ER Die Wiener Staatsoper. Blick von der Bühne in den Zuschauerraum DIE LETZTEN ZEHN JAHRE DER STAATSOPER Von Direktor Franz Schalk. Im Chaos der ersten Umsturzjahre ist die Wiener Staatsoper verhältnismäßig unerschüttert 8ehlieben. Weder von innen noch von außen machten Sich irgendwelche destruktive Tendenzen geltend und man hatte den Findruck, daß die tausendfach zer- Splitterte öffentliche Meinung und auch die Staats- Autoritäten selber mit einer Erhaltung des Status 100 am ehesten zufrieden waren. Dennoch haben die letzten zehn Jahre mit ihren eruptiven und sprung- haften Umwälzungen in geistiger und künstlerischer Beziehung bis heute noch keineswegs abgeschlossene Veränderungen bewirkt. Wer kann heute sagen, wohin unser öffentliches Kunstwesen und das vielleicht stärkste Flement in ihm, die Theater, steuern? Wie sie sich weiter ent- Wickeln werden, ob die Epoche hemmungsloser Ex- PCrimentierwut, grotesker Häßlichkeitsexzesse, die Bru- lisierung und Vulgarisierung kostbarster Musik- und Literaturschätze noch im Ansteigen oder schon im Abklingen ist, ob wir einer gänzlichen Verjazzung und Ver filmung unseres geistig - künstlerischen Lebens his zur völligen, „restlosen” Ungeistigkeit ent- gegengehen? Dies ist freilich eine Zukunftsfrage. Aber alle Retrospektivität kann nur den einen Sinn, das eine Interesse haben, auf diesem Wege die inneren Ten- denzen der Entwicklung zu erforschen. Immerhin glaubt man hie und da schon freundlichere Symptome wahrzunehmen, Anzeichen eines reineren Himmels, der allmählich über der geistigen Welt scheinen wird. Unter allen öffentlichen Institutionen gibt es keine, die den Einflüssen des Tages mehr ausgesetzt sind ınd ihnen schneller unterliegen, als die Theater. Dank ihres unendlich: komplizierten Apparates und ihrer relativen Schwerfälligkeit nimmt jedoch die ‚Oper” unter den Theatern eine besondere Stellung ein. Sie vermag den Launen des Geschmackes nicht im gleichen Tempo wie die Sprechtheater zu folgen; sie ist aus gewissermaßen materiellen, elementaren Ursachen beharrender und konservativer. Diesem Umstande ist es audı zuzuschreiben, daß der „Umsturz” auf das Grundgefüge der Oper (wenigstens in Wien), auf ihre künstlerischen Methoden und Prinzipien eine augenfällige Einwirkung zunächst nicht hatte. Die Kriegsiahre haben freilich manche Einschränkungen