502 Landmann, Geschichte des öffentlichen Kredites, 8 8. Strukturwandlungen der englischen Staatsschuld seit Ausgang des 17. Jh. zum Ausdruck. Wiewohl England vom Jahre der Bankgründung bis zum Todejder Königin Anna (1713) nur 5 Friedensjahre hatte, und wiewohl von den zwischen 1702 und 1713 aufgelaufenen Kriegskosten im Gesamtbetrage von 50,68 Mill. £ nahezu 21% Mill, £ auf dem Anleihenswege gedeckt wurden, war doch die schwebende Schuld (taillies, anticipations, debentures, Navy Bills und Bills of Exchequer) Ende 1715 mit 7,8 Mill. £ kaum höher als Ende 1695 (7,24 Mill. £), weil der größte Teil der kurzfristig veanspruchten Kredite immer wieder durch langfristige, von den .drei Korporationen gewährte Darlehen, deren Gesamtbeträge sich 1715 auf 16% und 1722 auf nahezu 46% Mill. £ beliefen, abge- löst werden konnten. Die Bereitwilligkeit, Kapital in langfristigen, tilgungsfreien Rentenanleihen zu investieren, bestand zunächst allerdings nur bei den großen Monopolgesellschaften, wogegen das weitere Publikum im letzten Jahrzehnt des 17. und noch im ersten des 18. Jhs. nur für aleatorische Anleihensformen, Tontinen und Rentenlotterien, oder bestenfalls für terminable annuities interes- ziert werden Könnte. Erst 1715 war erstmals die Placierung eines zeitlich nicht begrenzten Renten- anleihens (permanent annuities) im Publikum möglich, In dem Maße aber, in dem sich das Ver- rauen in die parlamentarische Rentenschuld festigte und das Anlagebedürfnis des sich mehrenden bürgerlichen Reichtums wuchs, waren auch die Voraussetzungen der Kreditpolitik des parlamen- tarischen Königtums gegeben, die darauf gerichtet war, breite Kreise des Volkes mit ihrem Ver- mögen am Bestande der neuen Dynastie zu interessieren. Wenn Gregory King, 1696, das durch- schnittliche Jahreseinkommen eines der damls noch wenig zahlreichen Londoner Großkaufleute nur gleich einem Drittel des Jahreseinkommens eines Bischofs und einem Achtel des eines Lord einschätzt, so nimmt Rogers schon für die Zeit um 1750 an, daß die Jahreseinkünfte der Kauf- mannschaft in der City von London insgesamt diejenigen aller Mitglieder des Hauses der Lords überträfen. Aus diesen Quellen flossen die zu langfristigen Rentenanlagen willigen Kapitalien, die das Anwachsen der im Publikum placierten, d. h. nicht von einer der großen Korporationen übernommenen Rentenschuld von knapp 3% Mill. £ im Jahre 1722 auf 196 Mill £ im Jahre 1785 armöglicht haben. c) Dem Gesamtablauf der deutschen Wirtschaftsgeschichte entsprechend konnte auch auf dem Gebiete des öffentlichen Kredites das in der spätmittelalterlichen Blüte- zeit Erreichte nicht fortgebildet oder auch nur behauptet werden. Viel früher als in Frankreich und England fanden langfristige Schuldformen in die Kreditwirtschaft deutscher Territorialfürsten Eingang; selbst landesfürstliche Rentenschulden sind im 15. und 16, Jh. in Deutschland nicht selten. Aber mit dem Zusammenbruche der deutschen Volkswirtschaft im 30jährigen Kriege und in den französischen Invasions- kriegen, mit der Verarmung des Landes und der Erschöpfung seiner Kapitalzentren wurden die langfristigen Schuldformen durch kurzfristige, meist beidseitig künd- bare Anleihen und „Antizipationen‘“ wieder verdrängt. Assignations- und Zahlungs- rückstände überwiegen häufig gegenüber den vertraglich begründeten Anleihen, und gelingt es, solche Rückstände zu konsolidieren, dann muß den Gläubigern ein Kündi- gungsrecht eingeräumt werden; wenn Anleihensunterhändler die Kündigungs- und Rück- zahlungstermine vereinbaren sollen, ‚wie sie es am convenabelsten und denen creditoribus am bequemsten finden‘, dann muß bei der Enge des Geldgeberkreises und bei der Artung seiner Interessen schon als besonderer Erfolg gelten, wenn eine auch nur drei- oder gar fünfjährige Unkündbarkeitsperiode vereinbart werden kann. Erst mit den ersten Jahrzehnten des 18. Jhs. dringen, und zwar bei ständischen Kreditgeschäften früher und häufiger als bei solchen der fürstlichen Kammern, Anleihen ohne Kündigungs- rechte der Gläubiger und mit längeren Tilgungsplänen in die deutsche territorialstaat- liche Kreditwirtschaft ein, kennzeichnenderweise häufig als Folge der Berührung mit ausländischen Kapitalmärkten (österreichische Anleihen in Holland, England und Italien, preußische Anleihen in Holland, sächsische in der Schweiz usw., vgl. nach- stehend S. 511). C. Die Organisation des öff. Kredites. (Geldgeber und Kreditvermittler.) L $ 8. Organisation des städtischen Kredites. CE * Für die Organisation des mittelalterlichen Stadtkredites kennzeichnend ist die weit- gehende Unabhängigkeit von Leistungen berufsmäßiger Geldverleiher oder Kreditver- mittler. Selbst bei plötzlich eintretendem größern Geldbedarf, dessen sofortige Deckung auf dem Wege des Rentenverkaufes nicht immer möglich war, konnte die Kommune