218 VII. Großhandel und Großhändler im Lübeck des 14, Jahrhunderts Einkauf großer Warenposten in Flandern oder Aufsuchen von Plätzen zu einer Zeit, wo auf eine möglichst große Zahl von Abschlüssen zu rechnen war, etwa der Frankfurter Messe. Während aber der Chef des Hauses auf Reisen war, wanderte nicht, wie vordem, gewissermaßen in seiner Person der ganze Betrieb mit, sondern die Geschäfte liefen unabhängig von dem zufälligen Aufenthalt des Chefs am Sitz der Firma weiter, Da arbeiteten seine kauf- männischen Angestellten, seine im Geschäft tätigen Gesellschafter. Und wenn er, was jetzt die Regel war, selbst zu Hause war, dann ruhte das aus- wärtige Geschäft keineswegs: denn überall, wo es für ihn darauf ankam, saßen seine Vertreter am dortigen Platz, oder er bediente sich des Kom- missionsgeschäfts, um seine Waren zu vertreiben, oder auch: er sandte junge, erprobte Männer aus seinem Kontor nach auswärts, deren Interesse am Verkauf durch Gewinnbeteiligung gestärkt wurde. Es bedarf aber keinet besonderen Worte, um nachzuweisen, daß ohne den Übergang zur Schrift- lichkeit das alles unmöglich gewesen wäre. Nicht umsonst heißt das Zentrum des Geschäftsverkehrs eines Johann Wittenborg seine „scrivekamere“ Man sieht, die Sache selbst und ihr guter deutscher Name war längst da. bevor das Wort Kontor seine Weltgeltung gewann. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts hatte der Ostseekaufmann seinen Betrieb auf Schriftlichkeit aufgebaut. 1277 hatte die Stadt, diesem Bedürfnis entgegenkommend, eine besondere Art von Stadtbuch angelegt, das Schuld- buch, den Anfang der langen Serie der heutigen Niederstadtbücher. Nieder- stadtbuch genannt nach dem Ort, wo sie geführt und aufbewahrt wurden, nämlich an der Südostecke des jetzigen Kanzleigebäudes zu ebener Erde, während das Grundbuch im ersten Stock desselben Gebäudes geführt wurde und deshalb den Namen Oberstadtbuch trug. Dies war nun jenes Buch, das der Kaufmann mit Vorliebe dann benutzte, wenn er Waren auf Kredit ver- kaufte und den Wunsch hatte, seine Forderung gegenüber dem Gläubiger sicherZustellen. Dann ging er mit dem Vertragsgegner zum Buchführer, und auf Grund der Aussagen beider Parteien erfolgte dann der Eintrag in däs Buch, das öffentliche Glaubwürdigkeit besaß. Als unersetzlicher Verlust der nordeuropäischen Handelsgeschichte hat es zu gelten, daß dieses älteste, bis 1325 reichende Schuldbuch verloren ist, ebenso wie das älteste Oberstadt- buch. Wie hoch sein Wert war, kann man ermessen, wenn man das zweite, 1325 beginnende Buch gründlich kennt. Es diente, darüber kann bei der durchschnittlichen Höhe der einzelnen kreditierten Beträge kein Zweifel sein, in erster‘ Linie dem Großhandel. Die Hauptmasse des schriftlichen Geschäftsverkehrs erfolgte aber in den Schreibkammern der einzelnen Kaufleute. Hier entstanden jene heute so gut wie vollkommen verlorenen kaufmännischen Geschäftsbriefe der Frühzeit, winzig kleine Pergamentblättchen, verschlossen durch einen hindurchgezogenen und versiegelten Pergamentstreifen. Hier wurden vor