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wandten in Dalmatien nicht mehr. Gerade in der
letzten Zeit sind Knaben und junge Männer aus
Furcht vor dem Balkankrieg in ungewöhnlicher
Zahl ausgewandert, die spät oder nie wieder
kommen werden. Die Bewohner der Seeküste
wandern viel leichter aus als die Bewohner aus
dem Innern des Landes und es war ein großer
Fehler der Regierung, daß sie die Küstenschiff
fahrt, die sie mit einer Subvention von ein paar
100.000 K hätte erhalten können, verfallen ließ.»
Baernreither hebt denn auch besonders hervor*:
«Es ist an eine wesentliche Einschränkung der
Auswanderung nicht zu denken und es nützen
auch bloß repressive Maßregeln nichs, wenn
nicht zugleich die materielle Wohlfahrt des Lan
des gehoben wird. Die 645.000 Einwohner Dal
matiens müssen in dem Landbau, im Gewerbe,
im Handel, in der Schiffahrt und in der Fischerei
ihr Auskommen finden. Das zu erreichen, muß
die große Richtlinie aller Maßregeln sein.» Wir
sehen auch in diesem Falle, wie die sozialpoliti
schen Gesichtspunkte bedeutsam werden können.
Das Interesse am Aufschwung Dalmatiens ist den
Dalmatinern und der Heeresverwaltung ge
meinsam.
Man hat in den letzten Jahren mehrfach sich
bemüht festzustellen, welche Berufsgruppen der
Armee die besten Soldaten liefern. Diese Unter
suchungen, welche zeigen würden, welche Berufe
im Interesse der Armee am meisten zu fördern
wären, sind aber bis heute noch nicht so ein
wandfrei durchgeführt worden, daß man die Er
gebnisse ohne weiters verwerten könnte. Da man
aber jetzt diese Probleme von vielen Seiten her
in Angriff nimmt, dürfte ihre Lösung nicht mehr
allzu lange auf sich warten lassen. Alle diese
Fragestellungen sind heute sehr modern, da man
sich über das Wesen und den Aufbau des gesell
schaftlichen Körpers möglichst zuversichtlich zu
unterrichten trachtet.
Neben den großen Berufsgruppen, die gutes
Soldatenmaterial liefern, müssen auch jene Berufe
genannt werden, welche bereits im Frieden mili
tärisch organisiert sind, aber Friedensaufgaben zu
erfüllen haben. Dahin gehören z. B. das Finanz
wachkorps und die Militärwachkorps, wie sie in
Galizien bestehen. Eigentlich gehört hieher auch
ein Teil des stehenden Heeres, nämlich jener, der
z ur Aufrichterhaltung der inneren Ordnung ver
wendet wird.
Von großer Bedeutung für den Kriegsfall ist
die Geburtenreserve eines Volkes. Normalerweise
wird die Gebärfähigkeit der Frauen nicht voll
ausgenützt, so daß die Möglichkeit besteht, nach
großen Kriegen einen Bevölkerungsverlust durch
Vermehrung der Geburten auszugleichen. Im all
gemeinen kann man die Tatsache konstatieren,
daß Völker mit niedriger Kultur eine hohe Ge-
burtlichkeit "und eine hohe Sterblichkeit aufweisen,
während man mit steigender Kultur eine Abnahme
a. a. O. S. 16.
beider Größen konstatieren kann. Je höher also
ein Volk kultiviert ist, desto weniger nützt es die
absolute Gebärfähigkeit seiner Frauen aus. Ta
belle VII zeigt uns, wie kraß sich die Zahlen
verhältnisse mit der Kultur ändern :
Besonders kraß tritt der Kulturunterschied
in der Säuglingssterblichkeit zutage, welche für
die genannten Länder der Reihe nach beträgt:
Schweden 100, Deutschland 220, Rußland (Durch
schnitt) 330 und Kaluga 400. Wir sehen, wie in
Schweden die Säuglingssterblichkeit gegenüber
Kaluga noch schärfer absinkt als die allgemeine
Sterblichkeit.
Tabelle VII.
Oeburtlichkeit, Sterblichkeit und Kultur
Land
Geburtlichkeit
Sterblichkeit
auf je 1000 Einwohner
Schweden
16
.27
Deutschland
22
36
Rußland
4R
(Durchschnitt)
Kaluga
42
54
(in Rußland)
Die Geburtenreserve kann nach Kriegen in
sehr verschiedener Weise herangezogen werden.
Als nach dem Dreißigjährigen Kriege die Entvölke
rung in manchen Gegenden allzu groß war, soll
die Vielweiberei gelegentlich gestattet worden
sein. Zum Teil ist nach großen Kriegen eine Zu
nahme der Geburten auch dadurch hervorgerufen,
daß infolge der Verluste viele Stellungen frei
werden, also die Chance, für sich selbst und die
Kinder den Lebensunterhalt erwerben zu können,
wächst. Zwar ist bei zunehmendem Reichtum im
allgemeinen die Neigung, Kinder zu bekommen,
geringer, aber das gilt im allgemeinen nicht, wenn
Leute plötzlich wohlhabender werden, die noch
die Geburtentradition der früheren Schichte auf
weisen. Gelegentlich dürfte die Geburtenzunahme
nach Kriegen auch dadurch gefördert werden, daß
viele verlobte Paare die Verehelichung beschleu
nigen, wenn der Krieg droht. Ich möchte darauf
hinweisen, daß mir in Serbien zur Zeit der Mobi
lisierung die erhebliche Zahl von Brautpaarbildern
in den Schaufenstern der Photographen auffiel,
welche Männer in Uniform aufwiesen. Es dürften
viele in den Krieg gezogen sein, nachdem sie
vorher ihre Frauen befruchtet hatten. Ein solches
Verhalten wäre gerade bei den Serben nicht un
verständlich, wenigstens konnte ich aus Gesprächen
mit Serben die Tatsache entnehmen, daß sie die
Fortpflanzung vielfach für eine nationale Pflicht
ansehen. Wir sehen denn auch häufig nach Kriegen
eine statistisch erfaßbare Zunahme der Geburtlich-
keit, so z. B. in Deutschland nach dem Kriege
von 1870/71. Während vorher die Geburtlichkeit
unter 40 7 00 war, betrug sie nach dem Kriege
über 40 °/ 00 . Alle Momente, welche diese Steige
rung hervorrufen, kennen wir aber heute noch
nicht, jedenfalls ist es wichtig, diesen Zusammen
hang im Auge zu behalten.