Je grösser aber die Zahl der zusammenlebenden oder in naher Beziehung stehenden Menschen ist, je mannichfaltiger die gemeinsamen Aufgaben werden, die sie sich stellen, um so notwendiger wird es, die Organisation fester zu schliessen und unter eine leitende Gewalt zu stellen, welche die Macht hat, die Widerstrebenden zu nötigen, sich anterzuordnen und die Regeln zu beachten. Auf diese Weise ent- wickelt sich ein Staatswesen. Loening definiert in seiner vortreff- lichen und umfassenden Darstellung (H. W.B. d. St. 2. Aufl. Bd. 6 3. 353) den Staat als: „Die rechtliche Organisation des Volkes auf einem räumlich abgegrenzten Gebiete unter einer Herrschergewalt.“ Gegenüber der Gesellschaft wird man hinzufügen können, dass ihm nicht nur Einzelaufgaben zufallen, sondern er höhere Kulturzwecke im [Interesse der Gesamtheit zu übernehmen hat, Je mehr die Kultur steigt, um so verschiedenartiger entwickeln sich die Individuen, Bei den Negern, den, Südseeinsulanern findet man nur wenig Verschiedenheit in den Anlagen, wie in den Bedürf- nissen, also der körperlichen wie geistigen Leistungsfähigkeit. Die Physiognomien sind für uns kaum zu unterscheiden. Bei den höher entwickelten Völkerschaften fällt nach all diesen Richtungen die grösste Verschiedenheit sofort in die Augen. Die Individuali- ;ät ist ganz anders entwickelt. Ueberall tritt eine grosse Ungleich- artigkeit der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft in Temperament, Charakter und Begabung, ihren Lebensansprüchen und Neigungen aervor. Damit entwickeln sich immer schärfere Gegensätze zwischen den verbundenen Individuen, und die immer mannichfaltiger werdenden Thätigkeiten vermehren die Gelegenheit zu Kollisionen; während auf der anderen Seite die gemeinsamen Aufgaben immer grössere und schwierigere werden, Deshalb muss naturgemäss mit der Entwicklung der Kultur auch die staatliche Organisation eine immer festere, all- seitigere und feiner gefügte werden, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, Jedem seine Freiheit und Selbständigkeit innerhalb der als notwendig arkannten Schranken zu garantieren und die möglichste Entfaltung der Leistungsfähigkeit zu gestatten. Aufgaben des Auf höherer Kulturstufe hat daher der Staat drei Aufgaben, Staates. nämlich Macht-, Rechts- und Wohlfahrtszwecke, zu verfolgen. Der erste Schritt zur Staatenbildung liegt vor, wenn sich eine Anzahl Stämme zu einem Kriegszuge vereinigen und sich hierfür einen Häuptling wählen, dessen Führung sie sich unterwerfen. Der zweite Schritt ist zu beobachten, wenn diese Unterwerfung unter einen Häupt- ing dauernd bestehen bleibt, und dieser die Aufgabe behält, der Ge- samtheit Schutz gegen die Aussenwelt unter Heerespflicht der Streit- baren zu gewähren, was dann zu Ausfällen und Uebergriffen gegen lie Nachbarn und zur Erweiterung der Machtsphäre verwertet wird. Ein wesentlicher Fortschritt ist es, wenn die Staatsgewalt nicht nur für derartige Machtzwecke einzutreten berufen ist, sondern auch Rechtszwecke verfolgt, d. h. dem Einzelnen seine Rechtssphäre zu garantieren, ihn in der Verwertung seiner Kräfte gegen Uebergriffe im Innern des Landes zu schützen, den Schwächeren gegen die Ueber- macht des Stärkeren zu schirmen übernimmt. Diese Aufgaben waren dem Staate schon im Mittelalter zuerkannt und wurden zum Beispiel zon Karl dem Grossen und seinen Gaugrafen nachdrücklichst verfolgt. staat. Machtzwecke. Rechtszwecke.