ARBEITSLOSENFÜRSORGE UND ARBEITSVERMITTLUNG Von Dr. Karl Forchheimer, Ministerialrat im Bundesministerium für soziale Verwaltung. Die Fragen der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosen- fürsorge sind in den letzten Jahrzehnten, insbesondere seit der Jahrhundertwende, von den Sozialpolitikern aller großen europäischen Staaten eingehend studiert worden. Ueber ihre Wichtigkeit für die Volkswirtschaft hat es bereits vor dem Kriege kaum mehr eine Meinungsverschiedenheit gegeben. Von verschiedenen Seiten wurde das Fingreifen des. Staates gefordert, es standen aber in Oesterreich mancherlei Hemmungen im Wege. Nach dem Kriege hat sich die staatliche Tätigkeit jedoch der Arbeitslosenfürsorge und damit auch deı Arbeitsvermittlung in weitem Umfange zugewendet. Diese plötzliche Entwicklung eines neuen Gebietes der öffent- lichen Verwaltung ist nicht nur auf die erhöhte Auf- merksamkeit zurückzuführen, die nach dem Umsturze der Sozialpolitik zugewendet wurde, sondern auch aus allgemeinen Erscheinungen wirtschaftlicher Natur zu ver- Stehen. Die plötzliche Demobilisierung und die ganz außerordentlichen wirtschaftlichen Erschütterungen der Nachkriegsjahre haben auf dem Arbeitsmarkte Zustände berbeigeführt, die gebieterisch ein Fingreifen erforderten. Weiters aber beginnt der Gedanke der Rationalisierung, der nach und nach alle wirtschaftlichen Tätigkeiten durch- dringt, sich auch auf die Fragen der Verteilung und Verwendung der Arbeit zu erstrecken, so daß die alten Primitiven Formen der Arbeitssuche sich gänzlich über- lebt haben. Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge sind nahe verwandte Gebiete der Sozialpolitik. Es ist charakteri- Stisch für die Entwicklung in Oesterreich, daß zwischen den beiden die weitestgehende Verbindung hergestellt wurde. L. Arbeitslosenfürsorge. Vor dem Kriege zahlten die Gewerkschaften ihren Mitgliedern nach Maßgabe ihrer Satzungen im Falle der Arbeitslosigkeit eine Unterstützung. Die Bestrebung, eine öffentliche Arbeitslosenfürsorge einzuführen, knüpfte unter diesen Umständen an die Tätigkeit der Gewerkschaften an; man schlug 1013 und 1914 vor, in Oesterreich das in den nordischen Staaten entstandene, In Schweizer Kantonen und auch in einzelnen Städten des Deutschen Reiches aufgenommene Genter-System einzuführen, nach welchem öffentliche Zuschüsse zu den von den Gewerkschaften gewährten Arbeitslosenunter- Stützungen gezahlt werden. Vereinzelte Gemeinden haben auch dieses System angenommen. Der Krieg hat dann Naturgemäß alle diese Bestrebungen zunächst unter- brochen. Etwa seit dem Jahre 1917 hat die Frage, wie man beim Kriegsende für die von den Fahnen Ent- lassenen vorsorgen wird, die Militär- und Zivilverwaltung Schr lebhaft beschäftigt. Es kam aber dann ganz anders, als man erwartet hatte. Das Zurückströmen der Armee In das Hinterland und die völlige Auflösung der militä- Tischen Formationen vollzog sich völlig unerwartet und Tegellos, ganz plötzlich war eine große Menge von Menschen ohne Subsistenzmittel und der Arbeitsmarkt völlig überflutet. Angesichts dieser drohenden Situation vurde im November 1918 binnen wenigen Tagen eine ;taatliche Arbeitslosenfürsorge eingerichtet. Die Grundzüge dieser Regelung wurden in einer Sitzung m Industriehaus auf dem Schwarzenbergplatz unter Vorsitz des damaligen Staatssekretärs Hanusch durch Zusammenarbeit der Regierung mit Vertretern der srbeitgeber und Arbeitnehmer festgelegt und waren sehr infach. Der Anspruch auf Unterstützung war an die /oraussetzung geknüpft, daß der Arbeitslose vor Ein- ücken zum Militärdienste bzw. vor Eintritt der Arbeits- osigkeit Arbeiter oder Angestellter, also krankenver- :icherungspflichtig war. Im ganzen standen im Dezem- »jer 1918 etwa 40—50.000, im Februar 1919 bereits 60.000, im Mai über 180.000 Arbeitslose im Bezuge ler Unterstützung; diese Zahl war jedoch im November 1919 jereits wieder auf 87.000, im April 1920 auf 45.000 r‚esunken. Die Mittel für diese Aktion wurden lediglich vom ;taate beigestellt. Sie waren an sich nicht unbeträchtlich, ıber vergleichsweise im Hinblicke auf die außerordent- ichen Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Situation, etwa m Vergleiche zu den großen Kosten, welche die staat- liche Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmittel er- forderten, doch gering. Zu Beginn des Jahres 1920 wurde man sich einig, daß 2 sich um eine dauernde sozialpolitische Einrichtung 1andelt, die gleich anderen Zweigen der Sozialversiche- ung wenigstens zum größten Teile auf Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer beruhen müsse. Im Mai 1920 ist dann in Oesterreich das Gesetz vom 24. März 1920, StGBl. Nr. 153, über die Arbeits- losenversicherung in Kraft getreten. Dieses Gesetz hat die bestehende Organisation und den allergrößten Teil der Detailbestimmungen beibehalten. Ein wichtiger Interschied lag vor allem darin, daß es sich jetzt nicht nehr um eine provisorische Verfügung für mehrere Monate handelte, sondern daß die Materie dauernd ge- '‚egelt war, wobei „für die Dauer der durch den Krieg ınd seine Nachwirkungen verursachten Störungen des Wirtschaftslebens“ gewisse Uebergangsbestimmungen vor- zesehen wurden. Die Kosten sollten nicht mehr den Staat allein belasten; sie wurden vielmehr zu gleichen leilen zwischen dem Staat, den Arbeitgebern und Arbeit- ıehmern geteilt. Der Anteil der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer war durch Beiträge aufzubringen, die gleichzeitig mit den Krankenversicherungsbeiträgen ein- zehoben wurden. Die Nationalversammlung hat an dem Inhalt des Regie- ;ungsentwurfes keine Aenderung vorgenommen. Sie hat aber im Titel des Gesetzes die Bezeichnung „Arbeits- osenfürsorge“ in „Arbeitslosenversicherung“ um- zeändert. Seither ist es durch 21 Novellen abgeändert worden, lie allerdings zum größten Teile keine wesentlichen \enderungen brachten, sondern eine Anpassung an die wirtschaftlichen Vorgänge der Nachkriegszeit bezweckten. Vor allem mußte jeweils die Höhe der Unterstützung