ZEHN JAHRE WIEDERAUFBAU DER CHRISTLICHSOZIALEN 
PARTEI 
Von Abgeordneten Dr. Franz Odehnal, Bundesminister a. D. 
Am 12. November 1918 wurde „Deutsch-Oesterreich” 
als demokratische Republik ausgerufen und der Anschluß 
an das Deutsche Reich proklamiert. Am gleichen Tage 
hielt das alte österreichische Parlament unter völliger 
Teilnahmslosigkeit der Abgeordneten seine letzte Sitzung 
ab. Das neue Deutsch-Oesterreich wurde nicht unter 
himmelstürmendem Jubel gegründet; trübe und ernst 
war die Stunde, in der dieser Staat geboren wurde. 
Verstümmelung und äußerer Zwang bestimmte die innere 
Struktur, aber auch die neue Staats- und Regierungs- 
form, in die sich die Christlichsoziale Partei in der Er- 
kenntnis der unabweislichen Notwendigkeit, trotz Ueber- 
‚jeferung fügte, entschlossen und ehrlich bereit, ihre 
ganze Kraft in den Dienst des neuen Staates zu stellen, 
der doch die alte, liebe Heimat geblieben war. 
Es folgten Monate schärfster Not. In dieser Zeit trat 
die Christlidhsoziale Partei am 25. Dezember 1018 mit 
ihrem Wahlprogramm für die Konstituierende National- 
versammlung hervor. Der Wahlkampf war hart und 
arbittert (Abg. Miklas wurde verwundet), er wurde aber 
mit großer Kraft geführt. Auch die Frauen, die auf 
Grund des am 18. Dezember 1918 beschlossenen Wahl- 
gesetzes zum erstenmal zur Urne schritten, betätigten 
sich daran in mustergültiger und unerschrockkener Weise, 
Am 16. Februar 10190, dem Wahltag, erhielt die Christlich- 
soziale Partei mit 1L068.382 Stimmen 63 Mandate. Durch 
die später erfolgte Ernennung der Abgeordneten für 
die Gebiete, die die Wahl nicht durchführen konnten 
(Südsteiermark und Südtirol) erhielt die Partei noch 
6 Mandate, so daß sie in der Konstituierenden National- 
versammlung über 69 Sitze verfügte. Dieser Erfolg war 
zweifellos der grundsätzlichen Finstellung der Partei zu 
danken, die sich eben niemals darauf beschränkt hat, 
das Interesse einer Bevölkerungsschichte allein zu ver- 
treten. Es liegt in ihrer Natur und Aufgabe, das christ- 
liche Volk als Ganzes zu erfassen und im Rahmen der 
Parteigrundsätze die Verschiedenheiten und besonderen 
Interessen der Gruppen tunlichst auszugleichen. Diese 
ebenso schwierige, als notwendige Aufgabe hat die 
Christlidchsoziale Partei auch veranlaßt, nach der Wahl 
nit den Sozialdemokraten, die 72 Mann stark in die 
Konstituierende Nationalversammlung einzogen, eine 
Koalition einzugehen und damit die einzige Möglich- 
keit zu schaffen, in Oesterreich parlamentarisch zu 
zegieren und die Rätediktatur zu vermeiden, die rund 
um uns aufgeflammt war. 
Am 928. Februar 10109 stellte die Christlichsoziale Partei 
ein Aktionsprogramm auf, das folgende Hauptpunkte 
‚einhaldet: Bewahrung der deutschen Siedlungsgebiete 
‚or Fremdherrschaft, Bekämpfung der Geldentwertung, 
Criegsgefangene, Verfassung, Selbständigkeit der Länder, 
sute Beziehungen zu den Nachfolgestaaten, volkswirt- 
chaftlich produktive Tätigkeit für Alle (Gewerbe, Handel 
‚andwirtschaft, Industrie, Bergbau), Ausbau der sozialen 
‘esetzgebung. 
Die am 4. März I019 tagende I. Sitzung der Kon- 
tituierenden Nationalversammlung wählte zu einem 
ler drei gleichberechtigien Präsidenten den christlich- 
ozialen Landeshauptmann von Oberösterreich Hauser 
ınd stellte dem sozialdemokratischen Kanzler Renner 
len cristlichsozialen Bauern Dr. Jodok Fink als Vize- 
„anzler zur Seite. Aber bald, noch während Dr. Renner 
ı St. Germain um die äußere Gestaltung des neuen 
'taates kämpfte, begannen die Arbeiten, die dem Staat 
ie definitive Verfassung geben sollten. Die Christlich- 
nziale Partei befaßte sich in intensivster Weise mit 
ıeser grundlegenden Frage und brachte schon am 
4. Mai 1919 durch den Klub einen Entwurf „Verfassung 
{es deutschen Bundesfreistaates Oesterreich” zur Vor- 
ıge. Neben diesen grundlegenden Arbeiten ging der 
:ampf gegen die, nach dem Programm und der Ein- 
‚ellung der Christlichsozialen Partei allzu weitgehenden 
hulreformatorischen Bestrebungen, wie Abschaffung der 
Jatura, weiter der Kampf für die christliche Einehe, 
ıer Kampf um die Aufhebung der Zentralen, weiter und 
> wurde auch an dem Ausbau der Organisation be- 
onders bei den Bauern, den Gewerbetreibenden und 
{en Frauen gearbeitet. Aber auch sonst fehlte es nicht 
ın Schwierigkeiten. Die steigende Not führte zu Unruhen, 
lie von den Kommunisten ausgenützt, schließlich in dem 
»lutigen Junisonntag 1919 gipfelten. Da standen die 
hristlichsozialen Bauern Niederösterreichs am 20. Juni 
n einer Massenkundgebung gegen die Rätediktatur auf. 
Die am 2. Juni 1919 erfolgte Ueberreichung der Friedens- 
»edingungen zeigte. mit aller Eindeutigkeit den Ver- 
ıichtungswillen der Sieger. In diesem Zeitpunkt erließ 
lie Christlichsoziale Partei einen Aufruf „An die Christen 
ıller Nationen” und die österreichischen Bischöfe wandten 
‘ich mit einem Appell an den Papst. 
Am 20. Juli 1919 erfolgte die Ueberreichung der end- 
zültigen Friedensbedingungen, die die bekannten Ab- 
retungen enthielten; am 2. September 1919 die Veber- 
‚eichung des Friedensvertrages, den das Parlament am 
» September mit einer Reihe von Verwahrungen annahm.