:asten. [Auch eine Kontrolle anderer Art bestand in Oesterreich noch zu Beginn des Jahres 1928. Die durch den Friedensvertrag eingesetzte Interalliierte Militärische Kontrollkommission war, nachdem sie die Entwaffnung Oesterreichs durchgeführt hatte, im Jahre (Q21 durch ein Liquidierungsorgan ersetzt worden, welches die Bereinigung einiger noch ausstehender Fragen zu überwachen hatte. Im Sommer 1926 fanden n Paris die entscheidenden letzten Verhandlungen statt, welche sich in erster Linie auf die Beendigung der industriellen Abrüstung und die Aufstellung der einzelnen Sektfonen der staatlichen Kriegsmaterial- abrik bezogen. Die Durchführung dieser Maßnahmen ging unter großen Schwierigkeiten, insbesondere finan- zieller Natur vor sich. Und erst im Dezember 1027 sah sich die Botschafterkonferenz veranlaßt, die Tätigkeit des Liquidierungsorganes mit 3I. Jänner 1028 einzu- stellen. So kann die Republik das Fest ihres zehnjährigen Bestandes frei von fremder Kontrolle begehen. Der weite, steinige Weg aus dem tiefsten Elend, aus der ärgsten Unfreiheit zur Erreichung voller staatlicher Souveränität und zur Wiedergewinnung eines ehren- ‚ollen Platzes im Kreise der freien Nationen Europas, war durchmessen, durchmessen in erster Linie dank dem ınübertrefflichen Heroismus, mit dem das österreichische Volk nach den Schrecken des Krieges die Not der ersten Nachkriegsjahre und die Entbehrungen der Sanierungsperiode ertragen hat. Ein neues Wegstück in eine noch ungewisse Zukunft beginnt. In welcher Richtung das österreichische Volk diese seine Zukunft zucht, darüber lassen die gewaltigen Kundgebungen, welche anläßlich des zehnten Deutschen Sängerbundes- jestes im Sommer dieses Jahres in Wien stattgefunden haben und in denen Hunderttausende ein Bekenntnis zur Einheit des gesamtdeutschen Volkstums abgelegt haben, keinen Zweifel. (ie Nervosität, mit welcher von mancher Seite auf diese Kundgebungen reagiert wurde, erklärt sich aus der allgemeinen Erkenntnis, daß trotz aller Bemühungen der beteiligten Regierun- gen und des Völkerbundes die politischen vor allem aber die wirtschaftlichen Verhältnisse Mitteleuropas ınbefriedigend geblieben sind. Daher wird immer: mit großen Kifer nach einer "ösung der Schwierigkeiten gesucht, die vor allem in ler Schaffung von vielen tausenden Kilometern neueı 5taats- und Zollgrenzen durch die Friedensverträge hren Ursprung haben. Alle die verschiedenen Pro- 'ekte, die, wenn auch oft nur in verschwommenen Umrissen, im Laufe der Jahre da und dort aufgetaucht ind, beschäftigen sich notwendig auch mit der Zukunfi unseres Staates. Da war es denn wirtschaftlich und oolitisch von entscheidender Wichtigkeit, daß auch TIesterreich einmal eine klare Stellung beziehe. Die: geschah in richtungsgebender Weise durch Erklärungen welche Bundeskanzler Dr. Seipel am 27. Juni 1928 'm österreichischen Nationalrat abgab und in denen ar sagte, Oesterreich müsse im Laufe der Zeit, je rüher um so besser, aus der Enge seiner Wirt- ;chaftsgrenzen hinaustreten und diese Not- wendigkeit werde immer deutlicher auch schon in den ınderen europäischen Staaten erkannt, wobei aller- lings noch nicht zu übersehen ist, ob die Lösung Jieses Problemes in größerem oder kleinerem Rahmen srfolgen‘ werde. Oesterreich müsse sich daher frei- 1alten für eine größere oder kleinere, eine europä- ‚sche, mitteleuropäische oder deutsche Lösung, so bald sich ihm die Tür in dieses oder jenes größere Wirt- schaftsgebiet öffnet. Nie aber werde Oesterreich olauben, daß die mitteleuropäische Frage ge- löst sei, wenn der große Staat, der das eigentliche Mitteleuropa ausfüllt, das Deutsche Reich, an dieser Lösung nicht teil hat. In engster Fühlung mit dem Deutschen Reich wünscht Oesterreich unter Ablehnung aller nachtpolitischen Ziele und unter Ablehnung aller ein- zeitigen Gruppierungen, welche stets den Keim zu Kampf und Streit in sich tragen müssen, mitzu- arbeiten an der moralischen und wirtschaftlichen Wiederaufrichtung Europas, an der Stabilisierung und dauernden Sicherung des Friedens und an der Stärkung aller Tendenzen, welche die Rechtssphären der Staaten Europas durch ein System übernationalen Rechtes zu überbauen suchen. Diese Politik ist unabhängig von dem Wechsel der Regierungen. Sie beruht auf dem einmütigen Willen des Volkes. DIE REGIERUNGEN ÖSTERREICHS SEIT 1918 UND DIE INNER POLITISCHE ENTWICKLUNG DES STAATES Von Dr. Franz Petrasch. Als die aus den deutschen Abgeordneten des alten österreichischen Reichsrates bestehende deutsch- österreichische Nationalversammlung am 30. Ok- tober 1918 den neuen Staat Deutschösterreich kon- stituierte — die feierliche Proklamierung der Republik erfolgte am 12. November 1018 — übertrug sie die Regierungsgewalt einem aus ihrer Mitte gewählten Vollzugsausschuß, dem Staatsrat; die eigentliche Staatsverwaltung sollten vom Staatsrat bestellte Staats- zekretäre und Unterstaatssekretäre mit dem Staats-