DIE BAUKUNST UND DIE ARCHITEKTUR IN DER REPUBLIK Von Baurat o. ö. Professor Siegfried Theiß. Das Kriegsende mit seiner großen Wohnungsnot, die Umstellung der Industrie von der Kriegsmittel- erzeugung auf ganz anders geartete Friedenserzeug- nisse, die Schaffung von neuen Betriebsstätten für in- und ausländische Unternehmungen ergaben der öster- reichischen Architektenschaft unmittelbar nach dem Kriege ein reiches Feld der Betätigung. Die weitver- zweigten Beziehungen aus den Zeiten der früheren Monarchie, ein gewisser Mangel an geeigneten Fach- leuten in den Nachfolgestaaten führte auch dazu, daß man die von jeher gern gesehenen österreichischen, insbesondere Wiener Architekten dorthin berief. Der allgemeine Export österreichischer Baukunst blühte ınd hat bis heute noch nicht aufgehört. In allen Ländern, welche am Kriege teilgenommen hatten, gab der so lange zurückgehaltene Wohnungsbau Anlaß, neu belebt zu werden. Jene Staaten aber, welche wirt- schaftliche Nutznießer des Krieges wurden, verbauten zum großen Teile ihre Kriegsgewinne. Auf diese Weise kam der erhöhte Bedarf an Baukünstlern in der Welt vielen jungen österreichischen Architekten, die ins Ausland zogen, sehr zustatten. Die Nachfolge- staaten, der Balkan, Deutschland, Spanien, Portugal, ja selbst Frankreich sogen eine große Zahl öster- zeichischer Fachleute auf dem Gebiete der Architektur auf. Aber selbst Nord- und Südamerika deckten ihren Bedarf zum Teil aus Oesterreich. Erfreulich ist die Feststellung, daß sich diese in die Fremde Ausgezo- genen durchsetzten, in kürzester Zeit angesehene Stellungen errangen, ja einige selbst als freischaffende Baukünstler reich beschäftigt sind. Neben den fach- lichen Leistungen ist es insbesondere das „öster- reichische Wesen”, das unseren Landsleuten oft an- deren gegenüber den Vorzug gab. Die österreichische Baukunst genießt im Auslande großes Ansehen, vielleicht mehr als in der Heimat selbst. Groß ist die Zahl österreichischer Baukünstler, deren internationaler Ruf neidlos anerkannt wird. Der Glanz von König und Otto Wagner — um unsere letzten Großen vor Kriegsende zu erwähnen — wirkt in seinen ganz selbständig gearteten Schülern und Nachfolgern weiter. Wie äußert sich sichtbar das zehnjährige Architektur- ichaffen? Wenn man. das unsichere Herumtappen um die Jahrhundertwende mit den Leistungen der Gegen- wart vergleicht, so kann man schon mehr von einer ausgleichenden Formensprache, voneiner abgeklärteren Baugesinnung sprechen. Die guten Baumassen — nicht or- ıamentale Einzelheiten — werden im Nutzbau einer sorg- ältigen Ueberlegung zugeführt. Die auf Sparsamkeit ein- zestellte Zeit geht hauptsächlich aufs Zweckmäßige aus. Wir haben ähnliche Erscheinungen wie vor hundert Jahren, ein Kornhäusl hätte seine größte Freude mit ıns. Wie zu jeder Zeit und auf jedem Gebiete werden zerne Schlagworte unter zumeist Verbildete, daher Jrteilslose geworfen. Die „Kiste” wird als Trumpf zebraucht, statt sich an aufrichtiger Baustofftechnik zu erfreuen, wird dem aufgeklebten Ornament nach- zeweint, noch sieht der Laie nicht, wie er sich ein- stellen soll, er erfaßt noch nicht, was sich vorbereitet. Zu viel, zu scharf Extremes stürmt auf ihn ein, er wird verwirrt, er flüchtet zurück zum Alten. Diese zehn Jahre der Republik haben der österreichischen 3aukunst noch keinen neuen Stil beschert, wann dies der Fall sein wird, werden auch nie die Zeitgenossen 'eststellen, sondern. erst die Nachwelt, die die nötige Antfernung hiezu besitzen muß. Noch wogt der Kampf der Meinungen, aber wenn einmal all das Gemeingut würde, was in führenden Köpfen bereits klar vor- 1anden ist, wenn sich die internationale Baukunst in ‚hren guten Ansätzen durchringt, dann kann sich Jesterreich stolz in die Brust schlagen, indem es fest“ stellen kann, daß es zu dieser Entwicklung mehr als ain Scherflein beigetragen hat. DIE AKADEMIE DER BILDENDEN KÜNSTE IN WIEN Die schweren Heimsuchungen des Weltkrieges ha- ben auch an der Akademie nachhaltig gewirkt; wie jeder Hausstand befand sich auch unser Staatsinstitut zu Kriegsende in einer ungünstigen Lage. Von den Schülern war gleich zu Kriegsausbruch ein großer Teil zu den Waffen geeilt und die Zahl der Abgänge mehrte sich mit den einzelnen Muste- rungen. Zu den Aufnahmen meldeten sich wohl all- jährlich reichlich junge Künstler, die aber meist auch nur kurze Zeit hier bleiben konnten und früher oder später militärisch einberufen wurden. Alle diese vielen Studenten kamen fast gleichzeitig nach Kriegsende zurück, um ihre Studien zu vollenden. In den letzten zehn Jahren haben auch diese Kriegs- und Vorkriegs- studenten ihr Studium abgeschlossen und die Schüler- bewegung zeigt seither die gleiche Stetigkeit wie vor dem Kriege. Der Andrang zur Anstalt ist andauernd äin sehr reger, gegenüber den Vorkriegsjahren ist der Prozentsatz der Ausländer unter den Schülern ein viel größerer. Seit 1921 sind auch Frauen zum aka- lemischen Studium zugelassen. Die Art des Unterrichtes an der Akademie hat sich im wesentlichen schon in den Jahren 1900-1914 den erprobten Studienmethoden in den größten und