DIE OBLIGATORISCHE KRANKENVERSICHERUNG Von Dr. Rudolf Mertha, Ministerialrat im Bundesministerium für soziale V. erwaltung. Die Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse, aber auch die wachsende Erkenntnis von der Zweck- mäßigkeit einer organisierten Krankenfürsorge haben dazu geführt, daß seit Gründung der österreichischen Republik auf Grund verschiedener gesetzlicher Maß- nahmen die Zahl der für den Fall der Krankheit ver- sicherten Arbeitnehmer auf weit mehr als das Doppelte gestiegen ist. Dazu kommen sehr energische Be- strebungen der Genossenschaftsverbände, um die gesetzlich gebotene Möglichkeit einer obligatorischen Krankenversicherung auf weite Kreise des Gerwerbe- standes auszudehnen. Für die selbständigen Landwirte zieht das am 28. Juli 1928 vom Nationalrat beschlos- sene Landarbeiterversicherungsgesetz wenigstens die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung für den Krankheitsfall vor. Im folgenden soll die Entwicklung der obligatori- schen Krankenversicherung in der Republik Österreich nach den erwähnten drei Gesichtspunkten (Kreis der Versicherten, Versicherungsleistungen, Organisation der Versicherung) näher dargestellt werden. Kreis der Versicherten. Durch das Gesetz vom 13. Juli 1920, StGBl. Nr. 311, wurde für die größte Gruppe der öffentlichen Ange- stellten, nämlich die Staatsbediensteten, eine obligatori- sche Krankenversicherung geschaffen. Die Durchführung der Versicherung im ganzen Staatsgebiete übertrug das Gesetz einer eigenen Anstalt, deren Geschäfte durch den Hauptvorstand in Wien und durch die in allen Landeshauptstädten zu errichtenden Landesvor- stände besorgt werden. Diese Anstalt, die Kranken- versichherungsanstalt der Bundesangestell- ten, nahm am 21. Jänner 1021 ihre Tätigkeit auf. Auf Grund des Gesetzes vom 10. März 1922, BGBL Nr. 154, wurden in die Versicherung bei der genannten Anstalt auch die Landesbeamten und Lehrer mehrerer Bundesländer und die Bediensteten einzelner anderer öffentlicher Körperschaften einbezogen. Die Kranken- versicherungsanstalt der Bundesangestellten hatte bei ihrer Gründung 142.500 Mitglieder, heute gehören ihr 174.000 Versicherte an. Eine sehr bedeutende Erweiterung des Kreises der für den Fall der Krankheit obligatorisch Versicherten brachte die VILL. Novelle zum Gesetze über die Krankenversicherung der Arbeiter vom Jahre 1888 “Bundesgesetz vom 2l. Oktober 1021, BGBL Nr. 581, iber die Ausdehnung der Krankenversicherung der \rbeiter). Dieses Gesetz dehnte die Versicherung auf alle Arbeiter und Angestellten, mit Ausnahme von Staatsangestellten und jener Privatangestellten aus, lie im Krankheitsfall auf Fortzahlung ihres Gehaltes ür mindestens zwölf Monate Anspruch haben. In die Krankenversicherung nach diesem Gesetze einbezogen wurden namentlich die gesamten in der Land- und Yorstwirtschaft Beschäftigten, deren Versicherung im ibrigen noch besonders dargestellt werden soll, weiters lie Hausgehilfen und schließlich die Arbeiter und Ange- stellten aller nicht gewerbsmäßig betriebenen‘ Unter- nehmungen, insbesondere also die Bediensteten von Vereinen, von Humanitätsanstalten usw. Das Gesetz hat auch einen großen Teil der Heimarbeiter erst die Krankenversicherung gebracht. Die Bedienerinnen, Näherinnen, Wäscherinnen und ähnliche, in Privat- haushalten beschäftigte Personen wurden zwar im Gesetz grundsätzlich als versicherungspflichtig erklärt, doch wurde die Versicherung wegen der besonderen technischen Schwierigkeiten der Durchführung noch nicht ins Leben gerufen. Das Arbeiterversicherungsgesetz vom 1. April 1927, BGBl. Nr. 125, nimmt die ersterwähnte Gruppe von Arbeitnehmern vom Versicherungszwang aus und gibt ihnen bloß die Berechtigung, sich jelbst bei den gesetzlichen Trägern der Arbeiter- versicherung versichern zu lassen. Die Zahl der durch die VI. Novelle in die obligatorische Krankenversicherung neu einbezogenen Personen war nit mindestens 700.000 zu veranschlagen, worunter zich etwa 500.000 Land- und Forstarbeiter befanden. Von diesen letzteren ist allerdings später einem großen Teil die Wohltat der Krankenversicherung wieder entzogen worden. Bald nach dem Inslebentreten der Versicherung der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitnehmer zeigten sich in mehreren Bundesländernstarke Widerstände gegen deren Durchführung. Es wurde daher schon im Jahre 1923 im Bundesministerium für soziale Verwaltung an die Vorbereitung einer No- vellierung der bezüglichen Bestimmungen geschritten. 3evor jedoch eine entsprechende Gesetzesvorlage im Nationalrate eingebracht werden konnte. hatte der a di