$ 3. Positive und negative Seite der Meistbegünstigungsklausel, 7 begünstigten Nation kann vom verpflichteten Staate in zweifacher Weise erfüllt werden. Entweder gewährt er dem berechtigten Staate die Vorteile, die der meistbegünstigte genießt oder er entzieht diese dem meistbegünstigten Staatel. Der verpflichtete Staat kann den Er- füllungsmodus bestimmen. Wollte der berechtigte auch seinen Anspruch auf eine von beiden Möglichkeiten, z.B. auf die Gewährung der Vor- teile des meistbegünstigten Staates konzentrieren, so könnte der ver- pflichtete Staat ihn dennoch dadurch befriedigen, daß er diese Vorteile dem meistbegünstigten Staate entzieht. Selbst wenn ein Staat sich zu einer der beiden Erfüllungsmodalitäten verpflichtete, bliebe ihm noch die Möglichkeit, durch die andere den Meistbegünstigungsanspruch gegenstandslos zu machen und sich so zu befreien. SCHWEINFURTH? unterscheidet bei‘ dem _Meistbegünstigungs- anspruch ‚das positive Element, wonach der Staat ebenso. günstig behandelt werden soll, wie die meistbegünstigte Nation‘, und das „nega- tive Element, wonach eine günstigere Behandlung eines dritten Staats als die des Kontrahenten unstatthaft ist‘“®. Der Meistbegünstigungs- anspruch soll demnach aus dem positiven Element, dem Anspruch auf gewisse handelspolitische Vorteile, und dem. negativen Element, dem Anspruch, einem dritten Staate diese Vorteile zu entziehen, be- stehen. Es ist klar, daß die Ansprüche jedenfalls nur wahlweise, nicht nebeneinander geltend gemacht werden können, da einer den andern ausschließt. Die Wahl bleibt jedoch, wie festgestellt, immer dem ver- pflichteten Staate. Die beschriebene Teilung des Meistbegünstigungs- anspruchs — der schlechthin der Anspruch auf Gleichbehandlung ist — in eine positive und negative Seite ist also m. E. unfruchtbar und dazu unkorrekt. . Die Unterscheidung der positiven und negativen Seite findet sich noch in einer anderen Form. RıepL* unterscheidet die „positive Seite“, die Verpflichtung, dem anderen Vertragsteil alle Vorteile oder Be- freiungen zukommen zu lassen, die irgendeinem dritten Staate gewährt wurden, von der „negativen Seite‘, den anderen Vertragsteil nach keiner Richtung hin ungünstiger zu behandeln als irgendeinen anderen * Wenn diese Vorteile allerdings vertraglich zugestanden wurden, was die Regel ist, wird der verpflichtete Staat selbstverständlich nicht durch die Meist- begünstigungsklausel von dieser Bindung gegenüber dem dritten Staat frei. Es oleibt ihm dann nur noch die Möglichkeit, dem berechtigten Staate die Vorteile zu gewähren, die dem meistbegünstigten Staate vertraglich eingeräumt werden. 2 Vgl. SCHWEINFURTH: Die Meistbegünstigungsklausel, eine völkerrechtliche Studie. Diss. Heidelberg, 1911. S. 30. 3 Das sogenannte positive Element wird auch als „Gleichbegünstigungs- zwang‘ dem ‚Gleichbenachteiligungszwang‘“ gegenübergestellt. Vgl. GLIER: Die Meistbegünstigungsklausel, eine entwicklungsgeschichtliche Studie. Berlin 1905. 4 RızpL: a. a. O. S. a1.