DIE „WIENER ZEITUNG” Von Rudolf Holzer. Durchaus sich selbst getreu war die „ Wiener Zeitung” auch in den letzten zehn Jahren, das publizistische Jrgan des jungen Freistaates Oesterreich. Die letzten zehn Jahre sind nur eine kurze Spanne Zeit inner- aalb des langen Bestehens dieser Zeitung. Der Zufall Ast, daß mit den zehn Jahren „Wiener Zeitung” im dienste der Republik auch ihr 225jähriges Bestands- ‘Ubiläum zusammenfällt. Die Bände unseres Zeitungsinstitutes spiegeln die zehn Jahre Wiederaufbau Oesterreichs wieder. Mon- ag, den Il. November 1918 erschien in den Abend- stunden als Extraausgabe die Nummer 261 mit der Mitteilung, daß der Deutschösterreichische Staatsrat N einer Sitzung am Vormittag den Beschluß gefaßt "in der am nächsten Tage zusammentretenden TOvisorischen Nationalversammlung einen Gesetzes- intrag über die künftige Staats- und Regierungsform "on Deutschösterreich zu unterbreiten. Die Num- Mer vom 13. November 1018 darf als die erste N der Republik Oesterreich erschienene betrachtet Werden; sie hatte zum ersten Male einen Kopf nur uf der Bezeichnung „Wiener Zeitung” und brachte N ‚ihrer ersten Seite den Bericht über die große „ionalversammlung am denkwürdigen I2. November. ZB wäre in diesem Augenblick seitens der Sachwalter A ) nstituts die Frage aufzuwerfen gewesen, ob mit dem Sie der alten Verfassung nicht der Titel des Sinn a zu ändern sei; gewiß hätte es dem Geist und kin es „Freistaates Oesterreich entsprochen, wenn Nam publizistisches Instrument unter einem neuen Rs en, mit einem neuen Gewande aufgetreten wäre. nah nicht, und wir dürfen uns dessen heute eur Zn Namensänderung und Wandlungen im este ichen beweisen nichts, hätten aber ein für treich ehrwürdiges und ruhmvolles Kulturdoku- Nent vernichtet. 5 Ce » Wiener Zeitung” war allzeit ein Nervenende, Staat | man will — ein Element im System des Üstische A ersten Tage an: so unter dem absolu- nd fan aisertum, in der konstitutionellen Monarchie Wiener in der Republik. In den Bänden der alten Yan len Zeitung zu lesen, bedeutet, die Schicksals- Verschlun Oesterreichs durchzublättern. Gerade die dieser heit, die Wortkargheit, die Hilflosigkeit halistis eitung , die jahrhundertelang jeglicher jour- Sa er Tätigkeit entbehrte, ist, historisch betrachtet, an Pa gewöhnlicher Reiz. Unwillkürlich denkt man Wien enos barockes Mundschloß, wenn man das heiten he Diarium” nach den großen Zeitbegeben- ändet _Curchsucht und — nichts dafür findet oder 3enos en einer Sprache, die der Kindlichkeit Papa- Sinn Ve Cichkommt und die indes doch einen tiefen Trät, einen Sinn, der alles enthält und alles verkündet, wenn man sich nur auskennt in der öster- ‚eichischen Psyche und in der Kunst, zensurierte Schriften zu lesen: aus Andeutungen die großen Wir- zungen bedeutsamer Ereignisse zu erraten. In den letzten Jahren erhielt die „Wiener Zeitung’ ıuch eine dem modernen Geschmacke angepaßte iußere Ausstattung und Anordnung des Stoffes. In hrer literarischen und kritischen Haltung nimmt sie 'n einer zeitgemäßen Auffassung zu allen Fragen des Geisteslebens Stellung. Das zeitgenössische Geistes- eben der Republik kam auch in einer Erneuerung ınd Erweiterung des Mitarbeiterkreises und der Be- ichterstattung zum Ausdrucke. Der wirtschaftliche Teil erhielt eine bedeutende Ausdehnung. Dem Zuge ler Zeit folgend, trat die Sportberichterstattung als 18eues Gebiet hinzu; bedeutsame historische und kul- urelle Gedenktage wurden gewürdigt und angemerkt in Sondernummern mit Beiträgen hervorragender dersönlichkeiten und, als völlige Neueinführung, mit 3ildern. Heute ist die „Wiener Zeitung” das publizistische Diagramm des Kräfteaufwandes und der Leistungs- ırbeit des Nationalrates; mehr noch als in der Vonarchie dient die „Wiener Zeitung” als Instrument der Berichterstattung über die gesetzgebenden Körper- ;chaften. Geblieben sind selbstverständlich ihre alten iberkommenen Pflichten als publizistische Stelle aller amtlichen und nichtamtlichen Verlautbarungen; hinzu- zetreten sind die heute schon wieder fast historisch ınd urkundlich wirkenden vielfachen Gesetzespubli- cationen — alle die neuen Balken, die den neuen Staat in den letzten zehn Jahren aufbauen halfen. Es gab bei der „Wiener Zeitung” mit dem No- ‚ember IQ18 nicht eigentlich eine Ridıtungsänderung; lie „Wiener Zeitung” ist so sehr mit der innersten Natur und dem Wesen. des österreichischen Staates ‚erbunden, daß sie logisch und im vollen Sinne des Wortes: „gesetzmäßig” dem Bilde und Wesen des österreichischen Staates folgt. Ihrer Aufgabe ist sie auch in den letzten zehn Jahren treu geblieben, wie ie ihr treu war in den vorangegangenen Jahrhun- derten: zu dienen — dem Staate zu dienen, zu dienen als sein Instrument. Die „Wiener Zeitung” hielt dies als ihr nie schwan- kendes Charakteristikum und Gebot fest. Alle Re- zierungen hielten an diesem Prinzip fest; keine nachte das Blatt zum Ausdruck einer parteipolitischen Meinung. Alle österreichischen Staatsmänner haben laran festgehalten, die „Wiener Zeitung” als das »bjektive Staatsorgan wirken, nie für ihre persönliche ’olitik eintreten zu lassen. Die „Wiener Zeitung” vurde ins Leben gerufen aus Bedürfnissen des Hofes; hre ersten Anfänge, das „Wiennerische Diarium”.