284 wendig individuell bestimmtes Gepräge tragen müsse, nicht über- spitzen. Schließlich treiben wir doch nicht Wissenschaft, wie wir Schweiß treiben. Wir sollten doch erwägen, daß es eine naive und eine kritische Art gibt, wissenschaftliche Erkenntnis zu gewinnen. Nun sind freilich alle Forscher der früheren Zeit, einschließlich der „Kritizisten‘“, gegenüber unserem Problem naiv eingestellt gewesen. Aber’ in der letzten Zeit sind doch Stimmen laut geworden?®, die einer kritischen Auffassung das Wort reden. Und wir lernen zu beurteilen: wie weit die Bindungen des einzelnen Forschers reichen, woher sie stammen, wie sie zu lockern sind. Und von diesem kritischen Stand- punkt aus können wir denn auch schon unlösliche, nennen wir sie schicksalhafte, und lösliche Bindungen voneinander unterscheiden. Die schicksalhaften und darum unlöslichen Bindungen, in die die Seele des Forschers verstrickt ist, stammen aus dem Blute. Sie binden nicht sowohl unser Wollen, das heißt in unserem Falle unsere Zielsetzungen, als vielmehr unser Können; sie bestimmen unsere Ver- anlagung. Es gibt eben Menschen mit klarem und unklarem Denken, mit metaphysischer und szientifischer Veranlagung, „Romantiker‘‘ und „Klassiker“, Menschen mit Anschauungsvermögen und ohne An- schauungsvermögen, mit theoretischem und praktischem Sinn (kon- templative und aktivistische Naturen), Menschen mit Formtalent und ohne solches, mit sozialem Sinn und ohne solchen und so weiter in bunter Mannigfaltigkeit. Diese Grundveranlagungen hat man einfach hinzunehmen und kann ihnen gegenüber nichts anderes tun, als sie zu „Typen“ zu formen und nach Typen zu ordnen. 9 Für das ganze Problem siehe außer den schon genannten Werken von Dilthey, Rothacker, Litt, Spranger noch: Versuche zu einer Soziologie des Wissens. Herausgegeben im Auftrage des Forschungsinstituts für Sozial- wissenschaften in Köln von Max Scheler, mit Beiträgen von zahlreichen Autoren. 1924; Max Scheler, Die Wissensformen und die Gesellschaft. 1926, und die verschiedenen Schriften von Karl Mannheim: Strukturanalyse der Erkenntnis- ‘heorie, „Kantstudien‘“. Ergänzungsheft Nr. 57. 1922; Das Problem der Gene- rationen in den Kölner Vierteljahrsheften für Soziologie. Bd. VII. 1928; Referat auf dem 6. Soziologentage in Zürich 1928 über die Konkurrenz in den Schriften der Deutschen Ges. f, Soz. Bd. VI. 1929; Ideologie und Utopie. 192g. Vgl. auch A. von Schelting, Zum Streit um die Wissenssoziologie und die kultursoziologi- schen Kategorien Alfred Webers im Archiv Bd. 62. 1929.