66 der ganzen diesbezüglichen Literatur fast eine ähnliche Rolle spielt wie Süßmilchs „Göttliche Ordnung“. Oettingen, der aus der Moral- statistik statt einer Sozialphysik eine Sozialethik entwickeln will, betrachtet den Menschen als persönlich freies Wesen, welches aber zugleich als Glied der Gesellschaft an dem „geistig sittlichen Ge- meinleben“ teilnimmt und unter dem Einflusse „geistig wie sittlich hemmender oder fördernder Kulturmächte“ !) steht. Trotz aller An- strengung, wirklichkeitsgetreue Resultate zu erreichen, gelang ihm lies nicht immer, und daran war die Unvollkommenheit seiner Me- ;hoden schuld. Besonders ums Jahr 1870 wurde die Frage der Willensfreiheit im Lichte der Statistik lebhaft diskutiert, ohne daß ibrigens eine endgültige Abklärung dieses Problems gelang ?%). 46. Außer den genannten Richtungen könnte man auch von ainer soziologischen Behandlung der statistischen Beobachtungen reden und als Vertreter hierfür G. v. Mayr nennen, der in seinem 1895 begonnenen Werk „Statistik und Gesellschaftslehre“ mit un- geheurem Fleiß das gesamte statistische Wissen unserer Zeit zu sammeln und zu beherrschen verstand. Zahlreiche deutsche Statistiker naben sich um ihn gesammelt®. Unter demselben Gesichtswinkel wie Mayr und seine Schüler kann der Norweger Eilert Sundt “1817—1875) betrachtet werden, dessen recht umfangreiche und eigenartige Produktion erheblich früher als Mayrs Werk vorlag. Dieses soziologische Interesse hat auch die vielen Untersuchungen beherrscht, durch die man in unseren Tagen die statistischen Beob- achtungen entschwundener Zeiten gesammelt und bearbeitet hat, ein Material, das in den verschiedenen Archiven zu finden ist, aber früher zum großen Teil nicht zugänglich war. Das gilt nicht nur von Studien der Bevölkerungsverhältnisse, wodurch unser Wissen über diese Frage bedeutend erweitert wurde, sondern auch von Ge- bieten ökonomischer und sozialer Natur (Löhne, Preise, Landwirt- schaft usw.), so daß ein bedeutendes Material zur Beleuchtung des konomischen und sozialen Lebens früherer Jahrhunderte zuwege zebracht worden ist. Während der letzten Jahrzehnte hat die amtliche Statistik ungemein große Fortschritte gemacht, so daß die Statistiker jetzt viel festeren Boden unter den Füßen haben als seinerzeit Quetelet, ‘') a. a. O. 3. Ausg., S. 39. *) Kaufmann, Theorien und Methoden der Statistik, Jena 1913, S. 161. ’) Vgl. z. B. die von Fr. Zahn redigierte Festschrift zu v. Mayrs 70. Geburts- ‚age: Die Statistik in Deutschland (1911).