1. Kapitel. Begriff, Wesen, Aufgabe und Schranken der Sozialpolitik. 7 greifen und durch Hebung der wirtschaftlichen Lage das Hinabgleiten zur „Hilfsbedürftigkeit“ verhindern. Kann sie dabei auch nicht voll ständig der Mittel entraten, die dem Charakter einer Gabe der Wohl tätigkeit nahekommen, so liegt doch der Nachdruck auf solchen Zu wendungen, die sich auf erworbene Rechtsansprüche stützen, und ein großer Teil ihrer Arbeiten und Leistungen besteht überhaupt nicht in geldlichen Zuwendungen. Nicht der Armenpflege sich einzugliedern, sondern die Notwendigkeit ihres Eingreifens durch Steigerung der Wohlfahrt zu vermindern, ist Absicht, Aufgabe und Wirkung der Sozialpolitik. § 4. Schranken der Sozialpolitik. Die Sozialpolitik ist bei dem Streben, durch Steigerung der Wohlfahrt der arbeitenden Klassen (im weiteren Sinne des Wortes) die Klassenunterschiede abzuschwächen, nicht völlig ungehemmter Entwickelung und Betätigung fähig. Die Klassenunterschiede wirken über die Grenzen des einzelnen Staates hinaus, da in allen Kulturländern sich ähnliche Schichtungen der Ge sellschaft entwickelt haben. Aber die Sozialpolitik kann nicht zur „Weltwirtschaftspolitik“ werden; da jede Politik bestimmte Träger haben muß, die „Weltwirtschaft“ als solche aber derartiger Organe entbehrt, so findet jede Politik ihre Schranke zunächst in der räum lichen Ausdehnung des Gemeinwesens, dessen Interesse sie dient und von dessen Organen sie geführt wird. Das schließt nicht aus, daß zwischen den verschiedenen Gemeinwesen eine gegenseitige Beeinflussung, ja unter Umständen eine gegenseitige Vereinbarung stattfindet. Gerade bei der Sozialpolitik ist eine solche Beeinflussung von Staat zu Staat möglich und oft eingetreten. Die Sonderart des einzelnen Staatswesens und deshalb auch sein besonderes Bedürfnis bei der Auswahl der sozialpolitischen Maßnahmen wird aber dadurch nicht aufgehoben. Tat sächlich wird denn auch derselbe Grundgedanke, dessen Verwirklichung verschiedene Staatswesen für erforderlich halten, in jedem Staats gebiet im einzelnen anders ausgestaltet und durchgeführt. Der Gedanke einer obligatorischen Arbeiterversicherung beispielsweise ist in jedem der Staaten, die ihn aufgenommen haben, in besonderer und von dem Vorgehen der anderen abweichender Weise ausgebaut worden. Darin liegt, daß ungeachtet gegenseitiger Beeinflussung die Sozialpolitik eines jeden Staates an dessen räumliche Grenzen gebunden ist. Man würde das nicht besonders aussprechen müssen, wenn nicht der Gedanke an ein derartiges internationales sozialpolitisches Zusammenwirken, daß dadurch die Grenzen der Staatswesen verwischt werden, schon wieder holt aufgetaucht wäre. Wichtiger als diese mehr äußerliche Schranke sind die sachlichen und persönlichen Grenzen, die der sozialpolitischen Arbeit und Leistungs fähigkeit gezogen sind. Alle sozialpolitischen Maßnahmen von einiger