3357 wie der Wissenschaft erst dann ganz zu ermessen imstande sein, wenn wir auch die überindividuellen, „objektiven“ Kulturwerte gewürdigt haben, die sie hervorbringt oder in sich schließt. Während wir nün Umschau halten nach diesen objektiven Eigen- werten der Wissenschaft, werden wir wieder einer Besonderheit der Geistwissenschaften inne, für die wir im Verlaufe der Darstellung schon mehrfach Symptome wahrgenommen haben: daß die Geist- wissenschaften nämlich in ihrer Vollendung niemals nur Wissenschaft sind, das heißt sich in der Vermittlung von Sach- wissen erschöpfen, wie es die Naturwissenschaften in reiner Prägung offenbar tun. Ihr Sinn wird deshalb auch niemals in einer Anhäufung im Wissen gefunden werden können: ihr Ideal ist niemals die reine uantität, das bloße Mehrwissen wie bei jenen. Die Naturwissenschaften, haben wir gesehen, stellen Regeln auf, die für längere Zeit und für alle Fälle ihres Bereiches Gültig- keit haben: die einzelne Erkenntnis gewinnt an: Umfang und Tiefe, die eine reiht sich an die andere, die eine baut sich auf der andern auf. Das Naturwissen gleicht dem in der Kornkammer aufgeschütte- ten Haufen, zu dem immer mehr Korn hinzugetragen wird, oder einem Gebäude, das von Stockwerk zu Stockwerk anwächst, oder, um einen dritten Vergleich zu machen: die Erfahrungen werden im Naturwissen kapitalisiert, wie Nietzsche es ausdrückt. Das Natur- wissen, das auf Quantifizierung ausgeht, ist selbst quantifizierbar: man weiß heute „mehr“ als früher und wird morgen „mehr“ wissen als heute. Deshalb kann man auch mit gutem Fug in den Naturwissen- schaften von einem „Fortschritt“ reden. Daß das Wissen kein Wesens- wissen, sondern nur ein Regelwissen ist. macht diesen ‚Fortschritt‘ möglich. Die Geistwissenschaften können dieses Ideal schon deshalb nicht haben, weil ihr Gegenstand unausgesetzt wechselt: sei es infolge einer tatsächlichen Neugestaltung des Lebens, wie etwa in einer Wissen- schaft von der Wirtschaft, sei es infolge einer Umstellung der Er- eignisse wegen des veränderten Blickpunktes des Betrachters. (Soweit diese Bedingungen für die Naturwissenschaften zutreffen, was jedoch selten der Fall ist, gilt für sie dasselbe, was ich für die Geistwissen- schaften feststelle.) Deshalb kann man auch nicht sagen, daß eine Somhart, Die drei Nationalökonomien 99