STAATLICHES SEROTHERAPEUTISCHES INSTITUT IN WIEN Das staatliche serotherapeutische Institut wurde im Jahre 1804 von weiland Professor Richard Paltauf gegründet. Richard Kretz wurde Direktorstellvertreter und Richard Jellinek und Rudolf Kraus fungierten als Assistenten. Das Gründungskapital wurde von einem unbekannten Spender zur Verfügung gestellt. Nach und nach wurde der Betrieb des Institutes immer mehr erweitert, zunächst auf Heilserum gegen Diphtherie, Tetanus, Scharlach, Ruhr, Genickstarre usw., dann auf die Herstellung diagnostischer Sera (für Typhus, Cholera etc.), Sera für gerichtlichen Blutnachweis und bakterielle Impfstoffe gegen Typhus, Cholera, Pest usw. Einen breiten Raum unter den Aufgaben des Institutes nahmen stets der Unterricht und die Forschung ein. Die gewaltigen Fortschritte der Heilserumtherapie gingen an dieser, zunächst als reine Produktionsstätte gedachten Anstalt nicht spurlos vorüber, sondern auch hier hat die neue serologische Lehre eine Pflegestätte gefunden. Ein überaus reges wissenschaftliches Leben ent- wickelte sich und eine Reihe heute bekannter F. orscher, wie Chvostek, Clairmont, Pirquet,'‘ Ham- burger, Dörr, Ranzi, Schick, Rothberger, Winterberg, Volk, Groß, Pötzl, Porges, Löwenstein, Lipschütz, Pribram, Ruß, Busson, Bächer, Eisler, Luger und zahlreiche Ausländer, namentlich Japaner, haben sich hier wissenschaftlich betätigt. Die freundschaftlichen Beziehungen zum chemi- schen Laboratorium, dem F. Freund vorsteht, brachten die serologische Forschung in das chemische Fahrwasser und es entstanden hier die bekannten Arbeiten über Globuline und Konzentration der antitoxischen Sera von Freund und seinen Mitarbeitern Mark us, Joachim, Seng. F. P. Pick wurde von Paltauf aus der Schule Hofmeisters in Straßburg an das Institut gebracht und ihm verdankt die Serologie eine Reihe wichtiger Arbeiten über Antikörper. Die von Kraus entdeckten Präzipitine wurden Gegenstand zahlreicher Arbeiten und Grundlage der Präzipitinlehre. Das Jahr 1918 brachte mit dem Zerfall des Reiches zunächst eine außerordentliche Einschränkung des Ab- satzgebietes. Die finanzielle Krise des Staates nötigte die Betriebe,‘ welche ein gewisses finanzielles Risiko mit sich brachten, aus seiner Verwaltung auszuscheiden. Da entschloß sich Paltauf, dem die Zukunft seines Werkes sehr am Herzen lag, dazu, die Verpachtung des Institutes, unter Wahrung seines staatlichen Charakters, an eine Privatgesellschaft durch die Aufsichtsbehörde einzuleiten, um dadurch einerseits den Anschluß an einen großen internationalen Konzern zu erwirken, anderseits den Fiskus von den Lasten zu befreien, die ihm durch die Erhaltung ds Institutes erwachsen waren. Aber auch für das Institut erhoffte sich Paltauf Vor- teile von dieser Lösung, die vor allem darin bestanden, daß eine fachgemäß organisierte kommerzielle F ührung auf. internationaler Basis den Weg zu den neuen Staaten und zum ferneren Ausland leichter finden kann als ein rein staatliches Unternehmen. An die Spitze des durch den im Jahre 1925 erfolgten Tod Paltaufs verwaisten Institutes traten die lang- jährigen Assistenten Paltaufs, Professor R.Kraus und Professor E. Pribram als technische Direktoren, wo- durch die Gewähr gegeben ist, daß das Werk Paltaufs in seinem Sinne fortgeführt wird und das Institut in jeder Beziehung seinen bisherigen wissenschaftlichen Charakter auch in Zukunft bewahren wird. Prof. E. Pri- bram ist im Jahre 1927 einer Berufung nach Chicago zefolgt, so daß das Institut heute in technischer Hinsicht ‚on Prof. R. Kraus geleitet wird. Derzeit ist das wissenschaftliche Leben wieder in ‚ollem Gange. Das Institut besteht heute aus der wissen- schaftlichen Abteilung, welche sich im Hauptinstitut n der Zimmermanngasse 3 befindet und woselbst in den vissenschaftlichen Laboratorien die Forschungsarbeit ‘ortgeführt und den Produktionsabteilungen, wo Vakzinen und Sera erzeugt werden. Im Franz-Josef-Spital ist die Produktionsabteilung für Serumbereitung untergebracht und die Stallungen für die Pferde. Neben den technischen Direktoren hat das Institut noch ‚eigene Vorstände für die einzelnen Abteilungen: Tuberkuloseabteilung, Professor E.Löwenstein, Wissenschaftliche diagnostische Abteilung, /rofessor M.Eisler, Produ ktionsabteilung, Regie- ‚ungsrat Dr. St. Bächer. Die administrative und kom- nerzielle Leitung ist in den Händen des Direktors Dok- :;or J. Csonka. Die staatliche Kontrolle erfolgt lurch eine besondere Kontrollstation. Dank dieser Neuorganisation ist das Institut in der Lage, allen Fortschritten auf dem Gebiete der Serum- ınd Vakzinetherapie sowie der bakteriologisch-biolo- zischen Diagnostik zu folgen und alle auf diesem Ge- biete neuen prophylaktischen, therapeutischen und dia- znostischen Präparate zu erzeugen. Das Institut konnte auch wissenschaftlich allen Fragen, welche die Mikro- und Immunobiologie betreffen, nach- zehen. So wurden im Jahre 1925 zum Beispiel Studien iber Toxoide zur Prophylaxe der Diphtherie fortgesetzt, dem Problem der Therapie mittels des Bakteriophagen ‚st man näher getreten, die neuerdings im Vordergrund stehende Scharlachätiologie und -therapie und das Anti- /irus nach Besredka sind Gegenstand eigener Studien zewesen. Auf dem Gebiete der Tuberkulose sind neue Methoden zur Züchtung der Tuberkelbazillen angegeben, ;tudien über Geflügeltuberkulose beim Menschen fort- zesetzt und die präventive Schutzimpfung nach Gal- nette experimentell geprüft worden usw. Die Institutsleitung betrachtet es auch in Hinkunft als hre Pflicht, den von R. Paltauf vorgezeichneten Weg fortzusetzen, indem ihre Hauptaufgabe nicht nur auf lie Erzeugung wirksamer und einwandfreier Schutz- und Heilstoffe, sondern auch auf lie Förderung der Mikrobiologie und Immuno- ;ogie gerichtet sein soll. Seit der Verpachtung des Insti- utes hat sich der Kundenkreis namentlich im Ausland gewaltig gehoben und die Produktion wurde wesentlich gesteigert, so daß zu hoffen ist, daß die Zukunft des nstitutes gesichert ist und einer weiteren gedeihlichen, sommerziellen und wissenschaftlichen Entwicklung ent- segengehen dürfte.