IH. LÜBECKER FAMILIEN UND PERSÖNLICHKEITEN AUS DER FRÜHZEIT DER STADT Es!) ist ein Zauber eigener Art, der heute noch von dem Stadtbild Lübeck ausgeht. In prachtvoller Geschlossenheit hebt es sich von der Trave ab. Die den Hügel hinaufkletternden Giebelhäuser sind beherrscht von dem ge- waltigen Rhythmus der Türme. Die Geschlossenheit dieses äußeren Stadt- bildes ist aber nicht Zufall; sie ist das sichtbar gewordene Zeugnis eines in sich geschlossenen sozialen Lebensprozesses. Es ist ein Organismus seelischer Einheitlichkeit, der auf dem Hügel Buku seinen Anfang nahm und in Aus- wirkung innerer Notwendigkeiten sich weitergebildet hat. Ein Organismus, der heute noch das Bewußtsein innerer Einheit und damit seiner individuellen Lebensfähigkeit besitzt und deshalb gegen Einflüsse sich wehrt, die ihm wesensfremd sind. Das Wesen eines in sich selbst einheitlichen Gemeinwesens ist aber orga- nisches Wachstum. Es hat seine Frühzeit, es hat die Zeit seiner zur Ruhe gekommenen Reife; ihm droht das Ende jedes sozialen Organismus: die innere Auflösung. Eine Auflösung, die durch ein Zuviel von gegensätzlichen und nicht mehr im Zusammenhang mit den eigenen Lebensbedingungen stehenden Orientierungspunkten bedingt ist. Selbstentfremdung von innen und Überfremdung von außen, das etwa sind die beiden Stichworte, unter denen ein Zersetzungsprozeß solcher Art sich vollzieht. In die Frühzeit, die Jugendzeit des sozialen Organismus Lübeck soll uns der heutige Abend führen. Eine überaus dankbare Aufgabe für eine sozial- geschichtliche Betrachtung. Ich kenne kaum eine zweite Stadt, wo sich der Anfang einer wirklich bodenständigen Entwicklung so klar in seinen Grund- voraussetzungen erfassen läßt, wie das bei Lübeck der Fall ist. Und ebenso läßt sich kaum irgendwo so deutlich und bestimmt die Frühzeit eines kraft- vollen Gemeinwesens nachweisen und abgrenzen, einmal der zeitlichen Dauer nach, mehr noch aber nach den wirtschafts- und sozialpsychologischen Kräften gegenüber den späteren Perioden. Der für den Geschichtsforscher sicher greifbare Anfangspunkt fällt in das Jahr 1158, als es den Bewohnern des 1157 abgebrannten Lübeck gelang, von Heinrich dem Löwen die Erlaubnis zu erhalten, Lübeck neu aufzu- richten. Der Endpunkt dieser Frühzeit fällt zusammen mit dem erfolgreichen Abschluß der Kämpfe mit Waldemar IV. von Dänemark im Jahre 1370. Es handelt sich also um eine Zeitspanne von gut 200 Jahren, für deren zweite Hälfte die geschichtlichen Quellen unverhältnismäßig reicher fließen. Das Geheimnis der inneren Geschlossenheit lübischer Geschichte liegt