den sich überstürzenden Freignissen der letzten Monate des Jahres 1918 konnte daher das nationale Element als Masse nicht zur Geltung kommen. Wohl aber leisteten einzelne Führer, denen in den Umsturztagen verantwor- ungsvolle Ämter übertragen worden waren, ganz Außer- ordentliches. Zu einem. der drei gleichberechtigten Präsi- denten der Nationalversammlung gewählt, fiel Dr. Ding- hofer als dem geschäftsführenden Präsidenten des Hauses am 12. November 1918 die Aufgabe zu, vor den versammelten Volksmassen die Republik auszurufen. Nach den Wahlen in die konstituierende Nationalver- zammlung im Februar I919, bei denen weder die Sozial- lemokraten noch die Christlichsozialen eine tragfähige Mehrheit erringen konnten, schlossen diese beide Parteien eine Koalition ab und übernahmen die Regierung des Staates. Die österreichische Bundesverfassung ist das Produkt eines Kompromisses dieser zwei so entgegen- gesetzten Richtungen. Die nationale Vertretung im öster- reichischen Parlament befand sich auch bei der Lösung dieser Frage in den Jahren 1919 und 1020 in scharfer Opposition. Sie stellte dem Regierungsentwurf einen anderen gegenüber, den die Vertreter der nationalen Partei- und Landesorganisationen gelegentlich einer beson- deren Tagung in Linz beschlossen hatten. Man findet in diesem Entwurf bereits alle Forderungen aufgenommen, die Jahre nachher von den verschiedensten Seiten er- hoben wurden. Auf vernünftiger föderalistischer Grund- lage aufgebaut, stellt er ein richtiges Verhältnis zwischen Bund und Ländern her, er vermeidet die allzu mechanische, für unsere Verhältnisse gar nicht passende Übernahme der demokratischen Einrichtungen der Weststaaten, er räumt dem vom Volke zu wählenden Bundespräsidenten größere Rechte ein, er verlangt — zum ersten Male in Österreich — die Schaffung eines Wirtschaftsparlamentes, und will vor allem jene Lücken ausfüllen, die das Verfassungs- werk offen ließ. Doch alle Warnungen der uationalen Politiker blieben ungehört, ebenso wie ein Jahr später dei der Trennung von Wien und Niederösterreich der kleine Klub der großdeutschen Abgeordneten im damals noch gemeinsamen niederösterreichischen Landtag einen leidenschaftlichen Kampf gegen die Trennung ohne Er- folg führte. Nach langen Bemühungen gelang auf dem Parteitag in Salzburg vom 5. bis 7. September 1920 unter Führung des zum Parteiobmann gewählten Handelskammerrates Hermann Kandl die Zusammenfassung aller vorbande- aen nationalen Parteigruppen zur Großdeutschen Volkspartei. Mit dieser Gründung erhielten die Nationalgesinnten Österreichs zum ersten Male eine ein- heitliche politische Organisation, die auch die Einrichtung eines politischen Apparates ermöglichte. Auf dem Partei- tag in Salzburg gab sich die junge Großdeutsche Volks- partei auch ein Programm, das die nationale Idee in Öster- reich auf eine neue, feste Grundlage stellte und das, getragen von dem leitenden Gedanken der „Volks- gemeinschaft”, zu allen Problemen des öffentlichen Lebens in vollkommen klarer und überzeugender Weise Stellung nahm. Leider gelang das Einigungswerk nicht vollständig. Die Nationalsozialisten und die Deutsche Bauernpartei, die Vorläuferin des heutigen Landbundes, blieben außer- halb der Partei. . Nach den Wahlen in den ersten Nationalrat (Oktober 920) übernahm ein christlichsoziales Minderheitskabinett ınter Führung des Bundeskanzlers Dr. Mayr die Regie- ‚ung. Die großdeutschen Abgeordneten, die 20 Mann tark in den Nationalrat einzogen, beobachteten dieser Zegierung gegenüber die „Politik der freien Hand”, das 1eißt, sie unterstützten die Regierung fallweise bei den ;taatsnotwendigkeiten, wie zum Beispiel bei der Erledigung les Budgets usw. Das System der Politik der freien Hand ot den nationalen Abgeordneten immerhin gewisse Wirkungsmöglichkeiten und es ist für die Änderung der Verhältnisse vielleicht nichts so bezeichnend als die Tatsache, laß schon ein in der ersten Geschäftssitzung eingebrach- er Gesetzentwurf über die Einführung von Bezirksver- retungen, der die Föderalisierung Österreichs auf die ;pitze hätte treiben müssen, infolge des Einspruches der ıroßdeutschen Abgeordneten nicht einmal zur Ver- nandlung gelangte. Das Kabinett Mayr wurde von der Regierung Schober ‚.bgelöst. Hier führte der bekannte Vertrag von Prag- ‚ana zur Krise. Die Bestimmungen dieses Vertrages ‚aren für die Großdeutschen unannehmbar. Sie zogen laher ihren Minister in der Regierung (Dr. Waber) zu- -ück. Schober demissionierte zwar wegen des Austrittes ler Großdeutschen aus der Regierung, wurde aber tags- larauf mit den Stimmen der Christlichsozialen und der Zauernpartei wieder gewählt. Als fünf Jahre später ler Vertrag von Prag-Lana abgelaufen war und die *rage seiner Erneuerung offen stand, wurde darüber aicht einmal mehr gesprochen. Der Rücktritt des Kabinetts Schober erfolgte in einem Zeitpunkte, in dem die Lage in Österreich katastrophal ‚u werden begann. Und so sah sich die nationale Politik in Isterreich wieder vor die Entscheidung gestellt, ob sie lie Mitverantwortung für die weitere Entwicklung über- aehmen sollte. In Graz traten die Vertrauensmänner aus dem ganzen Bundesgebiet zu einem Reichsparteitag ‚usammen, der mit übermächtiger Mehrheit beschloß, mit ler Christlichsozialen Partei eine Arbeits- zemeinschaft zum Zwecke der Übernahme der Regie- ‚ung des Staates einzugehen. Diese Arbeitsgemeinschaft wurde auf Grund ausführlicher Koalitionsvereinbarungen zeschlossen. Die neue Koalitionsregierung —.es war das ırste Kabinett Seipel, in dem der Großdeutsche Dr. Frank Vizekanzler war — hatte die Probe auf ihre Bewährung nit der Durchführung des Genfer Programms zu bestehen. Das Kabinett Seipel-Frank demissionierte im Novem- »er 1924 und es folgte die Regierung Ramek, in die die Sroßdeutschen erst eintraten, nachdem sie in der Frage ler Verfassungs- und Verwaltungsreform durch die \nnahme der sogenannten „Clessinschen Formel” gewisse vertvolle Zugeständnisse erhalten hatten. In die Zeit dieser kegierung fällt die Beendigung der Völkerbundkontrolle, ılso der formelle Abschluß des Sanierungs- werkes. Am 20. Oktober 1926 übernahm wieder Ir. Seipel die Regierung, in der diesmal die Großdeutschen lurch Dr. Dinghofer als Vizekanzler und — wie schon rüher — durch Dr. Schürff als Handelsminister vertreten waren. Wir sehen also auch in der Zeit nach der Genfeı Politik die großdeutsche Vertretung im Parlament aktiv an der Regierung teilnehmen. Bei den Jetzten Wahlen bildeten die Christlichsozialen mit den Großdeutschen und einem Teil der National-