224 geradezu als ein Zeichen tiefgründiger Forschung. Einer besonderen Vorliebe für dieses Verfahren begegnen wir bei den meisten Marxisten, die sich dabei mit Recht auf ihre Meister berufen können. So läßt sich Friedrich Engels über diesen Punkt einmal wie folgt aus®': Die Beweggründe der handelnden Personen sind nur von geringer Bedeutung. Es fragt sich vielmehr, „welche treibenden Kräfte wieder hinter diesen Beweggründen stehen, welche geschicht- lichen Ursachen (!) es sind, die sich in den Köpfen der Handelnden zu solchen Beweggründen umformen‘. Diese Frage habe sich der alte Materialismus nie vorgelegt, „weil er die dort (in der Geschichte) wirksamen ideellen Triebkräfte als letzte Ursachen hinnimmt, statt zu untersuchen, was denn hinter ihnen steht, was die Triebkräfte dieser Triebkräfte sind‘ (1). ; Das ist ein ganz unhaltbarer Standpunkt. Gegen die von Engels vor- getragene Ansicht läßt sich zunächst einwenden, daß sie — auch wenn die geforderte Zurückverfolgung der „Ursachen‘“ des Ge- schehens grundsätzlich zulässig wäre — praktisch unlösbare Aufgaben stellen würde, Denn die Zurückführung würde ja den regressus in infinitum bedeuten, da sich an keiner Stelle der Ursachenreihe mit irgendwelchem Anspruch auf Richtigkeit erweisen ließe, daß es sich nun um „Jletzte‘‘ Ursachen handele. Aber das Zurückgehen hinter menschliche Motive ist grundsätzlich unstatthaft. Wir würden damit auf verstehende. Erkenntnis überhaupt verzichten. Diese steht und fällt mit dem Grundsatz: daß „letzte“ Ursachen in allem Kultur- geschehen menschliche Motive sind. Dieser Grundsatz, können wir also auch sagen, ist ein Apriori jeder Kulturwissenschaft. Und zwar — wie ich hinzufügen. will — sind die Motive Motive aus Freiheit. Die Annahme der Willensfreiheit bedeutet in diesem Zusammen- hange kein ontologisches (metaphysisches), sondern ein logisches („transzendentales‘‘) Urteil. Sie allein macht Kulturwissenschaft mög- lich (und es bleibt dem einzelnen überlassen, ob er sie als Fiktion oder als Realität auffassen will). Ohne diese Annahme verfallen wir der Metaphysik: der guten, wenn wir etwa im menschlichen Willen ” Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach. 2. Aufl. 3894. S. Ah.