6 Getreidemenge von aussen beziehen, so wird es sich nach Einfüh rung eines Zolles keineswegs immer in der eben betrachteten un günstigsten Lage befinden. Denn das Ausland rechnet dann seiner seits auf diesen regelmässigen Absatz, seine Produktion und sein Handel sind darauf vorbereitet, diesem Kunden die normale Zufuhr jährlich zu liefern. Bei der Preisbestimmung befindet sich also das Inland dem Auslande gegenüber im Wesentlichen in derselben Lage, als wenn es unter gewöhnlichen Verhältnissen seinen Bedarf selbst zu decken im Stande wäre, und es wird also namentlich den vollen Zoll nur dann selbst zu tragen haben, wenn seine Ernte merklich unter dem gewöhnlichen Ertrage geblieben ist und zugleich auch das Ausland keine ungewöhnlich grossen Vorräthe besitzt. Doch mag im Ganzen die preissteigernde Wirkung des Zolles in einem Lande mit bedeutender Unzulänglichkeit der Getreideerzeugung grösser sein, als in einem solchen, das sich in der Regel wenigstens annähernd selbst genügt. Auch wird es für die Preise keinen er heblichen Unterschied machen, wenn etwa das erstere Land unter dem Schutze des Zolles seinen Getreidebau ausdehnt; denn das Mehrerzeugniss kann nur mit grösseren Kosten und folglich nur unter Voraussetzung der durch den Zoll verursachten Preiserhöhung gewonnen werden. Wäre eine genügende Vermehrung der Getreide produktion bei Geltung der Freihandelspreise möglich, so würde das Land überhaupt nicht in die hier betrachtete Klasse gehören. II. Die obigen allgemeinen Erwägungen sind zwar ohne Zweifel theoretisch richtig, aber auf ein bestimmtes Land lassen sie sich nur anwenden, wenn die Produktions-, Verkehrs- und Marktverhält nisse desselben sowohl im Innern, wie in Bezug auf das Ausland mit genügender Vollständigkeit und Genauigkeit bekannt sind. Wir wollen hier den Versuch machen, unter jenen Gesichtspunkten die Wirkungen der deutschen Getreidezölle an der Hand wenigstens der wichtigsten Thatsachen näher zu untersuchen. Betrachtet man zunächst das Deutsche Reich, oder genauer gesagt, das Zollvereins gebiet in seinem vor der Einverleibung der beiden Hansestädte vor-