Rationalisierung des Detailhandels 
VON ALFRED LEONHARD TIETZ (KÖLN) 
FRANKFURTER ZEITUNG 
[. MORGENBLATT VOM 5, MAI 1926 
[m Laufe der letzten Jahre ist in der deutschen Wirtschaft 
die Forderung nach „Rationalisierung“ immer energischer 
gestellt worden, Man war zu der Erkenntnis gelangt, daß die 
bisherige Organisationsform der deutschen Wirtschaft den An- 
forderungen des Marktes, das heißt der Leistungsfähigkeit aus- 
ländischer Konkurrenz einerseits, der Kaufkraft des Inland- 
marktes andererseits, nicht mehr zu genügen vermochte. Aber 
beinahe neun Zehntel aller Literatur darüber beschränkten ihr 
Untersuchungsgebiet auf die Rationalisierung der Produktion, 
und zwar sowohl der landwirtschaftlichen wie der industriellen. 
Und doch darf man nicht übersehen, daß für die Gesundung der 
Gesamtwirtschaft eine Rationalisierung aller Wirtschafts- 
stufen unbedingt notwendig und — je mehr sie sich bei allen 
gleichzeitig vollzieht — um so eher tatsächlich zu erreichen ist, 
Von den sich langsam aus der Vielheit von Reorganisations- 
plänen für die Produktion herausschälenden Grundlinien sind 
viele ihrer Prinzipien auf die Rationalisierung der Betriebsvor- 
gänge im Handel, kraft ihrer Allgemeingültigkeit, sehr wohl 
zu übertragen, Ich denke hier beispielsweise an das „Prinzip 
der größten Uebersicht und Kontrolle‘ oder das „Prinzip der 
geringsten Transportkosten” oder das „Prinzip der gemein- 
samen bzw. geringsten Benutzung‘. Es kommt nur darauf an, 
auch ein Handelsunternehmen in seinen wesentlichsten Betriebs- 
vorgängen so zu zergliedern und kritisch zu untersuchen, daß 
man die Einschaltung dieser und anderer betriebswissenschalft- 
licher Prinzipien überhaupt erwägen kann, 
Zweifellos haben viele Handelsunternehmungen schon seit 
Jahren ihre Organisation in dieser Richtung durchgearbeitet; 
für diese Rationalisierung war nicht erst der Zwang der heutigen 
Verhältnisse notwendig, sondern man nahm sie auf Grund des 
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