335 wollen keine Stubengelehrsamkeit, keine Antiquitätenkrämerei, kein „totes‘“ Wissen. Wenn nur die Wendung nicht gar zu unbestimmt wäre und zu Mißdeutung so leichten Anlaß böte! Wir möchten so gern genau erfahren, was das eigentlich heißt: „dem Leben dienen“. Welchem Leben?” Einem beliebigen, so daß auch der heutige lärmende „Betrieb“ in Politik, Wirtschaft, Verkehr, Literatur, Ge- sellschaft dazu gehörte? Nietzsche hätte sich sicher von ihm mit ebensolchem Ekel abgewandt wie von dem Getriebe seiner Zeit. Es soll doch wohl ein wertvolles Leben sein, dem gedient wird, ein Leben vor allem, in dem der Geist waltet und nicht die rohe Kraft. Sonst wäre ja die Pflege des Boxsportes höchstes Ziel. Und muß das wert- volle Leben immer nur aus „Taten“ bestehen? Ist die Vita con- templativa nicht mindestens ebenso berechtigt als die Vita activa? Ist sie nicht auch „Leben“? Und müssen Taten immer nur un- geistige sein? Müssen sie immer nur in der Einbringung von Gesetz- entwürfen, Herstellung von Motorrädern oder Erzielung von Sport- „Rekords‘“ bestehen? Ist die wissenschaftliche F orschung neben der philosophischen Lehre und der Schaffung eines Kunstwerks nicht auch „Tat“? War es richtig, Weisheit und Leben in einen Gegensatz zu stellen? Und vor allem: soll es sich um das Leben Weniger handeln oder um das der Masse, der Nietzsche bekanntlich wünschte, daß sie „der Teufel und die Statistik“ hole? Aber wenn man Nietzsches Be- trachtungen über die Gefahren der „Geschichte“ für ein Volk liest, meint man, dieses bestehe nur aus Universitätsprofessoren und Stu- dienräten. Denn schließlich wird doch nur deren „Tatkraft‘“ durch ein Übermaß des geschichtlichen Wissens gelähmt, während die über- wiegende Mehrzahl der Angehörigen jedes Volkes sein Leben lebt, >hne je mit einer Wissenschaft in Verbindung zu kommen. Will man den Worten: „die Wissenschaft soll dem Leben dienen“, sinen Sinn geben und gerade nicht darunter verstehen, daß man mit ihren Ergebnissen „praktisch‘* etwas anfangen kann, so kann es nur bedeuten: daß die Wissenschaft dazu beitragen solle, das Leben weniger Einzelner voller, reicher, harmonischer zu gestalten. Das vermag sie gewiß, aber sicher nur, wenn sie selbst — „lebendig“ ist, das heißt lebendigen Stoff in lebendiger Darstellung lebendigen