ÖSTERREICHS OPERNSCHAFFEN Von Professor Dr. Ernst Decsey. Im modernen Opernschaffen der letzten zehn Jahre spielt die Stadt Wien eine größere Rolle als man gewöhnlich annimmt, oder aus dem Spielplan der Staatsoper schließen könnte (die ihrer Natur nach nicht als Bergwerk, sondern als Prüfendes Sieb der Urproduktion in Betracht kommt). Auch heute noch ist Wien ein Tondichter-Nes: wie zur klassischen Zeit, aber es gibt keine ein- heitliche Wiener Schule mehr, es gibt nur Rich- tungen, die auseinanderlaufen, oft so stark, daß Sie Gegenrichtungen werden. Man kann zunächst eine ältere Richtung unterscheiden, die von Richard Wagner und Albert Lortzing herkommt: die Gruppe der gemütvollen bürgerlichen Oper mit österreichischem Einschlag, die Wilhelm Kienzl in zwei zugkräftigen Werken (Evangelimann, Kuhreigen) erfolgreich ver- tritt, Sie hat einen triebkräftigen jüngeren Vertreter in Julius Bittner gefunden, dessen Kraftnatur und Ühantastik sich in einer Reihe von wertvollen Schöpfungen mit starkem KFEigenton entladen hat. Von seinen Opern (Die rote Gred, Der Musikant, Der Bergsee, Das Rosengärtlein) ist augenblicklich aur „Das Höllisch Gold” auf dem Spielplan, ein Yolkhaftes, kerniges in Holzschnitt-Manier gehaltenes Werk, deutsch und humorig, ein künstlerischer Protest gegen den Fluch des Goldes, wie schon Seine Entstehungszeit (1016) verrät. Das letzte Werk Bittners „Die Mondnacht”, stofflich ein neuer Griff (Episode aus dem altösterreichischen Soldatenleben) SPiegelt die landschaftliche Bedingtheit der öster- "Eichischen Menschen und ihrer Schicksale wieder: cn Kulturbild, dessen Realistik von traumhaftem Geschehen umrahmt wird. Die Musik nimmt, ab- Sesehen vom Wiener Ton, eine eigene Neufärbung an (schon durch ein Nebendreiklang-System) und Schreitet so stark in die Zukunft, daß es mit dem Wagnerschen Ursprung nicht mehr stimmt. Eine zweite Richtung ist die der Wiener Musiker- Oper. Natürlich, daß landschaftverbundene Künstler Wie die Wiener eine Opern-Figenart mit einem Sewissen Ueppigkeitston, dem Uebergewicht einer 4 sich selbst erfreuten Musik hervorbringen: Musik des Blutes. Hierher gehören, wenn man schon px nteilen” und „ordnen” will, Persönlichkeiten wie ranz Schmidt (Notre Dame, Fredigundis, Werke äiner geborenen Musikerhand), dann Wilhelm Grosz Sganarell, nach Moliere), eine rhythmische Be- zabung, die erfolgreich zum Ballett drängt, ebenso wie der sehr verheißungsvolle, junge Franz Salmhofer, ein Schubert- Naturell, doch voll JZühnensinn. Hieher gehört auch Franz Schreker Schatzgräber, Die Gezeichneten) mit seiner Sinn- sild- und farbenflimmernden Eindrucks-Kunst, und ndlich Erich Wolfgang Korngold mit den Opern ‚Violanta”, „Die tote Stadt”, „Das Wunder der Aeliane”. Tradition und Temperament vereinigen sich hier zu einer außergewöhnlichen Erscheinung. Das Wiener Ohr errät den. Wiener an einem zewissen Makartismus des Orchesters, einem Pracht- ;inn, wie ihn Wiener Repräsentationsbauten tragen, Diese Charakterköpfe verraten etwas von der Buntheit des Wiener Komponisten-Ensembles. Den zroßen Gegensatz zu dieser Gruppe bildet Arnold Schönberg mit den Seinen. Schönberg selbst hat den Wiener Bühnen nur ein einziges Werk ge- zeben „Die glückliche Hand” (Volksoper), aber ;o lang er in Wien lebte, ging von seiner Per- ;önlichkeit der große Erneuerungswille der Musik aus. Bei Schönberg (geboren in Wien 1874) zeigte ich das Wienertum von seiner unbekannten, ah- zekehrten, jähen, ja dämonischen Seite. Der Nord- deutsche, der im Wiener uneingestanden immer atwas von einer Öperettenfigur witterte (obwohl die Türkenkriege allein ihm ein heroisches Profil gäben), jiah hier plötzlich eine unerbittliche, bis zum In- zrimm entschlossene Fanatiker-Natur, einen charak- ;ervollen Zerstörer, der zerstört, um aufzubauen, eine Flamme, wie sie aus dem März 1848 lohte, eine Intellektualität, die sich im Leugnen der Land- schaft, des Gefühls, des Systems von der alten Kadenz-Verfassung der Musik loßriß, und in be- lingungsloser Wahrhaftigkeit fortschritt, oder fort- ;türzte wie ein Amokläufer. Dieser Kadenzzerstörer ehrte strengste Strenge der Struktur, die lineare Schichtung der Stimmen, vor allem eine neue Abstraktionskraft der Musik, die zur mater genitrix einer neuen Schule wurde. Geistig gehören hieher >benso Bela Bartok wie Ravel, oder Malipiero sehört hieher Alban Berg (mit dem in Deutschland ınd Rußland vielaufgeführten „Wozzek”), der jüngere