608 Sweiundzwanzigsies Buch. hier, in einer Stadt, die noch keine Akademie besaß, während die Städte mit verwandter Entwicklung, Antwerpen schon um 1680, Amsterdam um 1700 Antikensäle errichtet hatten, hoffte er seiner Kunst frei leben und mit der Zeit auch selbst das Handwerkliche der Kunst lernen zu können. In der Tat ist er eigentlich auch in Hamburg erst Maler geworden, hat er sich namentlich die Oltechnik von einem obskuren Meister erst ordentlich angeeignet. Der Dresdner Zeit Runges gehört die Konzeption der vier großen Wandgemälde der Tageszeiten (1803— 1805) an, deren Entwürfe in Kupferstich erschienen sind und von denen in Hamburg „Der Morgen“ als Olgemälde ausgeführt wurde; außerdem schuf er in Dresden das Bild „Der Nachtigall Unterricht“, ein Bildnis der Braut des Malers als Psyche mit beziehungsreicher ornamentaler Umrahmung nach der Idee einer Klopstockschen Ode: beides mystisch-symbolische Entwürfe von siegreicher und höchst eigenartiger Formensprache und Er— findung. Doch erst in Hamburg wurde Runge auch inhaltlich ganz er selber, ging er zugleich auf die Anregungen seines Lehrers Juel zurück. Juel hatte schon Bildnisse im Freien mit großem Raumgefühl und Sinn für bewegtes Leben gemalt: „Zwei junge Mädchen pflücken Blumen in ihrem Garten“; „Ein Knabe, der durch einen großen Garten rennt“ usw. Runge ging auf diesem Wege weiter, indem er weiten Innenraum und noch lieber Landschaft und freies Spiel des Lichtes mit dem Porträt in großen Abmessungen verband; das Ideal seines Schaffens wurde jetzt das monumentale Bildnis. In dieser Art hat er 1804 sich und seinen Bruder mit dessen Frau in einem Parke stehend gemalt, 1805 die Hülsenbeckschen Kinder in dem Garten eines Hamburger Landhauses, 1806 seine Eltern, lebensgroß, wie sie ihr Haus in Wolgast zu einem Spaziergang verlassen. Es sind Bilder, in denen die Personen nach Räumlichkeit, Farbe, Luft und Licht der Wirklichkeit nachkonstruiert erscheinen: wo andere Maler der Zeit nur Trübung und Tönung kennen, da zeigen sie harte Farben