieses innigen Zusammenhanges des sozlalwirtschaftlichen und staatswirtschaftlichen Lebens darf doch nicht übersehen werden, daß die Staatshaushaltslehre keine rein ökonomische Wissenschaft ist, da es nicht eben diese Seite der Staatshaushaltslehre ist, die besondere Aufmerksamkeit erregt. Jene Auffassung ist noch einigermaßen berechtigt in einer Periode, in der auch die Staatswirtschaft insofern privatwirtschaftlichen Charakter besitzt, als ihre Einnahmequellen zumeist privatwirtschaft- licher Natur sind. In der modernen Staatswirtschaft wird mit dem UÜberwiegen der Besteuerung dieser Charakter der Staatswirt- schaft verwischt. In der modernen Staatswirtschaft ist — von Aus- nahmen abgesehen — weder von Produktion noch von Einkommens- gewinnung durch Verwertung der produzierten Güter auf dem Wege des Verkehrs die Rede. Die Staatswirtschaft ruht auf der Grund- lage des Einkommens der Staatsbürger und beschäftigt sich haupt- sächlich damit, das Recht des Staates auf dieses Einkommen geltend zu machen und zu deren Inanspruchnahme die ent- sprechendsten Mittel, die geeignetesten schonendsten Verfahren zu benutzen. In dem Organismus und in den Funktionen der Staats- wirtschaft sind daher juristische, politische, administrative Elemente von großer Bedeutung. Die Feststellung der Ordnung des Staats- haushaltes bringt den letzteren in Beziehung zu Staatsrecht und Politik; die Festsetzung des Verwaltungsorganismus des Staatshaus- haltes, die Funktion dieses Organismus, die aus der Tätigkeit des Staatshaushaltes entspringenden Kollisionen zwischen Staat und Staatsbürger bringen den Staatshaushalt in nahe Beziehung zum Verwaltungsrecht. Darum ist es irrig, die Staatshaushaltslehre ein- fach als einen Teil der politischen Ökonomie zu behandeln, um so mehr, als die politische Ökonomie überwiegend die aus dem freien Spiel der ökonomischen Kräfte sich ergebenden Erscheinungen be- handelt, während die Staatshaushaltslehre sich mit den Erschei- nungen einer juristisch organisierten, innerhalb juristischer Normen