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VII. Abschnitt 
Die Nachbarschaft 
Familie und Gemeinde 
Die naturgeborene Grundzelle für die Organisation der Völker ist 
die Familie. In der deutschen Vergangenheit spielte diese Familie, 
Sippschaft genannt, auch eine besondere Rolle im Staatswesen. Die 
Sippschaft war die kleinste Form der Gliederung des Volkes. Es ist 
notwendig, bei der Betrachtung dieser alten Sippschaftsgliederung das 
Augenmerk besonders darauf zu lenken, daß die alte Sippschaft auch in 
einer gewissen Weise eine Nachbarschaft bedeutete. Die Blutsver⸗ 
wandten waren mehr oder weniger gleichzeitig die räumlichen Nachbarn 
im Lande. Unsere fortgeschrittene Zeit kennt diese räumliche Nachbar— 
schaft der Familie nicht mehr in demselben Maße. Die Technik des Ver⸗ 
kehrs hat die räumliche Trennung überwunden. Die Familie besteht 
veiter, obwohl ihre einzelnen Glieder räumlich weit voneinander ge— 
trennt sind. Dementsprechend kommt der Sippschaftsbegriff als Grund⸗ 
zelle staatlicher Organisation nicht mehr in Frage. Was trotzdem aus 
dieser Vergangenheit bleibt, ist der Begriff der räumlich nachbarlichen 
Bemeinde. Das oberste Gesetz des Volksstaates ist die Steinsche For⸗ 
derung: Volk und Staat müssen eins sein. Das Volk setzt sich aber 
aus Millionen von Einzelpersönlichkeiten zusammen. Wenn dennoch 
so weitgehende Bindung zwischen Volk und Staat geschaffen werden 
soll, so ist es wesentlich, wie weit der Staat in der Organisation der 
Volksmassen gehen und welches die Grundform der staatsbürger⸗ 
lichen Zusammenfassung sein soll. Die aus dem Sippschaftsgedanken 
entsprungene, räumlich nachbarliche Gemeinde war in alten Zeiten 
die Grundform staatlicher Organisation. Diese Grundform hat 
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